Der Harte und der Weiche – was vom Verstand blieb

   An wem orientiert sich die Regierung im Corona-Management? An politisch Nahestehenden? Nach unten? Offenbar nicht an der Wissenschaft.

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   Der harte Lockdown – inklusive Schulschließungen und Ausgangsverbot – ist nun den zehnten Tag in Kraft. Er war dringend nötig, sagt man uns, und appelliert an unseren Verstand. Er, der „Harte“, hieß es, solle zweieinhalb Wochen dauern und am 7. Dezember null Uhr vorbei sein. Das wären 20 volle Tage – warum das zweieinhalb Wochen sein sollen, ist so jetzt nicht leicht verständlich. Und wenn die Schulen schon alle zu sein müssen, warum dann nicht bis 9. Dezember – ist doch der 8. Dezember ein Feier- und der Montag daher ein Zwickeltag.

   Oder geht es um den 8. Dezember als Einkaufstag? Das wäre vernünftig, dem Handel geht es schlecht. Aber die Argumente sind andere – und überhaupt, die Erzählung von den zweieinhalb Wochen wäre obsolet.

   Aber warum kommt der „Harte“ überhaupt? Na, weil der „Weiche“ zu wenig gewirkt habe, sagt man uns. Zwar konnte am Tag der (inoffiziellen – also via Medien gespielten) Verkündigung des „Harten“ das noch gar niemand wissen, weil da der „Weiche“ erst neun Tage alt war; aber das versteht ja eh keiner. Und unser Kanzler ist überzeugt, dass nur ein „Harter“ wirkt – und er eigentlich schon viel früher einen „Harten“ haben wollte, so einen wie in Tschechien oder Israel.

   Klar liegt die Reproduktionszahl bereits jetzt unter 1 und die Sieben-Tage-Inzidenz in jenem Bereich, von dem vor einigen Wochen gesagt wurde, dass das Contact-Tracing noch funktioniere (was man nicht verstehen muss) – also sind all jene Ziele, die der „Harte“ bringen soll, schon erreicht – durch den „Weichen“.

   Das ist praktisch. Denn dank mangelnder Aufklärung durch den Boulevard und der Verbreitung von Fake-News (das meine ich genau so, wenn ich an die unerwartet „explodierenden“ Fallzahlen denke) kann der ganze Erfolg auf den „Harten“ verbucht werden. Dass der erst um den 1. Dezember sichtbar werden kann, darum geht es nicht – denn wer versteht das schon?

   Es geht um Erzählungen. Und so erzählt unser Kanzler geradeheraus, dass Israel sein Vorbild ist. Der dortige Erfolg ist zwar objektiv bescheiden, aber das versteht keiner. Verstehen sollen wir, dass Bibi Netanjahu, so nennt ihn der Kanzler liebevoll, bereits im Frühjahr meinte, es werde ein Auf-Zu-Auf-Zu werden – eine zweite oder dritte Welle sei nicht zu verhindern. Das war halt so ein Geheimding zwischen Kanzler und Premier, von dem wir erst jetzt wissen dürfen. Bisher galt: Keine zweite Welle!

   Aber irgendwie reicht der „Harte“ nicht. Deshalb wird was Neues aus dem Hut gezaubert – so groß und so wichtig, dass es von allem, auch vom Terroranschlag samt BVT-Versagen, ablenken wird: Massentests à la Slowakei. Auch dort wieder so eine rechtspopulistische Regierung mit Showpotenzial. Was, wenn man diese beiden Maßnahmen – harter Lockdown und Massentests – verknüpft? Ein garantierter Riesenerfolg. Ja, und warum soll man sich anschauen, wie Dänemark, Deutschland oder gar Finnland die Krise meistert? Weil die dortigen Regierungen weniger rechtspopulistisch sind? Oder wie muss ich das verstehen?

„Wiener Zeitung“ vom 26.11.2020