Pflegkräftemangel -Mythos

(Lesezeit 10 Min) Die Meldung kam für alle überraschend. Laut den ersten offiziellen Daten des Pflegeregisters, sind 141.096 Personen in einem Gesundheits- und Krankenpflegeberuf ausgebildet. Dazu zählen Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege, Pflegefachassistenz und Pflegeassistenz. Diese Zahl ist erstaunlich hoch, und passt gar nicht in das Bild, das die Politik seit Jahren zeichnet.

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Aktuelle Entwicklungen im österreichischen Pflegesystem

Abschaffung des Pflege-Regresses ist kein Reformschritt zu einem vernünftigen Pflegesystem. Dieses müsste Pflegevermeidung, nicht Pflegeversorgung anstreben.

Litt bis vor einigen Jahrzehnten der typische Patient des Gesundheitssystems an einer akuten und heilbaren Krankheit, leidet er heute an chronischen Krankheiten und altersentsprechenden Einschränkungen der Gesundheit – Aus der Sicht des Patienten verschwimmen die Grenzen zwischen Pflege- und Gesundheitssystem.

Die Erkenntnis, dass die Progression der Pflegebedürftigkeit nicht nur die Lebensqualität reduziert, sondern auch mit einer verstärkten Inanspruchnahme des Gesundheitssystems einhergeht, es jedoch Möglichkeiten gibt, die Progression der Pflegebedürftigkeit zu verlangsamen, führt dazu, dass  praktisch alle Regierung in Europa Anstrengungen unternehmen, die Pflege in das Gesundheitssystem zu integrieren. Der Weg dazu ist eine „moderne“ Definition der Pflege (aktivierende statt kompensatorische Pflege), die als Teil des Gesundheitssystems gedacht, also in das System integriert wird.

Österreich jedoch reagiert auf diese Entwicklung kaum, und hat mit der Abschaffung des Pflegeregresses sogar Schritte unternommen, die in die Gegenrichtung zeigen.

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Der Patient steht im Mittelpunkt und dort allen im Weg

2007 habe ich ein Buch geschrieben, weil die Probleme der Pflegeversorgung massiv waren – und da in den letzten 10 Jahren nichts passiert ist, werden die Probleme immer größer und das Kaschieren immer schwerer und teurer.

Hier das Vorwort aus dem Jahr 2007

Auslöser dieses Buch zu schreiben, war die Diskussion um die Pflegeversorgung in Österreich. Eine solche Diskussion wäre zu rechtfertigen, wenn in Österreich das Gesundheitssystem privatisiert wäre. Wahrscheinlich würde die Diskussion auch stimmen, wenn wir mit den Ausgaben für das Gesundheitssystem irgendwo an letzter oder vorletzter Stelle in der OECD lägen. Eventuell wäre diese Diskussion auch gerechtfertig, wenn man sie vor 20 Jahren geführt hätte. Heute und in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem, das zu den teuersten der Welt gehört und sich selbst gerne als das beste bezeichnet, ist diese Diskussion jedoch unwürdig.
Der Grund, warum es überhaupt zu einer solchen Diskussion kommen musste, hängt stark mit der Unwilligkeit zusammen, im Gesundheitsbereich substantielle Reformen umzusetzen. Jeder, der irgendwie irgendetwas im Gesundheitssystem zu reden hat, verteidigt sein Revier – und das seit immerhin 50 Jahren sehr erfolgreich. Es ist also nicht verwunderlich, dass wir in Österreich Strukturen haben, die wie aus einer anderen Zeit anmuten. Da sich jedoch die Welt weiterdreht und die demographischen und medizinischen Entwicklungen auch vor Österreich nicht halt machen, egal wie sehr sich das manche wünschten, sind diese Strukturen mittlerweile anachronistisch geworden.
„Wie sehr“ uns der alte Mensch am Herzen liegt, sieht man alleine schon daran, dass das Fachgebiet der geriatrischen Medizin gar nicht existiert, gerade einmal ein Fortbildungsdiplom der Ärztekammer gibt es dafür. Googelt man nach den Begriffen „geriatrische Rehabilitation“, erhält man 214 000 deutschsprachige Einträge – aus Österreich stammen 308. Ein „Geriatrieplan“ in Analogie zu Kinderversorgungsplänen oder Strukturplänen gibt es eigentlich nicht. Und wenn, dann ist das meist nicht mehr als eine Auflistung von Pflegeheimen und Absichtserklärungen. Eine den Prozessen entsprechende und bedarfsgerecht abgestufte Versorgung gibt es demnach in der Pflege genauso wenig wie in der ambulanten ärztlichen Versorgung.
Was es allerdings sehr wohl gibt, ist die Verdrängung der Patienten in andere Versorgungsstrukturen, wie dem Krankenhaus. Aus gesamtwirtschaftlicher Betrachtung ist das jedoch Irrsinn, da ein Krankenhaus vermutlich mindestens doppelt so teuer und fachlich falsch qualifiziert ist, als die eigentlich benötigte und bedarfsgerechte Struktur. Anders ausgedrückt, könnte man, wenn man sich auf eine große Reform einigt, für das gleiche Geld doppelt so viele pflegebedürftige Personen betreuen! Und wenn man dann auch noch vernünftige Konzepte für die Pflegeversorgung (insbesondere abgestufte Modelle) entwickelt, dann sind es vermutlich drei oder vier Mal so viele – ohne dass der Patient was zahlen müsste. Und wenn man die Kuration endlich gemeinsam mit dem Pflegebereich abstimmen würde, dann könnte man sich sämtliche Selbstbehalte in der Pflege überhaupt sparen und die Pflege solidarisch finanzieren – ohne Beiträge erhöhen zu müssen.
In der Pflege besteht ein noch größerer Reformbedarf als in der Kuration. Es fehlen geeignete Definitionen, die die Leistungen der öffentlichen Hand von Privatleistungen klar trennen, die Abstufung der Angebote ist nicht am Bedarf der pflegebedürftigen Personen ausgerichtet, die Abstimmung des Leistungsgeschehens mit angrenzenden Bereichen fehlt komplett.

 

Und hier das ganze Buch als PDF

GESUNDE ZUKUNFT  

ÖSTERREICHS GESUNDHEITSVERSORGUNG NEU
Diskussionsgrundlage zur Entwicklung neuer Strategien im Gesundheitswesen

 

Lesezeit 3,5 Stunden – es ist sehr leicht zu lesen! darauf bin ich heute noch stolz

Was bedeuten 100.000€? Pflege- vs. Ärzte-Einkommen

Nachdem von unterschiedlichsten Seiten immer wieder versucht wird, über eine Neiddebatte, den Berufsgruppenkonflikt zwischen Pflege und Ärzten zu schüren, um politisches Kleingeld zu wechseln, habe ich versucht einmal ein bisschen vergleichbare Zahlen zu erstellen – in der Hoffnung, dass diese Äpfel-Birnen-Vergleiche enden.

Das Einkommen eines Spitalsarztes

Die durchschnittlichen Vollkosten eines Spitalsarztes (von jung bis alt, von Turnusarzt bis Primar) in Österreich betragen 2013 etwa 100.000 €. Darin enthalten sind Arbeitgeberbeiträge in der Höhe von etwa 22.000 €, bleiben 78.000 € brutto. In diesem Brutto enthalten sind, neben dem Grundgehalt, alle Zulagen und Zahlungen für Überstunden und Nachtdienste.

Valide Arbeitszeitaufzeichnungen für Spitalsärzte gibt es nicht, aber, das, was bekannt ist, deutet darauf hin, dass Ärzte durchschnittlich 55 Stunden pro Woche arbeiten. Die Ausfallzeiten betragen meinem Informationsstand zufolge 10% womit pro Jahr etwa 2.600 Leistungsstunden entstehen. 800 bis 900 Stunden sind als Überstunden zu werten, die, wenn man Arbeitsbedingungen zu Grunde legt, die für alle anderen Arbeitnehmer im Spital gelten, mit 1,5 bis 2 zu multiplizieren sind (also 150%ige bis 200%ige Überstunden). Weiterlesen „Was bedeuten 100.000€? Pflege- vs. Ärzte-Einkommen“

Revolution im KAV: Zusammenarbeit von Pflege und Medizin – „NEU“

U.a. folgender Text, wurde am Fr. 1. Aug. 2014 um 16:40 an alle KAV-Mitarbeiter per E-Mail übermittelt. Der Text stellt die rechtlichen Grundlagen dar, die die Zusammenarbeit von Medizin und Pflege im KAV künftig auf neue Beine stellt. Wenn das so kommt, ist es nichts weniger als eine Revolution – Gratulor.

Hintergrund ist die Reform der Ausbildung von Turnusärzten, die ab Mitte 2015 nach neuen gesetzlichen Grundlagen erfolgen soll. Davor startet mit 1.1.2015 der Anerkennungsprozess als Ausbildungsstätten durch die Ärztekammer. Nochmals Gratulor – in meiner Analyse der Ausbildungsreform ging ich nicht davon aus, dass sowas passieren wird – wobei das alles bis dato nur Papier ist. Die Erfahrung mit AP7 (schnell lesen, der link wird sicher bald ins leere führen) lehrt, dass der Weg vom Papier zur Umsetzung in Österreich ein sehr langer, bei AP7 ein unendlich langer ist.

Hier nun der Text der Generaldirektion des KAV an alle Mitglieder

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Des Kanzlers Milliarde

Bundeskanzler Faymann will eine Milliarde aus der Spitalsfinanzierung umwidmen. Dagegen sind die üblichen Verdächtigen, die Idee ist aber gut.

Angela L. (83) ist körperlich gar nicht so schlecht beisammen. Allerdings ist sie seit einem Sturz der festen Überzeugung, ihre Hüfte ist gebrochen. Davon kann sie niemand abbringen. Seither liegt sie meist im Bett. Um nicht auf die Toilette zu müssen, trinkt sie viel zu wenig. So ist sie regelmäßig vollkommen ausgetrocknet.

Ihr Neffe kommt seit Monaten zwei Mal täglich um zu helfen und die nötigste Pflege zu erledigen. Er bekniet sie, doch mobile Hilfe in Anspruch zu nehmen, was sie strikt ablehnt. Dafür ruft sie regelmäßig den Notarzt. In den letzten sechs Monaten war sie vier Mal im Spital. Nach dem letzten Aufenthalt hat sie dann mobile Hilfe akzeptiert. Allerdings hat das den weiteren Verfall nicht abfangen können. Neun Monate nach dem Sturz kam sie in ein Pflegeheim, dass sie bis zu ihrem Tod ein Jahr später nicht mehr verlassen hat.

Ähnliches passiert in Österreich jährlich bei Hunderttausenden alten Patienten. Rund 600.000 Spitalsaufenthalte (das sind etwa 25 Prozent aller Aufenthalte) sind entweder nicht nötig oder könnten aus medizinischer Sicht wenigsten deutlich kürzer sein. Rund drei bis vier Millionen Spitalstage entstehen so unnötigerweise, dafür braucht man mindestens 10.000 (20 Prozent aller) Spitalsbetten.

Statt jedoch Patienten während des Aufenthalts zu helfen, ihr eigenes Leben wieder selbst zu führen, erhalten sie den Spitalsvollservice, statt Rehabilitation kriegen sie hochtechnisierte Medizin, statt besser auf zu Hause vorbereitet zu werden, werden sie wie ein Pflegefall rund um die Uhr im Bett betreut. Im Grunde wäre für diese Patienten alles besser als ein Spital, und doch versorgen wir sie dort.

Die 10.000 Spitalsbetten kosten mindestens eine Milliarde Euro. Würden die Patienten auf speziellen Entlassungsabteilungen liegen, gäbe es ausreichend Kurzzeit- und Tagespflegeplätze, die wie Spitalsbetten als Sachleistung vorgehalten würden, würde die Versorgung der Patienten nur etwa 400 Millionen kosten, 600 Millionen weniger. Damit könnte man beispielsweise das Pflegegeld um 30 Prozent erhöhen, oder aber die mobilen Dienste wenigstens teilweise als Sachleistung zur Verfügung stellen, und das riesige Pflegeproblem deutlich mildern.

Wenn dem Kanzler vorschwebt, Bundesgelder aus der Spitalsfinanzierung in einen Generationenfonds zu verlagern, und er dabei an die Abstimmung zwischen Pflege und Spitälern gedacht hat, dann ist die Idee wohlfeil; und zudem realisierbar – theoretisch!

Aktuell kriegen die Spitäler etwa eine Milliarde Euro direkt aus dem Steuertopf. Der Kanzler könnte, wenn er die Regierung überzeugt, das Geld umwidmen. Er könnte eine bundessteuerlich kofinanzierte abgestufte Versorgung zwischen Spitälern und Pflege anstoßen und die unmenschliche Schnittstelle zwischen der Spitals- und der Pflegewelt menschlicher gestalten.

Allerdings ist die Umschichtung von so viel Geld keine leichte Aufgabe. Es würde bedeuten, dass großflächig Spitalsabteilungen umgewidmet oder sogar geschlossen werden müssten. Ob da die Bundesländer, ohne die es dank Föderalismus nicht geht, mitgehen, ist fraglich. Die Ärztekammer hat bereits ihr Njet eingelegt. Und wenn ich mir die zuständigen Minister (Finanz und Gesundheit) anschaue, dann wage ich zu zweifeln, ob selbst bei einem leisen Nein von Ländern oder Sozialpartnern ernsthaft Schritte angedacht werden.

Also wird es bleiben wie es ist: unmenschlich, teuer aber das „Beste der Welt“.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.