Ein durch und durch ländlicher Reformvorschlag

Es ist beeindruckend und erschreckend, die „Realverfassung“ arbeiten und den, jegliche Entwicklung unterdrückenden, Provinzialismus herrschen zu sehen.

Wegen zu Guttenberg kaum beachtet, wurde das Jungendwohlfahrtsgesetz geändert. Anlass war nicht der Wunsch nach Verbesserung; nein, man musste was tun, weil unter den Augen der zuständigen Landesbehörden, die offenbar das Risiko falsch eingeschätzt hatten, mehrere Kinder zu Tode geprügelt wurden. Wesentlichste Änderung nun ist die Einführung eines Vier-Augen-Prinzips bei der Risikoeinschätzung. Diese Maßnahme könnte nicht nur Kinderleben retten sondern auch viel Leid und Tränen ersparen – aber sie kostet etwas: etwa 4 Millionen Euro für ganz Österreich!

4 Millionen! Die müssten bei den etwa 120.000 Millionen Euro, die uns die öffentlichen Hände jedes Jahr wegnehmen, einfach in der statistischen Unschärfe verschwinden. Jeder Mensch würde ohne Zögern ja sagen; aber, Landespolitiker sind anders: Wenn der Bund Kinder retten will (offenbar wollen Landespolitiker das nicht!), dann soll er das zahlen.

Deswegen haben sie – bestens organisiert in der Landeshauptleutekonferenz, einem nicht legitimiertem Kartell – schlicht Nein gesagt.

Man muss wissen, dass das Jungendwohlfahrtsgesetz, ähnlich dem Krankenanstaltengesetz, in der Ausführung Ländersache ist. Der Bund gibt den Rahmen vor und die Länder, über eigene Gesetze, die Umsetzung. Und da sie mit der Ausführungsgesetzgebung auch die Sanktionen bei Nicht-Einhaltung festlegen dürfen, ist klar, wenn sie nicht wollen, passiert wirklich nichts – Gesetz hin oder her! Und obwohl es für die einzelnen Länder hier nur um wenige hunderttausend Euro gegangen wäre, bezahlen wird es am Ende der Bund! Ohne dass es eine Garantie auf Umsetzung gäbe und das Geld nicht wie bei den Lehrern irgendwo verschwindet.

Jetzt geht es um die Spitalsreform und dabei nicht nur um vier, sondern um Hunderte Millionen Euro, die die Länder nicht haben, aber brauchen, wollen sie ihre Spitäler (eigentlich nur Einrichtungen, um über Ressourcen und Macht zu bestimmen) nicht verlieren. Und da die Länder bereits bewiesen haben, ohne jegliches Gewissen zu handeln, wenn nicht einmal geprügelte Kinder ihr Herz rühren, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie hier auch nur einen Fingerbreit nachgeben!

Daher sehe ich schwarz! Ganz abgesehen, dass die Gesundheitsreform schon wieder sinnlos fragmentiert und geldlastig diskutiert wird (Kassensanierung, Spitalsfinanzierung, Pflegefonds – grauenhaft), ist wohl außer zusätzlichem (Bundessteuer)Geld für die Länder nichts mehr möglich. Denn genau das, gut verklausuliert unter blendenden Absichten und nach Zugeständnissen klingenden Worten, bedeutet der Reformvorschlag, den die Länder letzten Freitag beschlossen haben.

Noch wird so getan, als ob es Verhandlungsspielraum gäbe. Immerhin konnte man bis vor kurzem noch hoffen, dass Maastricht helfen würde, den Wahnsinn zu beenden. Denn, wenn Milliarden Euro ausgelagerter und immer weiter wachsender Spitalsschulden ins Budget zurückfallen, sollte das ein Finanzminister – so sehr er am Gängelband familiärer Strukturen und der Realverfassung hängt – nicht ignorieren können. Und dann sind da noch Hans Jörg Schelling vom Hauptverband und Gesundheitsminister Alois Stöger. Beide woll(t)en der ländlichen Macht entgegentreten. Ihnen zur Seite stehen die gesamte Opposition, alle Medien, alle Experten und sogar das Volk.

Doch das reicht nicht! Denn die Kurfürsten der Realverfassung haben anders entschieden – und das kann niemand ändern. Armes Österreich!

Dieser Artikel wurde im März 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Jetzt wird es ernst

Maastricht lehrt den Landesspitälern das fürchten – und weil es keine Gesundheitsreform gibt, werden Spitalsmitarbeiter an den Lehren leiden.

Als die Finanzkrise kam, gab es mahnende Stimmen, die vor massiv schrumpfenden Steuereinnahmen aufgrund der daraus resultierenden Wirtschaftskrise warnten. Spätestens seit 2008 mahnten Stimmen, endlich jene Strukturreformen anzugehen, die seit Jahrzehnten überfällig sind; immer mit dabei, Gesundheitssystem und Spitäler.

Dann war sie da, die Krise. Dass wir Normalsterblichen kaum etwas mitbekommen haben, liegt an den gigantischen Geldmitteln, die zu unserem Wohl (?) und um uns bei Laune zu halten, verteilt wurden. Das Geld kam und kommt über Schulden, aber das interessiert nur Kleingeister.

Den Reigen hat Ex-Finanzminister Wilhelm Molterer eingeleitet, als er den Ländern Schulden statt Überschüsse erlaubte. Und tatsächlich haben diese 2009 drei Milliarden Euro mehr unters Volk gebracht als noch 2008. Das meiste davon ging in Spitäler – vermutlich eine Milliarde in den Betrieb, mindestens eine weitere in Neubauten oder „dringend notwendige“ Modernisierungen. An eine Reform war bei einem solchen Geldsegen gar nicht zu denken. Und die Kleingeister (wozu wohl auch Hauptverbandschef Hans Jörg Schelling gezählt werden muss), die stetig eine solche einforderten, wurden belächelt.

Und so haben sich jene, die sich nicht kümmern, woher Geld kommt, auch nicht im geringsten Gedanken gemacht, was passiert, wenn es nicht mehr kommt – so etwas galt in diesen Kreisen wohl als obszön.

Und dann passierte es. Die Griechen haben uns dermaßen hineingeritten, dass die Euro-Länder (nicht aber unsere Bundesländer) beschlossen haben, der populistischen Schuldenpolitik entgegenzutreten. Die Folge ist, dass die „Maastricht-schonend“ ausgelagerten Spitalsschulden – mindestens drei, vielleicht aber auch zehn Milliarden Euro – nun ins Budget zurückfallen. Damit war der Traum vom ewigen Geldregen vorbei. Das passierte fast ohne Aufschrei, denn vermutlich haben viele Bundesländer die Schreckstarre noch nicht überwunden oder sich in eine neurotische Verweigerung zurückgezogen. Ändert aber nichts! Sie werden demnächst auf dem Trockenen sitzen.

Da aber keine Überlegungen stattgefunden haben, wie man mit einer solchen Situation umgeht, und auch jede Gesundheitsreform untergraben oder unterbunden hat, tritt ein, wovor vor zwei Jahren gewarnt wurde.

Die Personalkosten sind mit 56 Prozent der Gesamtkosten der größte Block. Im Personalabbau sieht man nun (nicht nur in Wien) sein Heil. Da politisch ein solcher über Kündigungen kaum umzusetzen ist, greift man zum „natürlichen“ Abgang. Damit kommt es zu einer paradoxen Situation.

Den größten „natürlichen“ Abgang, der in Spitälern weniger durch Pensionierung als durch Fluktuation gegeben ist, findet man dort, wo die Arbeitsbelastung (insbesondere für Jungärzte, die meist nur auf Zeit angestellt sind, und für das Pflegepersonal) am größten ist. Dort, wo die Arbeit vergleichsweise gemütlich ist, ist die Fluktuation geringer. Der Stellenabbau wird daher genau dort stattfinden, wo der größte Arbeitsdruck herrscht, der dadurch noch größer wird. Das wird die Fluktuation weiter anheizen und es wird immer schwieriger werden, Personal zu finden – ein virtueller Mangel wird entstehen.

Und so beginnen sich die Spiralen schneller zu drehen und am Ende steht dann doch eine Reform. Allerdings eine erzwungene, und solche sind immer schlechter als gut vorbereitete.

Dieser Artikel wurde im Jänner 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Nimm’s Spitälern statt Familien

Werte p.t. Leser! Was sich aktuell abspielt lässt mich rasen. Es sind vor allem zwei Aussagen, die mich geradezu auf die Palme treiben.

Die erste Aussage ist einige Wochen alt. Da hat Finanzminister Pröll wissen lassen, dass die „Realverfassung“ wichtiger ist als die „echte“ und hat zum Ausdruck gebracht, dass wir, das Volk, einfach hinnehmen müssen, dass von uns legitimierte Bundespolitiker gegenüber den Ländern keine Macht haben, selbst wenn die Verfassung diese vorsehe. Warum wählen und bezahlen wir sie?

Die zweite Aussage war nicht minder irritierend. Da hat Wirtschaftsminister Mitterlehner in einem ZiB2-Interview gemeint, man müsse Geld für das nächste Jahr auftreiben, das gehe mit Reformen nicht so schnell, daher gäbe es die jetzt nicht. Wer das nicht verstehe, verstehe eben nicht, wie ein Staat funktioniert.

Tja, also keine Reformen! Und was verstehen dann Bundespolitiker unter Sparen? Streichen von Sozialleistungen bei Familien – Mir ist keine Studie bekannt, die Familien irgendwie als reich identifiziert hätte. Mehr noch, alle sagen, dass, wegen der hohen Steuerbelastung auf Arbeit, Familien nur durch Sozialtransfers der Armut entkommen.

Anderen Ländern fiel beim Sparen anderes ein. Da wurden Beamtengehälter und Pensionen gekürzt. Bei uns nicht! Ja auch kein Wunder, wenn man betrachtet, welche Lobbyisten diese Gruppen vertreten!

Aber das ist ja nicht alles. Klar, wenn man sich gerade einmal drei Wochen Zeit für ein Budget nimmt, dann kann wohl nichts anderes rauskommen; selbst wenn man seit Jahren weiß, was getan werden müsste. In den letzten Jahrzehnten wurden hunderte, wenn nicht tausende Studien und Arbeitsgruppenergebnisse – denken wir nur an den Österreichkonvent – erstellt, die zeigen, wie Sparen durch Reformieren funktionieren kann. All diese Vorarbeiten wurden mit sehr viel Steuergeld finanziert und – ignoriert.

Und wie ist das in der Gesundheitspolitik?

Die Kassen – ohnehin eher Blender als Reformatoren, oder kennt jemand den sagenumwobenen Masterplan des Hauptverbandes, der für Herbst groß angekündigt wurde? – haben bereits mitgeteilt, dass ihr Sparwille sinken wird, wenn sie weniger Steuergeld erhalten (statt 100 nur 60 Millionen). Und Minister Stöger legt gleich nach und sagt, sie müssen eh weniger sparen, wenn die Belohnung weniger wird! Und weil die Sparmaßnahmen, die bis jetzt so „erfolgreich“ waren, nichts mit einer Reform zu tun hatten, sondern Großteils zustande kamen, weil wegen Patentabläufen die Medikamentenpreise sinken – ein Trend, der noch anhalten wird – ist jede Reform auf Jahre tot.

Und auf der anderen Seite die Länder. Es gibt niemanden mit Ahnung, der nicht das größte Sparpotenzial in einer Spitalsreform sieht. Und wenn ein Minister sich schon der Peinlichkeit hingibt, nicht zu wissen, woher er Geld fürs nächste Jahr nehmen soll und deswegen auf Familien zurückgreift, dem sei Folgendes ins Stammbuch geschrieben.

Etwa fünf Milliarden Euro schießt der Bund den Ländern für Spitäler zu. Geregelt werden diese Zuschüsse im Finanzausgleich, der von den Ländern noch nie eingehalten wurde – Stichwort Stabilitätspakt. Statt weiterhin Milliarden im größten Verschwendungsbereich der Republik zu versenken, sollte der Bund auch auf den Pakt pfeifen und den Ländern einfach ein paar hundert Millionen Spitalsgelder wegnehmen – genau so unvorbereitet wie den Familien. Vielleicht wird es dann eine Spitalsreform geben.

Aber dazu braucht es halt Politiker und nicht irgendwelche selbstherrlichen Marionetten irgendwelcher Interessensvertretungen oder Länder.

Dieser Artikel wurde im November 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

 

Die Titanic wird doch nicht gar sinken?

Kann es sein, dass die leeren Kassen beginnen zu diktieren? Zumindest ist hinter den Kulissen mehr Bewegung zu bemerken, als jemals zuvor. Die Angst, die „Spitalswesen“-Titanic könnte doch sinken, geht um.

Im März 2009, als die Finanz- zur Wirtschaftskrise wurde, stand an dieser Stelle, dass die notwendigen Mittel zur Finanzierung der Spitäler, die durch die Länder für 2009 aufzubringen sind (2008 waren dass etwa 3,6 Milliarden Euro) deutlich anwachsen werden. Hintergrund dieser Rechnung war, dass die Einnahmen durch die Wirtschaftskrise sinken werden, weil sie wesentlich vom Steuer- und Beitragsaufkommen abhängen. Da aber die Kosten ungeachtet der Krise weiterwachsen werden, wird das Loch zwischen Einnahmen und Ausgaben größer.

Schon bisher schlossen die Länder dieses Loch durch die Abgangsdeckung, eine Art automatischer Defizitdeckung. Und die war nicht gering. Oberflächlich ausgedrückt, machten die öffentlichen Spitäler pro Jahr 30 bis 35 Prozent Miese, die im Landesbudget hängen blieben; seit 2009 jedoch sind es wohl 40 und mehr Prozent – und das wird solange bleiben, solange die Wirtschaft das durch die Krise entstandene Minus nicht selbst (ohne Staathilfen) kompensiert hat, oder die Kosten der Spitäler real sinken. Ersteres könnte Jahre dauern, und zweiteres ist gegen den Willen der Landespolitik.

Langsam dürfte dort aber die Erkenntnis wachsen, dass man nicht alles haben kann, was man will. Dass das langsam geht, hat zwei Ursachen.

Erstens, weil wirtschaftliche Berechnungen der Spitäler sehr lange brauchen. In der Regel liegen „fertige“ Zahlen erst mit einem Jahr Verzögerung vor. Also sind die Zahlen für 2009 erst Ende dieses Jahres „fertig“. Natürlich gibt es da und dort auch gescheite Mitarbeiter, die unterjährig Schätzungen anstellen, aber ein echtes Controlling ist auf Landesebene die Ausnahme. Das kommt daher, dass Landespolitiker geschätzte Zahlen, wenn sie unangenehm sind, nicht, oder wenigstens so spät wie möglich, hören wollen. Und so warten „brave“ Mitarbeiter darauf, dass sie nur mit „fertigen“ Zahlen zur Politik wandern. Sollte es doch jemand wagen, unerwünschte Zahlen „zu früh“ zu präsentieren, dann riskiert er manchenorts sogar seinen Job. Die Folge dieser Vogelstrauss-Politik ist eine endlose Erkenntnisverzögerung. Nichts desto trotz dürfte langsam auch auf politischer Ebene bemerkt werden, dass es echte Finanzierungsprobleme gibt.

Die zweite Ursache ist „Maastricht“.

Früher war Geld für gestandene Landespolitiker kein Problem; wurde es knapp, musste „Wien“ zahlen. Doch diesmal ist das anders, denn der Bund kann nicht mehr so einfach neue Schulden aufnehmen, nur um Weihnachtsmannpolitik zu bedienen. Und er kann es vermutlich auch nicht mehr Erlauben, dass Länder, statt wie gesetzlich vereinbart, Budgetüberschüsse zu erzielen und ins Bundesbudget einzuzahlen, weiter Schulden machen. Der laufende Betrieb der Spitäler reißt mittlerweile aber so tiefe Löcher in die Landesbudgets, dass ein Überschuss ohne Spitalsreform irreal ist. Wenn jedoch die Länder keinen Überschuss abliefern, erhöht sich das Bundesdefizit, was die Einhaltung der Maastrichtkriterien erschwert und – wichtiger – bei Rating-Agenturen schlecht ankommen wird. Neue Schulden unter diesem Titel würden erhebliche Probleme bereiten – das kriegen auch die Länder langsam mit.

Und so beginnt etwas, das wirklich nach ernsthaften Spitalsreformüberlegungen klingt, von Oberösterreich angefangen, bis nach Wien. Nur Niederösterreich tut noch so, als ob es auf unendlichen Geldquellen sitzt, Aber auch dort wird die Erkenntnis reifen, dass die Quellen zwar spu(c)ken, aber kein Geld.

Dieser Artikel wurde im August 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Nur Mut, Herr Dr. S.!

Jeder hat gesagt es geht nicht. Dann kam einer, der hat das nicht gewusst und es einfach gemacht! Ob der Hauptverbandschef so einer ist?

„Wenn man seit langem die Diagnose über das österreichische Gesundheitssystem kennt, wenn man alle Daten, Fakten und Zahlen am Tisch hat und trotzdem nichts unternimmt, um den drohenden Kollaps oder sogar Infarkt abzuwenden, dann ist das Selbstmord mit Anlauf.“

Sowas hört man eigentlich nur von Experten, die es sich leisten wollen, nach dem Motto „Viel Feind, viel Ehr“ zu leben. Von hohen System-Vertretern ist das nicht zu hören. Dr. Schelling war da immer schon anders. Sogar während der ersten Monate seiner Hauptverbandstätigkeit war von ihm noch mit harter (Selbst)Kritik zu rechnen. Allerdings verflachte er dann für einige Zeit – um sich nun stark zurückzumelden.

Acht bis zehn Milliarden Euro Schulden (Anm.: 100 Prozent Verschuldung, gemessen am Jahresumsatz) lägen in den Spitälern verborgen und Unwilligkeit wird als Unmöglichkeit getarnt – ja, so was hört man nicht gerne.

Ob jedoch brennende Reden ausreichen? Die Länder blockieren selbst unter Bruch von Gesetzen und m.E. sogar der Verfassung. Das darf nicht verwundern, hat doch heute eine rechtlich nicht einmal vorhandene Landeshauptleutekonferenz mehr Macht als die vielen legislativen Einrichtungen, von Landtagen, über Bundesrat bis zum Nationalrat.

Wenn also Dr. S. wirklich was ändern will, dann müssen mutigen Reden noch mutigere Taten folgen. Und da gäbe es tatsächlich etwas!

Die stationäre Spitalsversorgung (ohne Ambulanzen) kostet etwa acht Milliarden Euro, 3,5 davon kommen von den Kassen. Pro Patient heißt das, dass von etwa 3.200 Euro die Kassen 1.400 beisteuern.

Dass bei uns viel zu viel im Spital behandelt wird, ist Allgemeinwissen. Werden bei uns pro 100 Einwohner etwa 30 Aufnahmen gezählt, kommt Deutschland, an zweiter Stelle in der EU, mit 20, die EU mit 17, die Niederlande gar nur mit 11 aus.

Was also, wenn der Hauptverband hergeht und pro Aufnahme, die seine Vertragspartner, die Kassenärzte, nachweislich verhindern, einfach 1.000 Euro einbehält. 500 Euro kriegen die Kassenärzte und 500 werden zum Schuldenabbau verwendet. Was hätte das für Folgen?

Die Kassenärzte würden mehr Geld verdienen, allerdings nur, wenn sie auch versorgungswirksamer werden – es ist also nicht nur eine Gehaltserhöhung, sondern ein echter Leistungsanreiz, der wirklich ambulant vor stationär fördert.

Gleichzeitig würden jene, vorwiegend kleine, Spitäler, die zu einem Gutteil von unnötigen Aufenthalten leben, unter noch größeren Druck geraten. Der Druck wäre so groß, dass die Länder über Spitalsreformen reden müssen, sollen ihre Defizite nicht in astronomische Höhen schnellen.

In den großen Spitälern wiederum würde viel sinnlose Arbeit verschwinden, weil Patienten, die eigentlich nicht ins Spital gehören, wegfallen. Die Ärzte könnten sich wieder auf „echte“ Fälle konzentrieren. Auch entstünden Freiräume, die dringend nötig sind, um die Ausbildung der Jungärzte auf ein „normales“ Niveau zu heben und den Spitalsärzten Zeit zur Fortbildung zu verschaffen.

Und alles zusammen würde patientenfreundlicher und qualitativ besser werden!

Das wäre toll, würde aber Blut, Schweiß und Tränen kosten; denn, Länder und Interessensgruppen – immerhin verdienen abertausende mit überflüssigen Spitälern sehr bequem ihr Geld – werden alles tun, das zu verhindern Es würde Klagen hageln und an jeder Ecke das Leichentuch gehisst werden. Aber das ginge vorbei und ein mutiger Redner könnte als mutiger Sozialreformer in die Geschichte eingehen.

Dieser Artikel wurde im März 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wie naiv sind wir eigentlich?

Die Reaktionen auf mein Plädoyer, keine weiteren Regulierungen im Bereich der Medikamentenversorgung einzuführen, waren heftig.

Es ist merkwürdig, dass die Verteidigung marktwirtschaftlicher Strukturen, wenn sie im Gesundheitswesen sind, zu Unverständnis führt. Alleine das öffentliche Kundgeben, dass der Grad der Regulierung des Marktes Grenzen besitzt, macht einen in Österreich zu einem Verdächtigen. Und trotzdem bekenne ich mich dazu – ich glaube nicht daran, dass durch noch mehr staatliche Regeln Einsparungen bei den Medikamenten erreichbar sind.

Den wenigsten ist bekannt, dass Medikamentenpreise hierzulande von einem staatlichen Monopoleinkäufer, dem Hauptverband, festgelegt werden. Wer ein Medikament verkaufen will, kann das entweder privat machen, in Krankenhäusern verkaufen oder aber über die Kassen.

80 Prozent aller verkauften Medikamente werden von den Kassen bezahlt, die gesetzlich nicht mehr als den EU-Durchschnittspreis bezahlen dürfen. Wenn ein Generikum auf den Markt kommt, dann schreibt das Gesetz genau vor, wie teuer es sein darf. Ab dem dritten Generikum haben alle, ob Original oder Generikum, den gleichen Preis.

Mit dieser Regulierung haben wir es geschafft, dass die Preise niedrig sind. Was also soll es bringen, wenn zu diesen Regeln eine weitere kommt, und ein Preiskampf angefacht werden soll, wie es in Salzburg angedacht ist?

Kaum ist bekannt, dass die meisten Pharmaunternehmen kleine oder mittlere Unternehmen sind, die mit ein oder zwei Produkten versuchen, über Wasser zu bleiben. Jeder denkt nur an die internationalen Multis. Was aber würde für die kleinen so ein Preiskampf bedeuten? Ganz einfach! Die Großen, die es sich leisten könnten, mit neu eintretenden internationalen Generika-Unternehmen zu wetteifern, werden beginnen, diese kleinen aufzukaufen. Die ohnehin schon schwer Markt verzerrende Fusionswelle innerhalb der Branche würde angefacht. Die großen werden Oligopole und der Wettbewerb schwächer. Einmal abgesehen, dass mit dem Verschwinden der kleinen auch Arbeitsplätze verloren gehen, bedeutet ein schwächerer Wettbewerb auf Dauer eine Reduktion der Qualität bei steigenden Preisen. So zumindest die marktwirtschaftliche Theorie, die der Meinung ist, dass man sein eigenes Produkt nur über Preis und Qualität von dem der Mitbewerber unterscheiden kann – was dann zu niedrigeren Preisen bei höherer Qualität führt.

Ach die Qualität! Da wollen wir im Gesundheitssystem lieber nichts messen und wundern uns dann, dass die Qualität der Medikamente mehr vom Marketing als von harten Fakten abhängt. Außerdem, Preise regulieren ist ja so viel einfacher!

Die Pharmabranche ist wie jede andere Branche an Gewinnen interessiert – damit muss man leben können. In einer Demokratie kann und soll der Markt reguliert, aber nicht überreguliert werden – das lässt er sich nämlich nicht gefallen, besonders dann nicht, wenn er von internationalen Multis repräsentiert wird.

Solange der Markt regiert, müssen wir Gewinne mitfinanzieren – ohne Neid! Denn was passiert, wenn man versucht, sich diese Gewinne zu sparen? Dann denken wir doch an die AUA, die ÖBB, oder die Landeskrankenhäuser. Überall Milliardengräber, deren Betrieb mehr kostet, als an Erlösen erzielt werden kann und deren Schulden über Steuern zu begleichen sind. Man verliert mehr Geld und – was viel schlimmer ist – Freiheit! Denn der Staat mit seinem Gewaltmonopol wird nicht zurückschrecken, Bürger einzusperren, wenn diese Steuern zurückhalten, weil sie nicht mehr bereit sind, Defizite der ÖBB oder nutzloser Krankenhäuser abzudecken.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Milchmädchen und Milchbübchen

Die vergangene Woche war eine echte Sparwoche. Nicht nur im Gesundheitssystem wurden Millionen eingespart, auch ich kann auf Erfolge verweisen.

Letzte Woche war super. Fangen wir mit der privaten Seite an.

Ich war in einem für meine Verhältnisse viel zu teuren Restaurant. Und weil ich es mir gut gehen lassen wollte, habe ich ein schönes, saftiges Steak bestellt. 30 Euro! Ein Wahnsinn, aber auch wirklich schmackhaft.

Glücklicherweise bin ich ein paar Tage darauf mit Freunden in einem Beisel gewesen. Dort habe ich mir ein Schnitzel bestellt, dass mit nur zehn Euro ein sehr gutes Preis/Leistungsverhältnis gehabt hat und auch schmackhaft war. Auf dem Heimweg habe ich mich so gefreut, dass ich 20 Euro gespart habe, dass ich meiner Frau ein kleines Geschenk kaufte. Sie hat sich gefreut, ich habe mich gefreut – alle waren glücklich.

Am nächsten Tag ging ich wieder an dem viel zu teuren Restaurant vorbei und dachte, dass meine Frau das Geschenk eigentlich auch ohne meine Einsparung verdient hätte. Eigentlich, so dachte ich weiter, hab ich die 20 Euro, die ich gespart hatte also noch. Kurz überlegt, schnell gehandelt, ich genoss noch einmal dieses herrliche Steak. Zwar könnte ich es mir noch immer nicht leisten, da ich aber 20 Euro gespart hatte, kostete mich das Steak genaugenommen ja nur zehn statt 30 Euro – und verglichen mit dem Schnitzel, kann ich nur sagen, kein Vergleich.

Nicht nur privat gab es letzte Woche Highlights, auch beruflich.

Ich hatte ja schon Angst, dass die ganzen Sparprognosen der Kassen reiner Fake sind. Da lag ich offenbar falsch. Die hoffen nun auf ein leichtes Plus von 7,5 Millionen Euro. Nun gut, ihre Defizitprognose lag ursprünglich bei 100 Millionen, sie haben dann 120 Millionen Zuschüsse erhalten und können (noch) auf hohe Einnahmen wegen einer (noch) hohen Beschäftigung zurückblicken, aber, wie der Hauptverband zurecht stolz verkündet, zeigen die Sparmaßnahmen erste Erfolge. Anders wäre das Plus nicht zu erklären. Und weil ich lernfähig bin – anders als irgendwelche Finanzminister – bin ich jetzt auch dafür, dass man den Kassen möglichst alles gibt, was sie sich wünschen. Wer innerhalb weniger Wochen so viel sparen kann, der hat das verdient.

Aber nicht nur die Kassen haben mich überzeugt. In einem Bundesland, das in den letzten Jahren alle Spitäler übernommen hat, wurde mitgeteilt, durch Synergien die jährliche Ausgabensteigerung von 9 bis 10 Prozent auf 5 bis 6 gedrückt zu haben.

Zwar betrugen die Kostensteigerungen erst 9 bis 10 Prozent, seit alle Spitäler unter zentralistischer Führung stehen (davor waren es unter 5 Prozent) und die für die Kostensteigerungen verantwortlich gemachten Modernisierungsinvestitionen haben (noch?) keinen Niederschlag in den Abschreibungen gefunden und sind daher noch gar nicht eingepreist. Aber, so wird verlautet, werden dort durch kluge Politik fünf Prozent der jährlichen Kosten – das sind über 74 Millionen Euro – gespart. Ich hoffe, die werden gut veranlagt.

So, wie es aussieht, sind die Länder also ganz groß dabei, bei den Spitälern zu sparen. Ich denke, das wird beim nächsten Finanzausgleich 2013 vom Wasserkopf Wien auch entsprechend gewürdigt.

Ach, ich freue mich schon auf nächste Woche. Statt einem Koenigsegg kauf ich mir nur einen Lotus – und zwar von dem Geld, das ich mir erspare, weil ich keinen Koenigsegg kaufe. Vom Rest kriegt meine Frau endlich ihr lang ersehntes Häuschen im Grünen. Und wenn dann noch was übrig bleibt, bezahl ich vielleicht auch meine Schulden.

Dieser Artikel wurde im August 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Geschlossene Gesellschaft

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – wenn zwei sich einigen, bezahlt das der Dritte. Aber wer ist das wohl – unsere Kinder oder doch wir?

Es ist wie eh und je, was abläuft bleibt den öffentlichen Ohren verwehrt. Das Volk soll nicht zu viel mitkriegen! Schließlich wissen jene, die da verhandeln, am besten, was uns gut tut. Und so dringt nicht viel von dem nach außen, was Ende Juni unser Gesundheitssystem retten soll.

Was ist bekannt?

Da wäre einmal der Auftrag an den Hauptverband. Dieser soll zwei Dinge erledigen: Zuerst soll er innerhalb von sechs Monaten ein, mit allen abgestimmtes, Konzept zur mittelfristigen Sanierung der Krankenkassen vorlegen. Wer das Schauspiel länger kennt, der weiß, dass alleine die Festlegung, wer zu „allen“ gehört, kein leichtes Spiel ist (nur Ärztekammern und Kassen, oder auch die Wirtschaftskammer? Sind die Länder dabei? Was ist mit der Pharmaindustrie? etc). Aber selbst wenn das gelänge, dann ist es unmöglich, all diese Interessensgruppen in so kurzer Zeit zu einem Beschluss zu bringen. Also wird es wohl wieder nur eine geschlossene Gesellschaft sein, die da was ausmauschelt – die anderen bleiben draußen.

Der zweite Teil der Aufgabe ist noch unmöglicher. Der Hauptverband soll die Finanzierung aus einer Hand – oder wie es neuerdings heißt „aus einem Topf“ – vorbereiten, bei Beibehaltung der Verhandlungshoheit der einzelnen Krankenkassen. Alleine darüber nachdenken macht einen Knopf im Kopf.

Was weiß man noch?

Da gibt es eine ganze Menge Arbeitsgruppen; die meisten und offiziellen im Hauptverband, aber auch jede andere Gruppe, ob in Verhandlungen eingebunden oder nicht, hat solche inoffiziell eingerichtet – die Ärzte, die Pharmaindustrie, die Länder, die einzelnen Kassen, das Ministerium, die Parteien etc. Wer da was arbeitet, weiß man nicht – man kann aber vermuten, dass sich alle sicherheitshalber aufrüsten – für den Tag danach, also den 1. Juli.

Ach, und dann gibt es bereits erste Aussagen. Die Ärzte meinten vor zwei Wochen noch, dass es unmöglich ist, in so kurzer Zeit ein Konzept vorzulegen. Letzte Woche dann der Schwenk, jetzt soll doch was Gescheites rauskommen. Was mag passiert sein?

Der Minister hat ausrichten lassen, dass er keinesfalls eine Fristverlängerung zulassen will. Weiß er bereits mehr?

Und jetzt wage ich eine Prognose!

Im Konzept wird stehen, dass die Steuerzahler zu ihrem eigenen Wohl mehr in die Kassen zahlen „dürfen“, natürlich ohne demokratisches Mitspracherecht. Argumentiert wird das mit den kassenfremden Leistungen. Die Selbstverwaltung bleibt in ihrer derzeitigen Form, mit allen Kassen und ihren Verhandlungshoheiten bestehen, der Hauptverband dient dazu, die zusätzlichen Steuergelder nach irgendeinem abstrusen Schlüssel zu verteilen. Damit werden die Kassen erhalten und der Hauptverband hat seinen „Topf“.

Die Ärzte werden ruhig gestellt, weil durch die Kassen-Entschuldung und den damit wegfallenden Zinszahlungen (die meisten Schulden haben die Kassen bei den Steuerzahlern, die also nicht nur die Schulden bezahlen, sondern gleichzeitig auch auf Zinsen verzichten werden müssen), Spielraum für Honorarsteigerungen sein wird.

Die Länder, nachdem ihnen erlaubt wurde, deftige Schulden aufzubauen, um ihre Lieblingsspielwiese – die Spitäler – weiter zu kultivieren, haben ohnehin bereits klargemacht, dass sie vor 2013 keinen Reformbedarf sehen.

Und damit sind alle glücklich. Nur für die, die nicht dabei sind, was die geschlossene Gesellschaft beschließt, wird das Ergebnis vermutlich die Hölle – seien es wir Steuerzahler oder unsere Kinder.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ernsthaft oder trickreich?

Der Hauptverband will bei den Spitälern mitreden; sehr vernünftig und sehr schwierig. Wird daraus eine Reform oder doch nur eine Geldbeschaffungsaktion?

Es ist 19:30, Freitag: Herr M. (54) betritt den Untersuchungsraum der Unfallambulanz des Spitals A. Als der Arzt fragt, wie lange denn das Fußgelenk weh tut, antwortet Herr M: „14 Tage, seit er mit Freunden Fußball gespielt hat – und das in seinem Alter! Kindisch! Aber lustig war’s schon“. „Ob er beim Hausarzt war“, will der Arzt wissen. „Nein, erstens müsse man da lange warten und dann hat es sich gerade gut getroffen, weil er in der Nähe einen Termin hatte und die Schmerzen schnell einmal abklären lassen wolle“. Eine halbe Stunde später geht der Patient mit einem Röntgen und einer Heparinsalbe gegen seine Verstauchung nach Hause.

Was hat so ein Patient in einer Unfallambulanz zu suchen? Nichts! Aber warum ist er dort? Weil das System der ambulanten Versorgung nicht richtig funktioniert!

Aus den Medien kann man entnehmen, dass der Hauptverband mehr Mitsprache in den Spitälern anstrebt, weil eine Sanierung der Kassen nur funktioniert, wenn man niedergelassene Ärzte und Spitäler als Teile EINES Systems denkt. Dieses Ansinnen ist absolut richtig. Aber wird ehrlich argumentiert?

Hauptargument ist, dass die Kassen viel in die Spitäler zahlen, ohne mitreden zu dürfen. Zwar stimmt das, aber dieses Schicksal ist selbst gewählt. Vor vielen Jahren haben sich die Kassen freiwillig aus dem Spitalswesen zurückgezogen. Man hat vereinbart, dass sie nicht mehr an den realen Kostensteigerungen beteiligt sein sollen, sondern nur mehr einen fixen Prozentsatz ihrer Einnahmen abliefern.

Für die ambulante Versorgung hat das nichts weniger bedeutet, als dass sie 1995 in zwei separate Welten zerhackt wurde – die Spitalsambulanzen und die niedergelassenen Ärzte. Und um die Ambulanzen mussten sich die Kassen nun keine Sorgen mehr machen. Dass die 400 Millionen Euro, die sie dort einzahlen, heute nur mehr ein Drittel der Kosten decken, ist für sie unerheblich, und dass sich die Zahl der Patienten in den Spitalsambulanzen seither um 60 Prozent erhöht hat, nebensächlich! Wenn man solche Zahlen betrachtet, dann kann man sehen, dass das Argument, es werden immer mehr Leistungen aus dem Spital zu den niedergelassenen Ärzten verlagert, falsch ist. Genau genommen kam es zu einer massiven Verschiebung in die Spitäler.

Und weil die ambulante Versorgung vollkommen dezerebriert in zwei unabhängige Welten getrennt wurde, und weil weder Leistungen, noch Öffnungszeiten, noch sonst irgendetwas gegenseitig abgestimmt wurden, war es logisch, dass Doppelgleisigkeiten aufgebaut wurden. Schätzungen gehen davon aus, dass diese jährlich etwa 500 Millionen Euro kosten. Anders ausgedrückt wurden additive Leistungen, die niemandem helfen, provoziert, die gesamtwirtschaftlich betrachtet viel Geld verschlingen, auch wenn die Kassen betriebswirtschaftlich „scheinbar“ entlastet wurden.

Was ist also gemeint, wenn der Hauptverband mehr mitreden will?

Will er die Fehler der Vergangenheit ausmerzen? Will er jetzt EINEN Leistungskatalog mit einheitlichen Honoraren für Ärzte und Spitalsambulanzen einführen? Will er ein vernünftiges Bedarfsberechnungsmodell einrichten, um die Doppelgleisigkeiten zu reduzieren? Wem wird er das Geld dafür wegnehmen wollen? Den Spitalsambulanzen (und damit den Ländern) oder den niedergelassenen Fachärzten?

Soll es wirklich eine Reform geben oder ist es wieder nur ein Trick, Steuergeld in die Kassen zu spielen, die dann über Schulden der Länder im Staatsdefizit landen?

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gutgepflegte Realitätsverweigerung

In der ganzen westlichen Welt werden die Gesundheitssysteme reformiert, weil offenbar alle glauben, es ist wichtig – nur wir sind anderer Meinung.

Ruhig ist es geworden um die Gesundheitsreform. Viel hört man nicht und wissen tut man noch weniger. Soviel scheint sicher: Alle kriegen mehr Geld, die Länder behalten ihre Krankenhäuser und die Kassen werden allesamt erhalten bleiben.

1976 präsentierte die WHO das sogenannte Primärversorgungsmodell. Darin wurde festgehalten, dass die Versorgung so dezentral wie möglich (!) sein soll. Wohnortnähe wurde als Merkmal guter Qualität erkannt. Dabei wurde jedoch nicht an die wohnortnahe Nierentransplantation gedacht, sondern daran, dass dezentral möglichst alle Gesundheitsdienstleister – von Ärzten über Pflege, Hebammen zu Ernährungsberatern und Sozialarbeitern – koordiniert daran arbeiten sollten, Prävention, Rehabilitation, Pflege und Kuration, also das gesamte Spektrum der Gesundheitsversorgung möglichst nahe an die Bevölkerung heranzutragen.

Fast überall begann man diese Idee umzusetzen. Hausarztmodelle wurden etabliert und Gesundheitszentren errichtet, in denen interprofessionell gearbeitet wird. Alleinstehende Gesundheitsdienstleister wurden entweder abgeschafft oder dezentral vernetzt und die Systeme so ausgerichtet, die Bevölkerung entweder gesund zu halten oder so schnell wie möglich wieder gesund zu machen. In einigen Ländern ist das besser, in anderen schlechter gelungen. Aber nirgendwo wird mehr an der Richtigkeit der Idee gezweifelt.

Wir machen es bis heute anders, weil wir der festen Überzeugung sind, dass alleinstehende Arztpraxen, die sich auf die kurative Medizin konzentrieren, ein besserer Weg sind (die Pflege wurde sicherheitshalber 1978 aus dem Gesundheitssystem ausgegliedert!).

Längstens seit den 1980ern, als große Probleme mit multiresistenten Krankheitserregern auftraten, war klar, Spitäler sind ansteckend und machen krank. Um die Infektionsgefahr zu dämmen, begann man, weniger traumatische Operationstechniken zu entwickeln (Knopflochchirurgie!). Man begann die Aufenthaltsdauern zu reduzieren und setzte immer stärker auf ambulante oder tagesklinische Versorgung. In Holland hat man die Spitalshäufigkeit so weit reduziert, dass Patienten, wenn man sie schon aufnehmen muss, in Einzelzimmern liegen. Seit den 1990er Jahren kommt ein anderes Phänomen hinzu. Sehr alte Patienten werden durch einen Spitalsaufenthalt leicht aus der Bahn geworfen. Nach der Entlassung sind sie oft verwirrt und werden rasant zu Pflegefällen.

All das war Grund genug, dass europaweit die Spitalshäufigkeit in den letzen 15 Jahren trotz demographischer Veränderung entweder abgenommen oder sich wenigstens nicht erhöht hat.

Anders hierzulande; denn bei uns wird behauptet, Spitalsversorgung ist Spitzenmedizin. Und quasi als Zeichen der weltbesten Versorgung haben wir Europas höchste und weiter steigende Spitalshäufigkeit.

2008 hat die WHO den Staaten, die nach dem Untergang des Kommunismus ihre Systeme neu aufgestellt haben, eindrücklich gesagt: Je zersplitterter die Finanzierung ist, desto teurer und schlechter wird ein Gesundheitssystem funktionieren.

Was macht das schon aus, dass unser System als Paradebeispiel für Zersplitterung gilt. An zwei Dingen ist dennoch nicht zu rütteln: an der Macht der Länder und der Hoheit der Selbstverwaltung.

Die Selbstsicherheit, mit der behauptet wird, was in der Welt passiert gilt nicht für uns, ist frappant; keine Diskussion soll zweifeln lassen, dass wir die besten sind – und dass die anderen Reformen durchführen, beweist das doch nur!

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.