Wir wollen keine Kinder, die Rehabilitation brauchen

Es ist unappetitlich, dass Macht- und Geldstreitereien in unserem Gesundheitssystem auf dem Rücken kranker Kinder ausgetragen werden.

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   Eines meiner ersten großen Projekte war der Rehabilitationsplan 2004, der 2002 erarbeitet wurde. Schon damals wurde unwürdig über die Kinder-Reha diskutiert und die finanzielle Verantwortung zwischen Sozialversicherung und Ländern hin und her geschoben.

   Praktisch niemand dachte an die Kinder, deren Leben ohnehin schon sauer ist. Ein Kind, das eine Reha braucht, hat eine lebensverändernde, oft lebensbedrohende Krankheit hinter sich – KEINE Krankheit, die durch ungesunde Lebensweise selbst verursacht ist.

   Denken wir an die etwa 500 Klein- und Schulkinder jährlich, die davon betroffen sind. Wo erhalten die ihre Rehabilitation?

   Sie liegen in irgendwelchen Spitälern und werden meist unzureichend betreut – selten findet man Lehrer oder Kindergartenpädagogen oder ein entsprechendes Freizeit angebot. Die Kinder sind oft alleine und haben keine Gleichaltrigen, mit denen sie spielen können. Liegen sie auf Kinderabteilungen – nicht einmal das ist sicher –, wechseln dort „normal“ kranke Kinder so schnell, dass, kaum wurde eine Freundschaft geschlossen, diese auch schon wieder getrennt wird.

   Manchmal liegen Kinder in Reha-Einrichtungen – mit Schlaganfall patienten und Hüftoperierten, in der Regel alten Menschen, zusammen. Eine familienorientierte Rehabilitation für Kinder mit Krebserkrankung, also die Möglichkeit, die Familie einzubinden, ist praktisch unmöglich; lieber lässt man sie mit dem einschneidenden Erlebnis alleine. Auch für Kinder mit Lungenerkrankungen, Rheuma und Stoffwechselkrankheiten gibt es kein Angebot.

   In den Einrichtungen hängt man irgendwo einen Hampelmann auf, klebt eine Blume ans Fenster und denkt, das sei kindgerecht. Damit die Kinder alleine auf die Erwachsenen-Toiletten gehen können und das Waschbecken erreichen, stellt man ihnen kleine Treppchen hin.

   Und – so paradox es klingt – ein paar Glückliche, deren Eltern sich mehrere Wochen freinehmen können und genug Geld für einen längeren Auslandsaufenthalt haben, dürfen vielleicht auch in einer ausländischen, auf Kinder spezialisierten Reha-Einrichtung auf Kosten einer Sozialversicherung genesen – aber nur, wenn sie eine Krankheit haben, keine geburtsbedingte Behinderung. Eine geburtsbedingte Behinderung ist weder als Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne noch als Unfall zu qualifizieren und daher nicht Sache der Sozialversicherungen. Es ist Sache der Länder. Und hier liegt das Problem.

   Patienten mit angeborener Behinderung und solche mit Krankheiten im sozialversicherungsrechtlichen Sinn (was für eine bürokratisch schwachsinnige Unterscheidung) „gehören“ zwei unterschiedlichen Finanziers, die eifersüchtig darauf schauen, nur ja keine Kosten des anderen zu übernehmen. Und so bleibt eine vernünftige Versorgung unmöglich.

   Nach wenigstens 15 Jahren Diskussion hat es nach einer Einigung ausgesehen. Aber jetzt, wo es darum geht, Geld in die Hand zu nehmen, stehen sie wieder da, die Länder, und teilen wie üblich mit, dass das gefälligst der Bund zahlen soll – und wir fangen wieder bei null an.

Wiener Zeitung“ Nr. 212 vom 31.10.2013       

Gesundheitspolitische Konsequenzen der Wahlen

      1969, also vor 44 Jahren, hat die WHO kritisiert, dass unser Gesundheitssystem zu wenig „zentralistisch“ ist.

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   Die Bundesregierung (gerne als „die Wiener“ tituliert) hat keine Möglichkeit, in die Spitalslandschaft einzugreifen – mit willkürlichen und der Qualität abträglichen Folgen, meinte die WHO.

   Um die Willkür einzufangen, wurde zwischen 1996 und 2001 der ÖKAP (ein Bettenplan) verhandelt und gesetzlich eingeführt. Als 2004 dieser Plan evaluiert wurde, war der Umsetzungsgrad so niedrig, dass beschlossen wurde, niemandem davon zu erzählen – und aus dem Evaluierungsbericht wurde eine supergeheime Geheimstudie.

   Im Jahr 2006 trat mit dem ÖSG, nach vierjährigen Verhandlungen die nächste Reform in Kraft. Länder sollten nicht mehr Betten, sondern Leistungen planen. Haben sie das gemacht? Nein! Es gibt, nach wie vor reine Bettenplanung, die reiner politischer Willkür folgt.

   Die gesetzlichen Vorgaben wurden allesamt ignoriert – also gebrochen. Und das ohne Folgen, weil „die Wiener“ den Ländern nichts vorschreiben wollen.

   Die Krankenkassen, stets Teil der Reformen, sind in ihrer Gesetzestreue aber keinen Deut besser; muss ja auch nicht sein, weil im Parlament immer jemand sitzen wird, der darauf achtet, dass sie nicht zu arg zur Verantwortung gezogen werden.

   Der Grund für dieses Ignorieren der Gesetze ist schlicht die Entscheidungsunfähigkeit des Systems. Besonders „schön“ ist diese rund um das Brustkrebsvorsoge-Programm zu sehen.

   Das Programm steht seit zehn Jahren auf der politischen Agenda. Nach acht Jahren Verhandlungen wurde entschieden, es einzuführen. Und jetzt, zwei Jahre nach dem Grundsatzbeschluss, scheitert alles, weil sich in zwei Bundesländern Landesärztekammer und Landes-Gebietskrankenkasse nicht einigen können.

   Denn selbst wenn man „in Wien“ eine Entscheidung trifft, müssen danach alle 36 Kassen und alle zehn Ärztekammern einzeln zustimmen. Sollte es den Spitalsbereich berühren, dann spielen auch noch neun Landesfürsten mit. Und niemand kann Druck ausüben oder gar eine Entscheidung durchsetzen.

   Wie wird die nun anstehende Gesundheitsreform laufen?

   Sehr vereinfacht dargestellt, setzt die Reform voraus, dass sich Länder und Kassen auf gemeinsame Versorgung einigen.

   Wie das nicht funktioniert, sieht man bei den 2005 eingeführten Reformpoolprojekten, die gerade ein Prozent der Geldmittel hätten bewegen sollen. Gesetzlich festgelegt war, erfolgreiche Projekte in die Regelversorgung zu übernehmen. Aber auch wenn die meisten Projekte erfolgreich waren, also gezeigt haben, dass die Versorgung der Patienten gemeinsam besser funktioniert und dabei auch günstiger wird, Regelversorgung wurden sie nie; Länder und Kassen konnten sich nicht einigen.

   Die Realverfassung, also das üblich gewordene Brechen von Gesetzen durch jene, die real die Macht haben, ist mittlerweile unüberwindbar.

   Diese Macht zurückzustutzen setzt voraus, die Verfassung so zu ändern, dass der direkte Eingriff der Bundesregierung möglich wird. Und dann noch, dass es „einen Wiener“ gibt, der den Mut besitzt, seine verfassungsmäßigen Rechte durchzusetzen.

   Eine Stärkung der Bundesregierung wäre also ein Weg, endlich eine Gesundheitsreform durchzusetzen – aber ist das nach diesem Wahlergebnis zu erwarten?

„Wiener Zeitung“ Nr. 193 vom 03.10.2013