Wie man Vorurteile bedient

   Es ist in Österreich sehr beliebt, mit Anekdoten etwas zu beweisen – aber sie beweisen nichts, weil Anekdoten keine Beispiele sind.

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   Ich wohne im 1. Bezirk in Wien – also dort, wo der Steffl steht und die Immobilienpreise astronomisch sind. Seit der Ukraine-Krieg ausgebrochen ist, dominiert Slawisch das Sprachengewirr in der Innenstadt. Deutsch war hier auf den Straßen ohnehin, und vermutlich immer, eher selten, so wie wohl auch Italienisch in Venedig kaum gehört wird.

   Ich kann nicht sagen, ob es Russisch, Ukrainisch, Polnisch oder Serbisch ist, was da gesprochen wird. Aber weil es eben zeitlich zusammenpasst, dürfte dieses deutliche Mehr an Slawisch wohl Ukrainisch sein.

   Viele, sehr viele, dieser slawisch sprechenden Personen zeichnen sich auch durch ein besonderes Auftreten aus. Die Frauen sehen, was Frisur, Make-up und Kleidung betrifft, oft irgendwie aus wie Mitglieder der Familie Kardashian. Die Männer hingegen tragen Kurzhaarschnitt, teuer imponierende Sneakers, Jogginganzüge mit großen Markenaufschriften und sind leicht übergewichtig. Parallel dazu ist die Zahl der Luxus-Limousinen mit ukrainischem Kennzeichnen praktisch explodiert. Das hat sich mittlerweile gelegt – ob die Besitzer dieser Autos mit selbigen wieder abgereist sind oder sie nur in einer Garage geparkt haben, weiß ich nicht.

   Übrig bleibt aber der Eindruck, dass der typische geflüchtete Ukrainer neureich ist. Und das Geld stammt wohl aus Korruption, denn die Ukraine ist, wie Transparency International feststellt, ein ziemlich korruptes Land, das irgendwie seit Jahren korrupter statt weniger korrupt wird. Und weil ich ja viele Beobachtungen gemacht habe, die das bestätigen, dürften also die Ukrainer, die vor dem Krieg fliehen, Kleptokraten sein, die sich bei uns in den Immobilien verstecken, die sie davor mit dubiosen Geldern aus dubiosen Firmenkonstruktion, gekauft haben.

   Wäre ich jetzt unwillig zu reflektieren, ob das, was ich da beobachte, beispielhaft oder anekdotisch ist, würde ich das auch glauben – es klingt doch alles plausibel. Spannend finde ich, dass jedoch der Großteil der Bevölkerung, wenigstens habe ich den Eindruck, dies als Verdrehung der Tatsachen erkennt und man schon propagandistisch verblendet sein muss, um es als wahr anzunehmen.

   In der Gesundheitspolitik ist das aber alles ganz anders. Wenn ein Bürgermeister den Ärztemangel beklagt und ein Landeshauptmann seine Forderung nach mehr Studienplätze formuliert, wird das mit unbesetzten Kassenstellen untermauert. Wenn ein Gesundheitslandesrat die hohe Zahl der Spitalsbetten verteidigt, wird das mit der Pandemie erklärt. Wenn ein Kassenfunktionär das Wahlarztsystem als ungerecht beschreibt, wird dabei das Bild des ohnehin schon reichen Professors, der am Nachmittag eine Wahlarztordination zur weiteren Mehrung seines Reichtums betreibt, gezeichnet. Und wenn ein Mikrobiologe die Gefährlichkeit von Covid bei Kindern erklärt, beweist er das mit Kindern, die an Covid gestorben sind. Keiner belegt dabei sein Argument mit Zahlen und illustriert diese mit Beispielen – alle bedienen (oder erschaffen) Vorurteile, die sie mit Anekdoten, die Gefühle wecken, „beweisen“ – und der Großteil der Bevölkerung erkennt nicht, dass es Propaganda ist.

„Wiener Zeitung“ vom 28.04.2022