Ein überraschtes WIFO und ein tauber Minister

Prof. Aiginger vom WIFO und Minister Stöger lesen den Rezeptblock nicht. Sonst wäre in der letzten Woche etwas anderes zu hören gewesen.

Prof. Aiginger war nämlich überrascht, als er erfuhr, dass unser Gesundheitssystem zwar das zweit teuerste im Euro-Raum ist, aber gemessen an den zu erwartenden gesunden Lebensjahren, dem eigentlichen Ziel des Systems, so gut wie jedes Land besser ist, obwohl genau das vor zwei Monaten an dieser Stelle stand.

Dass Minister Stöger, als Verteidiger des „besten Systems“, diese Kolumne nicht liest, war zu erwarten. Dass er aber auch dem Aiginger nur mehr selektiv zuhört? Nicht anders ist jedoch seine Reaktion zu erklären, die die Fantasielosigkeit der letzten Jahrzehnte aufweist: „Da brauchen wir mehr Mittel.“ Um was zu erreichen? Das teuerste zu werden?

Auch der Minister sollte endlich lernen, dass wir nicht mehr Mittel brauchen, sondern er damit anfangen muss, diese vernünftig auf Prävention, Kuration, Rehabilitation, Pflege und Palliativversorgung aufzuteilen, statt ständig nur über Krankenkassen und Spitäler zu reden, oder irgendwelche Dialoge einzurichten.

Hier eine Nachhilfe für die Prävention.

Der Mutter-Kind-Pass ist wohl das erfolgreichste Präventionsprogramm hierzulande. Es kostet etwa 60 Millionen Euro. Weil es funktioniert, würde es vielleicht auch bei Erwachsenen funktionieren. Schließlich ist Eigenverantwortung diesem Land fremd und Papa Staat für fast alles zuständig.

Wie machen wir es: Der Hauptverband überweist den Spitälern 200 Millionen (etwa zwei Prozent der Gesamtkosten) weniger. Mit diesem Geld finanziert er eine komplette neue Vorsorgeschiene beim Hausarzt.

Alle Österreicher zwischen 35 und 60 erhalten, wenn sie zur jährlichen Vorsorgeuntersuchung gehen, 100 Euro bar. In dieser Untersuchung werden mit dem Patienten individuelle, aber wissenschaftlich abgesicherte, Ziele vereinbart (Abnehmen, Rauchen aufhören, mehr Bewegung etc.). Erreicht der Patient diese Ziele, erhält er zusätzlich 100 Euro – macht 200 Euro.

Über 60 wird es ein bisschen brenzliger: dort werden dem, der nicht hingeht, 300 Euro (pro Jahr!) von der (Brutto)Pension abgezogen – analog dem einbehaltenen Kinderbetreuungsgeld, wenn Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht wahrgenommen werden. Was für Familien in viel höheren Dimensionen erlaubt ist, kann bei Pensionisten nicht unmenschlich sein! Erreicht ein Pensionist seine Ziele, gibt es auch 100 Euro bar.

Rechnet man mit 50 Prozent Teilnahme bei den unter 60-jährigen und mit 80 Prozent bei Pensionisten, einer Zielerreichung bei der Hälfte, stellt die jetzige Vorsorgeuntersuchung ein und widmet die einbehaltenen Pensionsanteile dem neuen Programm, dann ist das alles um 200 Millionen zu haben, die den Spitälern nicht wirklich abgehen können.

Die Hausärzte würden um etwa 240 Millionen mehr Umsatz machen, was deren Job deutlich attraktiver macht und ihre Rolle enorm steigern würde. Es ist übrigens Schwachsinn, Prävention – wie in einigen Bundesländern angedacht – ins Spital zu ziehen. Die gehört zum wohnortnahen Hausarzt (eigentlich zu sogenannten Primärversorger, der unter Umständen auch ein Facharzt sein kann!) und sonst nirgendwo hin.

Der Vorschlag ist zwar vermutlich nicht wirklich effizient, aber es würden sicher einige Effekte, eine begleitende Versorgungsforschung vorausgesetzt, auftreten, auf denen man aufbauen kann – und zwar nachhaltig und ganz ohne Überraschungen!

Dieser Artikel wurde im Mai 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Der Worte sind genug gewechselt

Es ist mühsam, diese Spitalsreformdebatten mit all ihren unvernünftigen Reaktionen zu beobachten. Ein Befreiungsschlag ist nötig!

Herr M. fühlt sich schlapp. Er ist 69 und ängstlich, weil einige Bekannte schon tot sind. Also geht er zum Hausarzt. Ein eher seltener Besuch, denn meist glaubt er genau zu wissen, welchen Facharzt er aufsuchen muss. Und wenn er sich nicht sicher ist, dann ist seine erste Anlaufstelle die Spitalsambulanz. Aber bei allgemeinem Schlapp-Sein, da dürfte der Allgemeinmediziner zuständig sein.

Der Hausarzt kennt Herrn M. nicht wirklich gut, aber schnell steht fest, der Patient braucht eigentlich nichts, nur etwas Beruhigung. Geld für diese „Behandlung“ gibt es entweder nicht, oder so gering, dass ein „Verlustgeschäft“ droht – bei einem Patienten, der sonst nie kommt. Was tun? Nun, eine Überweisung in die Ambulanz mit unspezifischen Herzproblemen geht immer.

Der Patient, nun endgültig beunruhigt, geht ins Spital und wird dort sofort zur Abklärung stationär aufgenommen – weil die Ambulanz viel zu spezialisiert ist, um hinter „allgemeinem Schlapp-Sein“ etwas anderes als ein Körperproblem zu erwarten, um so mehr, als der Hausarzt ja Herzprobleme vermutet. Nach drei Tagen, ohne eindeutigen Befund, wird er entlassen, mit mehreren Medikamenten, die eher aus Verlegenheit, denn aus triftigen Gründen verordnet werden.

Für Herrn M. ist die Sache nicht vorbei. Er glaubt nun, dass er eine so merkwürdige Krankheit hat, dass ein Spitalsaufenthalt nötig war. Noch mehr verunsichert, wird er seine Facharztbesuche in der nächsten Zeit deutlich erhöhen und mit hoher Wahrscheinlichkeit bald wieder in einer Ambulanz und von dort im Spitalsbett landen.

Von außen betrachtet ist das Wahnsinn. Dem Patienten ist um viel Geld nicht geholfen, wenn nicht sogar geschadet, worden. Und warum? Weil, jeder weiß es, die Prozesse im Gesundheitssystem faul sind.

Um Prozesse zu ändern, kann man den langen Weg gehen, alle an einen Tisch bringen und mühsamst über neue oder verbesserte Wege nachdenken. Oder man streicht einfach Ressourcen – ein sehr kurativer Schock, der in den meisten Fällen wirkt. Hier aber wird das nicht passieren, weil es zwischen Kassen und Spitälern keine gemeinsamen Ressourcen gibt.

Wenn es darum geht, unnötige Spitalsaufenthalte zu reduzieren – und nur das kann das Ziel von Spitalsreformen sein –, wird man nicht umhinkommen, mehr zu besprechen, als nur „Bettenabbau“.

Im Grunde gibt es nur eine Chance: man muss verhindern, dass Patienten ins Spital (auch in die Ambulanz) kommen. Und der einzige Weg ist, Hausärzte aufzuwerten. Wenn diese weniger zu Fachärzten oder Ambulanzen überweisen, und Patienten dort seltener selbst hin gehen (müssen), weil sie sich vom Hausarzt gut versorgt fühlen, dann werden automatisch die Aufnahmen weniger.

Es ist viel zu spät, um sich in der jetzigen Situation tiefere Gedanken zu manchen, wie so etwas sinnvoll umgesetzt werden kann. Ich schlage daher vor, mit Ausnahme von Wien (eine Großstadt ist wirklich anders), allen Hausärzten 40 Prozent mehr Geld (das additiv nötig wird) auszubezahlen.

Das kostet erstaunlich wenig – etwa 160 Millionen Euro österreichweit. So könnten dann Spitalsreformen (mit einer Milliarde Einsparungspotential) realistischer werden und vielleicht löst sich auch der angekündigte Hausärztemangel.

Wem das zu undifferenziert ist, sei gesagt: Nachschärfen kann man nachher immer noch – alles im Vorfeld auszudiskutieren, das haben wir ohne jegliches Ergebnis die letzten 40 Jahre versucht! Damit muss Schluss sein.

Dieser Artikel wurde im Mai 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Eine neue Erbsünde in Oberösterreichs Spitälern

Statt Ostern und Befreiung von der Erbsünde, war in der Gesundheitspolitik ein Sündenfall der besonderen Art zu beobachten.

In Oberösterreich wird die Spitalsreform II diskutiert. Dass so etwas nicht ohne Wehgeschrei geht, war klar; dafür wurden und werden zu viele Fehler gemacht.

Irgendwann wurde, statt zu steuern, das Blaue vom Himmel versprochen. Aber, ein ungesteuertes Gesundheitssystem wird nicht nur versagen, sondern auch immer teurer. Das ist so in den USA und auch hier. Unser System „veramerikanisierte“, obwohl es ein solidarisches, plantwirtschaftliches Pflichtsystem ist!

Die Fehler der Vergangenheit haben dazu geführt, dass niemand ohne Gesichtsverlust was ändern kann. Eine Reform wäre nun ein Schuldbekenntnis, und um Kollateralschäden eines solchen vermeintlich gering zu halten, wird der nächste Fehler gemacht. Statt einer breiten Diskussion, gibt es im Vorfeld Geheimniskrämerei und am Ende eine fait accompli.

Objektiv betrachtet gäbe es Kritikpunkte: Die Einbindung der Kassen ist zu gering, der Fokus aufs Geld geht mir zu weit, die Methoden sind nicht überall stringent, was auf politische Kalibrierung deutet. All das könnte, auch pointiert, diskutiert werden, aber, was sich real abspielt ist anders – und ungustiös.

Die drei Innviertler Spitäler haben seit 2005, dem Zeitpunkt der in die Hose gegangenen Spitalsreform I, die Zahl ihrer Patienten massiv gesteigert – heute, bezogen auf die Wohnbevölkerung, gibt es dort die meisten Patienten österreichweit.

Dass diese Spitäler nun, um Besitzstand zu wahren, wild um sich schlagen, und alle, die der jetzigen Reform Positives abgewinnen, diskreditieren, mag kein guter Stil sein, aber als Meinungsfreiheit gelten.

Auch, dass PR-Agenturen eingeschaltet werden, um aufrührerisch-populistische Medienarbeit zu leisten, ist vielleicht unmoralisch (woher nehmen die Spitäler das Geld dafür?), aber noch nicht unethisch. Schließlich haben die Systemverantwortlichen seit Jahrzehnten ihre Führungsrolle vernachlässigt und den eigentlich zu führenden Dienstleistern (die ihre Dienste eben nicht im freien, sondern geschützten Markt anbieten, und daher reguliert werden müssen) quasi Narrenfreiheit gegeben, bei Garantie, niemals Pleite gehen zu können. Wer Sicherheit und Freiheit gleichzeitig verspricht, muss Populist sein, und die kann man nur mit eigenen Waffen schlagen.

All das bereitet mir Magenschmerzen, wäre aber verkraftbar. Aber dann begann man, unter dem Deckmantel demokratischer Meinungsfreiheit, Unterschriften in Ambulanzen und am Krankenbett zu sammeln – von Patienten, die in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, dass sie sich nicht einmal selbst aussuchen können! Abhängige Patienten, die von den gleichen Dienstleister als so unmündig erklärt werden, dass sie Marktversagen auslösen und deswegen durch ein öffentliches System zu schützen sind, werden nun als entscheidungsfähig betrachtet, über versorgungswissenschaftliche Entscheidungen eben dieses Systems zu urteilen? Das geht zu weit!

Wenn es wirklich Usus wird, dass zur Besitzstandswahrung Patienten mobilisiert werden, ohne dass legitimierte Volksvertreter dagegen auftreten, dann bin ich dafür, alle Spitäler auf Bundesebene zu verstaatlichen, oder aber das öffentliche Gesundheitssystem zu zerschlagen. Bei 110 Millionen Kassenarzt-Kontakten, 16 Millionen Ambulanz-Kontakten und 2,6 Millionen stationären Patienten, wird es sonst unmöglich, irgendetwas gegen den Willen der eigentlich abhängigen Dienstleister zu machen – an Steuerung ist so nicht mehr zu denken.

Dieser Artikel wurde im Mai 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.