Wie es dazu kam, dass die EU wegen der Arbeitszeit drohte

 

(Lesezeit 4 Min) 2014 drohte die EU Österreich mit hohen Strafzahlungen wegen Nicht-Umsetzung der EU-Arbeitszeitregelung. Doch ist die EU von selbst aktiv geworden?

NEIN, das tut sie grundsätzlich nicht – jemand muss sich beschweren.

Viele Fraktionen, die jetzt bei der Ärztekammerwahl antreten und so tun, als ob sie es gewesen wären, die die Sitaution der Spitalsärzte verbessert haben, schmücken sich mit fremden Federn! Die meisten der Fraktionen haben trotz Wissen um die illegale Arbeitssituation[i] jahrelang nichts unternommen, mehr noch, bis 2012 wurde das System durch die Ärztekammer OÖ sogar verteidigt und als Erfolg verkauft, wenn das Einkommen v.a. der Jungärzte an Nachtdiensten und Wochenenddienst hängt.

Die Beschwerde kam also nicht von den Institutionen, die eigentlich für Arbeitnehmerschutz und Interessensvertretung zuständig sind, sondern von zwei Privatpersonen:

Dr. Marina Hönigschmid und Dr. Ernest Pichlbauer

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Die Existenz-Angst der Kassen-Hausärzte

(Lesezeit 3 Min) Ein Kassen-Hausarzt verdient, bei einem Jahresumsatz von 250.000 bis 300.000€, 50.000 bis 60.000 € netto, das sind, auf 14 Monate gerechnet, etwa 3.500 bis 4.000 € (wobei es eine erhebliche Schwankungsbreite gibt)

Sicher mehr als ein Viertel des Gewinns (arbiträr) stammt nicht aus den Umsätzen als Kassenarzt, sondern aus einer quersubventionierenden Tätigkeit. Nach dieser lassen sich Kassen-Hausärzte  grob in zwei Gruppen teilen.

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Die Existenzängste der Kassen-Hausärzte

Ein Hausarzt verdient bei einem Jahresumsatz von durchschnittlich 250.000 Euro rund 50.000 Euro netto.

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    Ein wesentlicher Teil des Gewinns stammt nicht aus den Umsätzen als Kassenarzt, sondern aus quersubventionierenden Tätigkeiten.

   Da wäre die Hausapotheke, ohne die die Patientenversorgung, wie sie auf dem Land stattfindet, keinesfalls bestünde. Und dann gibt es Einnahmen aus Alternativmedizin und Ästhetik. Scharenweise bessern Hausärzte ihr Auskommen mit Low-Level-Laser, Magnetfeld-Therapie oder Homöopathie auf, die allesamt als medizinisch-wissenschaftliche Tätigkeiten angeboten werden. Oder sie verabreichen Botox-Spritzen.

   Da der Kassenarzt Unternehmer ist, hat er keinen bezahlten Krankenstand, Urlaub, doppelte Gehälter oder Arbeitslosengeld. So etwas gibt es nicht, selbst wenn die Ärztekammer den Kassenvertrag als Kollektivvertrag verkauft. Das ist Polemik, um vermeintlich mehr politischen Druck auf die aus der Gewerkschaft stammenden Gesundheitsminister auszuüben.

   Mehr noch, als Unternehmer muss der Kassenarzt seinen Arbeitsplatz selbst finanzieren, also auch Investitionen aus dem Gewinn stemmen – oder eben nicht. Denn bei so einem geringen Gewinn ist es viel gescheiter, Investitionen fremdzufinanzieren. Und das hat Konsequenzen. Die meisten Kassenärzte, vor allem wenn sie unter 50 sind, sind hoch verschuldet. Und genau deswegen sind sie bereits heute ökonomischen Zwängen unterworfen, auch wenn das gerne und vor allem seitens der Ärztekammer verschwiegen wird.

   Außerhalb der gut beheizten politischen Büros in Ländern, Kassen und Ärztekammern sitzen 4100 Kassenhausärzte in ihren fremdfinanzierten Ordinationen und haben Existenzangst. Natürlich sind die meisten zu elegant, das zuzugeben, schließlich arbeiten sie primär für den Patienten und nicht für Geld, aber real sind es die nächste Kreditrate, die Miete und das nächste doppelte Gehalt für Angestellte, die drücken. Die meisten fürchten sich wohl auch nicht, keine Arbeit mehr zu finden, und sei es angestellt in einem Primary-Health-Care-Zentrum; sie fürchten, auf tausenden Euro Schulden sitzen zu bleiben.

   International wurde deswegen bei Strukturreformen das unternehmerische Risiko immer von den Reformern (zum Beispiel die Politik) übernommen. Fonds wurden eingerichtet und Ordinationen, die geschlossen werden sollten, abgelöst. Es gab einen von Anfang an klar kommunizierten Investitionsschutz, der nicht über einen langwierigen, teuren und unsicheren Rechtsweg (den es bei uns auch gibt) erstritten werden musste. Da stellt sich die Frage, warum dieses Thema niemand aufnimmt. Wer hätte die Aufgabe, die Interessen der Ärzte zu vertreten – aber keinerlei Legitimation, über Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens zu entscheiden?

   Genau da ist Kritik an der Ärztekammer angebracht. Es ist nicht ihre Aufgabe, sich um Patienten zu kümmern, sehr wohl aber, die Interessen ihrer Pflichtmitglieder wahrzunehmen. Doch würde die Kammer zum Thema Ablösen Gespräche führen, wäre das ja eine implizite Zustimmung. Weil aber bei der Reform klar ist, dass Kammerfunktionäre stark an Macht und Einfluss verlieren, dürfte es denen lieber sein, Ängste zu schüren, um gegen die Reform zu mobilisieren, statt diese „ärztefreundlich“ zu gestalten.

„Wiener Zeitung“ Nr. 248 vom 22.12.2016  

Kassen, Kammern, Ambulatorien, der Gesamtvertrag und die PHC-Zentren

(Lesezeit 4 Min) Ärztekammern, Krankenkassen und Ambulatorien; ein Streit der praktisch so alt ist wie die zweite Republik und in der PHC-Diskussion gerade wieder aufflammt

 

Herbst 1955 – Seit kurzem gibt es den Staatsvertrag, die Besatzungsmächte sind noch nicht vollständig abgezogen, da wird das ASVG, zur Abstimmung gebracht. Und fast typisch, trotz zehn Jahren Verhandlung, kommt eine, wie ein Stenographisches  Protokoll zeigt, schnell zusammengezimmerte „Zwischenlösung“ zur Verlesung, weil wenige Tage davor ein Aufstand der Wiener Ärztekammer zu Änderungen zwang.

Um was es ging? Um Ambulatorien und Kassenplanstellen.

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Die immerwährende Reform

Ärztekammern, Krankenkassen und Ambulatorien – ein Streit, der so alt ist wie die Zweite Republik und nun wieder aufflammt.

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   Herbst 1955 – seit kurzem gibt es den Staatsvertrag, die Besatzungsmächte sind noch nicht vollständig abgezogen, da wird das ASVG zur Abstimmung gebracht. Und fast typisch, trotz zehn Jahren Verhandlung kommt eine schnell zusammengezimmerte „Zwischenlösung“ zur Verlesung, weil wenige Tage davor ein Aufstand der Wiener Ärztekammer zu Änderungen zwang. Worum es ging? Um Ambulatorien und Kassenplanstellen. Die Kammer forderte fixe Kassenplanstellen und ein Veto-Recht bei Errichtung von Ambulatorien. Sie fürchtete, nicht zu Unrecht, dass Kassen mit ihren Ambulatorien über kurz oder lang niedergelassene Ärzte verdrängen würden.

   Ja, so lange existiert der Konflikt, der uns im Rahmen der PHC-Gesetzes-Werdung wieder beschäftigt. Und auch weiterhin ist die Begründung der Ärztekammer nicht unrichtig. Denn obwohl vorgeschrieben ist, dass sich kasseneigene Ambulatorien durch die gleichen Honorare wie Kassenärzte finanzieren müssen, schaffen das gerade mal 10 Prozent. 90 Prozent werden subventioniert, in dem ihre Defizite aus Kassenmittel gedeckt werden. Wenn das auch mit den PHC-Zentren, die als Ambulatorien geführt werden sollen, passiert, sind diese eine unbezwingbare Konkurrenz, niedergelassene Kassen-Hausärzte würden verschwinden.

   Dass Politiker gewillt sind, solche Subventionen zu bezahlen, sieht man am Vorzeigeprojekt „Maria Hilf“. In dieses PHC-Zentrum, das nicht mehr als eine Gruppenpraxis von drei Kassen-Hausärzten ist, fließen jährlich 230.000 Euro. Da es aber nicht als Ambulatorium firmiert, können diese Subventionen nicht dauerhaft rechtskonform ausbezahlt werden. Jede Änderung hier wird daher durch die Ärztekammer blockiert – und das ist auch ihr gesetzlicher Auftrag. Denn sie ist nicht für die Versorgung zuständig, sondern hat die Interessen der Ärzte zu vertreten. Und wenn die Kammer zustimmte, dass Ärzte in Konkurs gehen, weil sie von subventionierten Einrichtungen niederkonkurrenziert werden, hätte sie ihren Auftrag nicht erfüllt. Die Art und Weise allerdings, wie die Kammer vorgeht, ist destruktiv und polemisch. Man bedenke die Argumente. Es drohe Staatsmedizin à la DDR, gleichzeitig wird vor profitgierigen Großkonzernen gewarnt, die die niedergelassenen Ärzte als freien Berufsstand bedrohen. Verstaatlichung, Privatisierung oder beides gleichzeitig?

   Nun, aus der Historie ist dieses Paradox erklärbar – Ambulatorien, entweder in den Händen der Kassen (DDR-Staatsmedizin) oder von Privaten (profitgierige Großkonzerne), stellen eine Konkurrenz für die Ärztekammer dar – und daher sind beide prinzipiell böse. Aber wie schaut es denn mit uns, den Finanziers und Nutznießern unseres Gesundheitswesens, aus? Es gibt tonnenweise wissenschaftliche Literatur, dass das, was wir „Gesundheitssystem“ nennen, teuer und ineffektiv ist. Wir bezahlen diese Streitereien mit viel Geld und weniger gesunden Lebensjahren; und die, die chronisch krank sind, mit vielen verlorenen Lebensjahren – die sterben einfach früher als nötig. Wir, so denke ich, hätten ein Recht darauf, dass diese Machtklüngel endlich zu einer Lösung kommen – nach mehr als 60 Jahren!

„Wiener Zeitung“ Nr. 191 vom 29.09.2016

Wenn zwei streiten: Stadt Wien gegen die städtischen Ärzte

Zwischen Wiener Ärztekammer und Stadtregierung fliegen die Fetzen. Dahinter stehen entweder politische Motivation oder falsche Ausgangsdaten.

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    Via Presseaussendungen richtet die Generaldirektion des Krankenanstaltenverbundes (KAV) der Ärztekammer aus, sie lüge, stilisiere den KAV zum Feindbild und betreibe Zuchtmeisterei; keine feine Klinge. In einer dieser Aussendungen fand sich eine bemerkenswerte Aussage. Demnach habe die Ärztearbeitszeit vor der Arbeitszeit-Umstellung nur 46 Wochenstunden betragen. Die EU erlaubt 48 Wochenstunden. Demnach hätte der KAV keinen Grund gehabt, schnell eine Reform durchzuführen. Wenn die veraltete Dienstzeitregelung geändert werden sollte, hätte Wien sich Zeit lassen können. Trotzdem wurde alles sehr schnell geändert und davon gesprochen, dass es zu einer Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich kommen soll. Aber das ist unverständlich, weil es ja, wenn die 46 Stunden stimmen, zu einer Gehaltserhöhung und nicht zu einer Kompensation des Verdienstentganges durch reduzierte Anwesenheitszeiten gekommen wäre. Ein Argument, das aber erst seit wenigen Tagen vorgebracht wird. Stimmen die 46 Stunden, wird auch ein anderes Argument der Stadt verständlich, nämlich, dass es nur zu einer Verlegung der Arbeitszeit kommt und nicht zu einer Reduktion, es also keinen Grund gibt, dass weniger Patienten versorgt werden können.

   Aber stimmen die 46 Stunden? Die Arbeitszeitaufzeichnung im KAV ist schlecht. Und auch die komplizierte Berechnung der Arbeitszeit dürfte nicht gut gelingen. Will man wissen, wie viele Wochenstunden, arbeitsrechtlich korrekt berechnet, gearbeitet wurden, darf man nicht einfach die geleisteten Stunden durch die Kalenderwochen dividieren. Der Divisor ist kompliziert, um Abwesenheitszeiten zu bereinigen. Wird nicht sauber gerechnet, verliert man schnell den Überblick. Real dürfte die Arbeitszeit bei 55 Stunden gelegen haben. Und genau da werden die Argumente der Ärztekammer verständlich. Denn dann verfügt der KAV aktuell über 15 Prozent weniger ärztliche Arbeitszeit als noch vor zwei Jahren. Das führte zu keiner Verlegung der Arbeitszeit, sondern zu einer Reduktion und einer Arbeitsverdichtung. Es legt also ein Problem vor, das einer objektiven Annäherung bedarf – wie viele Stunden waren Ärzte anwesend und wie viele sind sie es nun. Aber eine sachliche Herangehensweise ist zwischen den Verhandlungspartnern unmöglich.

Auf der einen Seite die Stadt. Hier herrscht eine straffe Organisation, in der Loyalität großgeschrieben wird. Wenn oben etwas beschlossen wird, ziehen alle mit.   

Und auf der anderen Seite steht die Ärztekammer, die erst vor kurzem die Rolle der Vertreter der Spitalsärzte von der Gewerkschaft übernommen hat. Das Vertrauen in die Kammer ist gering. Kein Arzt wird seine Meinung an die seines Präsidenten anpassen. Damit ist der Präsident ein von der Basis getriebener.

Und während die Stadt „oben“ etwas ausmachen kann, stellt die Kammer fest, dass sie gar nichts von oben nach unten „befehlen“ kann. So prallen zwei unterschiedliche Kulturen aufeinander. Und weil keiner Verständnis für den anderen hat und weil beide sich beflegeln, können sachlich lösbare Probleme nicht gelöst werden

„Wiener Zeitung“ Nr. 171 vom 01.09.2016 

Primary Health Care – wieder einmal

Obwohl die Idee 100 Jahre alt ist und seit fast 40 Jahren zum Standard gehört, können wir nicht einmal richtig über Erstversorgungszentren reden.

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   Egal wer in der Gesundheitspolitik das Wort Primary Health Care (PHC) in den Mund nimmt, verwendet es so, dass sich tunlichst die eigene Klientel in den Aussagen wiederfindet; Inhalt ist egal. Es ist diese faktenfreie und populistische Art, die unser durchpolitisiertes Gesundheitswesen endlos lähmt.

   Eines der am öftesten vorgebrachten Argumente in der PHC-Diskussion ist, dass man nicht viel ändern, gar nichts Neues erfinden und schon gar nicht PHC-Zentren errichten muss – denn wir haben ja seit eh und je eine Primärversorgung und eine sehr gute dazu.

   Solche Aussagen stimmen, überlegt man, wie PHC international konzipiert ist, so gar nicht. Aber natürlich findet in Österreich Primärversorgung statt. Das geht gar nicht anders, weil Menschen, die sich mit einem gesundheitlichen (das ist mehr als nur medizinisch) Problem an professionelle Hilfe wenden, dies immer bei irgendwem als Erstes, also primär, machen müssen. Es ist unmöglich, sein Problem beim ersten Mal gleich zum zweiten Mal zu erzählen.

   Die Frage ist jedoch, wer ist der Erste? Und wie geht der mit dem Problem um? Gibt es so etwas wie eine Struktur oder eine Idee, wie „Erstansprechpartner“ miteinander zusammenarbeiten? Wenn es die gibt, dann spricht man international von PHC, wenn es die nicht gibt, dann ist das eben eine andere Form der Erstversorgung, aber kein PHC.

   Wenn nun die Ärztekammer, als Monopolwächterin ärztlicher Tätigkeit, laut und immer wieder verkündet, dass Kassen-Hausärzte (ob nun alleine oder in einer Gruppenpraxis) PHC anbieten, dann ist das falsch, soll aber nur der eigenen Klientel sagen – wir brauchen keine Änderungen, denn so wie es ist, ist es gut.

   In der Folge halten Hausärzte überzeugt fest, sie machen seit eh und je PHC (in der Regel ist so eine Aussage verbunden mit der Einladung, sich doch mal in die Ordination zu setzen, um zu sehen, wie es wirklich ist).

    Aber das ist falsch. Was Hausärzte machen, ist meist Erst-Behandlung. In vielen, vielleicht den meisten, Fällen ist der Primärversorger jemand anderer, denn oft werden Patienten von anderen Berufsgruppen, die die wirklich ersten Ansprechpartner waren (Apotheker, Pflegekräfte) zum Hausarzt „überwiesen“. In so einem F all wäre der Hausarzt der Zweitversorger, selbst wenn er weiter Primär-Behandler bleibt, sofern es um eine (Be-)Handlung geht, die unter ärztlichem Vorbehalt steht.

   Gute Behandlung heißt, die richtige Handlung vorzunehmen. Gute Versorgung heißt, den richtigen Patienten zur richtigen Zeit zum richtigen Arzt (international wird vom richtigen Gesundheits-Professionisten gesprochen) zu bringen. PHC ist eben kein Behandlungs-, sondern ein Versorgungskonzept, das versucht, die Behandlung so wohnortnah wie möglich zu organisieren.

    Wenn wir nicht endlich beginnen, den Unterschied zwischen Versorgung und Behandlung in die Diskussion aufzunehmen, wenn wir nicht endlich beginnen, gesundheitliche Probleme nicht mit medizinischen gleichzusetzen, dann ist diese ganze PHC-Diskussion völlig sinnlos.

„Wiener Zeitung“ Nr. 111 vom 09.06.2016     

Die Schlacht um Primary Health Care

Um Primary Health Care einzuführen, müssten Ärztekammern, Länder und Krankenkassen eine gemeinsame Idee haben.

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    Primary Health Care (PHC) ist keine österreichische und auch keine neue Idee. 1920 wurde bereits festgehalten, dass eine sinnvolle und gerechte Gesundheitsversorgung nur funktioniert, wenn möglichst viele gesundheitlichen Probleme (das ist mehr als Krankenbehandlung) möglichst dezentral gelöst werden. Die abgestufte Versorgung war geboren und damit die Primärversorgung als Stufe eins vor Sekundär- (ambulant tätige Fachärzte) und Tertiärversorgung (Spitäler). Und um möglichst viele gesundheitlichen Probleme zu lösen, versteht die Welt unter PHC die koordinierte und strukturierte Primärversorgung mit Leistungen der Prävention, Behandlung und Pflege – also mehr als Ärzte alleine leisten können und die derzeitige Gesetzeslage erlaubt. Doch vor allem die Ärztekammer will an dieser Lage nichts ändern, wie die letzten Entwicklungen zeigen.

   23. Februar: Die Kurie der niedergelassenen Ärzte, Machthaberin innerhalb der Ärztekammer in allem, was Kassenärzte betrifft, stellt ihre „Primärversorgung 2020“ vor. Ob es tatsächlich ein Konzept ist oder nur Presseunterlagen existieren, ist unklar. Was vorgestellt wurde, ist eine Art „Kassen-Hausärztliche Krankenbehandlungsorganisations-Phantasie“, weit weg von dem, was die Welt außerhalb der Ärztekammer als PHC versteht – aber eben das, was möglich wäre, ohne eigenes PHC-Gesetz.

   2. März: In Wien soll nach mehr als einem Jahr politischen Hickhacks ein zweites PHC-Zentrum, das „PHC SMZ-Ost“, kommen. Ein Fortschritt, meint man, wenn da nicht mit der Jubelmeldung auch mitgeteilt worden wäre, dass das erste PHC-Zentrum „Maria Hilf“ angeblich 0,83 Prozent der Wiener versorgt, man also dem Gesundheitsreformziel „ein Prozent der Bevölkerung in PHCs zu behandeln“ nahe ist. 0,83 Prozent sind 14.500 Menschen. Im ärztekämmerlich geduldeten „Maria Hilf“ arbeiten drei Hausärzte, macht pro Arzt 4800 Einwohner. Wenn dort PHC passiert, dann mit weltweit einzigartiger Effizienz; international schaffen ein Arzt und sein Team (das größer ist als das in Maria Hilf) gerade 1500 bis 1800 Einwohner. Geht es wirklich um PHC oder nur darum, ein Scheitern der Reform zu verbergen?

   8. März: Überraschend wird gemeinsam von Ärztekammer, Wiener Gebietskrankenkasse und Stadt das „Wiener Modell“ präsentiert. Ein gewaltiger Sprung, möchte man meinen. Die „Drei“ wollten ganz ohne ominöses PHC-Gesetz zeigen, dass man kann, wenn man will. In Hinblick auf das kommende wohl nur ein politischer Schachzug, denn:   

13. März (ein Sonntag): Die Kurie der niedergelassenen Ärzte hat den für alle anderen streng geheimen Entwurf zum PHC-Gesetz öffentlich kommentiert, mit brachialen Worten: Das Ende der Hausärzte sei eingeläutet, mit Dumping-Preisen, Dumping-Gehältern und letztlich der systematischen Übernahme des Gesundheitsmarktes durch internationale Konzerne und Bauunternehmen sei zu rechnen. Alles in allem eine „Zumutung der Ministerin hinsichtlich einer bestmöglichen Patientenbetreuung“. Ist das wirklich so? Oder geht es nur um Macht und persönliche Eitelkeiten? Jedenfalls ist die Diskussion weiter inferior – und echtes PHC sehr weit weg

„Wiener Zeitung“ Nr. 053 vom 17.03.2016     

Krankenkassen-Honorarkataloge – absurder Wahnsinn

(Lesezeit 6 Min) Es ist verständlich, dass ein Otto-Normal-Verbraucher so gar nichts mit Honorarkatalogen der Krankenkassen anfangen kann, ja nicht einmal gut eingelesene Medizin-Journalisten verstehen das Kassenhonorar-System. Aber, es ist eines DER Probleme, warum es in Österreich einfach nicht möglich ist, eine sinnvoll organisierte ambulante Versorgung aufzubauen.

Um die Probleme zu illustrieren, will ich ein Beispiel bringen, dass die Unsinnigkeit dieses Systems zeigt: das Langzeit(24h)-EKG, auch Holter-EKG genannt 

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Die Angst der Ärztekammer vor der Primärversorgung

Primärversorgung ist international erfolgreich und erprobt und will möglichst alle gesundheitlichen Probleme möglichst wohnortnah adressieren.

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   Primärversorgung agiert nach dem Bio-Psycho-Sozialen Krankheitsmodell, das eben nicht nur eine biologisch nachweisbare Krankheit behandelt, sondern auch seine Auswirkungen: ein einsamer Mensch empfindet Kopfschmerzen anders als ein sozial eingebundener Mensch – der eine braucht Zuspruch, der andere nimmt selbst eine Tablette.

   Die Einrichtungen, in denen Primärversorgung stattfinden soll, werden Primary Health Care Center, kurz PHC, genannt, müssen von der Prävention über Kuration, Rehabilitation bis zur Pflege alles anbieten können. Damit sind nicht nur Kassen, sondern auch Pensionsversicherung und Länder zuständig.

   Der Gesamtvertrag, um den es aktuell geht, wird NUR zwischen Krankenkassen und Ärztekammern abgeschlossen und kann nur abdecken, für das Krankenkassen zuständig sind, praktisch nur den kurativen Bereich. Das ist zu wenig.

   Und weil jede Region etwas anderes braucht (Waidhofen ist nicht St. Pölten), ist die Flexibilität über bestehende Gesamtvertragsregelung, die Patienten nicht nach ihren Lebensumständen, sondern nur nach ihrer Versicherung klassifiziert, nicht gegeben. Daher braucht es, wie bei Ambulatorien heute schon, Einzelverträge, um nach regionalem Bedarf zwischen Angebot und Nachfrage zu vermitteln – es sei denn, wir wollen diese Aufgabe dem Markt überlassen.

   Der Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart greift die Idee dieser Einzelverträge heftig an. Er erklärt, dass „große internationale Konzerne die Chance nützen, die PHC-Zentren zu übernehmen und PHC-Ketten nach ausschließlich betriebswirtschaftlichen Überlegungen zu führen. Das wäre ein Groß angriff auf die soziale Medizin, weil damit die soziale Versorgung nicht mehr vom ärztlichen Ethos gesteuert wird, sondern von ausschließlich kapitalistischem Ethos, und die Gesundheitsversorgung gleichsam ins Ausland ,verkauft‘ wird“.

   Wenn das nicht passiert, dann wird aber eine staatliche Zentralmacht kommen, die „bis ins Detail den Ton angeben könnte“ und damit die „PHC am Gängelband der Obrigkeit“ hängen.

   Am Ende ist klar, überall sind Feinde, die „die bestehenden Versorgungsstrukturen zerstören“. Der einzige Retter des „seit mehr als 100 Jahren funktionierenden Modells“ ist die Ärztekammer.

   Eigentlich geht es nur um den Gesamtvertrag und das Monopolrecht der Ärztekammer, diesen zu verhandeln. Das ist das einzige echte Machtinstrument der Ärztekammer. Es zu verlieren, heißt Macht verlieren. Eine Macht, die ohnehin nur um der Macht willen existiert.

   Denn in Ländern, in denen eine funktionierende Primärversorgung besteht, geht es den Hausärzten deutlich besser. Und bedenkt man, dass auch Spitalsärzte (Stichwort EU-Arbeitszeit) nicht gut und Wahlärzte noch nie wirklich vertreten waren, dann bleiben etwa 4000 Kassenfachärzte übrig, um die es nun geht: 4000 von 42.000!    Und um auch die anderen 38.000 Ärzte zu mobilisieren, muss man mit allen Ängsten und Ressentiments spielen (ausländisches Großkapital und zentralstaatlicher Machtapparat), egal wie widersprüchlich (Verstaatlichung oder Privatisierung – was ist es eigentlich jetzt?) es auch sein mag

„Wiener Zeitung“ Nr. 175 vom 10.09.2015