Totgeburt des PHC-Gesetzes? Ein Erfolg für wen?

(Lesezeit 14 Minuten) Einigermassen verwirrend sind die Aussagen der Ärztekammer, bzw. dessen Kurienobmann Dr. Steinhart, zum nun in Begutachtung gegangenen Primärversorgungsgesetz (PVG) . Angeblich wurde es wesentlich verbessert und ein Verhandlungserfolg erzielt, weil „Patienten nicht plötzlich ihren Vertrauensarzt verlieren und Ärzten die Standort- und Planungssicherheit erhalten bleibt.

Ganz so aber kann das nicht sein, denn die als Erfolg verkauften Tatsachen, wie der Erhalt des Gesamtvertrags oder die Bevorzugung von Kassenärzten vor Ambulatorien waren bereits im ursprünglichen Entwurf.

Warum also eine Verbesserung?

Wirklich geändert haben sich drei Dinge – und die sind in Kombination meines Erachtens als Misserfolg zu werten, wenn es darum geht eine Stärkung der Hausärzte erreichen zu wollen. Wenn es darum geht, aus dem Entwurf eine Totgeburt zu machen, dann allerdings war es ein Erfolg.

  • Investoren

Anders als im alten Entwurf, als noch Minderheitenbeteiligungen von Investoren möglich waren, gibt es jetzt eine explizite Aufzählung jener „Investoren“, die Geld in die Errichtung von Ambulatorien stecken dürfen: gemeinnützige Anbieter gesundheitlicher oder sozialer Dienste, Krankenversicherungsträger oder Gebietskörperschaften.

 

 

Also im Grunde etwa die Vinzenzgruppe, mit ihren Gesundheitsparkplänen, oder die Uni-Klinik Innsbruck mit ihrer Triage-Ambulanz, die sie als Primärversorgungs-Ambulanz  verkauft, oder auch die Akutordination der BBR in Eisenstadt, die natürlich auch nichts mit PHC zu tun hat, oder eben die Gesundheitszentren in der Steiermark. Unabhängig, wem das Spital gehört, es ist abzusehen, dass es an vielen Standorten PVE-Ambulatorien (oft auch in Kombination mit den ebenfalls geplanten Facharzt-Zentren, von denen praktisch keiner spricht) geben wird: mindestens 75 werden es 2021 sein, und bis 2030 viel viel mehr. Und wo es kein Spital gibt, werden Kassenambulatorien entstehen.

Selbständige Ärzte dürfen natürlich auch PVE-Ambulatorium errichten. Aber, sie sind dann auf Fremdkapital (Schulden) angewiesen und haben so einen erheblichen Wettbewerbsnachteil. Das wird dazu führen, dass es PVE-Ambulatorien im Eigentum von Ärzten praktisch nicht geben wird.

Damit können durch Kassenärzte nur mehr kleine PVE-Zentren (mit 2 bis 3 Hausärzten in einer Gruppenpraxis) oder Netzwerke entstehen.

Das alleine mag jetzt von den besonders antikapitalistisch eingestellten als Vorteil gewertet werden, hat man so ja „profitorientierte Großkonzerne“ abgewehrt (einmal abgesehen, dass diese Gefahr des Ausverkaufes an Großkonzerne real nie bestand, sind Banken, die jetzt zur Finanzierung herangezogen werden müssten ja bekanntlich gemeinnützige Kleinbetriebe). Allerdings, und das ist der Hemmschuh, ist im neuen Entwurf die Möglichkeit der Anstellung von Ärzten durch Ärzte gestrichen worden. Und das ist die zweite wesentliche Änderung

 

  • Anstellung von Ärzten in einer PVE-Gruppenpraxis

Die Möglichkeit, dass Ärzte Ärzte anstellen können, würde eine Verfassungsbestimmung und damit eine 2/3-Mehrheit im Parlament erfordern. Hintergrund ist, dass die Anstellung von Ärzten nur Krankenanstalten erlaubt ist, die aber nach Art.12 der B-VG nicht Bundes-, sondern Landessache wären. Um nun die Möglichkeit zu eröffnen, dass Gruppenpraxen Ärzte anstellen, ohne eine Krankenanstalt gründen zu müssen (und so Kassenärzte bleiben können), muss es eine Verfassungsbestimmung geben, die besagt, dass eine solche Gruppenpraxis, auch wenn dort Ärzte angestellt sind, keine Krankenanstalt ist – Es wäre also eine Ausnahmebestimmung zum Art.12 B-VG, der damit PVE-Gruppenpraxen dem Art.10 B-VG unterwürfe. Dass soetwas nur per Verfassungsbestimmung zu beschließen ist, zeigt schön auf, wie surreal das ganze System funktioniert.

Ursprünglich wurde diese Verfassungsbestimmung vorgesehen. Jetzt ist sie, aus nicht näher bekannt Gründen, weg. Ich nahm an, dass es der Regierung nicht gelungen ist, bis zur Begutachtung eine Oppositionspartei für die 2/3-Mehrheit zu gewinnen. Darauf schloss ich auch, weil im Begleitschreiben zur Begutachtung extra darauf hingewiesen wird, dass das Ministerium (SPÖ) diese Verfassungsbestimmung eigentlich will.

 

 

 

Allerdings hat sich dann herausgestellt, dass es nicht an der Opposition scheiterte (die Grünen habe diesbezüglich Zustimmung signalisiert), sondern koalitionsintern keine Einigkeit bestand. Gerüchteweise gab es Widerstand des ÖVP-Gesundheitssprechers, der als verlängerter Arm der Ärztekammerhier blockierte  – sehr merkwürdig, war doch die Kammer immer FÜR diese Möglichkeit. Allerdings liegt der Teufel im Detail. Die Ärztekammer möchte diese Möglichkeit generell für alle (inkl.Fachärzte) haben, nicht nur für PVE-Gruppenpraxen. Eine Bevorzugung von PVEs mag sie nicht.

Da hilft es auch nicht, dass der Gesetzgeber ganz bewusst PVEs bevorzugen will, und deswegen sogar einen eigenen Paragraphen im PVG (§3 – s.u) vorsieht, der das öffentliche Interesse an solchen Einrichtungen betont. Diese Betonung ist deswegen wichtig, weil eben klar ist, dass sich das neue Gesetz (verfassungs)rechtlich auf sehr dünnem Eis bewegt. Etwaige Klagen gegen PVEs, die, wie wir unten sehen werden, sehr wahrscheinlich sind, könnten so bereits im Vorfeld abgewendet werden – denn, was im öffentlichen Interesse steht, kann von Einzelpersonen kaum geklagt werden, auch wenn es eben eine Bevorzugung und damit Ungleichbehandlung gibt.

Zurück zur Anstellung von Ärzten in Gruppenpraxen: Gelingt es nicht, diese Verfassungsbestimmung wieder einzubringen, bleiben PVEs auf die heutigen Vertretungsregeln angewiesen. Diese Regeln, die nur sehr schwach rechtlich normiert sind, legen fest, unter welchen Bedingungen Kassenärzte im Verhinderungsfall für einen Vertretungsarzt sorgen müssen.

Diese Regeln, und das bestätigen die Betreiber der bereits bestehenden Gruppenpraxen (Maria Hilf und Enns) sind alles andere als geeignet, um ein PVE-Zentrum zu führen. Will man die Öffnungszeiten halten und gleichzeitig die Kontinuität (Primary Healt Care PHC  lebt ja maßgeblich von der Kontinuität der Betreuung) sicherstellen, müsste es so etwas wie Dauervertretungsärzte geben, die zu bestimmten Zeiten regelmäßig anwesend sind. Die Sozialversicherungen würden solche Dauervertretungen aber nicht dulden. Die werden solche Konstruktionen, die vielleicht jetzt in der Pilotphase noch toleriert werden, aufgreifen, und Dauervertretungsärzte als Angestellte betrachten – egal ob es Ärzten erlaubt ist, Ärzte anzustellen oder nicht. Wenn aber die SV feststellt, dass ein Vertretungsarzt unerlaubt scheinselbständig arbeitet, werden (1) die PVE-Betreiber SV-Arbeitgeberbeiträge nachzahlen und (2), weil es ja verboten ist Ärzte anzustellen, diese Ärzte sofort „entlassen“ müssen.

Ob es für junge Ärzte attraktiv ist, in einer deratig prekären Situation zu arbeiten, ist klar mit Nein zu beantworten. Umso mehr, als es deren Wunsch ja oft wäre, angestellt zu sein – was aber eben nicht erlaubt wäre.

Und wie schaut es für PVE-Ärzte selbst aus? Wie attraktiv ist es für die, unter diesen Bedingungen ein PVE-Zentrum zu gründen? Gar nicht.

In der Folge werden die eingesessenen Ärzte eben so weiter machen wie bisher, und die Kassen-Ordinationen werden immer seltener Nachfolger finden. Denn statt einer Entwicklungsperspektive bleibt im Grunde alles gleich und damit hochgradig unattraktiv  –  obwohl doch die Ärztekammer seit 60 Jahren die Verträge für die Ärzte aushandelt (es ist für mich völlig unverständlich, warum Kassen-Hausärzte der Meinung sind, die Kammer würde gut für sie verhandeln – alleine wenn ich mir die Tarife anschaue, kann das doch nur mit Realitätsverweigerung erklärt werden)

Ach, eine Änderung des ASVG, die vorsieht, dass Dauervertretungsärzte auch dann selbständig bleiben, wenn sie alle Bedingungen eines angestellten Arztes aufweisen, wie das bei den Notärzten gemacht wurde, ist mMn auszuschließen – es sei denn, diese Vertretungsärzte habe allesamt eine zusätzliche Anstellung oder ein zusätzliches Einkommen, das deutlich höher liegt, als das, das sie während der Vertretung verdienen. Ob es solche Ärzte gibt? Und wenn, wo?

Damit werden auch kleine PVE-Zentren nicht mehr realisierbar sein. Bleiben PVE-Netzwerke von einzelnen Hausärzten!

Doch, auch den möglichen Netzwerkern wird ein Hemmschuh angezogen.

 

  • Abgeltung der nichtärztlichen Leistungen durch die Grundpauschale

Diese Änderung muss man praktisch mit der Lupe suchen – weswegen wohl viele sie gar nicht bemerken. Und die, die das ausverhandelt haben, werden es mit hübschen Worten wie „technische Änderung“ versehen haben. Die Folgen sind aber einschneidend.

In beiden Entwürfen findet sich die vernünftige Idee, über eine Patientenkontakt-unabhängige Grundpauschale jene Vorhalteleistungen zu finanzieren, die eben nötig sind, eine Versorgungseinrichtung dort zu betreiben wo sie sinnvoll ist (also möglichst dezentral), auch wenn sie sich wirtschaftlich unter den heutigen Bedingungen kaum trägt  – festgehalten im §3 des PVG

 

 

Anders als im ursprünglichen Entwurf, werden nun aber die Leistungen der nichtärztlichen Berufsgruppen (von der Ordinationsassistenz über die Pflegekräfte hin zu den Therapeuten) nicht mehr durch diese Grundpauschale abgegolten, sondern wieder Frequenz- und Leistungsabhängig finanziert (die entsprechenden Änderungen sind in den ASVG-Änderungen zu suchen).

 

 

Statt eben als Vorhalteleistung zu bestehen, muss sich dieses Personal nun über Frequenzen und Leistungen, die im Gesamtvertrag zwischen den Ärztekammern und Kassen ausverhandelt werden, finanzieren. Das führt zu einer dramatischen Wendung.

Denn, den Ländern und Gemeinden, die ja besonders an der Errichtung solcher PVEs interessiert sind, nimmt man die Möglichkeit, das nichtärztliche Personal als Vorhalteleistungen (entsprechend dem Versorgungskonzept, das jede einzelne PVE individuell vorzulegen hat) zu finanzieren, und gleichzeitig auch die Möglichkeit mitzureden, da sie ja an den Gesamtvertragsverhandlungen nicht teilnehmen.

Aber genau in dieser Vorhaltefinanzierung lag ja das Besondere im ursprünglichen Entwurf, das eben auch in besonderem öffentlichem Interesse lag. Eröffnete es doch so Wege, Sozialleistungen, die zwar inhaltlich dem Gesundheits-, aber eben rechtlich dem Sozialsystem zuzuordnen gewesen wäre (wieder so eine surreale Rechtslage), als Sachleistung in der Primärversorgungsebene anzubieten.

Wie man hört, steckt auch hinter dieser Streichung die Ärztekammer. Als Argument wird vorgebracht, dass diese Leistungen eben im Gesamtvertrag zwischen Kassen und Ärztekammern zu verhandeln wären – Über eine Brücke wollen die Ärztekammern also quasi Landes- und auch Gemeindegelder (also Gelder des Sozialsystems) zu den Kassen (also ins Gesundheitssystem) geschoben haben, und die Entscheidungsgewalt über diese Gelder an sich ziehen.

Doch ernsthaft. Warum soll sich ein Land darauf einlassen, dass es mehr oder weniger ohne Einfluss auf die Entwicklung der PVEs den Kassen Geld zur Verfügung stellt, damit diese dann im Rahmen der Honorarverhandlungen, bei denen Länder und Gemeinden ausgeschlossen sind, verteilt? Es ist mMn schwer vorstellbar, dass sie hier für die PVE-Netzwerke eine Art Bankomat einrichten, von dem dann Kassen und Kammern Steuergeld abheben, soviel sie wollen. Wäre ich ein Land oder eine Gemeinde, ich würde dann lieber ein PVE-Ambulatorium errichten – mit angestellten Ärzten.

 

Betrachten wir die nichtärztlichen Leistungen im Einzelnen

Nicht-ärztliche Leistungen aus dem Sozialsystem –  Pflege

Von dem eigentlich beschlossenen Kernteam (Arzt, Pflege, Ordinationsassistenz) ist ohnehin nur mehr die Pflege übrig geblieben. Die ist allerdings verpflichtend vorgesehen.

Pflegleistungen gelten grundsätzlich als Leistungen des Sozialsystems. Anders als im Gesundheitssystem, besteht im Sozialsystem KEIN Sachleistungsprinzip. Wird Pflege in einer PVE als (mobile und ambulante) Sachleistung angeboten und über Geld für Leistung (Fee-for-Service), verrechnet über den PVE-Arzt, finanziert, stehen diese in direkter Konkurrenz zu den Pflegeanbietern, deren Leistungen jedoch vom Patienten selbst zu finanzieren sind (Pflegegeld ist NICHT zweckgewidmet). Wo werden sich Patienten hinwenden? Und was passiert mit den aktuellen Pflegedienstanbietern, von der Caritas bis zu den Wiener Sozialdiensten? Gehen die dann in PVE-Netzwerken auf? Oder werden diese Anbieter wegen unerlaubten Subventionen den EuGH anrufen?

Zudem stellt sich die Frage, welchem Arzt im PVE-Netzwerk die (angestellten?) Pflegekräfte jetzt zustehen? Zahlen müssen dann ja alle quasi gemeinsam, aber wie verfügt man über die Arbeitszeit gemeinsam? Werden jene Ärzte, deren Einzugsgebiet längere Wege beinhaltet und damit in der gleichen Zeit eben weniger Leistungen verrechnen können von den Kollegen „querfinanziert“? Oder aber, wird die Pflege gar nicht mehr angestellt, sondern als „Selbständige Kraft“ eingesetzt, die als Sub-Unternehmer einem PVE-Arzt „zuarbeitet“? Wird die SV solche Sub-Unternehmer nicht als Scheinselbständigkeit qualifizieren? Und wenn die Pflege tatsächlich selbständig arbeitet, wäre es in dem Fall nicht klüger, die Verrechnung erfolgte direkt über Gemeinde, bzw. Land, statt über einen PVE-Arzt und den damit verbundenen Gesamtvertrag? Nur, wäre da nicht wieder das Problem, dass es sich um Leistungen des Sozial- und nicht des Gesundheitssystems handelt, die dann gar nicht als Sachleistung angeboten werden dürften? Hier herrscht plötzlich eklatante Rechtsunsicherheit. Und überhaupt, wer wird sich denn finden? Woher kommt das Personal, das hier dem Gesetzgeber vorschwebt? Werden sie den mobilen Diensten entzogen? Oder den Pflegeheimen?

Realiter sind da dermaßen viele Fragezeichen, dass es nur schwer vorstellbar ist, dass das Pflege-Angebot der PVE-Netzwerke (eigentlich aller PVEs, sofern sie kein Ambulatorium sind) breit sein wird, wenn es denn überhaupt stattfindet. So ein bisschen, muss es ja! Also werden eventuell jene wenigen Teile herauskristallisiert, die eindeutig dem Wirkungsbereich der Krankenkassen zugeordnet werden können. Aber so wie es richtig wäre, wird es wohl nicht angeboten werden. Es wird keine ambulanten und mobilen Pflegeleistungen geben, die strukturiert und als Sachleistung in der Primärversorgung integriert sind.

Für die Sozialarbeiter gilt im Übrigen das gleiche. Auch deren Leistungen sind nicht Teil des Gesundheits- sondern des Sozialsystems. Hier kommt aber noch erschwerend hinzu, dass es für Sozialarbeit praktisch keinen Markt gibt. Die, die Sozialarbeit brauchen, können es sich nicht leisten, und die, die sie sich leisten können, brauchen sie nicht. Die überaus charmante Idee, die Sozialarbeit endlich auch dort hinzubringen, wo sie hingehört, nämlich in die Primärversorgung, wird so kaum möglich sein. Vorgeschrieben ist die Sozialarbeit nicht, einen Sozialarbeiter anzustellen, ist aber ein hohes Risiko – welches PVE-Netzwerk wird das nehmen?

 

Andere Nicht-ärztliche Leistungen aus dem Gesundheitssystem – Therapeuten:

Doch nicht nur bei den Leistungen, die aus dem Sozialsystem integriert werden hätten sollen, spießt es sich, wenn es keine ausfinanzierte Vorhalteleistungen mehr geben soll. Auch bei den Therapeuten – von der Logopädie, über Physio- und Ergotherapie, bis zu den Heilmasseuren. Alle bleiben, wo sie sind.

Auch wenn es oft einen Anspruch auf Sachleistung gäbe, eine gesicherte Sachleistung ist nirgends in Österreich gegeben. Das ist auch einfach zu verstehen! Das, was wir gerade bei den Wahlärzten erleben, ist eine Entwicklung, die schon viele Jahre bei den Therapeuten passiert. Es finden sich einfach zu wenige, die bereit sind, in dem engen Korsett der Kassen, v.a. der Gebietskrankenkassen, als Unternehmer zu arbeiten. Es gibt völlig unzureichende (Gebiets-)Krankenkassenverträge zu oft peinlich niedrigen Tarifen, weswegen die meisten den Weg in die Wahltherapeutenordination suchen. Dort verlangen sie was sie wollen, für Leistungen die sie anbieten wollen – der Patient kann sich dann seinen Kostenzuschuss besorgen, womit die Selbstbehalte völlig unterschiedlich sind – die höchsten wie üblich bei den Gebietskrankenkassen.

Will man, dass die Therapeuten wieder stärker Teil der öffentlichen Sachleistungsversorgung werden – so verkündet es ja die Politik – wird es viel Phantasie brauchen, hier attraktive Angebote zu schaffen. Anstellungen sind meines Erachtens völlig illusorisch, bleibt also eine verbindliche Zusammenarbeit. Und da werden jetzt alle Patienten, die von einem PVE-Arzt überwiesen werden über Tarife, die die Ärztekammer mit den Kassen verhandelt hat (und damit das Honorarvolumen der Ärzte schmälert) ohne Selbstbehalt behandelt werden? Und die anderen zahlen weiter das, was der Therapeut verlangt?

Wenn ein PVE-Netzwerk (eigentlich aller PVEs, sofern sie kein Ambulatorium sind) wirklich strukturiert und für alle gleich zugänglich Therapeuten bereitstellen soll (also praktisch Therapeuten-Zeit „reserviert und zukauft“), dann wird das ein enormes wirtschaftliche Risiko für Netzwerk-Ärzte, womit es wenig Anreiz gibt, sich um einen PVE-Vertrag zu bemühen, vor allem, wenn man auch als „herkömmlicher“ Kassenhausarzt weitermachen kann.

 

Ordinationsassistenz:

Sind bei den „neuen“ Leistungen, die in den PVEs integriert werden sollten praktisch keine Optionen für PVE-Netzwerke, so wird der Einsatz einer neuen Berufsgruppe, die aus einer alten herausgewachsen ist, ebenfalls zum Problem.

Eine modern ausgebildete Ordinationsassistenz  ist deutlich besser ausgebildet und breiter einsetzbar, als ein Ordinationsgehilfe alter Schule. Und weil diese modern ausgebildeten Ordinationsassistenten für ein PVE so wichtig sind, waren sie ja auch Teil des beschlossenen Kernteams. Eine Ordinationsassistenz ist nicht mehr nur für Administrationstätigkeiten, wie Patientenkartei- oder Terminverwaltung zuständig, sie ist dafür ausgebildet, erster und vertrauensvoller Ansprechpartner in einer Ordination zu sein, EKGs anzufertigen, Blut abzunehmen, Schnelltests und Screeningeprogramme durchzuführen; und in einem PVE-Netzwerk wird sie zwischen den Patienten und allen Netzwerkpartnern, egal ob ärztlich oder nichtärztlich, sehr viel moderieren müssen – und daher ist sie in jeder PVE-Ordination nötig, egal wie groß oder klein diese ist.

Es ist schwer heraus zu finden, wie viele Hausärzte da draußen ordinieren und deren Ordinationsgehilfen als Ordiantionsassistenz einsetzen. Noch weniger ist klar, wie viele dieser „alten“ Ordinationshilfen überhaupt jene Kompetenzen besitzen, die eine Ordiantionsassistenz nach moderner Definition hat. Klar ist aber, eine gute Assistenz wird teurer, als ein „normaler“ Ordinationsgehilfe. Und da wir nun in dezentralen Netzwerken denken, ist es klar, dass hier jedenfalls pro Arzt eine Assistenz angesetzt werden muss. Wird die jedoch nicht mehr als Vorhalteleistung zur Verfügung stehen, sondern muss über Einzelleitungen des Arztes finanziert werden, dann wird das die wirtschaftliche Attraktivität erheblich einschränken, womit es wenig Anreiz gibt, sich um einen PVE-Vertrag zu bemühen, vor allem, wenn man auch als „herkömmlicher“ Kassenhausarzt weitermachen kann.

 

Politische Bewertung

Am Ende könnte das PVG zu einer Art Totgeburt werden, wie schon das Gruppenpraxisgesetz, von Ex-Minister Stöger 2010 angekündigt als „größte Strukturreform des Gesundheitswesens“.  Vielleicht ist ja genau das der Verhandlungserfolg, den Steinhart meint?

Klar, wenn das so durch geht, und wenn auch noch die anderen Forderungen von Steinhart erfüllt werden (Obergrenze für PVEs [Anm.: inkl. Ambulatorien] pro Versorgungsregion, um Erhalt der Hausärzte in Einzelordinationen sicher zu stellen; verbindliche Klarstellung, dass Ambulatorien der Krankenkassen keine besseren Tarife als Ärzten angeboten werden … ), dann hat er es nicht nur geschafft, dass Gemeinden, Länder, Kassen und alle Kassenhausärzte auf Gedeih und Verderb über den Gesamtvertrag den Ärztekammern ausgeliefert sind (nicht das das den Hausärzten genützt hätte – der Gesamtvertrag ist nur ein Machterhaltungsinstrument für jene, die an der Macht sind), er hat es sogar geschafft, dass sich für alle, die jetzt als Kassenärzte arbeiten, nichts ändern muss – nichts! Vor allem für Fachärzte, denn die wären es, die durch ein funktionierendes PHC am meisten zu verlieren hätten (PHC reduziert die Inanspruchnahme der fachärztlichen Versorgung deutlich – wie der Vergleich mit Dänemark zeigt), ist das eine echte Verbesserung!

Doch, werden das Kassen, Länder und auch Gemeinden auf Dauer zulassen? Wohl eher nicht, wie man schon jetzt klar erkennen kann. Der Widerstand gegen die zusätzlichen Forderungen der Kammer ist wohl nicht ohne Hintergedanke, und der Ruf nach PVEs wird überall sehr laut – hoffen doch viele Länder und Gemeinde der Unterversorgung mit Kassen-Hausärzten begegnen zu können (da sie nicht Teil der Gesamtvertragsverhandlungen sind, können sie aktuell und legal nur wenig dagegen tun) und Nachnutzungskonzepte für Kleinstspitäler entwerfen zu können – und sie werden es tun: als Ambulatorien mit angestellten Ärzten.

Mag sein, dass die Ärztekammer mit diesen Winkelzügen die Entwicklung für ein paar Jahre verzögert, aber dann wird die hausärztliche Versorgung in eine Richtung gehen, der sie sich wohl nicht bewußt ist – oder doch?

Im urbanen Bereich, in dem fast zwei Drittel der Bevölkerung leben, wird es Ambulatorien mit angestellten AM geben, die zu den Einzelordinationen eine erhebliche Konkurrenz darstellen werden. In Ballungszentren wird der Hausarzt in seiner jetzigen Form möglicherweise sogar verschwinden. Und in den ruralen Gegenden bleibt vorerst alles wie es ist – inkl. dem Problem, dass es immer weniger Ärzte geben wird, die dort einsteigen wollen – einfach, weil es keinerlei Perspektiven geben wird.

Am Ende steht keine Stärkung der Hausärzte oder gar der Primärversorgung, sondern der, meiner Meinung nach zum Scheitern verurteilte Versuch der Ärztekammer ihren Einfluss zu vergrößern – auf Kosten der Zukunft engagierter Hausärzte, der Jungärzte und der Patienten. Doch das ist egal – denn es geht nur um Posten und ums Geld – oder?