Regierungsprogramm neu!

   Vor zwei Jahren hatten wir ein Regierungsprogramm, das viel versprach. Jetzt liegt wieder eines vor – ein deutlich mageres.

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   Das alte Regierungsprogramm, von dem viele substanzielle Ideen im Gesundheitsbereich entweder verwässert wurden (einheitlicher Honorar- und Leistungskatalog) oder gestorben sind (Finanzierung von Gesundheit, Vorsorge und Pflege gesamtheitlich betrachten), war quantitativ viel ausführlicher. Diesmal widmen sich gerade einmal 4 Prozent des Regierungsprogramms der Pflege und Gesundheit. Also eher wenig, aber Quantität heißt nicht Qualität – oder doch?

   Redaktionell jedenfalls ist die Qualität schlecht. Was heißt etwa: „Wohnortnahe Versorgung durch Kassenärztinnen und Kinderärzte darf nicht nur in der Stadt, sondern muss auch auf dem Land zugänglich sein“? Will sich die Regierung für Kassenärztinnen (weiblich) und Kinderärzte (männlich und ohne Kassenvertrag) auf dem Land einsetzen? Oder: „Im Medizinstudium wird eine Fachärztin beziehungsweise ein Facharzt für Allgemeinmedizin geschaffen.“ Werden Allgemeinmediziner, wie Zahnärzte, ein eigenes Studium kriegen? Und sind sie unmittelbar nach dem Studium Fachärzte, müssen also keine postpromotionelle Ausbildung – den Turnus – mehr machen?

   Wenn also solche Ungenauigkeiten enthalten sind, ist es nicht unbegründet anzunehmen, dass in dem Programm viele einfach gut klingende, teils seit Jahrzehnten bekannte Lippenbekenntnisse enthalten sind, die nie umgesetzt werden, vor allem dann nicht, wenn das gegen Länder- oder Kammerinteressen nur mit Verfassungsänderungen realisiert werden könnte.

   Doch was wird dann umgesetzt? Eindeutig: die Vermehrung der Arbeitskräfte, und zwar der billigen! Eine Pflegereform kommt nicht, denn das Pflegesystem wird wieder hart vom Gesundheitssystem getrennt. Dem Pflegekräftemangel, der ähnlich dem Ärztemangel nicht an der Zahl der Ausgebildeten (damit liegen wir laut Auswertung der Daten des Pflegeregisters im europäischen Spitzenfeld) festzumachen ist, sondern an deren Unwilligkeit im öffentlichen System zu arbeiten, wird mit mehr Ausbildungsstellen (Pflegelehre) und der Aufnahme aller Pflegeberufe in die Mangelberufsliste, mit dem Ziel; Zuwanderer zu unterstützen (Migrants-Care-Programme), begegnet. Irgendwann wird man dann so viele Migranten haben, dass genug mit dabei sind, die auch unter den jetzigen Arbeitsbedingungen in Pflegeheimen arbeiten wollen.

   Und im Gesundheitsbereich ist eine Ausweitung der Medizinstudienplätze geplant, womit die Zahl der Studenten im „klinisch-praktischen Jahr“ ausgeweitet werden kann. In diesem Zusammenhang steht dann auch „Integration der Inhalte der Basisausbildung (Anm.: gehört heute zur postpromotionellen Ausbildung) um (!) das klinisch-praktische Jahr“ – was, irgendwie danach klingt, als ob das „klinisch-praktische Jahr“ um die neun Monate Basisausbildung verlängert und so die Zahl der „billigen“ Turnusarzt-Ersatzarbeitskräfte vermehrt werden könnte.

   Und dann ist geplant, das Opt-out aus der Spitalsarbeitszeitregelung wieder einzuführen – zurück zur 60-Stunden-Woche! Diese ist zwar nach EU-Recht nur möglich, wenn jeder einzelne Arzt freiwillig zustimmt, aber was heißt schon freiwillig bei Turnusärzten, wenn sie darauf angewiesen sind, einen Ausbildungsplatz zu bekommen?   

So will man (sprich: Länder und Gemeinden) sich also die Systeme weiter leisten, ganz ohne Reformen.

„Wiener Zeitung“ vom 23.01.2020  

Klassenkampf im Kassenkampf

   „Unsere Kasse“ gehört ganz offensichtlich nicht uns, sondern „unseren Kammern“.

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   Eigentlich ist es gut, dass unsere Krankenkasse, die ja jetzt Österreichische Gesundheitskasse heißen wird, sich selbst darstellt. Zu lange hat kaum jemand darüber nachgedacht, was „unsere Kasse“ ist. „Unsere Kasse“ gehört uns, und wir verwalten sie selbst – ohne Einmischung der Politik. Wir wählen aus unseren Reihen einen politikunabhängigen Selbstverwaltungskörper – theoretisch demokratisch! Allerdings weiß das kaum jemand, und noch weniger wissen, wie sie mitstimmen können.

   Seit jeher haben uns paternalistische Politiker die Last der Stimmabgabe abgenommen. Sie nannten das Sozialpartnerschaft. Es sind „unsere Kammern“, die sich wohlwollend um „unsere Kasse“ kümmern: für Unselbständige die Arbeiterkammer, für Selbständige die Wirtschaftskammer. Bei den Kammerwahlen können einige von uns, bei weitem nicht alle, Fraktionen wählen. Kaum jemand wird die FSG oder den Wirtschaftsbund wählen, weil die sich so toll um das Kassensystem kümmern – und doch, es sind die hier siegenden Fraktionen, die dann „ihre“ Vertreter in „unsere Kasse“ entsenden, gerade so, als ob sie Teil des Pflicht-Kammersystems wäre.

   Es ist ganz offensichtlich, dass „unsere Kasse“ nicht uns gehört, sondern „unseren Kammern“, deren Legitimität nicht ohne Grund seit Jahrzehnten hinterfragt wird.

   Und weil eben in „unserer Kasse“ kein Demokratieprinzip besteht und die Kosten zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden, haben sich „unsere Kammern“ die Macht aufgeteilt. Der Streit, ob die Gewichtung der Macht nach der Zahl der Versicherten oder der Kostenaufteilung erfolgen sollte, wurde nur halbherzig geführt – denn würden die Kämmerer über das Demokratieprinzip in „unserer Kasse“ nachdenken, müssten sie Sozialwahlen einführen, also uns erlauben, direkt mitzubestimmen. Doch keiner hat je ernsthaft darüber nachgedacht, Macht und Einfluss der Kammern zu beschränken.

   Die Kassenfusion folgte diesem Prinzip, aber sie bringt neue Abstimmungswege und deutlich verkleinerten Gremien. Und da die Verkleinerung hauptsächlich zu Lasten der AK-Funktionäre ging, sind diese sauer und klagten vor dem VfGH – angeblich, weil sie sich schützend vorn „uns“ stellen wollten, um eine „feindliche Übernahme“ durch „die Wirtschaft“ zu verhindern.

   Der VfGH hat erkannt, dass es keine bedenklichen Machtverschiebungen gibt, sondern die Regierung nur eine neue Organisation durchgeführt hat. Aber weil AK und ÖGB in Ihren Spitzen de facto nicht unparteiisch sind, ist dieser Spruch eine politische Niederlage, nicht nur einfach eine Klarstellung, wie weit Politik sich in „unsere Kasse“ einmischen darf.

   Und so tritt der eigentliche Konflikt offen zu Tage: der Klassenkampf als institutionalisierte Betriebskultur des Kassensystems. Christoph Klein von der AK meinte wörtlich: „In der ÖGK wird eine Minderheit von 160.000 Unternehmern über eine Mehrheit von 7,2 Millionen Versicherte herrschen.“ Und der ÖGB verlangt von der nächsten Regierung, dass den Arbeitnehmern „ihre Kasse“ wieder zurückgegeben wird.

Wir sollten uns unsere Kasse zurückholen – über Sozialwahlen, und ohne kämmerlichen Klassenkampf.

„Wiener Zeitung“ vom 02.01.2020