Lagen die Epidemiologen alle falsch?

   Man kann hinterher gescheiter sein. Aber jene, die damals recht hatten, heute als Irrende darzustellen, ist Chuzpe.

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   Es ist anscheinend bei uns weit verbreitet, anzunehmen, dass sich WHO, CDC, RKI und überhaupt alle Epidemiologen geirrt haben, aber nicht einmal den Mut besitzen, ihre Fehleinschätzungen zuzugeben. Als Beweis dafür wird verschiedenes vorgebracht, unter anderem, sie hätten Masken viel zu spät und zögerlich empfohlen. Mehr noch, man hört sogar, Millionen Menschen hätten gerettet werden können, wenn WHO & Co ihre Empfehlungen früher angepasst hätten. Aber glücklicherweise haben einige weise Politiker, auch gegen die irrenden Epidemiologen, diese eingeführt.

   Ist das so? Haben sich die geirrt? Und haben uns weise Politiker vor falschen Experten gerettet? Eher nicht!

Es zeigt halt nur Unverständnis, wie Epidemiologen in einer Pandemie arbeiten. Es gibt, wie mittlerweile bekannt sein sollte, zwei Infektionswege: über Schmiere und Tröpfchen. Zweitere teilt man in sehr kleine, schwebende Tröpfchenkerne und in große Tröpfchen, also das, was uns im Gesicht landet, wenn das Gegenüber uns direkt anniest, anhustet oder laut anspricht – oder aber innerhalb von zwei Metern runterfällt und dort Schmiere bildet. Letztere entsteht aber nicht nur durch falsche „Nies- und Husthygiene“, sondern vor allem durch fehlende Händehygiene. Beim Griff ins Gesicht, vor allem in die Nasenregion, werden Erreger zuerst auf Finger und von dort dann auf alles, was man angreift, übertragen – um von dort wieder im Gesicht eines anderen zu landen.

   In einer Pandemie mit einem neuen Erreger versuchen Epidemiologen, so schnell wie möglich herauszufinden, welcher Infektionsweg wie wichtig ist, um dann Handlungsempfehlungen zu geben. Und genau das haben sie getan und tun sie noch heute. Denn dass wir heute wissen, dass Tröpfchenkerne und Schmierinfektion eine nur untergeordnete Rolle einnehmen, ist noch nicht lange bekannt – und ein unglaubliches Glück.

   Denn damals, als WHO & Co von Masken abrieten, aber populistische Politiker, flankiert von Virologen, die Maskenpflicht (eigentlich den Mund-Nasen-Schutz) eingeführt haben, war das unklar. Masken führen jedoch dazu, dass viel mehr Schmiere in die Welt kommt. Einerseits, weil in den Masken die Erregerkonzentration steigt, aber viel wichtiger, weil der Griff ins Gesicht für ungeübte Maskenträger viel häufiger wird. Und gegen Aerosole wirken Masken nicht, aber weil sie psychologisch einen Schutz liefern, werden Menschen unvorsichtiger. Der einzige Infektionsweg, der dadurch reduziert wird, ist der über große Tröpfchen.

   Und wenn Sars-CoV-2 nicht hauptsächlich über solche übertragen worden wäre, dann wären Masken Brandbeschleuniger gewesen. Supermärkte, öffentliche Verkehrsmittel und Büros wären tatsächlich zu den Superspreadern geworden, wie es in manchen Modellen, auch in Österreich, befürchtet wurde.    Aber dem war nicht so – Gott sei Dank! Doch dass das alles gut ausgegangen ist, war keine Leistung weiser Politiker – es war pures Glück. Und dass jetzt so kommuniziert und geglaubt wird, Epidemiologen hätten sich geirrt, weil sie gegen die Masken waren, ist Chuzpe

„Wiener Zeitung“ vom 25.06.2020