Konkretisierung der Gesundheitsreform – chronisch entzündliche Darmerkrankungen

Durch die Reform soll die Institutionenorientierung (Spitalsstandorte und Kassenplanstellen) zugunsten einer integrierten Versorgung überwunden werden: Patienten sollen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle– genannt: „Best Point of Service“- behandelt werden. Wo das ist, wird nicht dekretiert, sondern ist dezentral, auf Ebene der Versorgungsregionen des ÖSG – davon gibt es 32 – festzulegen.

Die ambulante Versorgung ist der stationären vorzuziehen– das bedeutet, dass die ambulante Versorgung durch Spitalsambulanzen und Kassen(fach)ärzte bedarfsorientiert auf-, aus- und umgebaut wird. Gruppenpraxen werden dabei eine wichtige Rolle spielen. So soll auf Sicht eine fachärztliche Versorgung gewährleistet werden, die nicht nur Ballungsräume bevorzugt. An den Abbau von Hausärzten denkt definitiv niemand –im Gegenteil.

Zentral werden Rahmenziele aufgestellt, anhand derer der Aufbau der integrierten Versorgung gemessen werden kann. Dezentral – also in den 32 Versorgungsregionen – sind diese unter Berücksichtigung der regionalen und spezifischen Besonderheiten zu konkretisieren. Es sind keine „zentralistischen“ Diktate, angedacht, sondern praxis- bzw. wirkungsorientierte Rahmenvorgaben.

Die Reform klingt abstrakt! Stimmt – und wie könnte das konkret aussehen?

Betrachten wir Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED)

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Ich bin völlig verwirrt – die Kassensanierung

Man wird nicht recht schlau: Sind die Kassen nun saniert? ist die Gesundheitsreform eine Reform oder nicht? spart sie das System zu Tode, oder wird sie zu mehr Kosten führen?

Man sagt, zwischen 2010 und 2013 haben die Kassen um 2,671 Mrd. Euro weniger ausgegeben als sie selbst prognostiziert hätten; das sind gleich 946 Mio. Euro mehr an weniger, als mit der Regierung vereinbart. Zudem sind die Kassen jetzt fast Schuldenfrei.

Jedoch wird auch vermeldet, dass die Gebarungsergebnisse vieler Krankenkassen ohne außerordentliche Steuer-Geschenke weiterhin tief rot sind, also die ordentlichen Beitragseinnahmen bei weitem nicht die Ausgaben decken (Angaben in Mio.Euro: Wien -90,3 Kärnten: -35,9; Steiermark: -15,8; Burgenland: -10,0; Tirol: -3,5). Die Ärztekammer (Vizepräsident Dr. J. Steinhart) nennt, die Sanierung der Kassen sogar eine „angebliche“ und spricht, von einem „Propagandatrick“.

Allerdings erst seit kurzem. Denn die gleiche Kammer betonte zwei Jahre lang, dass es vor allem die Leistung der Kassenärzte gewesen sei (moderate Honorarforderungen und strengste Disziplin bei der Verschreibung der Medikamente), die diese Sanierung ermöglichte! Was war da jetzt die Leistung, wenn das alles doch nur Propaganda war? Und warum ist seit Montag doch wieder zu hören, dass die Sanierung geglückt und „genug gespart“ sei –  die Kassen daher gefälligst wieder mehr für Kassenärzte ausgeben sollen.

Und dann ist da der Rechnungshof, der heftige und von der Ärztekammer geteilte Kritik an der Gesundheitsreform übt.

Da wird einmal kritisiert, dass es zu keiner Kompetenzbereinigung kommt. Das stimmt, aber eine solche Kompetenzbereinigung – Stichwort: Finanzierung aus einer Hand – ist nur über eine Verfassungsreform möglich, und diese wiederum benötigt eine zwei Drittel-Mehrheit. Es ist schon sehr fraglich, ob wir mit einer Reform wirklich warten sollten, bis eine solche wieder einmal in Regierungshänden liegt. Und weil die Schöpfer der Reform eben nicht warten wollten, haben sie sich der alten Sozialpartnerregel „Vertrag vor Gesetz“ bedient. Es mag dem Rechnungshof und liberal denkenden Menschen nicht gefallen, dass Pflichtkammern über Verträge den Staat aushebeln können, aber dass gerade die Ärztekammer sich in ihrer Kritik bestärkt sieht, verwundert, ist ihr „Vertrag vor Gesetz“ doch besonders heilig- Stichwort: Kassenvertrag statt „Staatsmedizin

Doch auch ein anderer Punkt erstaunt.

Da meint der RH, die Reform ist in ihren Sparzielen alles andere als ambitioniert, weil das erlaubte Ausgabenwachstum pro Jahr höher liegt, als die Wachstumsraten der letzten Jahre, ja sogar über den Prognosen des Hauptverbandes; die Reform also eine Kostensteigerung und keine Kostendämpfung verspricht. Auch in diesem Punkt fühlt sich die Ärztekammer merkwürdigerweise bestätigt, obwohl sie seit Monaten herumläuft und, erklärt, die geplante Reform sei eine Kaputt-Spar-Reform, die sage und schreibe elf Mrd. Euro einsparen soll.

Sehr verwirrend das alles.

Ach, was würde ich darum geben, wenn sich die Ärztekammerfunktionäre auf den Hosenboden setzten und über konkrete Versorgungsziele und konkrete Versorgungsstandards konkreter Patientengruppen nachdächten (solche sollen nämlich am 30. Juni beschlossen werden), statt bei Zahlenspielchen mitzumachen, die ohnehin keinen konkreten Patienten interessieren.

 

 

In leicht abgewandelter Form erschienen in der Wiener Zeitung 18.04.2013

kurzsichtig und verantwortungslos

Dr. J. Steinhart, Oberarzt, Geschäftsführer und ärztlicher Direktor eines Wiener Spitals, Kassen(Fach)Arzt, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer Vizepräsident der Wiener  Ärztekammer und als Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der Österreichischen Ärztekammer  deutlich mächtiger als seine Präsidenten Artur Wechselberger (ÖÄK) und Thomas Szekeres (ÄK für Wien) hat eine Mission:

Er will klar machen, dass die „Krankenkasse kurzsichtig und verantwortungslos“ agiert, weil es in Wien zu wenige Kassenärzte gibt.

Und um das zu belegen, werden ein „Großstadtfaktor“ und ein „deutsches Versorgungskonzept“ herangezogen.

Behauptet wird, in Wien kommen auf einen Hausarzt 2170 Patienten, das deutsche Konzept sieht hingegen lediglich 1671 vor. Realiter geht es wohl um Einwohnerzahlen pro Arzt und nicht wie behauptet, um Patienten pro Arzt – naja, mit solchen Details beschäftigen sich nur Kleingeister. Aber es stimmt, die angestrebte Hausärztedichte, gemessen an Ärzten pro Einwohner ist in Deutschland höher –warum? Weil es dort Hausarztmodelle gibt. In solchen Modellen müssen sich Patienten bei einem Hausarzt einschreiben und sich verpflichten, diesen, vor einem Facharztbesuch aufzusuchen. Dadurch werden viele Patienten ganz ohne Facharztbesuch gesund.

Solche „Gatekeeping“-Modelle, die mehr Hausärzte erfordern, werden seitens der Ärztekammer kategorisch abgelehnt – denn die „freie (Fach)Arztwahl“ ist uns (ihnen) heilig.

(Steinhart vergleicht das ganze Procedere rund um die Gesundheitsreform gar mit einem „biblischen Desaster“ und listet sieben Totsünden der österreichischen Gesundheitspolitik auf, zwei davon beziehen sich auf die freie Arztwahl: 2) Zerstörung […] der freien Arztwahl – eine Zentralisierung à la Polykliniken in der DDR drohe; 3) das Niederkämpfen der freien Arztwahl – gemeint ist allerdings nur, dass der Gesamtvertrag hinkünftig auch mit den Ländern abgestimmt sein muss, daher die Macht der Kammer schwindet)

Doch zurück zum Thema: Weiters wird seitens der Kurie der niedergelassenen Ärzte behauptet, HNO-Ärzte betreuen in Wien um 73 Prozent, Kinderärzte um 60 Prozent und Augenärzte um 40 Prozent mehr Patienten als es laut dem deutschen Versorgungskonzept ideal ist.

Genauer wird nicht darauf eingegangen – verständlich. Denn vermutlich sind es wieder nicht Patienten, sondern Einwohner pro Arzt, um die es hier geht. Und was tunlichst verschwiegen wird ist, dass es in Deutschland so gut wie keine Spitalsambulanzen gibt. Es ist daher klar, dass es dort außerhalb der Spitäler mehr Fachärzte geben muss, während bei uns eben die freie Arztwahl den Patienten auch erlaubt direkt und ohne Zuweisung in eine Spitalsambulanz zu gehen. Und was es in Deutschland auch nicht gibt, sind Wahlärzte, die ja neben den Kassenärzten auch nicht untätig herumsitzen. Tja, aber mit den Wahlärzten  hat es die Kammer nicht so – aus ihrer Tätigkeit lässt sich keine politische Macht ableiten – daher uninteressant; das gilt im Übrigen auch für angestellte Ärzte.

Und der Großstadtfaktor? Nun, da ja mit Patienten argumentiert wird (Wartezeiten!), schauen wir uns an, wie viele Ärzte in Wien im Vergleich zu Österreich bereitstehen.

Zählt man alle ambulant tätigen Ärzte (lt. ÖSG Planungsmatix), also auch die in den Spitalsambulanzen, kommt in Wien auf 10.00 Einwohner ein Kinderarzt, Österreichweit gibt es einen auf 18.000; in der HNO ist das Verhältnis Facharzt / Patienten in Wien 1:16.000 – Österreichweit  1:27.000; Augen: Wien: 1:12.000 – Österreich 1:18.000. Also, der Großstadtfaktor muss gewaltig sein, wenn das nicht reicht!  Mal abgesehen, dass es diesen Faktor nur in Österreich als Planungsgröße gibt.

Dass Wien mehr Kassenstellen hat als andere Bundesländer hat übrigens gar nichts mit Versorgungsbedarf oder Patienten zu tun, sonder ist ausschließlich historisch begründet. Als die Ärztekammer 1948 mittels Besetzung des Hanuschkrankenhauses die Regierung gezwungen hat, Planstellen fix in das ASVG  und den Gesamtvertrag aufzunehmen, hatte Wien die höchste Ärztedichte (wie heute haben große Ballungsräume eine hohe Attraktivität für Ärzte). Damals wurden einfach alle praktizierenden Ärzte übernommen – that is it!.  Und als sehr viel später die anderen Bundesländer müde wurden, über einen Ausgleichstopf die Defizite der Wiener Gebietskrankenkasse mit zu tragen, wurde der Mythos des Großstadtfaktors geboren – und lebt bis heute!

 

Jedenfalls, an Ärzten mangelt es nicht, aber, es mangelt an verbindlichen Regeln, was ein Kassenarzt arbeiten muss.

Hat ein Arzt einen Kassenvertrag, kann er aus dem Kassen-Honorarkatalog anbieten was er will. Es besteht keine Möglichkeit verbindlich vorzuschreiben, was er zu tun hat. Die Folge ist, dass vermutlich viele (aber Gott sei dank bei weitem nicht alle!) einfach nur das tun, was Spaß macht und Geld bringt – und alles andere überlässt man dann gerne der Spitalsambulanz. Sollte ein Hautarzt keine Warze entfernen wollen, wird er den Patienten ins Spital überweisen, daran kann ihn niemand hindern – und so braucht man für eine Warze plötzlich zwei Ärzte!

Wenn die Kurie der niedergelassenen Ärzte nicht rasch erkennt, dass sie statt mehr Stellen zu fordern, den Kassen verbindliche (und auch gut dotierte) Versorgungskonzepte anbieten oder wenigstens abfordern muss, dann sehe ich schwarz für Kassenfachärzte – dann werden sie ähnlich wie in Holland bald angestellte der Spitäler sein! Und das war es dann auch mit der mächtigen Kurie!

Analyse: Das Ambulanz-Modell der Ärztekammer

(8 Min Lesezeit) Errichtet man 1.041 neue Kassenstellen, dann erspart man sich in der Versorgung 322.000.000 €. Das rechnet die Ärztekammer in einem Simulationsmodell vor.

Und wie schaut dieses Modell aus?

Das erste, das  auffällt ist, dass es sich um ein rein betriebswirtschaftliches Rechenmodell handelt, weit weg von gesundheitsökonomischen Ansätzen. Es finden sich keine Versorgungskonzepte für bestimmte Patientengruppen oder Angaben zum Patientennutzen – gar nichts. Mehr noch, das Wort Patienten kommt KEIN einziges Mal als Bezeichnung für einen kranken Menschen vor, sondern wird ausschließlich als Maßeinheit verwendet.

Diesem rein betriebswirtschaftlichen Ansatz entsprechend, wird daher auch nur in Kosten pro Leistungserbringer (Kassenarzt oder Spitalsambulanz) gerechnet, und nicht, wie eben in der Gesundheitsökonomie üblich, in Kosten pro Patientennutzen. Das ist schon verstörend, weil gerade die Ärztekammer die „Ökonomisierung“ des Gesundheitssystems beklagt, und selbst doch nur betriebswirtschaftlich zu denken scheint.

Aber vielleicht ist es wenigstens eine gute betriebswirtschaftliche Rechnung?

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