Die immerwährende Reform

Ärztekammern, Krankenkassen und Ambulatorien – ein Streit, der so alt ist wie die Zweite Republik und nun wieder aufflammt.

Weiterlesen: Die immerwährende Reform

   Herbst 1955 – seit kurzem gibt es den Staatsvertrag, die Besatzungsmächte sind noch nicht vollständig abgezogen, da wird das ASVG zur Abstimmung gebracht. Und fast typisch, trotz zehn Jahren Verhandlung kommt eine schnell zusammengezimmerte „Zwischenlösung“ zur Verlesung, weil wenige Tage davor ein Aufstand der Wiener Ärztekammer zu Änderungen zwang. Worum es ging? Um Ambulatorien und Kassenplanstellen. Die Kammer forderte fixe Kassenplanstellen und ein Veto-Recht bei Errichtung von Ambulatorien. Sie fürchtete, nicht zu Unrecht, dass Kassen mit ihren Ambulatorien über kurz oder lang niedergelassene Ärzte verdrängen würden.

   Ja, so lange existiert der Konflikt, der uns im Rahmen der PHC-Gesetzes-Werdung wieder beschäftigt. Und auch weiterhin ist die Begründung der Ärztekammer nicht unrichtig. Denn obwohl vorgeschrieben ist, dass sich kasseneigene Ambulatorien durch die gleichen Honorare wie Kassenärzte finanzieren müssen, schaffen das gerade mal 10 Prozent. 90 Prozent werden subventioniert, in dem ihre Defizite aus Kassenmittel gedeckt werden. Wenn das auch mit den PHC-Zentren, die als Ambulatorien geführt werden sollen, passiert, sind diese eine unbezwingbare Konkurrenz, niedergelassene Kassen-Hausärzte würden verschwinden.

   Dass Politiker gewillt sind, solche Subventionen zu bezahlen, sieht man am Vorzeigeprojekt „Maria Hilf“. In dieses PHC-Zentrum, das nicht mehr als eine Gruppenpraxis von drei Kassen-Hausärzten ist, fließen jährlich 230.000 Euro. Da es aber nicht als Ambulatorium firmiert, können diese Subventionen nicht dauerhaft rechtskonform ausbezahlt werden. Jede Änderung hier wird daher durch die Ärztekammer blockiert – und das ist auch ihr gesetzlicher Auftrag. Denn sie ist nicht für die Versorgung zuständig, sondern hat die Interessen der Ärzte zu vertreten. Und wenn die Kammer zustimmte, dass Ärzte in Konkurs gehen, weil sie von subventionierten Einrichtungen niederkonkurrenziert werden, hätte sie ihren Auftrag nicht erfüllt. Die Art und Weise allerdings, wie die Kammer vorgeht, ist destruktiv und polemisch. Man bedenke die Argumente. Es drohe Staatsmedizin à la DDR, gleichzeitig wird vor profitgierigen Großkonzernen gewarnt, die die niedergelassenen Ärzte als freien Berufsstand bedrohen. Verstaatlichung, Privatisierung oder beides gleichzeitig?

   Nun, aus der Historie ist dieses Paradox erklärbar – Ambulatorien, entweder in den Händen der Kassen (DDR-Staatsmedizin) oder von Privaten (profitgierige Großkonzerne), stellen eine Konkurrenz für die Ärztekammer dar – und daher sind beide prinzipiell böse. Aber wie schaut es denn mit uns, den Finanziers und Nutznießern unseres Gesundheitswesens, aus? Es gibt tonnenweise wissenschaftliche Literatur, dass das, was wir „Gesundheitssystem“ nennen, teuer und ineffektiv ist. Wir bezahlen diese Streitereien mit viel Geld und weniger gesunden Lebensjahren; und die, die chronisch krank sind, mit vielen verlorenen Lebensjahren – die sterben einfach früher als nötig. Wir, so denke ich, hätten ein Recht darauf, dass diese Machtklüngel endlich zu einer Lösung kommen – nach mehr als 60 Jahren!

„Wiener Zeitung“ Nr. 191 vom 29.09.2016

Warum der Streit der Stadt Wien gegen die städtischen Ärzte eskaliert

(Lesezeit 8 Min) Zwischen der Wiener Ärztekammer und der Stadtregierung fliegen die Fetzen. Dahinter steht entweder politische Motivation oder falsche Ausgangsdaten, oder beides

Der Streit zwischen der Stadtregierung und der Ärztekammer führt zu einem Schwall von Presseaussendungen. Allesamt zeigen eine mehr oder weniger deutliche Missachtung des Gegenübers, wobei die Stadt hier tiefer unter die Gürtellinie schlägt, als die Kammer – und das will was heißen.

Weiterlesen „Warum der Streit der Stadt Wien gegen die städtischen Ärzte eskaliert“

Wenn zwei streiten: Stadt Wien gegen die städtischen Ärzte

Zwischen Wiener Ärztekammer und Stadtregierung fliegen die Fetzen. Dahinter stehen entweder politische Motivation oder falsche Ausgangsdaten.

Weiterlesen: Wenn zwei streiten: Stadt Wien gegen die städtischen Ärzte

    Via Presseaussendungen richtet die Generaldirektion des Krankenanstaltenverbundes (KAV) der Ärztekammer aus, sie lüge, stilisiere den KAV zum Feindbild und betreibe Zuchtmeisterei; keine feine Klinge. In einer dieser Aussendungen fand sich eine bemerkenswerte Aussage. Demnach habe die Ärztearbeitszeit vor der Arbeitszeit-Umstellung nur 46 Wochenstunden betragen. Die EU erlaubt 48 Wochenstunden. Demnach hätte der KAV keinen Grund gehabt, schnell eine Reform durchzuführen. Wenn die veraltete Dienstzeitregelung geändert werden sollte, hätte Wien sich Zeit lassen können. Trotzdem wurde alles sehr schnell geändert und davon gesprochen, dass es zu einer Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich kommen soll. Aber das ist unverständlich, weil es ja, wenn die 46 Stunden stimmen, zu einer Gehaltserhöhung und nicht zu einer Kompensation des Verdienstentganges durch reduzierte Anwesenheitszeiten gekommen wäre. Ein Argument, das aber erst seit wenigen Tagen vorgebracht wird. Stimmen die 46 Stunden, wird auch ein anderes Argument der Stadt verständlich, nämlich, dass es nur zu einer Verlegung der Arbeitszeit kommt und nicht zu einer Reduktion, es also keinen Grund gibt, dass weniger Patienten versorgt werden können.

   Aber stimmen die 46 Stunden? Die Arbeitszeitaufzeichnung im KAV ist schlecht. Und auch die komplizierte Berechnung der Arbeitszeit dürfte nicht gut gelingen. Will man wissen, wie viele Wochenstunden, arbeitsrechtlich korrekt berechnet, gearbeitet wurden, darf man nicht einfach die geleisteten Stunden durch die Kalenderwochen dividieren. Der Divisor ist kompliziert, um Abwesenheitszeiten zu bereinigen. Wird nicht sauber gerechnet, verliert man schnell den Überblick. Real dürfte die Arbeitszeit bei 55 Stunden gelegen haben. Und genau da werden die Argumente der Ärztekammer verständlich. Denn dann verfügt der KAV aktuell über 15 Prozent weniger ärztliche Arbeitszeit als noch vor zwei Jahren. Das führte zu keiner Verlegung der Arbeitszeit, sondern zu einer Reduktion und einer Arbeitsverdichtung. Es legt also ein Problem vor, das einer objektiven Annäherung bedarf – wie viele Stunden waren Ärzte anwesend und wie viele sind sie es nun. Aber eine sachliche Herangehensweise ist zwischen den Verhandlungspartnern unmöglich.

Auf der einen Seite die Stadt. Hier herrscht eine straffe Organisation, in der Loyalität großgeschrieben wird. Wenn oben etwas beschlossen wird, ziehen alle mit.   

Und auf der anderen Seite steht die Ärztekammer, die erst vor kurzem die Rolle der Vertreter der Spitalsärzte von der Gewerkschaft übernommen hat. Das Vertrauen in die Kammer ist gering. Kein Arzt wird seine Meinung an die seines Präsidenten anpassen. Damit ist der Präsident ein von der Basis getriebener.

Und während die Stadt „oben“ etwas ausmachen kann, stellt die Kammer fest, dass sie gar nichts von oben nach unten „befehlen“ kann. So prallen zwei unterschiedliche Kulturen aufeinander. Und weil keiner Verständnis für den anderen hat und weil beide sich beflegeln, können sachlich lösbare Probleme nicht gelöst werden

„Wiener Zeitung“ Nr. 171 vom 01.09.2016