Totgeburt des PHC-Gesetzes? Ein Erfolg für wen?

(Lesezeit 14 Minuten) Einigermassen verwirrend sind die Aussagen der Ärztekammer, bzw. dessen Kurienobmann Dr. Steinhart, zum nun in Begutachtung gegangenen Primärversorgungsgesetz (PVG) . Angeblich wurde es wesentlich verbessert und ein Verhandlungserfolg erzielt, weil „Patienten nicht plötzlich ihren Vertrauensarzt verlieren und Ärzten die Standort- und Planungssicherheit erhalten bleibt.

Ganz so aber kann das nicht sein, denn die als Erfolg verkauften Tatsachen, wie der Erhalt des Gesamtvertrags oder die Bevorzugung von Kassenärzten vor Ambulatorien waren bereits im ursprünglichen Entwurf.

Warum also eine Verbesserung?

Wirklich geändert haben sich drei Dinge – und die sind in Kombination meines Erachtens als Misserfolg zu werten, wenn es darum geht eine Stärkung der Hausärzte erreichen zu wollen. Wenn es darum geht, aus dem Entwurf eine Totgeburt zu machen, dann allerdings war es ein Erfolg.

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Das PHC-Gesetz und seine Feinde

(Lesezeit 4 Min) Obwohl niemand den Entwurf zum Primärversorgungsgesetz 2017 (PVG) gekannt hat, war klar, er ist böse. Deswegen mobilisiert die Niedergelassenen-Kurie gleich und ruft einen Krisengipfel ein!

Und da wird auch nicht mit Drohgebärden gespart:

„So könnte z.B. Ihr bestehender Kassenvertrag sehr einfach gekündigt werden, wenn etwa in Ihrer Region eine PVE gegründet wird.“

Oder es „würde außerdem die Tür für private Investoren, staatliche Institutionen oder auch Krankenkassen, sich an Primärversorgungseinrichtungen zu beteiligen, weit aufgestoßen.“

„Die dort bezahlten Honorare sollen zukünftig auch nicht mehr Bestandteil des Gesamtvertrages sein. Die Folge wäre wohl massives Tarif-Dumping“

Überhaupt würden Ärzte „zu abhängigen Gesundheitsdienstleistern“ und reinen „Normunterworfenen“ degradiert

Dass alles „ist ein Mix aus ehemaliger DDR und US-amerikanischer Profitprivatisierung. Dieses US-DDR-Modell ist eine von privaten Konzernen und/oder der öffentlichen Hand geführte Miniambulanz, anonym und nicht unbedingt mit den engagiertesten oder mit gut bezahlten MitarbeiterInnen besetzt.“

Jedes irgendwie populistische und angstmachende Klischee wird bemüht, egal wie absurd oder gelogen!

Denn was steht wirklich im Entwurf?

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„Krisengipfel der Ärztinnen und Ärzte zur Gesundheitsreform“

Da die Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte zu einem Krisengipfel aufruft, weil das PHC-Gesetz für Patientinnen und Patienten, aber auch für Ärztinnen und Ärzte spürbare Verschlechterungen mit sich bringen soll, obwohl kaum jemand diesesn Entwurf gesehen hat, hier ist der Entwurf – es soll sich jeder ein Bild machen.

Ich finde, dass der Entwurf zwar noch einige Fallstricke hat (v.a. dort, wo er auf RSGs reflektiert, deren Qualität in der Vergangenheit mäßig waren) aber in Summe eine echte Aufwertung aller Hausärzte, die ihren Job ernst nehmen, mit sich bringen kann.

M.M.n wurden sowohl die Gefahren eines „Ausverkaufs“ an Investoren, als auch die der Übernahme der Primärversorgung durch unpersönliche Kassenambulatorien adressiert. Zudem ist ein vernünftiger Übergang vom derzeitigen System zu einem echten PHC angedacht. Ein neues Honorarsystem wird die Arbeit deutlich erleichtern und alle, die wollen werden die Möglichkeit haben, richtige Hausarztmedizin zu leben.

Die einzige Frage für mich ist, werden Ärztekammerfunktionäre in Brachialopposition verharren, oder im Sinne der Kassen-Hausärzte den Prozess gestalten

Hier der PHC-Entwurf_9_2_2017 als PDF

 

Sollten Fragen dazu auftauchen, die ich beantworten kann, werde ich gerne auf Facebook darüber diskutieren.

 

PS: Und nein, ich habe weder an der Entwicklung dieses Entwurfs mitgearbeitet noch bin ich sonst irgendwie damit verbunden – ich beurteile den Entwurf nach dem, was die Literatur über PHC sagt und in wiefern das im Entwurf berücksichtigt ist

 

Kassen, Kammern, Ambulatorien, der Gesamtvertrag und die PHC-Zentren

(Lesezeit 4 Min) Ärztekammern, Krankenkassen und Ambulatorien; ein Streit der praktisch so alt ist wie die zweite Republik und in der PHC-Diskussion gerade wieder aufflammt

 

Herbst 1955 – Seit kurzem gibt es den Staatsvertrag, die Besatzungsmächte sind noch nicht vollständig abgezogen, da wird das ASVG, zur Abstimmung gebracht. Und fast typisch, trotz zehn Jahren Verhandlung, kommt eine, wie ein Stenographisches  Protokoll zeigt, schnell zusammengezimmerte „Zwischenlösung“ zur Verlesung, weil wenige Tage davor ein Aufstand der Wiener Ärztekammer zu Änderungen zwang.

Um was es ging? Um Ambulatorien und Kassenplanstellen.

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Primary Health Care – wieder einmal

Obwohl die Idee 100 Jahre alt ist und seit fast 40 Jahren zum Standard gehört, können wir nicht einmal richtig über Erstversorgungszentren reden.

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   Egal wer in der Gesundheitspolitik das Wort Primary Health Care (PHC) in den Mund nimmt, verwendet es so, dass sich tunlichst die eigene Klientel in den Aussagen wiederfindet; Inhalt ist egal. Es ist diese faktenfreie und populistische Art, die unser durchpolitisiertes Gesundheitswesen endlos lähmt.

   Eines der am öftesten vorgebrachten Argumente in der PHC-Diskussion ist, dass man nicht viel ändern, gar nichts Neues erfinden und schon gar nicht PHC-Zentren errichten muss – denn wir haben ja seit eh und je eine Primärversorgung und eine sehr gute dazu.

   Solche Aussagen stimmen, überlegt man, wie PHC international konzipiert ist, so gar nicht. Aber natürlich findet in Österreich Primärversorgung statt. Das geht gar nicht anders, weil Menschen, die sich mit einem gesundheitlichen (das ist mehr als nur medizinisch) Problem an professionelle Hilfe wenden, dies immer bei irgendwem als Erstes, also primär, machen müssen. Es ist unmöglich, sein Problem beim ersten Mal gleich zum zweiten Mal zu erzählen.

   Die Frage ist jedoch, wer ist der Erste? Und wie geht der mit dem Problem um? Gibt es so etwas wie eine Struktur oder eine Idee, wie „Erstansprechpartner“ miteinander zusammenarbeiten? Wenn es die gibt, dann spricht man international von PHC, wenn es die nicht gibt, dann ist das eben eine andere Form der Erstversorgung, aber kein PHC.

   Wenn nun die Ärztekammer, als Monopolwächterin ärztlicher Tätigkeit, laut und immer wieder verkündet, dass Kassen-Hausärzte (ob nun alleine oder in einer Gruppenpraxis) PHC anbieten, dann ist das falsch, soll aber nur der eigenen Klientel sagen – wir brauchen keine Änderungen, denn so wie es ist, ist es gut.

   In der Folge halten Hausärzte überzeugt fest, sie machen seit eh und je PHC (in der Regel ist so eine Aussage verbunden mit der Einladung, sich doch mal in die Ordination zu setzen, um zu sehen, wie es wirklich ist).

    Aber das ist falsch. Was Hausärzte machen, ist meist Erst-Behandlung. In vielen, vielleicht den meisten, Fällen ist der Primärversorger jemand anderer, denn oft werden Patienten von anderen Berufsgruppen, die die wirklich ersten Ansprechpartner waren (Apotheker, Pflegekräfte) zum Hausarzt „überwiesen“. In so einem F all wäre der Hausarzt der Zweitversorger, selbst wenn er weiter Primär-Behandler bleibt, sofern es um eine (Be-)Handlung geht, die unter ärztlichem Vorbehalt steht.

   Gute Behandlung heißt, die richtige Handlung vorzunehmen. Gute Versorgung heißt, den richtigen Patienten zur richtigen Zeit zum richtigen Arzt (international wird vom richtigen Gesundheits-Professionisten gesprochen) zu bringen. PHC ist eben kein Behandlungs-, sondern ein Versorgungskonzept, das versucht, die Behandlung so wohnortnah wie möglich zu organisieren.

    Wenn wir nicht endlich beginnen, den Unterschied zwischen Versorgung und Behandlung in die Diskussion aufzunehmen, wenn wir nicht endlich beginnen, gesundheitliche Probleme nicht mit medizinischen gleichzusetzen, dann ist diese ganze PHC-Diskussion völlig sinnlos.

„Wiener Zeitung“ Nr. 111 vom 09.06.2016     

75.390 Unterschriften gegen Dumpingmedizin

Faktenfreies Diskutieren ist gesundheitspolitischer Sport. Die faktenfreie Mobilisierung der Ärztekammer gegen das PHC-Gesetz ist aber bedenklich.

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   „Die Gesundheitspolitik schafft mit dem PHC-Gesetz eine gefährliche Parallelstruktur, welche Schritt für Schritt die Hausärzte ersetzen soll und eine Dumpingmedizin erschafft – der billigste Preis und nicht die beste Patientenversorgung stehen hier im Vordergrund“, „75.390 Unterschriften sind für uns ein klarer Auftrag, den Hausarzt zu stärken und dieses PHC-Gesetz mit allen Mitteln zu verhindern.“

   Erstaunlich, aktuell gibt es noch nicht einmal einen Gesetzesentwurf. Was es gibt, ist ein Verhandlungsentwurf, und der ist Gerüchten zu Folge dermaßen geheim, dass er nur in Papierform mit persönlicher Kennzeichnung übergeben wurde, und auch von der Ärztekammer nicht veröffentlicht wird.

   Das ändert nichts daran, dass der Vizepräsident der Ärztekammer Johannes Steinhart, eine Kampagne fährt. Die Ärzte wurden per Rundschreiben über das Gesetz, das „alle Befürchtungen der Ärztevertretung bestätigt“, informiert. Die wiederum dürften Patienten informiert haben, was zur Folge hatte, dass 75.390 Menschen gegen etwas unterschrieben, das sie nicht kennen; das praktisch niemand kennt, von dem aber sicher sei, dass es zum Untergang der besten Patientenversorgung und dem Aussterben der Hausärzte führen könnte.

   Was will die Ärztekammer retten? Die Hausärzte? Die Patientenversorgung? Was sagen die Fakten?

   Laut Gesundheitsbefragungen 2007 und 2014 (dazwischen gab es keine) ist die Quote der Bevölkerung über 60, die wenigstens einmal einen Hausarzt aufsuchte, von etwa 90 auf auf 80 Prozent gesunken – man meint das ist nicht schlimm, aber das ist falsch: Menschen dieser Altersgruppe brauchen Ärzte. Weil ich gerne mit Dänemark vergleiche: Dort gehen 95Prozent zu ihrem Hausarzt. Wo gehen die österreichischen Patienten hin? Genau, zum Facharzt. Haben 2007 etwa 42 Prozent der Österreicher über 60 einen (Wahl-)Facharzt aufgesucht, sind es 2014 sagenhafte 67 Prozent (Ausdruck der zunehmenden Beliebtheit der Wahlärzte, die in öffentlichen Statistiken verleugnet wird). Zum Vergleich, in Dänemark waren nur 46 Prozent der Bevölkerung über 60 bei einem Facharzt. Bei den unter 60-Jährigen ist es noch deutlicher: Dänemark: 25 Prozent, Österreich 61 Prozent.

   Hätten wir das dänische Versorgungssystem, das ein gut ausgebautes PHC hat, wären 762.000 Österreicher (über 15) 2014 zusätzlich zum Hausarzt gegangen, dafür aber 2,4 Millionen nicht zum Facharzt.

   Bedenkt man, dass Dänen ungefähr gleich viel Geld ausgeben, aber deutlich seltener zum Arzt gehen, weiß man, warum dort Ärzte zufrieden sind. Sie haben pro Patient mehr Zeit. Und weil Dänen über 65 noch 13 gesunde Lebensjahre vor sich haben, Österreicher aber nur 9, sind auch Patienten zufrieden.

   Wenn nun erklärt wird, dass mit allen Mittel das PHC-Gesetz verhindert werden muss: Ist es, um den Hausarzt zu stärken und die beste Patientenversorgung zu retten?    PS: Wenn die Zahl der Facharztbesuche angestiegen ist, sind die Spitalsambulanzen entlastet worden? Nein, auch hier gibt es 50 Prozent Steigerung: 2014 sind 32 Prozent der Österreicher über 15 wenigstens einmal in einer Ambulanz gewesen, in Dänemark nur 22 Prozent

„Wiener Zeitung“ Nr. 074 vom 15.04.2016    

Die Schlacht um Primary Health Care

Um Primary Health Care einzuführen, müssten Ärztekammern, Länder und Krankenkassen eine gemeinsame Idee haben.

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    Primary Health Care (PHC) ist keine österreichische und auch keine neue Idee. 1920 wurde bereits festgehalten, dass eine sinnvolle und gerechte Gesundheitsversorgung nur funktioniert, wenn möglichst viele gesundheitlichen Probleme (das ist mehr als Krankenbehandlung) möglichst dezentral gelöst werden. Die abgestufte Versorgung war geboren und damit die Primärversorgung als Stufe eins vor Sekundär- (ambulant tätige Fachärzte) und Tertiärversorgung (Spitäler). Und um möglichst viele gesundheitlichen Probleme zu lösen, versteht die Welt unter PHC die koordinierte und strukturierte Primärversorgung mit Leistungen der Prävention, Behandlung und Pflege – also mehr als Ärzte alleine leisten können und die derzeitige Gesetzeslage erlaubt. Doch vor allem die Ärztekammer will an dieser Lage nichts ändern, wie die letzten Entwicklungen zeigen.

   23. Februar: Die Kurie der niedergelassenen Ärzte, Machthaberin innerhalb der Ärztekammer in allem, was Kassenärzte betrifft, stellt ihre „Primärversorgung 2020“ vor. Ob es tatsächlich ein Konzept ist oder nur Presseunterlagen existieren, ist unklar. Was vorgestellt wurde, ist eine Art „Kassen-Hausärztliche Krankenbehandlungsorganisations-Phantasie“, weit weg von dem, was die Welt außerhalb der Ärztekammer als PHC versteht – aber eben das, was möglich wäre, ohne eigenes PHC-Gesetz.

   2. März: In Wien soll nach mehr als einem Jahr politischen Hickhacks ein zweites PHC-Zentrum, das „PHC SMZ-Ost“, kommen. Ein Fortschritt, meint man, wenn da nicht mit der Jubelmeldung auch mitgeteilt worden wäre, dass das erste PHC-Zentrum „Maria Hilf“ angeblich 0,83 Prozent der Wiener versorgt, man also dem Gesundheitsreformziel „ein Prozent der Bevölkerung in PHCs zu behandeln“ nahe ist. 0,83 Prozent sind 14.500 Menschen. Im ärztekämmerlich geduldeten „Maria Hilf“ arbeiten drei Hausärzte, macht pro Arzt 4800 Einwohner. Wenn dort PHC passiert, dann mit weltweit einzigartiger Effizienz; international schaffen ein Arzt und sein Team (das größer ist als das in Maria Hilf) gerade 1500 bis 1800 Einwohner. Geht es wirklich um PHC oder nur darum, ein Scheitern der Reform zu verbergen?

   8. März: Überraschend wird gemeinsam von Ärztekammer, Wiener Gebietskrankenkasse und Stadt das „Wiener Modell“ präsentiert. Ein gewaltiger Sprung, möchte man meinen. Die „Drei“ wollten ganz ohne ominöses PHC-Gesetz zeigen, dass man kann, wenn man will. In Hinblick auf das kommende wohl nur ein politischer Schachzug, denn:   

13. März (ein Sonntag): Die Kurie der niedergelassenen Ärzte hat den für alle anderen streng geheimen Entwurf zum PHC-Gesetz öffentlich kommentiert, mit brachialen Worten: Das Ende der Hausärzte sei eingeläutet, mit Dumping-Preisen, Dumping-Gehältern und letztlich der systematischen Übernahme des Gesundheitsmarktes durch internationale Konzerne und Bauunternehmen sei zu rechnen. Alles in allem eine „Zumutung der Ministerin hinsichtlich einer bestmöglichen Patientenbetreuung“. Ist das wirklich so? Oder geht es nur um Macht und persönliche Eitelkeiten? Jedenfalls ist die Diskussion weiter inferior – und echtes PHC sehr weit weg

„Wiener Zeitung“ Nr. 053 vom 17.03.2016     

Die Angst der Ärztekammer vor der Primärversorgung

Primärversorgung ist international erfolgreich und erprobt und will möglichst alle gesundheitlichen Probleme möglichst wohnortnah adressieren.

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   Primärversorgung agiert nach dem Bio-Psycho-Sozialen Krankheitsmodell, das eben nicht nur eine biologisch nachweisbare Krankheit behandelt, sondern auch seine Auswirkungen: ein einsamer Mensch empfindet Kopfschmerzen anders als ein sozial eingebundener Mensch – der eine braucht Zuspruch, der andere nimmt selbst eine Tablette.

   Die Einrichtungen, in denen Primärversorgung stattfinden soll, werden Primary Health Care Center, kurz PHC, genannt, müssen von der Prävention über Kuration, Rehabilitation bis zur Pflege alles anbieten können. Damit sind nicht nur Kassen, sondern auch Pensionsversicherung und Länder zuständig.

   Der Gesamtvertrag, um den es aktuell geht, wird NUR zwischen Krankenkassen und Ärztekammern abgeschlossen und kann nur abdecken, für das Krankenkassen zuständig sind, praktisch nur den kurativen Bereich. Das ist zu wenig.

   Und weil jede Region etwas anderes braucht (Waidhofen ist nicht St. Pölten), ist die Flexibilität über bestehende Gesamtvertragsregelung, die Patienten nicht nach ihren Lebensumständen, sondern nur nach ihrer Versicherung klassifiziert, nicht gegeben. Daher braucht es, wie bei Ambulatorien heute schon, Einzelverträge, um nach regionalem Bedarf zwischen Angebot und Nachfrage zu vermitteln – es sei denn, wir wollen diese Aufgabe dem Markt überlassen.

   Der Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart greift die Idee dieser Einzelverträge heftig an. Er erklärt, dass „große internationale Konzerne die Chance nützen, die PHC-Zentren zu übernehmen und PHC-Ketten nach ausschließlich betriebswirtschaftlichen Überlegungen zu führen. Das wäre ein Groß angriff auf die soziale Medizin, weil damit die soziale Versorgung nicht mehr vom ärztlichen Ethos gesteuert wird, sondern von ausschließlich kapitalistischem Ethos, und die Gesundheitsversorgung gleichsam ins Ausland ,verkauft‘ wird“.

   Wenn das nicht passiert, dann wird aber eine staatliche Zentralmacht kommen, die „bis ins Detail den Ton angeben könnte“ und damit die „PHC am Gängelband der Obrigkeit“ hängen.

   Am Ende ist klar, überall sind Feinde, die „die bestehenden Versorgungsstrukturen zerstören“. Der einzige Retter des „seit mehr als 100 Jahren funktionierenden Modells“ ist die Ärztekammer.

   Eigentlich geht es nur um den Gesamtvertrag und das Monopolrecht der Ärztekammer, diesen zu verhandeln. Das ist das einzige echte Machtinstrument der Ärztekammer. Es zu verlieren, heißt Macht verlieren. Eine Macht, die ohnehin nur um der Macht willen existiert.

   Denn in Ländern, in denen eine funktionierende Primärversorgung besteht, geht es den Hausärzten deutlich besser. Und bedenkt man, dass auch Spitalsärzte (Stichwort EU-Arbeitszeit) nicht gut und Wahlärzte noch nie wirklich vertreten waren, dann bleiben etwa 4000 Kassenfachärzte übrig, um die es nun geht: 4000 von 42.000!    Und um auch die anderen 38.000 Ärzte zu mobilisieren, muss man mit allen Ängsten und Ressentiments spielen (ausländisches Großkapital und zentralstaatlicher Machtapparat), egal wie widersprüchlich (Verstaatlichung oder Privatisierung – was ist es eigentlich jetzt?) es auch sein mag

„Wiener Zeitung“ Nr. 175 vom 10.09.2015  

Chancen der neuen Primärversorgung

Hektisch war sie, die Geheimdiplomatie rund um die neue Erstversorgung, begleitet von Streik- und Weltuntergangsdrohungen.

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   Nach verbalem und Patienten wie Ärzte verunsichernden Schlagabtausch zwischen Ärztekammer und Volksvertretern, nach mehrfachem Hin und Her streng geheimer Papiere, die hinter verschlossenen Türen verhandelt wurden, ohne dass man weiß, wer denn verhandelt hätte, wurde am 30. Juni ein Konzept beschlossen, das die Basis für die Neuordnung der Primärversorgung sein soll.

   Aber was steht drinnen – und viel wichtiger: Wird es wirklich die Primärversorgung neu ordnen?

   Viele schöne und richtige Worte findet man – was nach 100 Jahren internationaler Erfahrungen und wissenschaftlicher Untersuchungen auch das Mindeste sein sollte, wenn einem eine „Primärversorgung nach internationalem Vorbild“ ein Anliegen ist.

   Einer der Höhepunkte: „Ärztliche und nicht-ärztliche Gesundheits-und Sozialberufe arbeiten unter der medizinischen Leitung des Arztes in der Primärversorgung im Team (. . .) zum Zweck einer optimalen Primärversorgung und Sicherstellung durchgängiger Versorgungsketten im Gesundheits- und Sozialbereich für Personen/Patienten eines definierten Einzugsbereichs.“

   In diesem Satz liegen die gesamte Weisheit des Papiers – und auch alle Fallstricke.

   Denn, will man nicht via Verfassungsänderung den Rahmen herstellen, so etwas von einer Stelle aus organisieren zu können (Finanzierung aus einer Hand), und das wurde dezidiert ausgeschlossen, dann stehen umfangreiche Verhandlungen bevor: zwischen zwei Ministerien (Soziales und Gesundheit), neun Ländern mit jeweils mindestens zwei Landesräten (Finanzen, Gesundheit und Soziales, meist aus verschiedenen Parteien); 21 Krankenkassen, die teils bundes-, teils landesweit organisiert sind und deren bundesweit agierende Vertreter praktisch ein Vetorecht gegen jede Reform haben und in der Vergangenheit gerne auch ausübten; mehrere, meist parteipolitisch genau zuordenbare Organisationen mobiler Pflege, die regional oft Monopolisten sind; hunderte Pflegeheime betreibende Gemeinden; und natürlich die zehn Ärztekammern mit ihren 20 Kurien, die dank der Sicherstellung, dass alles im Rahmen der Gesamtverträge ablaufen muss, sehr viel Sand ins Getriebe der Verhandlungen werfen können und werden.

   „Das konkret anzubietende Leistungsspektrum ist vertraglich mit der Sozialversicherung und sonstigen Finanzierungsträgern zu vereinbaren.“ So steht es lapidar im Konzept. Und weil jeder weiß, dass es nie dazu kommen wird, dass sich all diese Partikularinteressenvertreter einigen, beginnt jetzt schon ein rein machtpolitischer Kampf.

   Ein Blick nach Niederösterreich zeigt das. Dort wurde die landeseigene Primärversorgungsidee vorgestellt – ohne Vertreter der Krankenkassen und ohne Ärztekammer, dafür mit einem ehemaligen, aber abgewählten Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Das kommt einer Kampfansage gleich, die für die Verhandlungen, und damit die Neuordnung der Primärversorgung wohl bereits ein Todesstoß ist.    Aber wenigstens eines wurde erreicht: Der Terminus „Primärversorgung“ ist, etwa 100 Jahre nach seiner Einführung, nun auch in Österreich verwendbar. Man soll sich eben auch mit kleinen Schritten zufriedengeben.

„Wiener Zeitung“ Nr. 134 vom 11.07.2014