Pflegegeld statt Karenzgeld – ein Vorschlag aus Niederösterreich

In Niederösterreich, dem Land, das Erwin Pröll absolut regiert, wird die Pflege immer teurerer. Das ist im Grunde nicht überraschend.

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   In Niederösterreich wurden 2011, bezogen auf die Bevölkerung über 75 Jahre, offiziell nur etwa halb so viele Pflegeplätze vorgehalten wie in Salzburg, der Steiermark oder Wien. Niederösterreich ist bei dieser Kennzahl überhaupt das Bundesland mit der niedrigsten Ausstattung. Es ist also klar, dass da Kosten überproportional steigen, es gibt offenbar einen Investitionsrückstau.

   Ebenfalls wenig überraschend ist es, dass Niederösterreich nach frischem Geld schreit – Bundesgeld natürlich. Überraschend allerdings sind die Vorschläge der Soziallandesrätin, Barbara Schwarz (ÖVP). Diese wird in der Tageszeitung „Kurier“ folgendermaßen zitiert: „Ich kann mir da ein Modell wie bei der Sozialversicherung vorstellen. Jeder Arbeitnehmer würde dann einen gewissen Prozentsatz seines Einkommens in einen Pflegetopf einzahlen.“ Im Gegenzug (also wenn man, also der Bund, nicht will, dass die Abgabenlast steigt; Anm.) müssten eben andere Abgaben der Bürger oder Aufgaben des Bundes überdacht werden. Als Beispiel nennt Schwarz das Kinderbetreuungsgeld (auch als Karenzgeld bekannt; Anm.).

   Übersetzt heißt das, entweder soll noch weniger netto vom Brutto bleiben oder, wenn nicht erwünscht, halt bei Familien gespart werden. Ein toller Vorschlag.

   Auf die Idee, landesintern ein bisschen zu reformieren, kommt man nicht. Also zum Beispiel ein bisschen weniger Spitäler, dafür mehr Pflegeheime zu bauen.

   So grob geschätzt, gehen von den zwei Millionen Spitalstagen, die in Niederösterreich anfallen, 400.000 auf das Konto von Menschen, die keine Spitalsbehandlung, sondern Pflege brauchen. So ein Spitalstag kostet 300 bis 500 Euro, macht jährlich 120 bis 200 Millionen Euro (zwischen 10 und 15 Prozent der stationären Spitalskosten), die gerne, aber völlig falsch ausgegeben werden.

   Würde man dieses Geld nehmen und der wohnortnahen Pflege geben und vielleicht auch ein bisschen davon den Hausärzten, die Forderungen nach neuem Geld wären für Jahre vom Tisch – und die Patienten würden von einer besseren Versorgung profitieren.

   Aber welcher Politiker, vor allem in Niederösterreich, verzichtet schon gerne auf prestigeträchtige Spitäler, zugunsten der definitiv weniger coolen Pflege – noch dazu, wo das Geld ohnehin vom Bund kommt: „Wir geben aus, wie es uns passt und wo es uns passt – geht das Geld aus, dann hat der Bund mehr herzugeben. Basta“

   Wenn der Föderalismus in seiner jetzigen Form nicht abgeschafft wird, wird es nie eine integrierte Versorgung geben, in der die Akutmedizin mit Prävention, Pflege und Rehabilitation so abgestimmt ist, dass der Patient zur richtigen Zeit das Richtige am richtigen Ort erhält – wenn das aber nicht klappt, werden wir immer mehr in ein immer ineffektiver werdendes System einzahlen, ohne dass Patienten davon profitierten.

   Das ist jetzt auch nicht überraschend und steht so schon seit Jahrzehnten in Gesundheitsreformpapieren. Aber wie gesagt, überraschend ist nur, mit welcher Chuzpe hier eine niederösterreichische Landespolitikerin höhere Steuern oder weniger Familienförderung verlangt, um hausgemachte Finanzierungsprobleme dem Bund umzuhängen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 095 vom 15.05.2014    

Des Kanzlers Milliarde

Bundeskanzler Faymann will eine Milliarde aus der Spitalsfinanzierung umwidmen. Dagegen sind die üblichen Verdächtigen, die Idee ist aber gut.

Angela L. (83) ist körperlich gar nicht so schlecht beisammen. Allerdings ist sie seit einem Sturz der festen Überzeugung, ihre Hüfte ist gebrochen. Davon kann sie niemand abbringen. Seither liegt sie meist im Bett. Um nicht auf die Toilette zu müssen, trinkt sie viel zu wenig. So ist sie regelmäßig vollkommen ausgetrocknet.

Ihr Neffe kommt seit Monaten zwei Mal täglich um zu helfen und die nötigste Pflege zu erledigen. Er bekniet sie, doch mobile Hilfe in Anspruch zu nehmen, was sie strikt ablehnt. Dafür ruft sie regelmäßig den Notarzt. In den letzten sechs Monaten war sie vier Mal im Spital. Nach dem letzten Aufenthalt hat sie dann mobile Hilfe akzeptiert. Allerdings hat das den weiteren Verfall nicht abfangen können. Neun Monate nach dem Sturz kam sie in ein Pflegeheim, dass sie bis zu ihrem Tod ein Jahr später nicht mehr verlassen hat.

Ähnliches passiert in Österreich jährlich bei Hunderttausenden alten Patienten. Rund 600.000 Spitalsaufenthalte (das sind etwa 25 Prozent aller Aufenthalte) sind entweder nicht nötig oder könnten aus medizinischer Sicht wenigsten deutlich kürzer sein. Rund drei bis vier Millionen Spitalstage entstehen so unnötigerweise, dafür braucht man mindestens 10.000 (20 Prozent aller) Spitalsbetten.

Statt jedoch Patienten während des Aufenthalts zu helfen, ihr eigenes Leben wieder selbst zu führen, erhalten sie den Spitalsvollservice, statt Rehabilitation kriegen sie hochtechnisierte Medizin, statt besser auf zu Hause vorbereitet zu werden, werden sie wie ein Pflegefall rund um die Uhr im Bett betreut. Im Grunde wäre für diese Patienten alles besser als ein Spital, und doch versorgen wir sie dort.

Die 10.000 Spitalsbetten kosten mindestens eine Milliarde Euro. Würden die Patienten auf speziellen Entlassungsabteilungen liegen, gäbe es ausreichend Kurzzeit- und Tagespflegeplätze, die wie Spitalsbetten als Sachleistung vorgehalten würden, würde die Versorgung der Patienten nur etwa 400 Millionen kosten, 600 Millionen weniger. Damit könnte man beispielsweise das Pflegegeld um 30 Prozent erhöhen, oder aber die mobilen Dienste wenigstens teilweise als Sachleistung zur Verfügung stellen, und das riesige Pflegeproblem deutlich mildern.

Wenn dem Kanzler vorschwebt, Bundesgelder aus der Spitalsfinanzierung in einen Generationenfonds zu verlagern, und er dabei an die Abstimmung zwischen Pflege und Spitälern gedacht hat, dann ist die Idee wohlfeil; und zudem realisierbar – theoretisch!

Aktuell kriegen die Spitäler etwa eine Milliarde Euro direkt aus dem Steuertopf. Der Kanzler könnte, wenn er die Regierung überzeugt, das Geld umwidmen. Er könnte eine bundessteuerlich kofinanzierte abgestufte Versorgung zwischen Spitälern und Pflege anstoßen und die unmenschliche Schnittstelle zwischen der Spitals- und der Pflegewelt menschlicher gestalten.

Allerdings ist die Umschichtung von so viel Geld keine leichte Aufgabe. Es würde bedeuten, dass großflächig Spitalsabteilungen umgewidmet oder sogar geschlossen werden müssten. Ob da die Bundesländer, ohne die es dank Föderalismus nicht geht, mitgehen, ist fraglich. Die Ärztekammer hat bereits ihr Njet eingelegt. Und wenn ich mir die zuständigen Minister (Finanz und Gesundheit) anschaue, dann wage ich zu zweifeln, ob selbst bei einem leisen Nein von Ländern oder Sozialpartnern ernsthaft Schritte angedacht werden.

Also wird es bleiben wie es ist: unmenschlich, teuer aber das „Beste der Welt“.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.