Lernfähiges Oberösterreich?

Über Jahre hat man vom „Modell Oberösterreich“ gehört, und so die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse für ihre Wirtschaftlichkeit gelobt.

Das „Modell Oberösterreich“ umfasst aber nicht nur die Kasse, sondern auch Spitäler.

Seit Jahren steigen in OÖ die Spitalsfälle und haben heute den höchsten Wert österreichweit. Pro 100 Einwohner werden 30 Aufnahmen (50.000 über dem Bundesdurchschnitt!) gezählt – und das, obwohl die Bevölkerung verhältnismäßig jung ist.

Jedes andere Bundesland, sogar Niederösterreich, wäre längst pleite. Nicht aber OÖ. Denn dort, und nur dort, werden 50 Prozent der Patienten in Ordensspitälern versorgt. Und weil diese Spitäler, zwischen 17 und 25 Prozent effizienter sind, als öffentliche, können Spitalskosten trotz hoher Inanspruchnahme niedrig gehalten werden.

Würden Ordensspitäler mit der gleichen Effizienz arbeiten wie öffentliche, kostete das um mindestens 180 Millionen Euro mehr – Geld, das vom Land bezahlt werden müsste.

Weiter: Würde, durch Reformen, die Zahl der Aufnahmen auf normales Maß reduziert, dann ersparte sich das Land „nur“ etwa 100 Millionen. Bleiben daher ein „Netto-Gewinn“ von mindestens 80 Millionen jährlich, UND der nicht zu unterschätzende politische Gewinn, jede Abteilung in jedem Spital halten zu können. Seitens der Politik gab es also wenig Anreize, das Modell zu ändern.

Der große Nachteil des Modells, alle Spitäler sind in einen Konkurrenzkampf eingetreten und haben versucht, über immer mehr Patienten ständig zu wachsen – eine desaströse Strategie. Aber genau das war andererseits die Rahmenbedingung für die Kassen!

Zwar haben Hausärzte ein für Österreich geradezu vorbildliches Leistungsangebot und könnten damit ein gut funktionierendes Hausarztsystem aufbauen. Aber, ob das auch in ausreichendem Maß am Patienten ankommt, wurde nicht kontrolliert – weil nicht nötig. Eine etwaige Unterversorgung wurde durch die Spitäler aufgefangen. Auch bei Fachärzten, die deutlich seltener als in anderen Bundesländern zu finden sind (was per se nicht schlecht sein muss, aber deswegen ist die Kasse wirtschaftlich im Plus), wurde nicht darauf geachtet, wie sie arbeiten.

Es ist überhaupt jedem Kassenarzt überlassen, was er tut. Ob alles oder nur Teile der „erlaubten“ Spektrums und was wie oft angeboten wird, ist seine Sache. Anders ausgedrückt, keiner kontrolliert, ob ein Arzt so behandelt, wie es im Sinne des Patienten richtig wäre (also so selten wie möglich ins Spital zu müssen); aber sehr wohl wurde die Wirtschaftlichkeit kontrolliert. Und da Spitäler „gerne“ Patienten angenommen haben und die Honorare verhältnismäßig niedrig sind, wurde bei niedergelassenen Ärzten, besonders bei Fachärzten, eine Überweisungskultur gefördert, die zu häufigeren Ambulanzbesuchen und so zu immer mehr stationären Aufnahmen führte. Für Patienten war das Blödsinn, auch wenn es betriebswirtschaftlich „gut“ aussieht.

Jetzt dämmern ob der Enns „echte“ Reformen. Es gibt dabei zwei große Aufgabenblöcke: Für das Land, die Spitalslandschaft so umzubauen, dass die Abstimmung mit der Pflege möglich wird, und so Pflegepatienten nicht mehr unnötig oft oder zu lange im Spital liegen. Für die Kasse heißt es, darauf zu achten, dass ihre Ärzte „mehr“ behandeln und so die Zuweisungen zu den Spitälern reduzieren. Letzteres hat sich die Kasse offen als Ziel gesetzt und ist damit vorgeprescht. Nun kann man gespannt sein, ob auch das Land die Aufgaben einer Spitalsreform erkennt und ähnliche Ziele formuliert. Ob das dann auch umgesetzt wird, steht ohnehin auf einem anderen Blatt Papier.

Dieser Artikel wurde im Februar 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Theorie und Praxis der Hausarztausbildung

Auf dem Papier ist die Ausbildung von Hausärzten gar nicht schlecht. Aber Papier ist geduldig und die Praxis halt ganz anders – auch wenn das einige nicht einsehen wollen.

Die Idee ist bestechend. Da ein Hausarzt ein breites Wissen haben soll, soll er eine breite Ausbildung genießen. Um das zu erreichen, gibt es den Turnus. Das ist eine Zeit, in der Jungärzte, nach dem theoretischen Studium, an möglichst vielen unterschiedlichen Spitalsabteilungen Praxis „lernen“ sollen.

Und so muss man, will man Hausarzt werden, auf einer Abteilung für Innere Medizin mindestens ein Jahr bleiben. Für Chirurgie, Frauen- bzw. Kinderheilkunde sind je zumindest vier, für Neurologie, HNO und Dermatologie jeweils zwei Monate vorgeschrieben; und dann kann man sich zwei weitere Fächer wie Augen, Orthopädie oder Lungenheilkunde aussuchen, da muss man je drei Monate bleiben. Macht zusammen wenigstens drei Jahre, nach denen man ein fertig ausgebildeter Hausarzt sein sollte – theoretisch.

Das Konzept stammt aus der Nachkriegszeit. Damals war es vermutlich zielführend. Das medizinische Wissen betrug, verglichen mit heute nicht einmal ein Hundertstel (!) und die Spezialisierung war noch rudimentär. Es war durchaus möglich, innerhalb von zwei Monaten genug über Neurologie zu lernen, um für den hausärztlichen Alltag gerüstet zu sein. Heute ist das anders. Und nur nebenbei, im internationalen Vergleich dauert die Ausbildung zum Hausarzt bei uns am kürzesten. Alleine das sollte Hinweis genug sein, dass irgendetwas nicht stimmt.

In der täglichen Praxis ist es dann noch viel schlimmer.

Die Medizin ist eben hochkompliziert geworden. Es ist für jede Spitalsabteilung schwierig genug, mit dem medizinischen Forstschritt schritt zu halten. Um das auch nur irgendwie hinzukriegen, muss jeder Abteilungsleiter versuchen, aus seinen fix angestellten Ärzten ein Team zu bilden, damit Aus- und Fortbildung auf alle verteilt wird und Neues möglichst rasch auch von allen in der Praxis gelebt werden kann.

Und dann kommt der Turnusarzt (TA) daher – er wird ein paar Monate bleiben und dann wieder verschwinden. Wie viel Energie wird wohl darauf verschwendet werden (können), ihn wirklich in diesem Team einzubinden? Noch dazu ist das Niveau, das der TA mitbringt, naturgemäß weit von dem entfernt, was tägliche Praxis ist – schließlich ist er ja blutiger Anfänger. Und so ist es meistens (nicht überall!) Usus geworden, das seine Ausbildung halt so „mitläuft“.

Am Ende, und das zeigt die tägliche Praxis, wird für den TA nur die Arbeit übrig bleiben, die die höchste Entlastung für die Kernmannschaft (inklusive dem Pflegepersonal) darstellt – und das sind systemerhaltende Routinearbeiten, die mit Ausbildung nichts zu tun haben – Patienten aufnehmen, Blut abnehmen, Infusionen anhängen, Spritzen geben und Bürokratie erledigen. Und das macht der TA dann an jeder Abteilung, die er durchlaufen muss.

So ist der TA vom Auszubildenden zum Systemerhalter geworden. Und weil der Stundenlohn sogar unter dem einer diplomierten Pflegekraft liegt, gleich auch zu einem billigen. Die Folge davon ist, dass, ähnlich der Zwangsarbeit im Zivildienst, ohne die Rettung oder Alten- und Behindertenbetreuung nicht funktionierte, die Spitäler ohne die Arbeitskraft der TÄ nicht mehr betrieben werden könnten. So ist es auch zu verstehen, dass jene, die eine Spitalsreform für überflüssig halten (vom Gesundheitsminister bis zu den Landeshauptleuten) mit diesem Ausbildungssystem zufrieden sind. Dass einige allerdings öffentlich behaupten, so gut ausgebildete Hausärzte zu produzieren ist schon Chuzpe.

Dieser Artikel wurde im Mai 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ambulante Gesundheitsversorgung – Chaos pur

Das Regel-Chaos in der ambulanten Versorgung ist unerträglich und behindert eine vernünftige Entwicklung – am Ende zum Schaden für die Bevölkerung.

Kaum jemand, der, wenn er einen Arzt besucht, weiß, welches Regel-Chaos sich hinter diesem Besuch verbirgt. Ein Normalbürger geht entweder zu seinem Kassen- oder Wahlarzt, oder in die Spitalsambulanz oder aber in ein Ambulatorium. Dass sich dahinter unterschiedlichste Gesundheitssysteme verbergen, bleibt verborgen.

Von der Patientenzahl her dürften Kassenärzte wohl die wichtigsten sein. Ob das auch für ihre Versorgungswirksamkeit gilt, weiß man nicht. Am Ende werden dort über 110 Millionen Arztbesuche pro Jahr gezählt. Wo es Kassenordinationen gibt, legen Ärztekammer und Kassen im Verhandlungsweg fest. Das Leistungsspektrum wird durch Honorarkataloge bestimmt, von denen es 14 unterschiedliche gibt – fünf für die sogenannten kleinen Kassen und neun für die neun Gebietskrankenkassen. Diese Kataloge sind alles andere als logisch, und funktionieren nach allem, nur nicht nach dem „Gleiches Geld für gleiche Leistung“- Prinzip. Denn die Leistungen sind das Produkt von 50 Jahren Verhandlungen zwischen Dutzenden Kassen und föderalen Ärztekammern. Kein Mensch weiß mehr, was sich die Verhandler bei den Leistungen und den damit verbundenen Honoraren gedacht haben.

Bei den Wahlärzten, von denen es mehr als Kassenärzte gibt, sind diese Kataloge weitgehend egal, weil sie nach dem Kostenerstattungsprinzip funktionieren, also nicht mit den Kassen, sondern mit den Patienten verrechnen, und ihre Honorare selbst festsetzen. Wo es Wahlärzte gibt ist ebenfalls ungeregelt. Das einzige was Wahlärzte mit Kassenärzten verbindet ist die Tatsache, dass beide keine Ärzte anstellen dürfen.

In den Spitalsambulanzen wiederum arbeiten nur angestellte Ärzte; wie viele ist aber ungewiss. Welche Leistungen erbracht werden ist ebenso unbekannt, wie die Menge der erbrachten Leistungen, nicht einmal das Patienten-Zählen funktioniert. Das Einzige, was man weiß, ist, dass sie in einer Grauzone arbeiten. Denn eigentlich sind sie nur für ambulante Patienten zuständig, die eine Versorgung brauchen, die es im niedergelassenen Bereich nicht gibt. Weil man aber weder da noch dort weiß, was es wirklich gibt, machen Ambulanzen mittlerweile alles.

Und schließlich mischen Ambulatorien mit: Wo es welche geben und was dort gearbeitet werden darf, ist Ländersache – die haben den Bedarf zu prüfen. Was allerdings die Bezahlung betrifft, da sind meist die Kassen in der Pflicht. Und um es nicht zu einfach zu machen: Die Vertretung der Ambulatorien ist – irgendwie artfremd – die Wirtschafts- und nicht die Ärztekammer.

Und weil die Verwirrung nicht groß genug scheint, wird es demnächst Ärzte-GmbHs nach dem Stöger-Modell geben: ein Hybrid aus Ambulatorium und Ordination. Es dürfen nur Ärzte, die in der Ärztekammer bleiben, dabei sein, Ärzte dürfen nicht angestellt werden und wo sie entstehen ist Ländersache, der Bedarf muss also von Amtswegen geprüft werden – außer die Ärzte, die seine GmbH gründen wollen, haben einen Kassenvertrag, dann ist es Sache der Kassen.

Alles sehr transparent halt.

Dabei hat der EuGH Österreich genau wegen dieser Intransparenz verurteilt und aufgefordert, endlich Regeln, die für alle gleich gelten, einzuführen. Aber das käme einer Reform gleich, die niemand will.

Praktisch bedeutet das aber Rechtsunsicherheit. Ärzte werden ihre Investitionsüberlegungen dementsprechend anstellen; mit der Folge, dass der ambulante Bereich weiter geschwächt wird – aber vielleicht ist das ja das Ziel.

Dieser Artikel wurde im April 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Turnusärzte – das Leiden geht weiter!

Ein drohender Ärztemangel ist ein hervorragendes Thema um Interessen durchzusetzen – hoffentlich fallen nicht alle darauf rein.

Die Linzer wünschen sich dringend eine eigene Med-Uni, denn ein Ärztemangel droht, der nur mit einer solchen zu beheben ist. Und anhand einiger Indikatoren meint man den Mangel zu sehen. Kassenstellen sind immer schwerer nachzubesetzen und selbst in Spitälern wird es schwerer, Ärzte zu finden – vor allem in kleinen Landspitälern. Alles deutet auf eine Mangel hin, der größer werden soll, weil eine Pensionierungswelle durch den Kassenbereich gehen wird. Doch ist der Mangel real?

Beginnen wir mit den OECD-Zahlen. Dort liegen wir, was die Zahl der Ärzte betrifft, an sechster Stelle (von 31) und haben sieben Prozent mehr (!) Ärzte als Deutschland, das Mangelerscheinungen hat. Genauer geschaut, rechnen die Deutschen (OECD-konform) auch ihre Ärzte in Ausbildung mit, die wir weglassen. Zählt man die dazu, haben wir 30 (!) Prozent mehr Ärzte als die Deutschen – und trotzdem einen Mangel?

Natürlich nicht, im Gegenteil, eine Schwemme. Nur: Unsere Ärzte wollen immer weniger im System arbeiten und suchen (freiwillig?), sich außerhalb zu verwirklichen – als Wahlärzte!

Bei den Hausärzten drohe der größte Mangel, sagt man. Und das stimmt, aber nicht weil wir zu wenige Ärzte haben. Dass sich Turnusärzte am Ende der heutigen Ausbildung nicht trauen, Kassenhausärzte zu werden, ist verständlich. Überall hat man erkannt, dass der Hausarzt als Facharzt ausgebildet werden muss; es reicht keinesfalls, ihn im Spital Blut abnehmen und Spritzen geben zu lassen. Doch gibt es hierzulande so einen Facharzt? Nein. Glaubt man Gerüchten, dann ist sogar die Arbeitsgruppe, die seit Jahren tagt um diesen einzuführen, vertagt. Und warum? Weil die Länder billige Turnusärzte brauchen, um die vielen unnötigen Spitäler betreiben zu können. Würden Turnusärzte zum Facharzt ausgebildet, dann gäbe es viel weniger als heute. Die Länder wären gezwungen, Ärzte zu höheren Gehältern fix aufzunehmen – was sie sich nicht leisten wollen.

Kommen wir zu Pensionierungswelle. Seit 1995 ist die Zahl der Kassenärzte (obwohl die Arbeit mehr wurde) gleich geblieben. Und weil davor die Zahl gestiegen ist, kommt es jetzt zu einer scheinbar mangeltreibenden Pensionierungswelle. Da aber in der gleichen Zeit kontinuierlich etwa 900 Ärzte jährlich zu arbeiten begonnen haben, gibt es genügend Ärzte –

nur eben nicht Kassenärzte, weil es keine Stellen gab. Und so stehen den etwa 8.000 Kassenstellen aktuell 10.000 Wahlärzte gegenüber, die, wenn es attraktiv genug wäre, auch wieder ins Kassensystem zurückkehren.

Also warum wird der Ärztemangel beschworen?

Da sind einerseits die Ärztekammer und deren eigenes Pensionssystem. Analog dem öffentlichen wurde es auf einem Generationenvertrag errichtet, das nur funktioniert, wenn die „Alterspyramide“ eine Pyramide bleibt, also immer mehr Ärzte hinten nachkommen – bis quasi alle Österreicher Ärzte sind. Passiert das nicht, dann wird es schmerzhafte Einschnitte bei den Ärzte-Pensionen geben müssen – das gilt es zu verhindern.

Die zweite Interessenslage betrifft die nun auftretenden Finanzierungsschwierigkeiten in Oberösterreich. Die (rote) Stadt Linz braucht Geld, um ihr Prestige-Spital zu finanzieren. Das (schwarze) Land will dieses Geld nicht hergeben. Ergo braucht es neue Quellen – den Bund. Hätte nämlich Linz eine Med-Uni, dann müsste der Bund die Spitäler mitfinanzieren – und das Problem wäre gelöst!

An die Turnusärzte und deren Zukunft denkt dabei keiner.

Dieser Artikel wurde im März 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Karriere nach dem Turnus

Skurril, wie man junge Ärzte nach ihrer Ausbildung zum Hausarzt auf die Zukunft vorbereiten will. Da ist wohl noch einiges zu überdenken.

An was denkt man wohl, wenn man Osteopathie, Neuraltherapie, angewandte Kinesiologie, chinesische Diagnostik und Arzneitherapie, anthroposophische Medizin, orthomolekulare Medizin, moderne F. X. Mayr Medizin oder Homotoxikologie hört?

Da fallen mir als Pathologe und geeichten Schulmediziner Dinge ein wie: Alternative Medizin für die, die es sich leisten können und wollen, Firlefanz nach dem Prinzip “Hilft’s net, schad’t’s net“, vollkommen zurecht keine Leistungen auf Krankenschein etc.

Keinesfalls käme ich auf die Idee, darin Karrierechancen für angehende Hausärzte zu sehen, die sich nach einer Krankenhaus- und Gerätemedizin-lastigen Ausbildung mit Fokus auf Blut abnehmen und Infusionen anhängen (man spricht auch gerne und abfällig von Fachärzten für periphere Venepunktion) auf ihre Zukunft vorbereiten sollen. Und doch ist es so.

In einem Folder der Ärztekammer für Wien mit dem Titel „Karriere nach dem Turnus“, werden Turnusärzte eingeladen, sich auf die Zeit danach vorzubereiten. An 15 avisierten Abenden sollen karrierefördernde „Zusatzqualifikationen“ vorgestellt werden, die, neben wenigen vernünftigen Vorschläge wie Geriatrie und Palliativmedizin (dafür ist nur ein Abend reserviert), mit dem Bild des Hausarztes aber auch gar nichts zu tun haben.

Keine Rede von z.B. „Koordination zwischen Leistungserbringern verschiedener Ebenen für chronisch Kranke (Fachärzte, stationärer Bereich, Apotheken, soziale und medizinische Dienste)“ oder „Systematische Primär- und Sekundär- und Tertiärprävention“ oder „Strukturiertes Management der Patientenbetreuung unter Kosten-Nutzenüberlegungen (prä- und poststationäres Management, Voruntersuchung und Vorbereitung für geplante Eingriffe,..)“ oder „Durchführung und Koordination der palliativmedizinischen Betreuung in häuslicher Umgebung und in Pflegeheimen in Kooperation mit anderen Berufsgruppen“ oder „Betreuung und Management von Mehrfacherkrankten“ oder „Problemerkennung und Intervention im Sozialbereich“ oder schlicht die „Hauskrankenbehandlung“ – alles Themen, die nicht nur nach Meinung der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin zur Rolle der Hausärzte gehören – und deren Beherrschung karriereförderlich sein sollte!

Für diese Fertigkeiten gibt es aber keine Ärztekammer-Diplome, aber auch keine Ausbildung im Turnus. Diese Qualifikationen müssen wohl angeboren sein, strukturiert erwerben kann man sie nicht.

Andererseits ist es verständlich, dass die Ärztekammer dafür keine Ausbildungsschiene etabliert. Von den etwa 1.000 Ärzten, die jährlich fertig zum Hausarzt ausgebildet werden, haben vielleicht 200 Chancen auf einen Kassenvertrag; wenn sie sich so einen überhaupt selbst zutrauen (was ich nicht würde mit der jetzigen Ausbildung). Einige hundert werden das Glück haben, eine Facharztausbildungsstelle zu ergattern und damit vielleicht auch die Chance in einer sicheren Anstellung zu bleiben oder wenigstens noch eine Galgenfrist rauszuschlagen.

Der Rest – mehrere hundert pro Jahr – werden in den freien Markt gespuckt. Und dort, im kassenfreien Raum, kann man als „Wahl-Hausarzt“ nur überleben, wenn man sich auf Einnahmen konzentriert, die nichts mit Schul- und Kassenmedizin zu tun haben. Gleichzeitig, als nicht unerwünschter Nebeneffekt, werden sich so „zusatzqualifizierten“ Ärzte auch nicht um den Kassenkuchen, der ohnehin schon für die etablierten Kassenärzte kaum mehr reicht, anstellen.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Umgehungsmaßnahmen und „Betrügereien“

Wären Ärzte nicht bereit, das System zu umgehen, um ihre Patienten versorgen zu können, würde die Versorgung längst nicht mehr funktionieren.

Frau M. ist 75, Witwe, ihre Kinder sind von Wien weggezogen, ihre Freunde größtenteils unter der Erde. Frau M geht es so eigentlich gut, aber natürlich ist sie mit 75 nicht mehr ganz gesund. Sie geht, teils weil nötig, größtenteils jedoch weil sie Ansprache erhält, ein bis zwei Mal pro Woche zu ihrem Hausarzt Dr. H. Der ist noch beseelt von seinem Beruf und gehört zu denen, die ihre „seelsorgerische“ Funktion wahrnehmen. Er empfängt Frau M. wirklich fast jedes Mal, um sie zu untersuchen. Klar weiß er, dass er nichts finden wird, aber die „therapeutische Untersuchung“ ist halt was, was zu seinem Beruf gehört.

Eine solche „therapeutische Untersuchung“ nimmt, mit Dokumentation in etwa 10 Minuten seiner Zeit in Anspruch. Da er Frau M. pro Quartal etwa 14 Mal sieht, bedeutet das etwa 140 Minuten seiner Arbeitszeit. Von der Kassa erhält er pro Quartal eine Pauschale inkl. Hausarztzuschlag von 29,50 EURO. Sagen wir, dass ein Drittel davon in die Aufrechterhaltung der Infrastruktur (Miete, Personal, Heizung etc) fließen, dann bleibt für seine Zeit ein Stundenlohn von 8,60 EURO. Würde man das jetzt auf 14 Gehälter und unter Anrechnung der Urlaubszeit umrechnen, sind das heiße 6,20 pro Stunde – brutto!

Davon eine Familie ernähren geht nicht. Also was tut Dr. H.? Einerseits könnte er, wie viele seiner Kollegen, Frau M. sofort weiterüberweisen – am besten in die Spitalsambulanz; was rechtens wäre, aber nicht patientenorientiert (und für uns sehr teuer). Andererseits könnte er bei jedem oder jedem zweiten Besuch ein EKG schreiben. Pro EKG kriegt er 10 EURO und das bessert seinen Stundenlohn auf. Rechtens ist das nicht, weil er nur Leistungen erbringen darf, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten; und sooft ein EKG zu schreiben, ist definitiv nicht nötig. Trotzdem hat Dr. H. sich dafür entschieden. Jetzt hat Frau M. eines der bestdokumentierten gesunden Herzen, und Dr. H. fühlt sich wohl, geholfen zu haben, ohne dass seine Familie verhungern muss – dass er damit das System „betrügt“, ist ihm, seiner Patientin und wohl auch den meisten Entscheidungsträgern in der Kasse egal. Es weiß da wie dort ohnehin jeder, dass die Versorgung zusammenbrechen muss, wenn alle Hausärzte Dienst nach Vorschrift machten.

Aber auch im Spital wird das System untergraben. Hierzulande liegen wir 40 Prozent häufiger mit Pneumonie und gleich 300 Prozent öfter mit chronischem Herzversagen im Krankenhaus als die Deutschen. Klar könnten wir glauben, dass wir viel kränker sind und deswegen häufiger ins Spital müssen – rechtlich darf dort nämlich nur liegen, wer aus medizinischen Gründen einer stationären Versorgung bedarf. Real ist das natürlich anders. Wenn heute ein Patient ins Spital kommt, und der Arzt sich nicht sicher ist, ob die ambulante Versorgung, sei sie pflegerisch oder medizinisch, garantiert ist, dann nimmt er den Patienten halt mit irgendeiner Diagnose auf – Gesetz hin, Gesetz her.

Unser System ist schlecht. Keine Rede davon, dass es die realen Bedürfnisse der Versorgung unterstützt, im Gegenteil wird es täglich hinderlicher. Gott sei dank, lebt die Versorgung von Menschen mit Rückgrad, denen Systemvorschriften wurscht sind, wenn sie Patienten helfen müssen. Schade allerdings, dass sie dabei immer „krimineller“ werden. Und das nur, weil die Systemverantwortlichen an Machterhalt interessiert sind, und die eigentliche Versorgung längst aus dem Blick verloren haben.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Heere Ziele und Schachfiguren

Die Argumente im Gesundheitssystem werden immer skurriler. Fast hat man den Eindruck, gezielte Desinformation wird eingesetzt, um Monopole zu halten.

Die Ziele eines solidarischen Gesundheitssystems sind heer – beinah pathetisch. Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit werden angestrebt, der Patient soll sich der Qualität sicher sein können und dabei zufrieden sein. Auch ohne Politik sind diese Ziele voll von inneren Widersprüchen.

Betrachten wir beispielsweise „Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit bei gesicherter Qualität“. Wer in der Nähe einer großen Klinik mit breitem Angebot lebt, wird immer einen leichteren Zugang zu hochqualitativer Versorgung haben. Soll er, im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit, nun höhere Beiträge zahlen, als die, die weit entfernt wohnen? Oder sollen wir überall große Kliniken errichten? Wenn aber hinter jedem Busch solche Kliniken stehen, was ist dann mit der gesicherten Qualität? In peripheren Lagen ist bei geringen Fallzahlen ein breites, qualitativ gesichertes Angebot nicht möglich.

Alternativ dazu – und das wäre das einzig logische – dürfte nur mehr eine hausärztliche Minimalversorgung angeboten werden. Die kann man noch am besten regional gerecht aufteilen und so für alle den gleichen Zugang gewähren. Was darüber hinausgeht, müsste dann dem einzelnen überlassen werden. Denn, sobald auch die Facharztversorgung angeboten wird, werden wir feststellen, dass Ballungszentren bevorzugt werden.

Ich behaupte, kein System der Welt schafft es, diese hochtrabenden Ziele zu erreichen. Real muss es ständig Kompromisse geben. Wo Kompromisse nötig sind, ist aber Politik nötig, und die verliert sich dann in populistischen Entscheidungen. Verständlich, ist doch nur die Patientenzufriedenheit für Wahlen wichtig.

Das treibt skurrile Blüten. So wurden Studienergebnisse (nicht die Studie) veröffentlicht, die feststellen, dass 98 Prozent der Bevölkerung mit der Versorgung zufrieden sind. Genauer geschaut, waren nur die 15- bis 65-Jährigen so zufrieden. Dort, wo Menschen wirklich oft mit der Versorgung in Kontakt kommen, also ab 65, dort wurde nichts publiziert!

Die meisten anderen Umfragen sind daher auch selbstgestrickt und unwissenschaftlich. Und die Zustimmungswerte liegen stets jenseits der 95 Prozent!

Und weil man alle anderen Ziele nicht mehr verfolgt, muss man diese durch Propaganda ersetzen. Von oben herab wird der Bevölkerung erklärt, dass alle alles überall auf allerhöchstem Niveau kriegen – gratis! Und um diese Lüge zu stützen, werden Patienten zunehmend auch zur Qualität befragt. Einer Umfrage unter Patienten zufolge sollen 80 Prozent der niedergelassenen Ärzte gut oder sehr gut sein! Können Patienten, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Arzt stehen, die Qualität wirklich beurteilen? Ich halte das alles für einen Missbrauch des Patienten zu taktischen Zwecken.

Und als ob das nicht reicht, gibt es neuerdings eine andere Beweisführung: Wenn unser System nicht so toll wäre, dann würden die Österreicher im Urlaub keine Rückholversicherung abschließen! Wäre das wirklich ein Maß, dann dürften US-Amerikaner auf Österreichurlaub eigentlich keine solche Versicherung haben.

Wer lange genug schönfärbt, erzieht die Patienten zu unmündigen Konsumenten, die dankbar annehmen, was man ihnen vorsetzt. Durch diese paternalistisch-monopolistische Desinformation schaltet man aber die einzigen Instrumente aus, die als Korrektiv dienen könnten – Demokratie und Wettbewerb. Und am Ende steht ein System, dass nicht nur immer teurer wird, sondern auch immer schlechtere Qualität liefert.

Dieser Artikel wurde im August 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Versteckspiel oder Verschwörungstheorie

Rund um das Hauptverbands-Papier erleben wir ein bravouröses Medien-Spiel. Damit ist das besser als beim letzten Mal; und Machiavelli lässt grüßen!

Immer mehr „sickert“ durch. Vor zwei Wochen war es die Sache mit den Kassenarztstellen. Diese sollten nur nachbesetzt werden, wenn Leistungen nicht durch Spitalsambulanzen erbracht werden können. Die Reaktionen waren interne Proteste und ein sofortiges Dementi: „So war das nie gemeint!“ Komisch, wenn Kassen sparen wollen, dann kann das nur bedeuten, Stellen zu streichen – Was kann man da missverstehen?

Die Frage bleibt, warum ist das durchgesickert? Betrachten wir es so:

Das wohl einzige Thema, dass Ärzte direkt betroffen hätte, wurde „rausgespielt“. Der so provozierte Widerstand gab – je nach Stärke – die Möglichkeit, diesen Punkt anzupassen.

Dann erhält letzter Woche „Der Standard“ – bekannt für seine kritische Haltung gegenüber neoliberalen Strömungen – das Papier zugespielt. Darin wird dargestellt, welche Summen man sich sparen kann, wenn man auf Generika umsteigt. Außerdem sollen die Preise sinken, wenn man Pharmaunternehmen Werbung verbietet. Und weil’s so schön ist, sollen Apothekenaufschläge gekürzt werden. Das mit den Kassenarztstellen ist bereits entschärft.

Mal sehen, wie der Vorschlag ankommt? Dann ein Rückschlag. Statt wie erwartet, wird nicht auf die „bösen“ Geschäftemacher eingeschlagen, sondern – deswegen ist „Der Standard“ ja eine Qualitätszeitung – differenziert berichtet. Mehr noch, in einem Folgeartikel lässt man einen Experten (mich) und die Industrie zu Wort kommen, die die dargestellten Einsparungen nicht nachvollziehen können und „Werbeverbote“ an kommunistische Ideen erinnern.

Aber das Spiel geht weiter. Jetzt erhalten mehrer Zeitungen das Papier gleichzeitig. Im „Kurier“ erreicht man damit sogar die Seite eins der Wochenendausgabe. Welche Version der Kurier hat, ist unbekannt. Berichtet wird zwar noch immer über Einsparungen bei den Medikamenten (keine Euro-Angaben mehr – merkwürdig!), aber jetzt liegt der Spin auf Patientenorientierung: weniger Rezeptgebühr und längere Öffnungszeiten bei niedergelassenen Ärzten. Der Bericht ist also anders als alle anderen! Was soll man davon halten?

Egal! Bei allem, was man bisher zu wissen glaubt, eines ist sicher: Reformiert wird wenig und gespart nur bei den Medikamenten. Das ist schon beeindruckend. Kein unabhängiger Experte hätte hier jemals ein so großes Potential gesehen, dass damit das System gerettet werden könnte. Man sollte nicht vergessen, dass die Medikamentenkosten mit gerade 13 Prozent der Gesundheitsausgaben EU-weit unterdurchschnittlich sind, und auch die Preise selbst unter dem EU-Schnitt liegen. Und was das senken der Apothekerspannen betrifft, wird das großen Apotheken in zentraler Lage vermutlich egal sein, aber in der Peripherie wird das existenzbedrohend – zur Freude der ärztlichen Hausapotheken, die damit ihre eigenen Existenzen festigen?

Damit komme ich zum Schluss: Alle, die nicht mitverhandeln durften (alle außer Ärztekammer und Kassen) sind die Blöden; das Floriani-Prinzip in Reinkultur. Draußen, außerhalb der Welt, die Gesetze beschließen und dank Gewaltmonopol exekutieren kann, wäre ein Vertrag zuungunsten Dritter schlicht unwirksam. Aber hier? Wo sich Kämmerer und Gewerkschaften bester Kontakte zur Legislative erfreuen?

PS.: Der letzte Vorschlag, die Packungsgrößen zu senken ist übrigens eine versteckte Erhöhung der Selbstbehalte, weil für die gleiche Menge an Tabletten öfter Rezeptgebühr anfällt! Aber Patienten haben ja auch nicht mitverhandelt.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Löbliche Abteilung

Mit den Sparvorhaben der Krankenkassen soll es ernst werden. Und mit „bedarfsorientierten Kassenverträgen“ hört man wirklich Neues(?)!

Wenn ein Arzt etwas von einer Spitalsabteilung will, dann ist es Etikette, diese auf dem Überweisungsschein mit „löbliche Abteilung“ anzusprechen. Was man dann will, das ist oft kryptisch. Allzu oft steht nach formvollendeter Anrede nur: „Fachärztliche Abklärung erbeten“. Welches Fach gemeint ist, oder welches Problem abgeklärt werden soll, das kann sich der Spitalsarzt aus den Fingern saugen. In der Regel wird nicht mitgeteilt, welche Untersuchungen bereits durchgeführt wurden und zu welchem Ergebnis sie geführt haben und nur selten wird eine konkrete Frage gestellt.

Diese Seltsamkeit – auch bekannt als Schnittstellenproblem – hat zwei Ursachen: (1) es gibt keinen einheitlichen Katalog für ambulante Leistungen (es gibt 14 Kassen-Honorarkataloge und in den Spitalsambulanzen gar nichts) und (2) fehlt jegliche Abstimmung zwischen Kassenbereich und Ambulanzen. Damit fehlt eine gemeinsame Grundlage, ja selbst eine gemeinsame Sprache ist unmöglich.

Ich habe mir einmal den Spaß erlaubt, die Anzahl der Patientenkontakte bei Kassenärzten mit der der Ambulanzbesuche und stationären Aufnahmen zu vergleichen. Definitiv in Verbindung stehen Ambulanzbesuche und stationäre Aufnahmen. Das heißt, dort, wo Patienten oft in eine Ambulanz gehen, dort werden diese auch oft aufgenommen – ein Effekt des Finanzierungssystems, das ambulante Leistungen schlecht und stationäre gut bezahlt. Überhaupt keine Übereinstimmung findet man aber zwischen Kassenarztkontakten und Ambulanzbesuchen. Anders ausgedrückt, die beiden Welten „Kassensystem“ und „Spitalssystem“ haben statistisch betrachtet nichts mehr miteinander zu tun.

Welche Auswirkung dieses seit 1995 (damals haben sich die Kassen aus den Ambulanzen zurückgezogen und sich selbst überlassen) bestehende Nebeneinander hat, lässt sich in Zahlen ausdrücken. Die Zahl der Ambulanzpatienten ist von 4,5 auf 7,5 Millionen gestiegen. Die Kosten haben sich verdoppelt und liegen bei 1,4 Mrd. Euro. Die stationären Patienten sind von knapp 2 auf über 3 Millionen gestiegen. Auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird, es gab – verstärkt durch das Kassenhonorarsystem – eine massive Verlagerung in die Spitäler, die ein Vielfaches einer wohnortnahen Behandlung durch niedergelassene Ärzte kosten – aber diese Kosten gehören eben wem anderen: den Steuerzahlern (vertreten durch Landesfürsten).

Wenn also künftig Kassenverträge nicht automatisch nachbesetzt werden, sondern nur nach Bedarf, sofern Leistungen nicht auch von Spitälern oder Ambulanzen erbracht werden können, dann bin ich gespannt, wie dieser Bedarf bei fehlenden Leistungskatalogen und -abgrenzungen (Wer soll was wann wo machen) ermittelt werden soll. Denken wir praktisch. Reicht die Nähe eines Spitals aus, dass es keinen niedergelassenen Arzt mehr geben muss? Wird so jede Stadt mit Spital frei von Kassenärzten? Wenn noch mehr in Spitäler verlagert wird, was wird uns Steuerzahler dann die Einsparung der Kassen kosten?

Sehen wir es positiv. Der Ansatz der am Patientenbedarf orientierten Planung ist goldrichtig (aber nicht neu – denn schon seit 1958 Gesetz!). Politiker haben zwar hierzulande keine Ahnung, wie man so was macht und noch nicht einmal geeignete Daten, um so was abzuschätzen, aber so nach 50 bis 100 Jahren, werden sie schon draufkommen, wie es geht – mittels „try and error“, dem wohl gängigsten und teuersten Steuerungsinstrument des hiesigen Gesundheitssystems.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Kritik der praktischen Medizin – ein Teufelskreis

Die Fehler im ambulanten Versorgungssystem sind mittlerweile Kulturgut geworden. Und Kulturen kann man nicht schnell ändern – wenn überhaupt.

Da sitze ich mit einem Freund, technischer Physiker und einer jener Menschen, die ich als Genie bezeichnen würde, im Gastgarten, unsere Kinder spielen im Sand und wir reden – was sonst – über das Gesundheitssystem. Und ich weiß nicht, wie wir darauf gekommen sind, jedenfalls stellt er fest, er braucht keinen Hausarzt, weil er am besten Wisse, welchen Facharzt er benötigt. Und wenn er das ohnehin wisse, dann geht er doch lieber gleich in die Spitalsambulanz, da gibt es alles, was er braucht. Und gleich heißt gleich – Öffnungszeiten sind da unwichtig.

Es hat mich wieder richtig gerissen. Ist das die Einstellung der heutigen Patienten? Um Arzt zu werden, braucht es eine 10- bis 15-jährige Ausbildung, erst dann hat man das Recht, krank von gesund zu unterscheiden. Wie also kann ein „Laie“ so selbstsicher davon ausgehen, dass er es besser wisse? Wie kann es passiert sein, dass der Patient der Arzt-Patienten-Beziehung so wenig traut, dass er lieber in eine hochtechnisierte Ambulanz geht, als sich seinen Arzt zu suchen?

Aber andererseits ist es verständlich.

Es schaut so aus, als ob die Infrastrukturen im niedergelassenen Bereich ausgehöhlt wurde: In den Spitälern hat sich die Zahl der Ärzte in den letzten 20 Jahren fast verdreifacht. Und bei den Kassenstellen für Hausärzte? Da hat sich eigentlich nichts getan. Zudem ist das Leistungsspektrum zurückgegangen. Hat ein Hausarzt früher noch kleine Wunden genäht, sogar Röntgenbilder gemacht, war er früher „regelmäßig“ bei den Familien zu Hause, wartet er zunehmend, nur mehr mit dem Stethoskop in den Ohren in seiner Ordination auf Patienten.

Wohlgemerkt war das nicht der Wunsch der praktischen Ärzte, denn in deren Reihen waren und sind immer wieder Idealisten, die versuchen, die Rolle des Hausarztes zu stärken. Es war das System, dass offenbar wenig für sie über hat. Interessanterweise hat die WHO bereits 1969 (!) festgehalten, dass es die steigende Tendenz gibt, Patienten in Spitäler einzuweisen, und dass diese Tendenz durch das Honorierungssystem (das die Ärztekammer mitzuverantworten hat!) gefördert wird. Aber außer unzählbaren politischen Lippenbekenntnissen hat sich wenig getan, und so wird der Hausarzt halt immer unwichtiger und in der Versorgung unwirksamer.

Wen wundert es, dass Patienten den Hausarzt nur mehr als „Überweiser“ und „Krankschreiber“ und nicht mehr als vertrauenswürdigen Diagnostiker und Therapeuten wahrnehmen? Warum sollte man einem Arzt vertrauen, der keine Zeit hat, bei dem man lange warten muss, der dann ohnehin nur überweist – und das oft in die Ambulanz? Mehr noch, durch den massiven Ausbau des Spitalssektors und einer maßlosen Schönwetterpolitik, werden mittlerweile vermutlich viele Patienten, selbst wenn sie vom Hausarzt richtig und ausreichend therapiert wurden, anschließend die Ambulanz aufsuchen, weil sie der Meinung sind, Spitzenmedizin gibt es nur dort.

Dass bei so einer Politik aber die Wohnortnähe verloren geht, ist offenbar unwichtig, ebenso, dass damit eine sinnlose und teure Überversorgung erzeugt und bald wegen jedem Schnupfen ein komplettes Labor angefordert wird.

Es ist eigentlich ein Wahnsinn, wenn man Gesundheitspolitik mit Populismus paart. Alle erhalten alles, jederzeit, gratis, auf allerhöchstem Niveau ohne Eigenverantwortung und ohne Rücksicht auf Kosten. Ob man die ambulante Versorgung jemals wieder auf zukunftsträchtige Beine stellen kann? Ich weiß es nicht!

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.