Primary Health Care – wieder einmal

Obwohl die Idee 100 Jahre alt ist und seit fast 40 Jahren zum Standard gehört, können wir nicht einmal richtig über Erstversorgungszentren reden.

Weiterlesen: Primary Health Care – wieder einmal

   Egal wer in der Gesundheitspolitik das Wort Primary Health Care (PHC) in den Mund nimmt, verwendet es so, dass sich tunlichst die eigene Klientel in den Aussagen wiederfindet; Inhalt ist egal. Es ist diese faktenfreie und populistische Art, die unser durchpolitisiertes Gesundheitswesen endlos lähmt.

   Eines der am öftesten vorgebrachten Argumente in der PHC-Diskussion ist, dass man nicht viel ändern, gar nichts Neues erfinden und schon gar nicht PHC-Zentren errichten muss – denn wir haben ja seit eh und je eine Primärversorgung und eine sehr gute dazu.

   Solche Aussagen stimmen, überlegt man, wie PHC international konzipiert ist, so gar nicht. Aber natürlich findet in Österreich Primärversorgung statt. Das geht gar nicht anders, weil Menschen, die sich mit einem gesundheitlichen (das ist mehr als nur medizinisch) Problem an professionelle Hilfe wenden, dies immer bei irgendwem als Erstes, also primär, machen müssen. Es ist unmöglich, sein Problem beim ersten Mal gleich zum zweiten Mal zu erzählen.

   Die Frage ist jedoch, wer ist der Erste? Und wie geht der mit dem Problem um? Gibt es so etwas wie eine Struktur oder eine Idee, wie „Erstansprechpartner“ miteinander zusammenarbeiten? Wenn es die gibt, dann spricht man international von PHC, wenn es die nicht gibt, dann ist das eben eine andere Form der Erstversorgung, aber kein PHC.

   Wenn nun die Ärztekammer, als Monopolwächterin ärztlicher Tätigkeit, laut und immer wieder verkündet, dass Kassen-Hausärzte (ob nun alleine oder in einer Gruppenpraxis) PHC anbieten, dann ist das falsch, soll aber nur der eigenen Klientel sagen – wir brauchen keine Änderungen, denn so wie es ist, ist es gut.

   In der Folge halten Hausärzte überzeugt fest, sie machen seit eh und je PHC (in der Regel ist so eine Aussage verbunden mit der Einladung, sich doch mal in die Ordination zu setzen, um zu sehen, wie es wirklich ist).

    Aber das ist falsch. Was Hausärzte machen, ist meist Erst-Behandlung. In vielen, vielleicht den meisten, Fällen ist der Primärversorger jemand anderer, denn oft werden Patienten von anderen Berufsgruppen, die die wirklich ersten Ansprechpartner waren (Apotheker, Pflegekräfte) zum Hausarzt „überwiesen“. In so einem F all wäre der Hausarzt der Zweitversorger, selbst wenn er weiter Primär-Behandler bleibt, sofern es um eine (Be-)Handlung geht, die unter ärztlichem Vorbehalt steht.

   Gute Behandlung heißt, die richtige Handlung vorzunehmen. Gute Versorgung heißt, den richtigen Patienten zur richtigen Zeit zum richtigen Arzt (international wird vom richtigen Gesundheits-Professionisten gesprochen) zu bringen. PHC ist eben kein Behandlungs-, sondern ein Versorgungskonzept, das versucht, die Behandlung so wohnortnah wie möglich zu organisieren.

    Wenn wir nicht endlich beginnen, den Unterschied zwischen Versorgung und Behandlung in die Diskussion aufzunehmen, wenn wir nicht endlich beginnen, gesundheitliche Probleme nicht mit medizinischen gleichzusetzen, dann ist diese ganze PHC-Diskussion völlig sinnlos.

„Wiener Zeitung“ Nr. 111 vom 09.06.2016