Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024 – wieder eine Gesundheitsreform ohne Reform

Wie zu erwarten, wurde es auch diesmal „die größte Strukturreform“ aller Zeiten. Eine Analyse des Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024 ist dann aber doch eher anders.

In Memoriam Franz Bittner!

(Lesezeit 15 Minuten)

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Legistik

Das Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024 ist nur ein Sammelsurium alter Gesetzestexte, die, wie etwa der §6 das Bundesgesetz über die Dokumentation im Gesundheitswesen, mehr oder weniger wortgleich, einfach neu Fristen erhalten haben. In dem Fall ein Gesetz aus 1996, das die Diagnose-Codierung im ambulanten Bereich mit Frist 2001 vorschrübe, wird nun mit der neuen Frist 2025 versehen – Jetzt aber wirklich.

Ich glaube, es gibt keinen einzigen neuen Paragraphen. Die „Wiederverwertung“ alter Gesetze, die, wie die viele Rechnungshofberichte nach jeder Reform darlegen, in den letzten Jahrzehnten konsequenzlos ignoriert wurden (i.e Lex imperfecta), ist defacto das Rückgrat dieser „größte Strukturreform“. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass man nicht viel verhandeln muss. Es ist, wie Franz Bittner es ausdrücken würde: „… alter Wein in noch älteren Schläuchen“. Und weil es eben nichts neues ist, und die Texte ja schon verhandelt wurden, stehen sie daher weitgehend außer Streit. Das erspart viel Arbeit.

Allerdings, diese Texte so anzupassen, dass die „neuen“ Ideen reinpassen und Extra-Wünsche, v.a. der Länder, enthalten sind, macht diese praktisch unlesbar. Was genau der Inhalt mancher Passagen ist, wissen vermutlich nur die Verhandler selbst, wenn überhaupt. Der Normunterworfene allerdings kann kaum sagen, wie der Staat in einer bestimmten Situation handeln wird. Zu unklar und unscharf sind die Gesetze. Wenn etwa § 14 Gesundheits-Zielsteuerungsgesetzes den Aufbau eines Termin-Managementsystems „… mit Fokus auf den extramuralen Bereich im extramuralen Bereich durch die SV ..,“ vorsieht – was ist damit gemeint?

Hinter solchen Formulierungen versteckt sich ein Haufen Pfründe- und Willkür-Absicherung, der zeigt wie schwach verhandelt wurde. Im Beispiel, ich kann nur mutmaßen, dürfte es darum gehen, dass die Länder weiterhin für den intramuralen, die SV für den extramuralen ambulanten Akutbehandlungsbereich zuständig, und weiterhin niemand für irgendein Ergebnis verantwortlich ist. Spitalsambulanzen bleiben Ländersache, Kassenordis die der SV. Ich denke, das ist von Anfang an totes Recht – und weil das jeder Verhandler wusste, haben die nur darauf geachtet, dass da keine Fallstricke bei der Kompetenzverteilung enthalten sind und das hin und her schieben der Verantwortung nicht gefährdet wird. Das Resultat ist dann eben so ein Text.

Ein weiteres Beispiel dazu, ist der neue §62g des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes, in dem es um die Geschäftsordnung der nun in Bewertungsboard umbenannten Medikamentenkommission geht – weiter unten widme ich mich diesem Ding noch inhaltlich.

Herauszufinden, was das heißt, dauert. Am Ende ist klar, dieses „Board“ ist keines, es sind eher zwei – eines für die Spitäler, eines für die Kassen. Was sie eint ist, dass der Bund den Betrieb zahlen muss.

Im Grunde ist das KaKuG mittlerweile genauso unlesbar wie das ASVG – erschwerend kommt jedoch hinzu, dass dieses ja nur eine Grundsatzfestlegung ist – die Ausführungsgesetze werden dann je Land noch einmal in Eigenregie verändert, oder eben nicht. Durchblicken wird keiner.

Apropos Bewertungsboard; dass endlich englische Fachausdrücke, die es oft eben nur in Englisch gibt, eingeführt wurden, ist gut. Etwa die „spending reviews“ (Gesundheits-Zielsteuerungsgesetzes § 6 Abs. 2; warum die unter Anführungszeichen und klein geschrieben wurden weiß ich nicht), die bereits auf OECD-Ebene definiert sind (Anm.: das die in Ö wirklich kommen, ist unwahrscheinlich)

Zusätzlich sind die Gesetze aber voll von neuen merkwürdigen Austriaca, also nach Fachausdrücken klingende, aber nur in Österreichs Verwaltung vorkommende, Wörter, wie eben das denglische BewertungsBoard. Dann gibt es da noch die „analoge Vergleichbarkeit“ – wenn die weißen Schimmel im Amt wiehern. Auch der Ausdruck „tagesklinisch/tagesambulant“ klingt super, sagt aber nichts aus. Nicht neu aber erhalten blieben uns die zu Klassiker gewordenen „Best Point of Service“ (wohl in Anlehnung an Point of Care) und natürlich „Primärversorgungseinheit“.

Beeindruckend ist der „Ärztebereitstellungsdienst“ im §341ASVG. Diese Neuschöpfung, die es erst seit wenigen Monaten und exklusiv in NÖ gibt, und eine Art Poolärztedienst darstellt, nachdem das Leiharzt-Modell (landeseigene Spitalsärzte sollten an unbesetzten Kassenordis verliehen werden) nicht funktioniert,  findet nun Einzug in Bundesgesetze  – und erhält dort entsprechende Privilegien. Er, der Ärztebereitstellungsdienst, darf tun, was er will, weil es für ihn ergänzende oder abweichende Regelungen geben darf. Willkür eben! Wer oder was dieser Dienst ist, ist völlig unklar, offenbar ist es einfach ein Etikett, das man irgendwo draufkleben muss – ob ich sowas „einrichten“ darf?  nobody knows!

Und, anders als echte Pooldienste, werden die dort tätigen Ärzte, auch wenn es kaum etwas angestellteres gibt, sicherheitshalber gesetzlich zu Selbstständigen gemacht – die gesetzlich verordnete Nicht-Scheinselbständigkeits-Selbständigkeit

Ja, der §47a des Ärztegesetzes 1998 – ÄrzteG 1998 wird erweitert! Zuerst die Nicht-Scheinselbständigen, weisungs-, orts und zeitgebundenen Notärzte, jetzt die Poolärzte – der Paragraph entwickelt sich.

Aber die Legistik ist nicht nur schlecht, sondern auch schlampig. Ein Beispiel wäre die simple Umbenennung der Rahmen-Gesundheitsziele in die Gesundheitsziele -Österreich. Erstere sind ja schon ziemlich alt und unerreicht, die „neuen“ haben daher nichts mit den „alten“ zu tun – außer im § 9 G-ZG, dort hat man „vermutlich“ vergessen“ das „alte“ durch das „neue“ zu ersetzen!

Vermutlich, oder eben auch nicht. Nur wer dabei war, weiß, ob das bewusst oder unbewusst war. Weder Erläuterungen noch Text geben den Willen des Gesetzgebers klar weiter – also werden es Gerichte machen müssen, sollten jemand Fragen, wohin die Gelder geflossen sind.

Am Ende ist definitiv nicht viel Arbeit in diese Reform geflossen – auch wenn das der Minister anders empfinden mag.

Inhaltlich

„digital vor ambulant vor stationär“

Aufhänger ist „digital vor ambulant vor stationär“. Hier wurden die meisten „neuen“ Texte eingeführt – genauer betrachtet sind es aber nur Erweiterungen der bekannten „ambulant vor stationär“-Gesetze, die es seit Jahrzehnten gibt und deren Ziel immer der Abbau des akutstationären Bereichs bei gleichzeitigem Ausbau der ambulanten Versorgung unter Sicherstellung des Zugangs zu und der Verfügbarkeit von allen notwendigen Leistungen war.

Wenn man Daten anschaut, haben die alten Gesetze kaum gewirkt. Es gab weder einen Ausbau der Spitalsambulanzen noch der Kassenversorgung und auch keinen Abbau des akutstationären Bereichs. Wenn es etwas gab, dann eine Verschiebung mancher vollstationären Leistungen in den, ebenfalls dem akutstationären Bereich zugerechneten, tagesklinischen Bereich. Was die vollstationäre Patientenzahl betrifft, sind wir immer noch Weltspitze. Und wer sich mit dem Spitalsbetrieb auskennt weiß, dass Bettenauslastung weiterhin das oberste Ziel der Verwaltung ist – kein Wunder, hängt sowohl das finanzielle als auch politische Überleben der Spitalsstandorte weiterhin von vollen Betten ab.

Warum sollte also das Ziel „„digital vor ambulant vor stationär“ jetzt verwirklicht werden können? Es einfach in ein paar Gesetzen, deren Nicht-Befolgung konsequenzlos ist, reinzuschreiben ist eben nicht genug. Patientenströme können nur dann sinnvoll gesteuert werden, wenn ALLE Anbieter an einem Strang ziehen – und das wäre eine Reform – aber es ist nicht diese.

Gestützt wird die Hypothese, dass sich nichts ändern wird, auch dadurch, dass es keinerlei veröffentlichte Entscheidungsgrundlagen gibt, die zu den politischen Aussagen rund um die erwartete bessere Patientensteuerung gibt. Ein digitales Tool ist ja nur dann hilfreich, wenn es bei bekannten Patientenwegen eingesetzt wird. Das was mit der Reform kommen soll, ist aber nicht mehr, als eine Option Akutpatienten eventuell davon abzuhalten, einen persönlichen Kontakt zu einem Gesundheitsprofessionisten zu verursachen. Die meisten Patienten sind aber eben nicht mehr akut, sondern chronisch. Telemedizin ist also vor allem dort hilfreich, wo es darum geht, chronisch Kranke zu führen – aber davon ist nicht die Rede.

Und nur so als Beiwort: 1450 ist die Telefon-Schmalspurvariante des TeWeb, das seit über 15 Jahren in Gesetzen und Planungen vorkommt, und ELGA hat über zwei Jahrzehnte auf dem Buckel -Papier ist geduldig.

Ärztekammer -Entmachtung

Der „große Wurf“, soll die Entmachtung der Ärztekammer sein, Und Prima Vista ist die Reduktion der Veto-Player in der ambulanten Versorgung tatsächlich etwas richtiges. Nicht weniges wurde auch, aber eben nicht nur, durch die Ärztekammer verhindert – etwa die Einführung von PHC, die über ein Jahrzehnt  mit Weltuntergangsszenarien bekämpft wurde (und auch noch wird, jetzt halt ein bisschen weniger dramatisch) oder ELGA , die ein Spuk wäre, der uns bloß stellt.

Der zweite Blick allerdings führt aber zur Frage, ob die ambulante Versorgungsplanung nun wirklich besser wird, weil DER Blockierer weg ist?

Die ambulante Versorgung ist aufgeteilt in Kassenstellen Ärzte-gmbHs (die es defacto kaum gibt, obwohl sie der Kernpunkt der größten Strukturreform von Stöger waren) Spezialambulanzen, Zentrale Ambulante Erstversorgung, interdisziplinäre  Aufnahmestationen  (die beiden letzteren gibt es, auch wenn das kaum jmd weiß, erst seit 2012 und waren die ersten rechtmäßigen Einrichtungen in Spitälern mit ambulantem Versorgungsauftrag),  kasseneigene Ambulatorien, selbstständige Ambulatorien, PVE, Facharzt-Zentren (Die es bis dato nur gesetzlich, aber nicht real gibt) und Wahlärzte. Alle diese Einrichtungen arbeiten nach unterschiedlichen Regularien und verfolgen unterschiedliche Ziele, von unterschiedlichen Entscheidungsträgern, von denen die Ärztekammer eben nur einer ist – und alle sind nicht aufeinander abgestimmt und liefern keine Daten, da es keinerlei Versorgungsaufträge gibt, auch wenn diese nach dem Zielsteuerung Gesundheit -Gesetz (Gesundheitsreformgesetz 2013)  eigentlich seit 2016 gesetzlich vorgeschrieben wären.

Mit dem Fehlen der Versorgungsaufträge und einem verbindlichen Leistungsspektrum, das durch die Rollenverteilung entstünde, machen im Grunde alle was sie wollen, bzw in den Spitälern als letzter Ausweg, machen müssen, weil es sonst keiner macht. Was wer wo macht wird entweder verhandelt oder willkürlich festgelegt. Egal was Gesetze sagen.

Wenn also jetzt das ÄK-Veto wegfällt, wie werden nun Planungsentscheidungen fallen werden?

Nun, das Veto-Recht der Ärztekammer bezog sich nur auf Ambulatorien und Kassenstellen, die beide nur dann errichtet werden durften, wenn es den nachgewiesenen Bedarf gibt UND die Kammer zustimmt. Weil aber vernünftige Rahmen für die Bedarfsprüfung fehlten und fehlen, wurden diese einfach immer verhandelt – immer. Egal ob das mit EU-Recht vereinbar ist oder nicht. Der Klagsweg ist schlicht für den einzelnen sehr aufwendig.

Und um das Chaos nun aber wirklich zu beenden, kommen die RSGs wieder ins Spiel. Diese Planungsinstrumente sind ebenfalls bald 20 Jahre alt – und versorgungswissenschaftlich völlig wirkungslos, wie die Inhomogenität der Versorgungslandschaft zeigt. Und weil die Wirkungslosigkeit schon vor 10 Jahren offenbar war, wurden eben 2013 in der Zielsteuerung ein Strategisches Ziel definiert, wonach die Versorgungsdichte bedarfsorientiert sein soll.

Und die so bedarfsorientierte Dichte soll dann in den RSGs münden

Geändert hat sich aber bis heute trotzdem nichts Weiterhin stehen einem Mühlviertler nur halb so viele Kassenfachärzte zur Verfügung, wie einem Wiener und die Innviertler liegen 50% häufiger im Spital als die Ost-Steirer.

Würden die RSGs, wie gesetzlich vorgeschrieben, echte Planungsinstrumente nach echten versorgungswissenschaftlichen Regeln, wie ebenfalls gesetzlich vorgeschrieben, sein, es wäre kein Problem, diese zentral in der neuen Reform zu verankern – sind sie aber nicht. Wer die RSGs kennt, und die daraus folgende Inhomogenität der Strukturen und Versorgung, weiß, dass die halt nur willkürlich landespolitische Pläne sind, mit denen Betten auf willkürliche Standorte verteilt werden und mit ein paar unnachvollziehbaren alten Daten der Sozialversicherungen aufgehübscht sind. Selbst die Darstellung des IST-Stands in diesen Plänen ist mindestens 4 Jahre alt – also weit weg von irgendwas Ernstzunehmendem. Aber das dürfte nicht gestört haben, als der § 21 Abs. 3 Gesundheits-Zielsteuerungsgesetzes entsprechend installiert wurde

Die SV können gar nichts in einem RSG sicherstellen. Sie sind schon rein rechtlich gar nicht in der Lage, den Ländern bezüglich Betten, Tageskliniken oder Ambulanzen Vorschriften zu machen. Der Gesetzgeber für alle ambulanten Leistungen, die nicht in einer Kassenordi erbracht werden, sind die Landtage, und die Exekutive dieser Gesetze sind die Landesregierungen. Egal was in diesem Paragraphen steht, er ist nicht mit der Verfassung im Einklang, steht aber schon seit vielen Jahren so im Gesetz – und hat niemanden interessiert. Ein Hinweis darauf, dass es eben totes Recht ist.

Doch durch die Einführung des Abs. 2a (der Rest ist grosso modo alt, obwohl 1a eben aus einem anderen ignorierten Gesetz stammt) soll der RSG jetzt offenbar als Maß des Versorgungsbedarf festgelegt werden. Etwas das er ohnehin schon sein müsste, aber eben nie wurde – doch jetzt per Gesetz sehr detailliert bis auf Bezirksebene sein muss, da die RSGs verbindlich erklärt werden können, und damit den Bedarf fixieren. Das klingt etwas theoretisch, wird aber sehr reale Auswirkungen haben.

Statt einen Bedarf an einem bestimmten Ort prüfen zu lassen, werden nun Standorte verbindlich festgelegt und ersetzen die Bedarfsprüfungen (auch diese Idee ist bereits viele Jahre alt). Heißt, was nicht im RSG drinnen steht, darf es auch nicht geben. Wie weit das geht oder gehen kann ist aktuell nicht klar – könnten dadurch theoretisch etwa alles Kassenstellen in einer Region abgeschafft werden? Oder verdoppelt? Könnten alle Ambulanzen gesperrt oder verdoppelt werden? Könnte man überall jetzt Spitäler errichten oder sperren, nur weil es einem Landespolitiker gefällt? Niemand kann das auf Basis dieses Gesetzes erahnen, was wo wie warum passiert. Umso mehr, als dass alle Zahlen, Daten und Fakten, die den Planungen zu Grunde liegen sollen, weiter geheim und einer Begleitforschung entzogen bleiben. Gegen einen RSG vorzugehen war schon immer schwer, wird aber jetzt sehr viel schwerer. Aber ob diese RSGs auch einer rechtsstaatlichen Prüfung standhalten? Wohl nicht.

Ich wiederhole – wären die RSGs auch nur ansatzweise versorgungswissenschaftlich korrekte Planungsinstrumente und nicht Willkürakte, würde die Idee gut sein. Aber sie sind nun einmal nur willkürlich und nicht bedarfsorientiert. Und weil eben die Versorgung in jedem Winkel Österreichs derartig unterschiedlich ist, aber alles den gleichen Gesetzen und Planungsgrundlagen unterliegen muss, müsste praktisch überall geprüft werden, ob die RSGs nicht gegen Verfassung und EU-Recht stehen. Doch das wird nicht passieren. „Wo kein Kläger da kein Richter“ dürfte der Grundgedanke dieser Gesetze sein – Jetzt, wo ein Institutioneller Veto-Player mit Freude und Geld für jegliche Klage durch alle Instanzen, die Ärztekammer, nicht mehr im Spiel ist, ist es nicht abwegig anzunehmen, dass in diesem Gemauschel und Getauschel sich keiner trauen wird, gegen ein Land zu klagen. Es wird also die Willkür der jetzigen Entscheidungsträger unkontrolliert wachsen, und die Versorgung der politischen Ökonomie ausgeliefert sein.

Bewertungs-Board

Und die Willkür wird nun auch auf Medikamente im Spital ausgedehnt – mittels Bewertungsboard. Im Grunde ist das ein neuer Ausdruck für die Medikamentenkommission, die, obwohl 10 Jahre alt, halt niemanden interessiert hat, möglicherweise, weil sie nicht klar definiert wurde und von der normierten Arzneimittelkommission unklar abgegrenzt war

Um aber diesem toten Pferd Leben einzuhauchen hat man dem Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz nun ein neues Hauptstück gegönnt

Ein Hauptstück, das allerdings ohne eigene Paragraphen auskommt – denn es wurde schlicht der § 62 aus dem Hauptstück F um die Buchstaben d, e, f, g, h, und i ergänzt. Vermutlich wollte man sich Arbeit ersparen – aber wie gesagt, die Legistik ist furchtbar.

Würde das alles so laufen wie im NICE  in UK, also evidenzbasiert, transparent und nachvollziehbar, dann wäre das völlig in Ordnung. Das wird es aber nicht – denn das Board ist voll von Politikern, die Daten haben, die sonst niemand sehen darf, und deren Gesetzesvorgabe so unklar ist, dass alles oder nichts hier beschlossen werden kann. Denn während die Verteilung der Steuergelder auf 100tausendstel genau (also auf 10.000€ genau) geregelt ist, wird sich das Bewertungsboard mit voraussichtlich hochpreisigen und spezialisierten Medikamenten beschäftigen. Was hochpreisig ist, entscheiden sie selbst.  Und zwei Gummi-Absätze definieren was „spezialisiert“ ist

Was immer da auch jetzt hinter verschlossenen Türen passiert, es wird (1) geheim bleiben, da auch hier alle Zahlen, Daten und Fakten nicht offiziell sein werden, und die Geschäftsordnung vermutlich Geheimhaltung vorschreiben wird, und  (2) gesetzeskonforme Willkür sein – dafür sorgt dieses Hauptstück G. Und das es nur ums verhandeln (oder eben Mauscheln und Tauscheln) geht zeigt der §62i – bei dem sich ein Anführungszeichen aus einem offenbar anderen Text erhalten hat – wie gesagt, die Legistik ist unterirdisch

Conclusio

Länder und Kassen kriegen deutlich mehr Geld als früher, um weiter das zu machen, was offenbar bisher nicht funktioniert hat. Wahnsinn ist es, wenn man immer das Gleiche tut, und meint, es kommt was anderes heraus.

Wenn was Neu ist, dann könnte man eventuell behaupten, dass die Länder nun noch weniger Regeln haben, die sie missachten müssen, wenn sie tun was sie wollen. Und die Kassen kriegen jetzt erstmalig direkt zusätzliches Steuergeld, um eben das zu machen was sie wollen.

Wo genau die vom Minister zitierte „viele Arbeit“ lag und wo der Tisch steht, an dem jetzt alle zusammensitzen  – unklar

Aber, es ist klar die Handschrift der Länder zu erkennen – die wollen ja kein Spital sperren, brauchen dazu aber billige Arbeitskräfte – und die wurden fixiert.

Dafür sorgt die wenig diskutiert Änderung des Ärztegesetzes 1998 – ÄrzteG 1998 bei den Bestimmungen der Ausbildungsstätten für die Ausbildung zum Facharzt  § 10.

Diese Änderung wird wirkmächtig, und kommt ganz ohne Ziele aus. Es ist ein Rückschritt in der Ärzte-Ausbildung. Die Zahl der Ausbildungsstellen wird dadurch schlagartig steigen, weil nun ein Facharzt bis zu zwei Absolventen und fast unbegrenzt Studenten im KPJ ausbilden darf. Viel wird da nicht gelehrt werden, aber Dienstpläne können, so die Hoffnung der Länder, mit billigem Personal gefüllt und Spitalsstandorte gesichert werden – und „digital vor ambulant vor stationär“ konterkarieren. Alleine, die Absolventen werden da nicht mitspielen und ins Ausland gehen. Und das wird gute Gründe liefern, mehr MedUnis zu errichten. Und so beginnt alles von vorne.

Der plötzliche und nicht behebbare Ärztemangel

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   Wir werden das Problem nie wieder los – einfach, weil es politisch so probat ist.

   Halten wir fest: Etwa 10.000 österreichische Maturanten melden sich pro Jahr für den Medizinaufnahmetest „MedAt“ an, rund 7.500 nehmen tatsächlich teil. Zur Orientierung: Es gibt 20.000 AHS-Maturanten. Kann es sein, dass 7.500 Maturanten dafür brennen, Ärzte zu werden? Selbst in den stärksten Jahren bei freiem Zugang gab es selten mehr als 3.000 Studienanfänger. Warum soll ein Test Berufungen erhöhen?

   Die Zahl der Absolventen hat sich übrigens kaum verändert. Der „MedAt“-Tet hat die Drop-out-Quote gesenkt – sonst nichts. Seither haben mehrere Privatunis eröffnet. Und so ist die Zahl aller Anfänger mit mehr als 2.500 höher als zu Zeiten der Ärzteschwemme. Ab etwa 2025 werden wir jährlich mehr als 2.000 Absolventen haben – ein historischer Höchstwert, der 60 Prozent über dem EU-Schnitt liegt.

   Weil eine Medizinerausbildung mit etwa 400.000 Euro Steuergeld sehr teuer ist, wurden zwischen 1995 und 2010 regelmäßig Ärztebedarfsstudien erstellt. Jede hat deutlich weniger Ärzte als bedarfsnotwendig ausgewiesen, als es real Ärzte gab, also einen Ärzteüberschuss belegt – die Zeit der Ärzteschwemme.

   In den frühen 2000ern wurde gewarnt, wenn die Ausbildungskapazitäten nicht begrenzt würden, werde es tausende arbeitslose Ärzte geben. Damals ging man davon aus, dass es neben dem öffentlichen System, das ja verspricht, dass alle alles auf allerhöchstem Niveau bekommen, und zwar immer, überall und gratis, kein Parallelsystem geben könne. Eine Wahlarztversorgung wie heute schien absurd und keinesfalls erstrebenswert.

   Die Ärztekammer war damals die wichtigste Stimme, die vor der Ärzteschwemme warnte: Es sei zynisch, und man müsse nun endlich der laufenden Illusionszerstörung der Jugend ein Ende setzen. Es war die Zeit der taxifahrenden Jungärzte. Doch kammerintern beschäftigte man sich um 2005 mit einer anderen Frage: der Finanzierbarkeit der Wohlfahrtsfonds. Diese Pflichtzusatzpensionsfonds der Ärzte waren damals noch rein umlagefinanziert. Versicherungsmathematische Studien hielten fest, dass entweder Pensionen gekürzt oder Einnahmen erhöht werden müssten. Pensionskürzungen kamen nicht in Frage, die einzige Chance auf höhere Einnahme bestand und besteht aber nur darin, dass immer mehr Ärzte einzahlen.

   Um 2005/2006 kippten die Argumente der Ärztekammer von der Ärzteschwemme in den Ärztemangel – plötzlich und ansatzlos. Die Argumente, die 2014 zur Gründung der MedUni in Linz führten, nutzten diese versicherungsmathematischen Studien, interpretierten aber einen drohenden Ärztemangel hinein; mit Erfolg. Doch hat die zusätzliche Uni die Diskussion über den Ärztemangel beendet? Nein!

Noch merkwürdiger ist, dass die Ziele, die in diesen versicherungsmathematischen Studien genannt werden – also wie viele Ärzte zur Finanzierung der Wohlfahrtsfonds benötigt werden – übertroffen werden (2020: 48.000 vs. 45.000), doch auch das ohne Auswirkung auf den postulierten Ärztemangel.    Heute arbeiten rechnerisch um 50 Prozent mehr Ärzte am Patienten als im EU-Schnitt. Weil aber wesentliche Player politisch vom Ärztemangel gut leben, wird er uns erhalten bleiben.

„Wiener Zeitung“ vom 27.04.2023                            

Equip4Ordi und die Unschuld der Kammerpolitiker

Sicher ist, dass es in einer der Wiener Ärztekammer zugeordneten Firma, der ÄrzteEinkaufs-Service -Equip4Ordi GmbH, einen begründeten Verdacht von Malversationen gibt.

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Sicher ist auch, dass der jetzige Ärztekammerpräsident von Wien und Österreich, Johannes Steinhart, nicht als Beschuldigter geführt wird. Ebenfalls sicher ist, dass das Präsidium der Österreichischen Ärztekammer ausrückt, um für alle die Unschuldsvermutung zu reklamieren, und der Präsident höchstpersönlich verlautet, dass eine nicht näher genannte Gruppe eine angebliche Malversation in einer aus der Ärztekammer ausgelagerten GmbH für eine gezielte Intrige gegen ihn nutze.

Die ausgelagerte GmbH hat er bei der Gründung noch so angepriesen: „Wir bieten damit Kolleginnen und Kollegen für ihre Ordinationen eine benutzerfreundliche, einfache und professionelle Plattform, über die sie rasch und zu günstigen Preisen ihren gesamten Ordinationsbedarf abdecken können.

“ Das „Wir“ ist schon ein Hinweis auf eine Identifikation des damaligen obersten Vertreters der niedergelassenen Ärzte und jetzigen Präsidenten mit dieser Firma. Doch wofür braucht eine Pflichtvertretung so eine Firma? Ist es Aufgabe der Kammer, in den freien Markt einzugreifen? Ging sie davon aus, dass sie besser Preise verhandeln kann, weil sie auf einer Monopolmacht sitzt?

Warum auch immer, die Kammer ist für diese Firma nach außen aufgetreten. Doch wem gehört diese? Sie gehört nicht direkt der Kammer, und es ist auch nichts Ausgelagertes, weil es eben keine Aufgabe der Kammer ist, Händler zu sein. Es ist eine Verschachtelung diverser GmbHs, die am Ende eben auch die inkriminierte GmbH besitzt und an deren Anfang die Ärztekammer für Wien steht.

Kein vertrauenerweckendes Modell. Das sollte politisch Verantwortlichen schon auffallen, wenn sie denn Planstatt Marktwirtschaft probieren. Aber wer schmiedet da eigentlich eine persönliche Intrige?

Da gibt es den Investigativjournalisten Ashwien Sankholkar von „Dossier.at“. Dieser deckt regelmäßig Merkwürdigkeiten in der Ärztekammer auf. Etwa den mittlerweile wieder vergessenen 327,5-Millionen-Euro-Deal samt gewaltiger Provisionen rund um den Wiener Grabenhof. Und wenn ein Whistleblower dorthin Unterlagen schickt, die eine Straftat aufdecken könnten, ist das keine Intrige, selbst wenn es ohne hehre Absicht geschieht.

Wie also kann jemand das als Intrige gegen die eigene Person empfinden? Denknotwendig doch nur, wenn in der Kammer jeder etwas zu verbergen hat und es ein Agreement gibt, dass alle den Mund halten. Der moralische Standard ist also: Jeder deckt den anderen bei seinen Straftaten? Wenn das so wäre, dann träfe es jene, die seit Jahrzehnten in führenden Positionen sind und vom Wohlfahrtsfondsskandal der 2000er Jahre über Gerüchte, wie Koalitionen und Stimmen gekauft werden, um die eigenen Positionen zu festigen, bis zu den Wahlbetrugsvorwürfen im vorigen Jahr alles politisch überlebt haben, hart und persönlich.

Aber wenn das wirklich wahr sein sollte, dann hat dieses Kammerverhalten einfach die Grenzen erreicht, an der Korruption eben aufbricht. Das ist nichts Persönliches

„Wiener Zeitung“ vom 23.02.2023

Kritik wird einfach abgeblockt

   Die Gräben im Gesundheitssystem sind unüberbrückbar.

   Seit 15 Jahren missioniere ich in Österreich. Seit gefühlt tausenden Jahren predige ich vor allem zwei Dinge:

   Beendet die Sprachverwirrung!

   Seid selbstkritisch.

   Recht viele Anhänger konnte ich nicht gewinnen, vor allem nicht bei den Entscheidungsträgern innerhalb der vielen Organisationen, die alle als Vetomächte auf- und Klientelinteressen ver-treten.

Deswegen soll ich mich eigentlich nicht ärgern, wenn ich wieder einmal so etwas lesen muss: „Wir schaffen es einfach nicht, unser Versorgungssystem als Ganzes zu denken. Wir haben im niedergelassenen Bereich eine ineffiziente Versorgung, folglich landen viel zu viele Fälle unnötigerweise im Spital“, erklärte jüngst ein Public- Health-Experte.

Die Ärztekammer reagierte so: „Wir weisen Ihre pauschale Behauptung, dass die Versorgung im niedergelassenen Bereich ineffizient wäre, auf das Schärfste zurück; diese Aussage zieht die niedergelassene Ärzteschaft in Misskredit. Gerade die niedergelassenen Ärzt:innen versorgen sehr effizient, jedoch gibt es ineffiziente Versorgungsstrukturen, welche systembedingt sind und dringend reformiert werden müssen. Nur durch den täglichen persönlichen Einsatz der niedergelassenen Ärzteschaft mit ihren Ordinationsteams wird verhindert, dass die Spitäler nicht noch mehr aus allen Nähten platzen.“

   Die Aussage, dass der niedergelassene Bereich ineffizient versorgt, ist nun einmal evidenzbasiert und sagt nichts über die Arbeit der niedergelassenen Ärzte aus. Effektive Versorgung bedeutet, „den richtigen Patienten zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle“ einer Behandlung zuzuführen. Die Arbeit des Arztes ist die Behandlung. Wenn die Versorgung als wenig effektiv bezeichnet wird, dann heißt das nur, dass – gemessen an den dafür üblichen Parametern (allgemeine und krankheitsspezifische Spitalshäufigkeit, die europaweit spitze ist) – die Patienten zu selten am richtigen Ort behandelt werden. Und weil wir viele niedergelassene Ärzte haben (die Dichte aller niedergelassenen Ärzte ist, bei Berücksichtigung aller Schwierigkeiten des Vergleichs, europaweit ebenfalls spitze), ist der Bereich eben ineffizient – daran kann man nicht rütteln. Egal, wie effizient die einzelnen Ärzte auch behandeln mögen.

Wenn man sich jedoch der Begriffsverwirrung hingibt und Behandlung mit Versorgung synonym verwendet, wird aus einer richtigen Analyse plötzlich ein persönlicher Vorwurf. Und statt dieser Begriffsverwirrung Einhalt zu gebieten, kommt der Reflex der Ärztekammer, die sich pauschal schützend vor die Ärzte stellt.

   Es mag sein, dass die Ärzte effizient behandeln – darüber haben wir keine gesicherte Information, weil die Ärztekammer seit Jahrzehnten jegliche vergleichbare Dokumentation der Leistung der Ärzte ablehnt, etwa die Codierung der Krankheiten der behandelten Patienten nach einem einheitlichen Standard oder die Bereinigung der Leistungskataloge nach sinnvollen Grundsätzen. Damit ist die Behauptung der „effizienten Behandlung“ einfach nur eine Behauptung – und ändert nichts daran, dass die Versorgung nachweislich schlecht ist.

Doch wie soll sich etwas ändern, wenn Kritik, dass wir es nicht schaffen, das „Versorgungssystem als Ganzes“ zu betrachten, sofort aufs Schärfste zurückgewiesen wird?

„Wiener Zeitung“ vom 29.09.2022 

Die ewige Gesundheits- und Pflegereform

   Gesetze sind dazu da, sie zu befolgen oder zu übertreten – oder, wenn man sie selbst macht, sie einfach zu ignorieren.

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   Wer falsch parkt, kriegt einen Strafzettel – man hat ein Gesetz übertreten. Das ist normal, für die meisten jedenfalls.

   Gehen wir zurück ins Jahr 2000, das in der Gesundheitspolitik ein besonderes war. Nach 20 Jahre dauerndem Dahinwursteln haben sich die hohen Politiker der Länder und des Bundes geeinigt, die Gesundheitsplanung komplett neu zu gestaltet. Das hat der EU-Beitritt so nach sich gezogen, nicht der politische Wille.

   Bis dahin gab es den „Österreichischen Krankenanstalten-Plan“ (Ökap). Darin enthalten waren alle Krankenhäuser mit einer fixierten Anzahl an Betten. Diese wurde kleinerenteils wissenschaftlich errechnet, größerenteils politisch verhandelt. Ziel des Ökap wäre es gewesen, die stationäre Spitalsversorgung – und ausschließlich diese – in einen vernünftigen Rahmen zu bringen. Nun gut, an den Ökap hat sich niemand gehalten. Jedes Bundesland, ja beinahe jedes einzelne Krankenhaus, hat gemacht, was es wollte. Und wenn etwas nicht Ökap-konform war, haben Politiker halt fallweise den Ökap umgeschrieben. Einmal wurde der Ökap sogar evaluiert. Das Ergebnis war so desaströs, dass man sich hinter verschlossenen Türen geeinigt hat, einfach so zu tun, als ob es diese Evaluierung gar nicht gegeben hätte.

   Aber ab 2000 wurde alles anders. Ein entscheidender Paradigmenwechsel in der Gesundheitsplanung wurde eingeleitet: Die herkömmliche Planung wurde durch eine gemeinsame, einheitliche, bedarfsorientierte Leistungsangebotsplanung abgelöst. Die Planung sollte die stationäre und die ambulante Versorgung, die Rehabilitation und sogar die Pflege umfassen. Geplant werden sollten nun nicht mehr die Spitalsbetten, sondern vom Patienten ausgehend jene Leistungen, die Patienten brauchen, und zwar dort, wo sie sie brauchen. Die Leistungen selbst sollten nur erbracht werden dürfen, wenn man dafür Qualitätskriterien erfüllen konnte. Somit sollte die Planung erstmals das gesamte Gesundheitswesen quantitativ und qualitativ umfassen (wie schon 1969 von der WHO gefordert).

   Unzählige Arbeitsgruppen später wurde der „Österreichische Strukturplan Gesundheit“ (ÖSG) mit großem Pomp beschlossen und als großer Wurf verkauft. Jedes Bundesland hat in seinen Landesgesetzen festgelegt, dass der ÖSG geltendes Recht ist.

   Heute, 2022, schaut man nach, was denn umgesetzt wurde. Und siehe da: kaum etwas. Obwohl gesetzlich anders vorgeschrieben, ist die „Planung“ chaotisch; Länder machen weiter in den Spitäler willkürliche Bettenplanung, Kassen und Ärztekammern verwalten weiter autistisch die Kassenarztstellen, die Reha geht an der Hand des Dachverbandes zielsicher an der Realität vorbei, und die Pflege ist weiterhin ein völlig ungelöstes Problem von irgendwem. Und die gesetzlich geforderten Qualitätskriterien wurden zu unverbindlichen Empfehlungen degradiert.

   Alles wird völlig faktenbefreit, dafür hochemotional diskutiert, etwa der Ärzte- und Pflegemangel, und alle Probleme, die seit nachweislich 53 Jahren bestehen, werden gepflegt und gehegt, deren Lösung in Gesetze gegossen – und diese dann geflissentlich ignoriert. Das wird ewig so weitergehen, denn einen Strafzettel für diese Gesetzesübertretungen wird es nie geben.

„Wiener Zeitung“ vom 23.06.2022  

Ärztekämmerer – die Besten der Besten

Das Arbeitspensum der hohen Kammerfunktionäre ist unglaublich – Normalsterbliche könnten das nicht. Eine Polemik.

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   Jahrzehnte als Kassenarzt in hohen Funktionen in der Wiener und der österreichischen Ärztekammer, hatte er immer noch Zeit für anderes. Neben Kammer und Kassenordination war er Oberarzt in einem Ordensspital, das er auch als Geschäftsführer leitete, und in seiner Freizeit übernahm er Beratungsaufträge, wenn Not am Mann war. Man kann also mit Fug und Recht sagen: Der neue Wiener Ärztekammerpräsident Dr. Johannes Steinhart (67) ist fleißig. Und weil er seine Spitaljobs vor einiger Zeit aufgab, wird er genug Zeit haben, den Posten des Ärztekammerpräsidenten auszufüllen.

   Gleich und Gleich gesellt sich gern. Deshalb steht hinter ihm ein Koalitionsteam voller Fleißiger: etwa Dr. Stefan Ferenci (45), der als Kassenarzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sicher viel zu tun hat und sich trotzdem in der Ärztekammer als Funktionär engagiert. Gewählt wurde er als Kassenarzt. Nebenbei hat er auch eine Privatordination in Wien. Und weil er hier schon als Turnusarzt Politik gemacht hat, wollte er das auch weiter tun. Damals kam er über die Fraktion „Turnusärzte für Turnusärzte“ in die Kammer, sogar noch 2017, als er gerade Oberarzt wurde. Nun, das ist Jahre her.

   Klar, er ist jetzt Kassenfacharzt, da ist es rechtlich unmöglich, als Turnusarzt zu kandidieren. Doch glücklicherweise hat sein langjähriger Parteifreund Dr. Mojtaba Pachala (39), mittlerweile Funktionär für die „Liste Steinhart“, eine Frau, die niedergelassene Hausärztin ist. Und die hat ihn als Turnusarzt angestellt; für 15 Wochenstunden. Und so kandidierte er, wieder für „Turnusärzte für Turnusärzte“. Und es war gut! Denn jetzt ist er sogar Vizepräsident und oberster Vertreter aller angestellten Wiener Ärzte. Das geht locker neben seiner Ausbildung, seinen Ordinationen und seiner Funktionärstätigkeit für Kassenärzte in Niederösterreich.

   Sein Freund Dr. Pachala, ebenfalls langjähriger Ärztekammerfunktionär, ist auch ein Fleißiger. Er hat eine Wahlarztordination und ist zudem Gesellschafter und Geschäftsführer eines Ärztezentrums, gemeinsam mit Dr. Uros Klickovic (43). Der ist ebenfalls noch Turnusarzt (am AKH) und Funktionär für „Turnusärzte für Turnusärzte“.

   Am AKH gibt es da noch zwei fleißige Betriebsräte fürs Wissenschaftliche Personal, die im Team von Dr. Steinhart sind. Der eine ist Dr. Stefan Konrad (39). Er hat es zwar nicht geschafft, Professor zu werden, aber er ist Oberarzt für Strahlentherapie-Radioonkologie. Dort dürfte er eine sehr wichtige Position einnehmen, weil er nebenbei eine Privatordniation betreibt, bei der er Terminvergaben für Strahlentherapie anbietet. Und dann noch Dr. Frédéric Tömböl (32): Er hat sich schon immer neben seiner Ausbildung politisch engagiert – zuerst in der Studentenkammer (ÖH) und jetzt, neben der Betriebsratstätigkeit und seiner Ausbildung, als Wiener Ärztekämmerer. Dort ist er Finanzreferent und Teil des inneren Zirkels.   

Das sind lange nicht alle Fleißigen, aber einmal ehrlich: Wir sollten froh sein. Denn obwohl sie in der Privatwirtschaft ein Vielfaches verdienen könnten, engagieren sich die Besten der Besten in Österreich in den diversen Kammern. Und dort arbeiten sie aufopfernd für uns alle.

„Wiener Zeitung“ vom 02.06.2022   

Die Pseudodemokratie der Ärztekammer

   Die Wahl der Medizinervertreter interessiert die Öffentlichkeit nicht. Sollte sie aber.

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   Die Ärztekammer ist definitiv mächtig. Macht ist der Begriff, der benutzt wird, wenn jemand, warum auch immer, festlegen darf, was eine Ressource ist und zu welchem Ziel diese einzusetzen ist. Ein Beispiel: Wer über seine Zeit bestimmen darf und auch darüber, was er damit anfängt, hat Macht, denn er legt fest, dass die Zeit teilbar und verfügbar, also eine Ressource ist und zielgerichtet eingesetzt werden kann.

   Die Macht der Ärztekammer besteht darin, dass sie entweder alleine oder aber über ein Veto-Recht festlegt, wer wann wie Arzt wird, wie viele es wo und in welcher Organisationsform geben darf und was sie tun dürfen, aber sonst niemand anderer. Einige ebenfalls mächtige Partner im Gesundheitssystem, die sich aber gerne um anderes kümmern, sind in Teilen ihrer Existenz von ihr abhängig – es geht um Arbeiter- und Wirtschaftskammern samt ihren Krankenkassen.

   Würde die Ärztekammer nicht mit ihnen zusammenarbeiten, also ein vertragsloser Zustand entstehen, wären sie alle zusammen in der Gesundheitspolitik existenziell gefährdet. Andere Machthaber, die Länder, würden das Vakuum füllen. Das ist der Stellungskrieg, der seit Jahrzehnten jegliche sinnvolle Entwicklung im Keim erstickt.

   Dass es so weit gekommen ist, ist dem angeborenen Trieb des Individuums, ein Monopolist zu werden, geschuldet. Dieser Trieb, gerne auch als Gier tituliert, wenn es andere betrifft, sollte durch zivilisierte Instrumente gezähmt werden, in unserem Fall durch demokratische. Doch die Machtgier steht dem entgegen und versucht sich dieser Zähmung zu entziehen. Etwas, das in der Ärztekammer grandios geglückt zu sein scheint. Eine Meinungsbildung des Wahlvolks, die bindend wäre, kann hier nicht mehr stattfinden.

   Schon Sunzi, und 2.000 Jahre später Niccolò Machiavelli, war klar: „Spalte und herrsche.“ Die Kammerwahl tut dies. Sie findet üblicherweise in vier Sektionen statt: Bei den angestellten wird in Turnusärzte und Berufsberechtigte, bei den niedergelassenen in Allgemeinmediziner und Fachärzte gespaltet. Das Ärztevolk, es geht ja um irgendwas Demokratisches, zerfällt also in Subvölker, die ihrerseits nun in parteiische Subgruppen zerfallen – und das in jedem Bundesland. Über teils absurde Koalitionen mit Kleinstgruppen (in Wien reichen 65 Stimmen für ein Mandat im Ärzteparlament) wird dann je ein Landespräsident ernannt. Und zum Schluss wählen diese neun aus ihren Reihen den Oberpräsidenten – der vereinigt dann vielleicht 1.000 Stimmen aus vier Ärztevölkern auf sich, wird aber mit dem Recht ausgestattet, über ein anderes, sehr großes Volk – nämlich das der Pflichtversicherten – Macht auszuüben.

   Bei einer derartig auseinanderdividierten Wählerschaft ist klar, dass Herrscher lange herrschen. Das wissen die auch. Daher haben die Altparteien über die Vergabe von Posten und Funktionen, ähnlich dem Verteilen von Titeln und Pfründen, eine stabile Situation für sich und die Ihren geschaffen, deren alleiniges Ziel nicht das Wohl aller Ärzte und schon gar nicht der Pflichtversicherten ist, sondern schlicht der Machterhalt. Und praktisch niemand kann das ohne Revolution ändern.

„Wiener Zeitung“ vom 24.03.2022 

Das Mega-Projekt „einheitlicher Leistungskatalog“

   Manches dauert in Österreich, bis es kommt. Aber es kommt. Vielleicht. Oder eher nicht.

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   In all dem Trubel um Korruption und den assoziierten Ablenkungsmanövern ist sie beliebt: die Pressekonferenz, in der etwas angekündigt, ja eine ausgedruckte Variante des Angekündigten sogar in die Höhe gehalten wird, von dem dann aber niemand Genaueres weiß. Und das macht auch die Ärztekammer, die quasi aus dem Nichts heraus die Beendigung eines „Mega-Projektes“ verkündet . Auf 150 Seiten soll die jahrelange Arbeit von 200 Experten zusammengefasst worden sein. Der Inhalt: der seit langem in der Diskussion stehende „einheitliche Leistungskatalog“ – allerdings nur für Kassenärzte.

   Um das einzuordnen, muss man gesundheitspolitischer Archäologe sein.

   Es liegt jetzt ein Vierteljahrhundert zurück, dass wir der EU beigetreten sind. Damals musste, zwecks Verschleierung der Spitalsfinanzen, die Finanzierung völlig reformiert werden. Im Rahmen dieser Reform, der Einführung der „Leistungsorientierten Krankenanstalten-Finanzierung“ (LKF), wurde auch die Ambulanzfinanzierung reformiert. Ohne auf Details einzugehen, war schon damals klar, dass man, will man kein (noch größeres) Problem mit der ambulanten Versorgung erzeugen, alle (!) Leistungserbringer gemeinsam betrachten und steuern muss. Wenn nicht, wird dieser Bereich (noch stärker) in Subsysteme zerfallen, die sich gegenseitig abschotten. Deshalb wurde bereits 1996 festgelegt: „Im ambulanten Bereich ist spätestens ab 1. Juli 2001 in Modellversuchen eine geeignete Diagnosen- und Leistungsdokumentation zu erproben. (…) für die Leistungsdokumentation ist ein praxisorientierter, leicht administrierbarer Leistungskatalog anzuwenden.“

   Passiert ist das aber alles nicht – bis heute. Spannend ist, dass es so um 2003 ein Projekt auf Bundesebene gab, das diesen Katalog endlich entwerfen sollte, weil Ärztekammern und Spitalsträger nicht in die Gänge kamen. Das wurde natürlich boykottiert. Und um das eigene Subsystem zu erhalten – also die hoheitliche Verhandlung über Leistungen und Honorare –, hat das höchste Gremium der Ärztekammer, der Ärztekammertag, im Jahr 2005 (oder war es 2004?) beschlossen, die Entwicklung dieses Kataloges an sich zu ziehen. Auf diese 16 oder 17 Jahre muss sich also die Aussage des jahrelangen „Mega-Projekts“ beziehen. Man stelle sich vor, was für Leistungen das sein müssen, für die man eineinhalb Jahrzehnte braucht, um sie zu definieren. Gewaltige – und sicher topmodern. Immerhin ist der medizinische Fortschritt ja nur gering (Achtung, Sarkasmus!).   

Realiter ist es ohnehin anders. Denn der 150 Seiten dicke Katalog ist, wie man hört, eine Überschriftensammlung auf Basis der Honorarordnung der Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau. Dieser BVA-Katalog war immer schon der ausführlichste und der mit den höchsten Honoraren. Praktikabel ist er genauso wenig wie alle anderen. Er ist der Wunschtraum der Ärztekammerfunktionäre, die sich nächstes Jahr Wahlen stellen und so in Position bringen. Denn wie nicht anders zu erwarten, haben bereits alle Landesärztekammern in der ÖGK gemeldet, dass sie eigenständig verhandeln wollen. Der „einheitliche Katalog“ ist also so weit weg wie eh und je – und wird niemals kommen.

„Wiener Zeitung“ vom 27.05.2021 

Die Verlogenheit der Sonderklassemedizin

      Die Ärztekammer meint, wenn es keine Zwei-Klassen-Ambulanzen gibt, wird es eine Zwei-Klassen-Medizin geben – und die Länder stimmen zu.

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   Die Sonderklasse (SKL) ist merkwürdige. Abteilungen, die hinsichtlich Verpflegung und Unterbringung höheren Ansprüchen entsprechen, dürfen SKL-Gebühren einheben; und das nicht direkt, sondern über einen honorarberechtigten Arzt, in der Regel Primararzt, mit dem SKL-Versicherungen einen Vertrag haben. Was dieser SKL strikt verboten ist, ist eine bessere Behandlung respektive Versorgung (zum Beispiel kürzere Wartezeiten).

   Dass das verboten ist, ergibt sich aus dem politischen Versprechen, dass alle alles bekommen, auf allerhöchstem Niveau, überall und immer. Daher kann es keine „bessere Behandlung oder Versorgung“ geben, nur eine bessere „Hotelkomponente“.

   Das ist allerdings ein Versprechen, das jene 1,8 Millionen Österreicher, die eine SKL-Versicherung haben, nicht glauben. Fragt man diese, sind es gerade einmal 18 Prozent, die die Hotelkomponente als Kaufgrund anführen. Der Rest will Privilegien erkaufen, bessere Behandlung und Versorgung, bevorzugte und bessere Betreuung. Lauter Dinge, die rechtlich nicht angeboten werden können, aber trotzdem gekauft werden? Wenn jetzt über SKL-Ambulanzen geredet wird, in denen Snacks oder Ledersessel angeboten werden, dann ist das eben dem Recht geschuldet. Für Patienten ist das kein Kaufgrund.

   Doch warum ist das ein Problem?

   Es ist geplant, ambulante Versorgung zu stärken, was dazu führt, dass es zur Verlagerung von stationären Patienten in die Ambulanzen kommt – eigentlich sehr vernünftig. Aber, sollte es keine Zwei-Klassen-Ambulanzen geben, würden Spitäler um vielleicht zehn Millionen Euro weniger SKL-Einnahmen haben als heute. Verglichen mit den etwa 16.000 Millionen Euro, die die Spitäler kosten, ein verkraftbarer Verlust. Doch das ist eben nur die halbe Wahrheit. Denn diesen zehn Millionen Euro, die die Spitäler verlieren, stehen 80 Millionen Euro Einkommensverluste der Ärzte gegenüber – und dort, wo besonders viel verlagert werden soll, etwa Onkologie, Dermatologie oder auch Augen, müssten wohl einige Primarärzte Verluste von 20 Prozent oder mehr hinnehmen. Das sind schnell mehrere Tausend pro Monat – Auftritt Ärztekammer.

   Diese Ärzte würden dann völlig zu Recht eine entsprechende Gehaltsforderung an ihre Arbeitgeber stellen. Da aber Gehaltsverhandlungen wegen der Kollektivverträge so starr sind, dass es kaum möglich wäre, den Einkommensverlust individuell auszugleichen, droht eine allgemeine Gehaltserhöhung vor allem der höheren Ärzte, was politische unangenehm ist – Auftritt Länder.

   Ehrlich lösbar wäre das nur, wenn die Politik die Diskrepanz zwischen dem, was Menschen kaufen (bessere Behandlung), und dem, was Politik „erlaubt“ („Hotelkomponente“), zu kaufen, geschlossen würde.

So etwas geht aber nur mit harten Schnitten – etwa der endgültigen Beendigung der SKL in öffentlichen Spitälern. Solange öffentliche Spitäler jedoch auf die Quersubventionierung der Arztgehälter durch SKL-Versicherung setzen, wird das nicht passieren. Und deswegen wird die Verlogenheit rund um die SKL auf Ambulanzen ausgedehnt – mit dem festen Versprechen, dass es dort wie überall keine Besserstellung geben wird. Denn alle bekommen alles auf allerhöchstem Niveau, überall und immer.

„Wiener Zeitung“ vom 27.12.2018

Totgeburt des PHC-Gesetzes? Ein Erfolg für wen?

(Lesezeit 14 Minuten) Einigermassen verwirrend sind die Aussagen der Ärztekammer, bzw. dessen Kurienobmann Dr. Steinhart, zum nun in Begutachtung gegangenen Primärversorgungsgesetz (PVG) . Angeblich wurde es wesentlich verbessert und ein Verhandlungserfolg erzielt, weil „Patienten nicht plötzlich ihren Vertrauensarzt verlieren und Ärzten die Standort- und Planungssicherheit erhalten bleibt.

Ganz so aber kann das nicht sein, denn die als Erfolg verkauften Tatsachen, wie der Erhalt des Gesamtvertrags oder die Bevorzugung von Kassenärzten vor Ambulatorien waren bereits im ursprünglichen Entwurf.

Warum also eine Verbesserung?

Wirklich geändert haben sich drei Dinge – und die sind in Kombination meines Erachtens als Misserfolg zu werten, wenn es darum geht eine Stärkung der Hausärzte erreichen zu wollen. Wenn es darum geht, aus dem Entwurf eine Totgeburt zu machen, dann allerdings war es ein Erfolg.

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