Kuckuck, KAKuG!

Dass die Ärztekammer immer gegen alles ist, ist nichts Besonderes, wenn aber die Länder ein Bundesgesetz begrüßen, ist Vorsicht geboten.

Das erneuerte Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG) schraubt unter dem Titel der Flexibilisierung an den Mindeststandards für Spitäler und erlaubt hinkünftig „Basis-Spitäler“, die nur mehr eine Bettenabteilung für innere Medizin (ohne weitere Spezialisierung) anbieten müssen; alles andere darf und soll ambulant (darunter ist auch die Tagesklinik zu verstehen) abgearbeitet werden.

Die Novelle bietet auf den ersten Blick tatsächlich jene Flexibilität, die nötig ist, eine vernünftig abgestufte Versorgung zu errichten. Wer genau schaut, wird aber sehen, dass dieses Basis-Spital so etwas ist, wie ein ambulantes Versorgungszentrum, mit der Möglichkeit, Patienten mit allgemeinen Problemen stationär aufzunehmen. Diese Patienten würden international nicht in einem Spital liegen, sondern entweder in den eigenen vier Wänden von einem gut ausgebildetem Hausarzt versorgt, oder vielleicht in einem Pflegeheim für Kurzzeitpflege betreut. Nur bei uns ist das Spital zuständig.

Aber was soll’s, im Sinne des Patienten – auch wenn es ein Etikettenschwindel ist, weil diese Basis-Spitäler definitiv nicht mehr Spitäler sind – könnte was Gutes rauskommen; könnte, wohlgemerkt.

Denken wir an die Geburtsstationen. Diese sind zwar längst nicht mehr vorgeschrieben, trotzdem hat noch fast jedes Spital seine eigene. Denn das echte Schließen von Abteilungen hat hierzulande noch nie wirklich geklappt, schon gar nicht bei der Chirurgie – Stichwort Bad Aussee.

Zudem haben die Länder das KAKuG nie ernst genommen. Denken wir an Waidhofen/ Ybbs. Das dortige 180 Betten-Spital mit einem Einzugsgebiet von 40.000 Einwohnern (selbst das neue Basisspital müsste mindestens 50.000 haben!) verfügt über eine Ausstattung wie ein kleines Uni-Spital. Da gibt es neben der Internen, der Gynäkologie und der Chirurgie, eine Unfallchirurgie, eine Urologie, eine Augenabteilung und – darauf ist man besonders stolz – sogar einen Herzkatheter. All das war und ist im KAKuG nicht vorgesehen.

Es besteht die Befürchtung, dass die Länder diese Flexibilisierung nicht dazu verwenden, eine vernünftige Spitalsplanung vorzunehmen und Spitäler „rückzubauen“, aber die Option erhalten, tief in die ambulante Versorgung einzugreifen. Schließlich kann in diesen Basisspitälern jedes Fach ambulant angeboten werden.

Um Auswüchse (sprich Neubauten) hintan zu halten, ist zwar vorgesehen, dass nur bestehende Spitäler umgewandelt werden dürfen, was aber nicht vorgesehen ist, ist ein Eingriff in die Bedarfsprüfungen. Wann und wo ein bettenführendes Spital errichtet wird, ist Sache der Länder, die zwar auch eine Bedarfsprüfung über sich ergehen lassen müssen, aber von Amtswegen der Bedarf ungeprüft zu bestätigen ist, wenn ein Antrag direkt vom Land kommt. Anders ausgedrückt: Länder können Basis-Spitäler errichten, wo und wann sie wollen.

Und da der Kampf ums Geld (wer wird die eine Hand, die finanzieren soll?) noch nicht abgeschlossen ist, lässt sich der Eindruck nicht verwehren, dass die Länder nach der gesamten kurativen Gesundheitsversorgung – ambulant und stationär – greifen. Was im Grunde ja nicht schlecht sein muss, wenn die Vergangenheit uns nicht lehrte, dass Länder einfach nicht fähig sind, ein vernünftiges und patientenorientiertes Gesundheitssystem aufzuziehen, stehen doch Einfluss- und Machtüberlegungen im Vordergrund.

Tja, und deswegen ist die Skepsis der Ärztekammer, wenn auch vermutlich aus anderen Gründen, zu teilen.

Dieser Artikel wurde im November 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitspolitischer Nonsens

Niemand, der politische Ansagen kritisch hinterfragt, niemand der Akteure zwingt, perverses Schönreden einzustellen und reale Reformen umzusetzen.

In den Pinzgauer Nachrichten wird ein wohl nicht ganz unpolitisch agierender Mitarbeiter des Mittersiller Spitals, das seit Jahren von Schließung bedroht ist, zitiert: „Das Krankenhaus ist gut unterwegs. Das belegt eindrucksvoll die Statistik der ersten acht Monate dieses Jahres. Die Belagstage konnten im Vergleich zum Vorjahr um über 15 Prozent gesteigert werden.“

Aha! Offenbar ist die Qualität der Versorgung dadurch belegbar, dass Spitäler ihre Auslastung steigern.

Komisch, irgendwie sehen andere hinter hohen Auslastungszahlen sinnlose Aufenthalte. Daher zählen sie „vermeidbare Spitalsaufenthalte“, mit dem Ziel Ansätze zu finden, diese zu senken – weil sie der Meinung sind, dass weniger mehr ist.

Aber die haben halt keine Ahnung, worum es geht und wir das weltbeste Spitalswesen.

In einem Interview mit „die Presse“ erklärt Ärztekammerpräsident Dorner: „Die Krankenversicherungsbeiträge sind in Österreich seit zehn Jahren nicht mehr erhöht worden. Ich fordere aber schon wegen der Inflation eine Anhebung um zwei bis drei Prozent.“

Aha! Offenbar entwertet die Inflation das Geld im System.

Komisch, aber andere sehen das wohl anders. Krankenversicherungsbeiträge sind als Prozentsatz fixiert, und daher würde diese Ansage bedeuten, dass diese nun statt wie aktuell ca. sieben, eben neun bis zehn Prozent des Bruttolohns betragen sollen; wie das mit der Inflation zusammenhängt, erschließt sich nicht. Und dass die Gesundheitsausgaben, die zu den höchsten der Welt zählen, schneller steigen als die reale, also inflationsbereinigte Wirtschaftsleistung, deutet auch auf etwas anderes hin, als dass die Inflation hier einen erodierenden Effekt hätte.

Aber die, die so denken, haben keine Ahnung, worum es geht. Deswegen werden die präsidialen Aussagen stehen bleiben und vermutlich auch Applaus erhalten – in den eigenen Reihen.

Minister Hundstorfer wiederum ließ über die APA wissen, „dass der Ist-Zustand im Pflegewesen in Österreich ein sehr guter“ sei. Österreich sei beim Pflegegeld „Weltmeister“, nirgendwo würden so viele Personen Pflegegeld beziehen wie hierzulande.“

Aha! Offenbar ist auch hier Quantität ein Beweis für Qualität – und je mehr Menschen pflegebedürftig sind – Pflegegeld kriegt nur wer pflegebedürftig ist, wenigstens theoretisch –, desto besser ist das Pflegewesen.

Komisch, irgendwie sehen das andere anders. Schließlich sind Pflegeprävention und geriatrische Rehabilitation international keine hohlen Phrasen und die dahinter stehenden Programme ausgedacht, um Menschen so selten und spät wie möglich pflegebedürftig werden zu lassen.

Aber die haben halt alle keine Ahnung, worum es geht, weil wir die Weltmeister sind.

Ach ja, Weltmeister: Wer erinnert sich nicht gerne an das (inkl. Homepage) medial verbreiterte Rauch-Kallat’sche Programm (erstellt 2006 vor der Wahl, eingestellt 2006, nach der Wahl), dass uns mit Gesundheitszielen* bis 2010 zu „Gesundheitsweltmeistern“ machen sollte?

An letzterem ist der tröstliche Gedanke aufzuhängen: es gibt nichts Vergänglicheres als politischen Ansagen – das gibt Hoffnung, und lässt es fallweise das erschütternd niedrige Niveau der Gesundheitspolitik ertragen und die Tatsache, dass niemand da ist, der diesen Narreteien ein Ende setzen kann. Mehr leider auch nicht.

 

*von 2006 bis 2010: Zahl der: Herz-Kreislauf-Toten unter 65 Jahren um bis zu 20%, Krebs-Toten um bis zu 7 % Diabetes-Schäden um ca. 1/3 senken; Eindämmung der Adipositas; Reduktion übertragbarer Krankheiten; Zahl der Unfälle um 25 % senken; Psychosoziales Wohlbefinden verbessern; Tabakkonsum deutlich senken; Alkoholkonsum deutlich senken

Dieser Artikel wurde im Oktober 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Der Worte sind genug gewechselt

Es ist mühsam, diese Spitalsreformdebatten mit all ihren unvernünftigen Reaktionen zu beobachten. Ein Befreiungsschlag ist nötig!

Herr M. fühlt sich schlapp. Er ist 69 und ängstlich, weil einige Bekannte schon tot sind. Also geht er zum Hausarzt. Ein eher seltener Besuch, denn meist glaubt er genau zu wissen, welchen Facharzt er aufsuchen muss. Und wenn er sich nicht sicher ist, dann ist seine erste Anlaufstelle die Spitalsambulanz. Aber bei allgemeinem Schlapp-Sein, da dürfte der Allgemeinmediziner zuständig sein.

Der Hausarzt kennt Herrn M. nicht wirklich gut, aber schnell steht fest, der Patient braucht eigentlich nichts, nur etwas Beruhigung. Geld für diese „Behandlung“ gibt es entweder nicht, oder so gering, dass ein „Verlustgeschäft“ droht – bei einem Patienten, der sonst nie kommt. Was tun? Nun, eine Überweisung in die Ambulanz mit unspezifischen Herzproblemen geht immer.

Der Patient, nun endgültig beunruhigt, geht ins Spital und wird dort sofort zur Abklärung stationär aufgenommen – weil die Ambulanz viel zu spezialisiert ist, um hinter „allgemeinem Schlapp-Sein“ etwas anderes als ein Körperproblem zu erwarten, um so mehr, als der Hausarzt ja Herzprobleme vermutet. Nach drei Tagen, ohne eindeutigen Befund, wird er entlassen, mit mehreren Medikamenten, die eher aus Verlegenheit, denn aus triftigen Gründen verordnet werden.

Für Herrn M. ist die Sache nicht vorbei. Er glaubt nun, dass er eine so merkwürdige Krankheit hat, dass ein Spitalsaufenthalt nötig war. Noch mehr verunsichert, wird er seine Facharztbesuche in der nächsten Zeit deutlich erhöhen und mit hoher Wahrscheinlichkeit bald wieder in einer Ambulanz und von dort im Spitalsbett landen.

Von außen betrachtet ist das Wahnsinn. Dem Patienten ist um viel Geld nicht geholfen, wenn nicht sogar geschadet, worden. Und warum? Weil, jeder weiß es, die Prozesse im Gesundheitssystem faul sind.

Um Prozesse zu ändern, kann man den langen Weg gehen, alle an einen Tisch bringen und mühsamst über neue oder verbesserte Wege nachdenken. Oder man streicht einfach Ressourcen – ein sehr kurativer Schock, der in den meisten Fällen wirkt. Hier aber wird das nicht passieren, weil es zwischen Kassen und Spitälern keine gemeinsamen Ressourcen gibt.

Wenn es darum geht, unnötige Spitalsaufenthalte zu reduzieren – und nur das kann das Ziel von Spitalsreformen sein –, wird man nicht umhinkommen, mehr zu besprechen, als nur „Bettenabbau“.

Im Grunde gibt es nur eine Chance: man muss verhindern, dass Patienten ins Spital (auch in die Ambulanz) kommen. Und der einzige Weg ist, Hausärzte aufzuwerten. Wenn diese weniger zu Fachärzten oder Ambulanzen überweisen, und Patienten dort seltener selbst hin gehen (müssen), weil sie sich vom Hausarzt gut versorgt fühlen, dann werden automatisch die Aufnahmen weniger.

Es ist viel zu spät, um sich in der jetzigen Situation tiefere Gedanken zu manchen, wie so etwas sinnvoll umgesetzt werden kann. Ich schlage daher vor, mit Ausnahme von Wien (eine Großstadt ist wirklich anders), allen Hausärzten 40 Prozent mehr Geld (das additiv nötig wird) auszubezahlen.

Das kostet erstaunlich wenig – etwa 160 Millionen Euro österreichweit. So könnten dann Spitalsreformen (mit einer Milliarde Einsparungspotential) realistischer werden und vielleicht löst sich auch der angekündigte Hausärztemangel.

Wem das zu undifferenziert ist, sei gesagt: Nachschärfen kann man nachher immer noch – alles im Vorfeld auszudiskutieren, das haben wir ohne jegliches Ergebnis die letzten 40 Jahre versucht! Damit muss Schluss sein.

Dieser Artikel wurde im Mai 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Eigenlob stinkt – auch in der Gesundheitspolitik

Ich weiß nicht, wie oft man das sagen muss, bis auch Politiker lernen, dass unser Gesundheitssystem schlecht ist. Die Bevölkerung, die weiß es nämlich schon!

„Wenn man in Österreich mit dem weltbesten Gesundheitssystem über eine Reform desselben spricht, ist das so, als würde das Ski-Nationalteam nach einer Reform rufen.“ Das meint ÖVP Gesundheitssprecher Dr. Erwin Rasinger und fügt sich in die Reihen der Gesundbeter und Realitätsverweigerer.

WZ-Leser wissen, dass solche Aussagen, im Gegensatz zu den nachprüfbaren Medaillen der Ski-Asse, alles andere als beweisbar sind. Daher sollte man sie als „populistische Leerstücke“ gleich vergessen. Aber tun wir so, als ob wir nachdenken wollten. Wie beweist man, ob ein System gut ist?

Das ist gut erforscht: Ein System ist bestens, wenn mit den eingesetzten Ressourcen das machbare Maximum an Gesundheit produziert wird. Das System muss dazu Ressourcen für Versorgung und Behandlung aufbringen und dem Bedarf entsprechend sinnvoll verteilen.

In Österreich haben wir sehr viele Ressourcen im Einsatz.

Mit etwa 470 praktizierenden Ärzten (ohne Zahnärzte) pro 100.000 Einwohner liegen wir unangefochten an erster Stelle – und trotzdem wird gerne über Mangel gejammert! Arbeit ist eben dehnbar wie Gummi.

Aber auch mit 110 Millionen Kassenarzt-Besuchen (also ohne Wahlärzte und Spitalsambulanzen) liegen wir vermutlich ganz vorne; hier ist aber das Zählen und Vergleichen nicht so leicht.

Das wir mit 30 Spitalsaufnahmen pro 100 Einwohner spitze sind, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Dass wir vermutlich auch die meisten medizinischen Großgeräte wie Magnetresonanz haben, wissen nicht mehr alle, aber auch viele. Und wenn wir gleich fünfmal mehr Spitäler als die Dänen haben, denken die meisten Nicht-Politiker darüber nach, ob’s nicht doch ein bisserl weniger sein dürfte.

All das hat seinen Preis, und so darf es nicht verwundern, dass wir sehr viel Geld ausgeben und hier in der absoluten Spitzengruppe mitmischen.

Also, an Ressourcen mangelt es sicher nicht. Und weil wir das weltbeste Gesundheitssystem haben, dürften wir, dank dessen weiser Ressourcenverteilung erwarten, auch mehr Gesundheit zu finden – oder?

Schauen wir einfach nach.

Unsere Senioren dürfen nicht mit allzu vielen gesunden Lebensjahren rechnen, wenigstens nicht mit so vielen, wie eben in jenen Ländern, die gleich viel ausgeben wie wir. Hier spielen wir nicht in der Oberliga, sondern mit den Nachzüglern – die aber gleich 30 Prozent weniger Ressourcen aufwenden, um das gleiche zu erreichen (ganz abgesehen von den ehemaligen Ost-Block-Ländern, die noch viel weniger ausgeben, um ähnliche Werte zu erzielen).

Dieser Umstand spiegelt sich dann auch in anderen Zahlen wider. Die Zahl der Invalidenpensionisten zählt hierzulande zu den höchsten. Pro 1000 Einwohner im Alter zwischen 55 und 59 Jahren werden 40 wegen Krankheit vorzeitig pensioniert. Überhaupt ist es so, dass die Zahl der Invaliditätspensionen ein Drittel aller neuen Pensionisten ausmacht – das sind in etwa 30.000 pro Jahr. Und logisch weitergedacht ist unsere Bevölkerung ein Pflegefall. Während international bei den über 80-Jährigen mit weniger als 25 Prozent Pflegebedürftigkeit gerechnet wird, sind es bei uns fast 60 Prozent.

Es fehlt der Platz um weiteres aufzuzählen (beispielsweise was die Kindergesundheit betrifft), aber im Gesundheitssystem ist es so wie im Bildungssystem: es ist sehr sehr teuer und wenig effektiv – von wegen weltbestes! Wenn das Politiker nicht endlich ernst nehmen, dann werden sie ausgetauscht werden müssen.

Dieser Artikel wurde im April 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Frohbotschaft der Gesundheitsstatistik

Erstmals seit zwei Jahrzehnten soll die Zahl der spitalsversorgten Patienten 2009 rückläufig gewesen sein.

Der Rückgang der Spitalspatienten ist zwar nur sehr sehr gering, man spricht von 0,2 Prozent oder etwa 5.000 Fällen, aber manche, sehr wenige, hoffen trotzdem, darin eine Trendwende erkennen zu können.

Nun, abgesehen, dass simples Zählen wenig sagt – ist die Zahl der Patienten gesamt, also unabhängig, ob bei niedergelassenen Ärzten oder im Spital versorgt, vielleicht rückläufig und so der Anteil der Spitalspatienten gleich geblieben? Sind die Zahlen mit den Vorjahren vergleichbar, haben doch immerhin sehr viele Spitäler „virtuell fusioniert“ um K.O.-Kriterien (Fallzahlen!) zu umgehen und damit die komplizierten und sehr fragilen Patientenzählmethoden irritiert? Gehen mehr Patienten in Privatspitäler, die bei dieser Rechnung nicht mitgerechnet werden? Wie viele Abteilungen und Spitäler wurden zur Konjunkturbelebung 2009 umgebaut und konnte daher nicht im Vollbetrieb arbeiten? Und so weiter … – gab es so etwas bereits 2005. Damals sank die Zahl sogar etwas mehr und es gab echten Anlass an eine Trendwende zu glauben; wurde doch der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG), der dem explosionsartigen Wachstum der Spitalspatienten seit Einführung des leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF)-Systems 1997 Einhalt gebieten sollte, beschlossen. Aber die damalige Beobachtung erwies sich als nicht nachhaltig. Im Gegenteil, 2006 sprangen die Zahlen mit einem Satz wieder nach oben.

Betrachtet man den Zeitverlauf seit 1996, sieht man auch 2000, zwar keinen echten Rückgang aber eine „Wachstumsdämpfung“; von der nicht wirklich bekannt ist, wieso sie stattfand. Und, warum die Zahl 2001 wieder raufschnellte, ist ebenfalls unerforscht.

Wenn jetzt die Zahl wieder einmal „sinkt“, dann ist das wohl ebenfalls nur eines jener unerklärlichen Phänomene, die mit Regional-, Landtags- oder sonstigen Wahlen oder Änderungen in der Finanzierung oder Vertragsabschlüssen zwischen Ärztekammern und Krankenkassen oder unterschiedlich ausgeprägten Grippeepidemien oder Warnungen vor Menschenansammlungen wegen der Grippe oder sonst irgend etwas zusammenhängen. Vielleicht ist es diesmal auch die Finanzkrise oder aber auch das Wetter am 28. August, wer weiß?

Wirklich belegen kann man nichts, nicht nur, weil es niemanden wirklich interessiert, sondern auch weil das Spitalswesen nicht einheitlich ist.

Während in Oberösterreich die Aufnahmen auch 2009 steigen, sinken sie in Kärnten schon seit 2004 kontinuierlich. Bezogen auf die Wohnbevölkerung zählen wir in Oberösterreich 30 Aufnahmen pro 100 Einwohner, Kärnten liegt mit 26 im Österreichschnitt, in Wien sind es 24, und die Steiermark, weil sie für die onkologische Versorgung einen speziellen Deal mit der Krankenkasse hat, kommt gar mit nur 23 aus.

Außerdem sollte man nicht vergessen, dass die Zahl der Spitalspatienten nicht unendlich vergrößerbar sein kann. Früher oder später muss sich auch in Österreich die Spitalshäufigkeit irgendeinem Wert annähern, der nicht überschritten werden kann. Wenn wir bedenken, dass die Deutschen mit 21, die Schweizer mit 15, die Niederländer gar nur mit etwa 11 Aufnahmen pro 100 Einwohner auskommen, liegen wir mit unseren 26 ohnehin jenseits von Gut und Böse. Wohin soll denn diese Zahl noch wachsen?

Also ist die Hoffnung auf eine Trendwende noch verfrüht. Aber, dass diese gesehen wird, zeigt auch, dass die Hoffnung auf eine Gesundheitsreform, die eine wirklich ist, noch nicht tot ist.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Allokationsproblem – noch ein Lehrstück

Vielleicht ist es Zeit, ein Thema zu verbreiten, dass hierzulande unbekannt ist, aber anderswo schon lange diskutiert wird – das Allokationsproblem.

Frau M. (78) lebt alleine. Die häufigen Besuche ihrer Tochter reichen aus, dass sie mit dem täglichen Leben keine Schwierigkeiten hat. Zudem kommen oft ihre Enkel, samt Ur-Enkel vorbei. Das freut sie und für diese hält sie sich auch fit.

Eines Tages kriegt sie Fieber. Der Hausarzt diagnostiziert eine Lungenentzündung und schickt sie ins Spital. Dort wird sie auf Pneumokokken-Pneumonie sieben Tage lang behandelt. Jeden Spitalstag lässt ihre intellektuelle Kraft nach.

Als sie wieder nach Haus kommt, ist sie verwirrt. Die Familie ist überfordert. Statt auf professionelle (und kostspielige) Hilfe zu setzen, versucht sie mit häufigeren Besuchen und der Übernahme von Tätigkeiten, die früher Frau M. selbst erledigt hat, zu helfen. Aber alles hilft nicht, Frau M. dämmert immer stärker ein. Sechs Monate später muss sie ins Heim, wo sie, schwer dement, nach drei Jahren stirbt.

Was ist passiert? Der Spitalsaufenthalt hat Frau M. aus der Bahn geworfen. Er stellte ein Life-Event dar, das, wenn nicht richtig behandelt (reaktivierende Pflege!), oft zur „Dekompensation“ führt; die durch eigenen Willen und Training hintan gehaltene Demenz tritt plötzlich auf.

Der initiale Spitalsaufenthalt hat etwa 4.000 Euro gekostet. Das Pflegeheim, das sich die Familie nicht leisten konnte, wurde von der zuständigen Sozialabteilung bezahlt und kostete bis zum Tod von Frau M. 36.000 Euro.

War das nötig? Nein.

Beginnen wir damit, dass der Hausarzt die Pneumonie zu Hause behandeln und den Spitalsaufenthalt, der ja Auslöser war, vermeiden hätte können. Kosten dafür vielleicht 1.000 Euro, die jedoch aktuell nur unzureichend vom Kassensystem bezahlt werden. Das System verdrängt gerade ältere Patienten ins Spital.

Dann die Pneumokokken-Pneumonie. Vielleicht hätte diese vermieden werden können, in dem die Ur-Enkel geimpft gewesen wären. Eine solche Impfung verhindert nämlich nicht nur Mittelohrentzündungen bei Kindern, sondern auch Lungenentzündungen bei der Großelterngeneration. In diesem Fall hätte man mit 300 Euro für die Impfung nicht einmal die 1.000 Euro für den Arzt aufbringen müssen.

Dann das Heim. Auch das wäre nicht nötig. Würde bedarfsorientierte Pflege genau so als Sachleistung zur Verfügung stehen wie das Spital, hätte Frau M. für ein paar Wochen täglich eine reaktivierende Pflege und allenfalls auch eine Haushaltshilfe erhalten, die zusammen vielleicht 3.000 Euro gekostet und den Verlauf hätten mildern oder gar verhindern können.

Natürlich ist das zu simpel. Schließlich bedeutet die Verhinderung eines Krankheitsverlaufes nicht, dass damit alles eitle Wonne ist. Aber vieles deutet darauf hin, dass es gerade bei alten Menschen viel bringt, wenn Spitalsaufenthalte vermieden werden. Und mehr noch, selbst wenn wir annehmen, dass die Behandlungskosten nicht gesenkt werden können, weil Frau M. später an einer anderen teuren Krankheit sterben würde, eines hätte wir auf jeden Fall eines erreicht: eine höher Lebensqualität, nicht nur für die Patientin, sonder auch für die Familie.

Um das zu erreichen müssen Ressourcen so verteilt werden, dass sie an der richtigen Stelle vorhanden sind. Aber, solange sie in bestehende und oft falsche Strukturen (etwa unnötige Spitäler) gesteckt werden, fehlen sowohl Motivation als auch die Ressourcen selbst, eine patientenorientierte Neuverteilung vorzunehmen. Das nennt man das Allokationsproblem, das nur vom System gelöst werden kann.

Dieser Artikel wurde im November 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Hoffnungsloses Spitalswesen

Es ist schon ein Wahnsinn, wie fest die Klammer der Landesfürsten ist. Es gibt wohl keine Lösung außer einem Crash! Und der wird vielen ernsthaft schaden.

Sie fahren von Wien nach Pinkafeld. Dabei kreuzen Sie mehrere Landesgrenzen. Zuerst kommen Sie nach Niederösterreich, dann in die Steiermark um schließlich im Burgendland Ihr Ziel zu erreichen.

Stellen Sie sich vor, die Straßenverkehrsordnung (StVO) würde überall anders sein. In Wien dürften Sie erst ab November Winterreifen haben, in Niederösterreich sind sie, wenn Sie auf Straßen unterwegs sind, die höher als 500 Meter liegen, bereits ab Oktober Pflicht, im Burgenland hingegen sind sie bis 15. November überhaupt verboten, um Straßen zu schonen. Mit diesen Vorschriften würden Sie auf der Fahrt Wien-Pinkafeld wenigstens einmal Reifen wechseln müssen. Auf den Autobahnen würden (durch die ASFINAG mit Bundesgeldern) riesige Parkplätze errichtet und jeder würde fluchen, weil es für jeden ein Leichtes wäre, den Schwachsinn zu entlarven. Deswegen gibt es nur eine StVO für ganz Österreich.

In den Spitälern ist das anders. Da gibt es – weil eben nicht so leicht als Schwachsinn erkennbar und weil Landesfürsten mit gigantischen PR-Maschinerien den Untertanen einreden, dass alle sterben, wenn es eine Reform gibt – in jedem Bundesland ein eigenes Spitalsgesetz. Ein niederösterreichischer Patient ist – so die Argumente – von einem oberösterreichischen, steirischen oder gar Tiroler zu unterscheiden. Jeder braucht seine lokal colorierte Behandlung.

Vielleicht liegen deswegen Oberösterreicher auch gleich um ein Viertel häufiger im Spital als Steirer. Aber selbst innerhalb eines Bundeslandes sind Unterschiede zu finden. Mostviertler sind wohl kränker als ihre Nachbarn im Industrieviertel – oder liegen wenigstens um 25 Prozent öfter im Spital. Medizinisch betrachtet ist das nicht erklärbar, außer vielleicht, man macht gesunde Menschen krank, um sie in Spitäler stecken zu können – so was klingt aber abwegig, oder?

Und dann kam er, der Vorschlag, der alles bereinigen helfen könnte, der Vernunft in diesen populistischen und Menschenleben gefährdenden Wahnsinn bringen könnte. Es soll nur mehr ein Gesetz geben und bezahlt wird nicht mehr die örtlich geweckte Begehrlichkeit nach einem Spital, sondern die Qualität der Versorgung in einer Region; und es war gerade der eher reformunwillige Gesundheitsminister Alois Stöger, der ihn machte.

Ein skurriler Vorschlag, setzt er doch voraus, dass nebst Verfassungsänderung, die Länder zustimmen. Zwar wurde er von allen – nicht nur allen Experten, sondern auch geschlossen von der Opposition – gelobt, aber die Antwort der Fürsten ließ nicht lange warten.

Allen voran „E.P. von Niederösterreich“. Er verhandle nicht mit Ministern (lat. Diener). Seine Ansprechpartner seien Kanzler und Vizekanzler. Und sein, für die Spitäler zuständiger, Vasall „W.S. von Waidhofen“ lässt wissen, dass das wohl nur ein Rülpser war und der Minister ein unerträglicher Dilettant sei, der nicht einmal die Zahlen kenne. Außerdem sei die hiesige Verwaltung die beste, was man darin sehen möge, „dass sich der Gesamtaufwand im letzten Jahr um nur 0,88 Prozent erhöht hat“ (Übrigens und wahrheitsgemäß: 2009 sind dort die Kosten um mehr als 5 Prozent gestiegen, bei praktisch Null Inflation und einem Schrumpfen des BIP um über drei Prozent; damit wird das ohnehin schon riesenhafte Defizit 2010 um zusätzliche 150 Millionen explodieren!)

Ehrlich, ich glaube nicht, dass es eine Reform gibt! Ich hoffe nur, dass der Kollaps nicht all zu viel Schaden anrichtet.

Dieser Artikel wurde im November 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Hausarztmodelle – schön und gut!

Hausarztmodelle können nur funktionieren, wenn die Kompetenzen dort, wo sie wirken sollen, bereinigt werden – dazu braucht es Gemeinden, Länder, verschiedene Ministerien, Kassen – und mutige Politiker.

Als ich für „Die Zeit“ einen Artikel zum Thema SVA schreiben sollte, verwendete ich das Wort: „Hausarzt-Modelle“. Der Redakteur teilte mit, das müsse erklärt werden, weil das niemand verstehe. Wenigstens das dürfte sich anlässlich der jetzigen Diskussion ändern. Mit etwas Glück schafft es das Thema zu einer gewissen Breitenakzeptanz.

Es ist an der Zeit zu fragen, warum es die nicht hat und warum hierzulande erst etwas diskutiert werden muss, das anderswo bereits seit Jahrzehnten gute Praxis ist.

Schauen wird einfach in die Realität. Unser „Bild“ vom Hausarzt stammt aus den Nachkriegsjahren. Damals herrschte Ärztemangel, vor allem bei Fachärzten. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, durften Praktiker quasi alles. Und selbst in den 1980er Jahren gab es noch Landärzte, die Geburten machten. Unser Hausarzt war also sehr breit aufgestellt – und das lange Zeit zu recht.

Aber seit wenigstens zwanzig Jahren ist das anders. Die Ärztedichte ist international am höchsten, und Spitalsambulanzen liefern eine Spezialversorgungsbreite, wie sonst nirgendwo. Es ist nicht mehr nötig, dass Hausärzte „alles“ können und dürfen. Zudem hat sich die Bevölkerungsstruktur geändert. Solange die Bevölkerung „jung und gesund“ war, musste der Hausarzt anderes leisten als heute, wo zunehmend alte, und immobile Patienten zu versorgen sind.

Kurz, das „alte“ Bild vom Hausarzt hat ausgedient. Und hier kommen wir zum Kernproblem. Die Politiker wissen einfach nicht, was sie mit dem Hausarzt noch anfangen sollen. Genau genommen, braucht man keine mehr (glaubt man!). Und aufbauend auf einem Gesetz (ASVG), dass niemand mehr versteht, und von Einzelinteressen zur Fratze verzerrt wurde, ist die Entwicklung eines „neuen“ Bildes kaum möglich.

International will man von Hausarztmodellen, dass möglichst viele gesundheitlichen Probleme vor Ort adressiert werden. Das Stichwort ist gesundheitlich – kein Wort von medizinisch, denn das wäre eine Einschränkung, die nicht funktioniert. Hausärzte (mit ihren Ordinationen) sollten niedrigschwellige Leistungen aus allen Bereichen der Gesundheitsversorgung, von Prävention bis zur Pflege, anbieten (nicht bloß koordinieren!) können, nicht nur Heilbehandlung, wie es das ASVG vorsieht.

Prävention für alte Menschen (z.B.: Heimhilfen, damit Patienten nicht wegen häuslicher Verwahrlosung krank oder zum Pflegefall werden), die eben die wichtigste Patientengruppe heute darstellen, hat mit Heilbehandlung wenig zu tun, ja selbst Rehabilitation, wenn sie darauf abzielt, alte Menschen möglichst lange in ihrer Selbstständigkeit zu unterstützen (z.B. aktivierende Pflege) ist ihr nicht zuzurechnen. Und trotzdem gehören all diese Dinge zum „Hausarzt“, wie er sein sollte. Aber genau dort besteht ein Kompetenzwirrwarr zwischen Gemeinden, Länder, verschiedenen Ministerien, Kassen und wer weiß wem sonst noch. Dass hier ein Hausarzt wirklich steuernd eingreifen kann, setzte eine Strukturreform voraus.

Der Erfolg eines Hausarztmodells wird u.a. daran gemessen, ob unnötige Spitalsaufenthalte und Facharztüberweisungen weniger werden. Damit werden die Interessen der Länder und Fachärzte direkt betroffen – Einsparungen könnten zu ihren Lasten gehen. Es ist schwer vorstellbar, dass das dem Hausarzt in der Realität „erlaubt“ würde – ohne Strukturreform.

Will man also wirklich Hausarztmodelle, muss man das System umbauen – alles andere wäre eine „österreichische“ Lösung!

Dieser Artikel wurde im Juli 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Des Kanzlers Milliarde

Bundeskanzler Faymann will eine Milliarde aus der Spitalsfinanzierung umwidmen. Dagegen sind die üblichen Verdächtigen, die Idee ist aber gut.

Angela L. (83) ist körperlich gar nicht so schlecht beisammen. Allerdings ist sie seit einem Sturz der festen Überzeugung, ihre Hüfte ist gebrochen. Davon kann sie niemand abbringen. Seither liegt sie meist im Bett. Um nicht auf die Toilette zu müssen, trinkt sie viel zu wenig. So ist sie regelmäßig vollkommen ausgetrocknet.

Ihr Neffe kommt seit Monaten zwei Mal täglich um zu helfen und die nötigste Pflege zu erledigen. Er bekniet sie, doch mobile Hilfe in Anspruch zu nehmen, was sie strikt ablehnt. Dafür ruft sie regelmäßig den Notarzt. In den letzten sechs Monaten war sie vier Mal im Spital. Nach dem letzten Aufenthalt hat sie dann mobile Hilfe akzeptiert. Allerdings hat das den weiteren Verfall nicht abfangen können. Neun Monate nach dem Sturz kam sie in ein Pflegeheim, dass sie bis zu ihrem Tod ein Jahr später nicht mehr verlassen hat.

Ähnliches passiert in Österreich jährlich bei Hunderttausenden alten Patienten. Rund 600.000 Spitalsaufenthalte (das sind etwa 25 Prozent aller Aufenthalte) sind entweder nicht nötig oder könnten aus medizinischer Sicht wenigsten deutlich kürzer sein. Rund drei bis vier Millionen Spitalstage entstehen so unnötigerweise, dafür braucht man mindestens 10.000 (20 Prozent aller) Spitalsbetten.

Statt jedoch Patienten während des Aufenthalts zu helfen, ihr eigenes Leben wieder selbst zu führen, erhalten sie den Spitalsvollservice, statt Rehabilitation kriegen sie hochtechnisierte Medizin, statt besser auf zu Hause vorbereitet zu werden, werden sie wie ein Pflegefall rund um die Uhr im Bett betreut. Im Grunde wäre für diese Patienten alles besser als ein Spital, und doch versorgen wir sie dort.

Die 10.000 Spitalsbetten kosten mindestens eine Milliarde Euro. Würden die Patienten auf speziellen Entlassungsabteilungen liegen, gäbe es ausreichend Kurzzeit- und Tagespflegeplätze, die wie Spitalsbetten als Sachleistung vorgehalten würden, würde die Versorgung der Patienten nur etwa 400 Millionen kosten, 600 Millionen weniger. Damit könnte man beispielsweise das Pflegegeld um 30 Prozent erhöhen, oder aber die mobilen Dienste wenigstens teilweise als Sachleistung zur Verfügung stellen, und das riesige Pflegeproblem deutlich mildern.

Wenn dem Kanzler vorschwebt, Bundesgelder aus der Spitalsfinanzierung in einen Generationenfonds zu verlagern, und er dabei an die Abstimmung zwischen Pflege und Spitälern gedacht hat, dann ist die Idee wohlfeil; und zudem realisierbar – theoretisch!

Aktuell kriegen die Spitäler etwa eine Milliarde Euro direkt aus dem Steuertopf. Der Kanzler könnte, wenn er die Regierung überzeugt, das Geld umwidmen. Er könnte eine bundessteuerlich kofinanzierte abgestufte Versorgung zwischen Spitälern und Pflege anstoßen und die unmenschliche Schnittstelle zwischen der Spitals- und der Pflegewelt menschlicher gestalten.

Allerdings ist die Umschichtung von so viel Geld keine leichte Aufgabe. Es würde bedeuten, dass großflächig Spitalsabteilungen umgewidmet oder sogar geschlossen werden müssten. Ob da die Bundesländer, ohne die es dank Föderalismus nicht geht, mitgehen, ist fraglich. Die Ärztekammer hat bereits ihr Njet eingelegt. Und wenn ich mir die zuständigen Minister (Finanz und Gesundheit) anschaue, dann wage ich zu zweifeln, ob selbst bei einem leisen Nein von Ländern oder Sozialpartnern ernsthaft Schritte angedacht werden.

Also wird es bleiben wie es ist: unmenschlich, teuer aber das „Beste der Welt“.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Löbliche Abteilung

Mit den Sparvorhaben der Krankenkassen soll es ernst werden. Und mit „bedarfsorientierten Kassenverträgen“ hört man wirklich Neues(?)!

Wenn ein Arzt etwas von einer Spitalsabteilung will, dann ist es Etikette, diese auf dem Überweisungsschein mit „löbliche Abteilung“ anzusprechen. Was man dann will, das ist oft kryptisch. Allzu oft steht nach formvollendeter Anrede nur: „Fachärztliche Abklärung erbeten“. Welches Fach gemeint ist, oder welches Problem abgeklärt werden soll, das kann sich der Spitalsarzt aus den Fingern saugen. In der Regel wird nicht mitgeteilt, welche Untersuchungen bereits durchgeführt wurden und zu welchem Ergebnis sie geführt haben und nur selten wird eine konkrete Frage gestellt.

Diese Seltsamkeit – auch bekannt als Schnittstellenproblem – hat zwei Ursachen: (1) es gibt keinen einheitlichen Katalog für ambulante Leistungen (es gibt 14 Kassen-Honorarkataloge und in den Spitalsambulanzen gar nichts) und (2) fehlt jegliche Abstimmung zwischen Kassenbereich und Ambulanzen. Damit fehlt eine gemeinsame Grundlage, ja selbst eine gemeinsame Sprache ist unmöglich.

Ich habe mir einmal den Spaß erlaubt, die Anzahl der Patientenkontakte bei Kassenärzten mit der der Ambulanzbesuche und stationären Aufnahmen zu vergleichen. Definitiv in Verbindung stehen Ambulanzbesuche und stationäre Aufnahmen. Das heißt, dort, wo Patienten oft in eine Ambulanz gehen, dort werden diese auch oft aufgenommen – ein Effekt des Finanzierungssystems, das ambulante Leistungen schlecht und stationäre gut bezahlt. Überhaupt keine Übereinstimmung findet man aber zwischen Kassenarztkontakten und Ambulanzbesuchen. Anders ausgedrückt, die beiden Welten „Kassensystem“ und „Spitalssystem“ haben statistisch betrachtet nichts mehr miteinander zu tun.

Welche Auswirkung dieses seit 1995 (damals haben sich die Kassen aus den Ambulanzen zurückgezogen und sich selbst überlassen) bestehende Nebeneinander hat, lässt sich in Zahlen ausdrücken. Die Zahl der Ambulanzpatienten ist von 4,5 auf 7,5 Millionen gestiegen. Die Kosten haben sich verdoppelt und liegen bei 1,4 Mrd. Euro. Die stationären Patienten sind von knapp 2 auf über 3 Millionen gestiegen. Auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird, es gab – verstärkt durch das Kassenhonorarsystem – eine massive Verlagerung in die Spitäler, die ein Vielfaches einer wohnortnahen Behandlung durch niedergelassene Ärzte kosten – aber diese Kosten gehören eben wem anderen: den Steuerzahlern (vertreten durch Landesfürsten).

Wenn also künftig Kassenverträge nicht automatisch nachbesetzt werden, sondern nur nach Bedarf, sofern Leistungen nicht auch von Spitälern oder Ambulanzen erbracht werden können, dann bin ich gespannt, wie dieser Bedarf bei fehlenden Leistungskatalogen und -abgrenzungen (Wer soll was wann wo machen) ermittelt werden soll. Denken wir praktisch. Reicht die Nähe eines Spitals aus, dass es keinen niedergelassenen Arzt mehr geben muss? Wird so jede Stadt mit Spital frei von Kassenärzten? Wenn noch mehr in Spitäler verlagert wird, was wird uns Steuerzahler dann die Einsparung der Kassen kosten?

Sehen wir es positiv. Der Ansatz der am Patientenbedarf orientierten Planung ist goldrichtig (aber nicht neu – denn schon seit 1958 Gesetz!). Politiker haben zwar hierzulande keine Ahnung, wie man so was macht und noch nicht einmal geeignete Daten, um so was abzuschätzen, aber so nach 50 bis 100 Jahren, werden sie schon draufkommen, wie es geht – mittels „try and error“, dem wohl gängigsten und teuersten Steuerungsinstrument des hiesigen Gesundheitssystems.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.