EHCI 2007: Europas bestes Gesundheitssystem – Der Mythos lebtt

Kritische Betrachtung des Euro Health Consumer Index© 2007

 

Der aktuell ständig zitierte Euro Health Consumer Index© (EHCI©) kommt zum Ergebnis, dass das Österreichische Gesundheitssystem das beste Europas ist. Insbesondere seitens der Ärztekammer wird angesichts der Studie gemahnt, dass eine Reform – und sei es auch nur ein Reförmchen – eine Bedrohung für diesen Status ist. Der Mythos des besten Gesundheitssystems wird wieder beschworen und als Schutzschild gegen jede Änderung eingesetzt. Dabei ist Österreichs Gesundheitssystem nur deswegen so leicht als „das beste der Welt“ zu bezeichnen, da das Gegenteil aufgrund der Intransparenz und Unehrlichkeit nur schwer zu beweisen ist. Und paradoxerweise könnte diese „Studie“ genau das.

Vorab muss gesagt werden, dass der EHCI© nicht, wie z.B. im Ärztekammerblatt „Medizin populär“ verbreitet wurde, eine offizielle EU-Studie ist. Obwohl das Wort „Euro“ im Titel steht und das publizierende Büro in Brüssel ist, handelt es sich um die private Studie einer schwedischen Beratungsfirma. Eigentlich ist der EHCI© nicht einmal eine Studie im herkömmlichen Sinn. Sogar die Autoren weisen darauf hin, dass die Aussagen nicht wissenschaftlich und die Ergebnisse mit großer Vorsicht zu interpretieren sind und nur sehr restriktiv für Rückschlüsse herangezogen werden dürfen. Anders sieht der Ärztekammerpräsident (http://www.aerztekammer.at;  Presseaussendung 3.10. 2007) die „wissenschaftliche Untersuchung schwedischer Experten“. Für ihn „ist [damit] nachgewiesen, dass das österreichische Gesundheitssystem auch dem wirtschaftlichen Kriterium der Effizienz entspricht. Das Lamento heimischer Pseudo-Ökonomen, die unser System laufend mies machen, ist daher überflüssig“. Ob er mit den Pseudo-Ökonomen unter anderem den Obmann der WGKK gemeint hat, der kurz davor  (Die Presse 29.8.2007) meinte: „Wir haben keine Transparenz, keine Qualität und keine Effizienz im Gesundheitswesen“, lässt sich nicht sagen.

Der EHCI© besteht aus fünf Untereinheiten – „Patientenrechte und -information“, „Wartezeiten“, „Heilungserfolge“, „Großzügigkeit“ und „Arzneimittelzugang“ – die ihrerseits durch mehrere Indikatoren definiert werden. Insgesamt gibt es 27 Indikatoren, für jeden werden (willkürlich) Referenzwerte festgelegt, die eine Einteilung in die „Qualitäten“ rot, gelb und grün ermöglicht. Zudem gibt es auch ein Punktesystem, bei dem maximal 1000 Punkte erreicht werden können. Im Wesentlichen werden die Indikatoren aus mehr oder weniger leicht zugänglichen Daten (einer Mischung aus offiziellen Statistiken und publizierten Studien) gebildet und so zusammengestellt, dass sie geeignet erscheinen, Aussagen über das Gesundheitssystem zu treffen. Eine so einfache Methode ist für eine so komplexe Fragestellung nicht geeignet. Ob es dann reicht, durch eine willkürliche Auswahl von Interviewpartnern die Datenlage zu konkretisieren, ist fraglich. Als kleines Detail am Rande: in Österreich hat das Ministerium eine Mitarbeit abgelehnt, für Interviews standen, wie Studienautor Björnberg (Der Standard 1.10.2007) mitteilt, im Wesentlichen nur Vertreter der Österreichischen Ärztekammer zu Verfügung. Normalerweise lehnen Ärzte es kategorisch ab, über Indikatoren gemessen zu werden. Im Zusammenhang mit dem EHCI© dürfte diese grundsätzliche Einstellung (nach bekannt werden des Ergebnisses?) geändert worden sein.

Selbst bei oberflächlicher Analyse sind Bewertungen des EHCI© oft nicht haltbar. So gibt es beispielsweise anders als angegeben kein „Recht auf eine Zweit-Meinung“. Warum die Bewertung des Indikators „Patientenorganisationen sind in Entscheidungsprozesse involviert“ rot ist, ist nicht nachvollziehbar. Die Patientenanwaltschaft ist in vielen Gesundheitsplattformen und Entscheidungsprozessen vertreten. Der Indikator „Wartezeiten für Herzkathetereingriffe, Hüft- und Knieoperationen“ wird gelb bewertet, was bedeutet, dass 50 – 90% der Patienten eine entsprechende Therapie innerhalb von 90 Tagen erhalten. Bei Wartezeiten von kolportierten 365 Tagen (in Wien) ist auch dieser Wert wenigstens anzuzweifeln. Die „Zahnmedizinische Versorgung durch das öffentliche Gesundheitssystem“ wurde grün bewertet, was bedeutet, dass die öffentlichen Ausgaben für Zahnversorgung mehr als 10% der gesamten öffentlichen Gesundheitsausgaben ausmachen müssten. Die Krankenkassen geben aber nur etwa 800 Mio.€ für die Zahnversorgung aus, also ein bisschen mehr als 4%. Das würde eine rote Bewertung bedeuten. Der Rest wird aus der eigenen und nicht der öffentlichen Tasche bezahlt.

Am Ende halten 13 von 27 Bewertungen einer Überprüfung nicht stand. Wenn allerdings 50% der Indikatoren in Österreich falsch bewertet wurden, dann stellt sich die Frage, was in anderen Ländern nicht stimmt. Andererseits würde Österreich bei einer Neuberechnung mit 688 statt 806 Punkten auf Platz 10 landen. Ein Platz, den wir in anderen Rankings – z.B.: der WHO – öfter erreichen.

Der EHCI© baut, wie die Autoren selbst zugeben, auf inhomogenen, schlecht vergleichbaren Daten aus offiziellen Statistiken und publizierten Studien auf. Das die österreichischen Daten in den offiziellen Statistiken teilweise falsch sind, ist den Autoren nicht vorzuwerfen. Was daraus jedoch ersichtlich wird, ist wie leichtfertig in Österreich Statistiken „gefälscht“ werden um „gut“ da zu stehen. Daten zur Ergebnisqualität medizinischer Leistungen werden weder systematisch gesammelt, geschweige denn miteinander verglichen oder veröffentlicht. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Auf die Spitze wird diese Situation durch einige – hoffentlich nur wenige – Ärztekammerfunktionäre getrieben. Diese sind in den letzten Wochen immer wieder als vernunftresistente Reformverweigerer in Erscheinung getreten und haben ihre Thesen mit dem EHCI© untermauert. Ganz abgesehen davon, dass unterstellt werden muss, dass sich diese Funktionäre mit dem EHCI© kaum oder gar nicht auseinandergesetzt haben, werden andere Aussagen einfach verschwiegen, z.B. dass wir nach den Berechnungen der Autoren das zweitteuerste System Europas haben oder dass verglichen mit west- und nordeuropäischen Staaten ein Problem mit Schmiergeldzahlungen zu vermuten ist. Unehrlichkeit zieht sich durch das gesamte österreichische Gesundheitssystem und wird durch die herrschende Intransparenz unterstützt. Auch wenn sich die Akteure im Gesundheitssystem ansonsten selten einig sind, in einem Punkt herrscht Eintracht: Bloß keine Transparenz.

Der Präsident des schwedischen Beratungsunternehmen, das den EHCI© erstellt hat, Johan Hjertqvis empfiehlt im Übrigen folgendes: “Gesundheitsleitsysteme, wie beispielsweise NHS Direct in Großbritannien oder die dänische Krankenhausbeurteilung sind gute Beispiele dafür, wie man das österreichische Informationsdefizit in Angriff nehmen könnte!“ Dem ist nichts hinzuzufügen

 

 

Hintergrund: Detail-Analyse

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