Die verkehrte Welt der Spitäler

Wenn wir „Spital“ hören, denken wir an ein Gebäude, in dem wir, wenn wir schwer krank sind, so behandelt werden, dass wir wieder gesund werden.

Es ist davon auszugehen, dass es (den meisten von) uns lieber wäre, „zuhause“ behandelt zu werden. Für uns ist der „optimale“ Weg der, dass wir erst ins Spital müssen, wenn es nicht anders geht. Im Spital soll dann jene Gesundheit „produziert“ werden, die außerhalb nicht produziert werden kann – und zwar ohne Profitstreben und für alle, nicht nur für die, die es sich leisten können. Das ist nicht nur der moralische Auftrag, sondern auch der objektive Grund für unsere Spitäler. Ist das auch real?

Die Politik definiert Spitäler mittlerweile gerne anders. Zwar wird noch von „optimaler“ Versorgung gesprochen, aber immer klarer festgehalten, dass der volkswirtschaftliche Aspekt wichtig ist. Die Politik hat das eigentliche Ziel aus dem Fokus genommen. Zwar könnte es noch immer sein, dass Gesundheit produziert wird, aber so sicher ist das nicht mehr. Stellen wir uns eine virtuelle Region vor, die plötzlich gesund ist, dann könnte das dortige Spital keine Gesundheit mehr produzieren – aus volkswirtschaftlicher Sicht dürfte es trotzdem nicht gesperrt werden!

Die Zahl der Spitalsaufnahmen schießt seit Jahren in die Höhe. Wir zählen (offiziell) mittlerweile 26,7 Aufnahmen pro 100 Einwohner, während die Deutschen mit nur 20,6 auskommen (EU 15,6). Und als kleines Beispiel: Bei uns liegen Patienten mit Herzschwäche gleich drei Mal häufiger im Spital als in Deutschland. Es entsteht der Eindruck, dass doch viele im Spital behandelt werden, obwohl sie gesund genug wären, zuhause behandelt zu werden. Das ist keine „optimale“ Versorgung!

Warum ist das so? Weil die Politik es nicht schafft, oder schaffen will, Spitäler und niedergelassene Ärzte so abzustimmen, dass Aufnahmen vermieden werden. Und solange genug Geld da war, offenbar zur beiderseitigen Zufriedenheit.

Nun laufen die Spitalskosten aus dem Ruder, und man hat, statt unnötige Spitäler zu sperren, begonnen, diese von Managern betriebswirtschaftlich optimieren zu lassen. Um das zu können, müssen Gewinnabsichten möglich werden. Es sind zwar nur „Scheingewinne“, aber ohne diese Messgröße ist eine Optimierung nicht möglich. Würde der Gewinn daran gemessen, welche Gesundheit zu welchen Kosten produziert wird, wäre das gar nicht schlimm. Aber: Wir messen keine Gesundheit!

Was wir messen sind nur die Kosten, die für Patienten anfallen. Und weil Spitäler „leistungsorientierte“ Fall-Pauschalen als Erlös erhalten, ist die einzige Chance, „Gewinne“ zu machen, die, die Kosten niedriger zu halten, als die Fall-Pauschale abwirft. Damit hat sich das Produkt verändert. Jetzt wird nicht mehr Gesundheit produziert, sondern Patienten (Fälle). Und weil es darum geht, „Fall-Kosten“ zu reduzieren, bedeutet das praktisch, möglichst viele Fälle (Economy of Scale) zu produzieren und möglichst „gesunde“ Patienten (je nach Pauschale also leichte statt schwere Fälle) zu behandeln. Zudem sind betriebswirtschaftliche Spitäler angehalten, Zusatzeinnahmen zu lukrieren. Und wo gibt es die? Bei privatversicherten Klassepatienten! Das alles führt zur Patientenselektion, die eigentlich nur in „profit-orientierten“ Systemen vorkommt.

Perversion bezeichnet eine, den vorherrschenden Moralvorstellungen entgegenwirkende, Eigenschaft. Sie liegt vor, wenn das, was man beobachtet, dem widerspricht, was sozial anerkannt ist und erwartet werden darf.

Warum mir das im Zusammenhang mit unseren Spitälern einfällt?

Dieser Artikel wurde im Oktober 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

BIP-Mythen im Gesundheitssystem

Volkswirtschaft ist schwierig! Umso leichter ist es, „BIP-Mythen“ und „es gibt keine Kostenexplosion im Gesundheitssystem“-Märchen zu erzählen.

Wenn Sie 100 Euro verdienen und 50 davon für Miete ausgeben, dann sind das 50 Prozent ihres frei verfügbaren Einkommens. Sollte ihr Einkommen schneller wachsen, als Ihre Miete, dann sinkt der Prozentsatz, auch wenn die Miete steigt. Wenn Sie also nach einer gewissen Zeit sagen wir doppelt soviel, folglich 200 Euro verdienen, aber die Miete nur um 50 Prozent auf 75 Euro gestiegen ist, dann zahlen sie nur mehr 35 Prozent ihres Geldes für das Wohnen. Soweit so gut!

Wenn jedoch ihr Vermieter nicht am Geld, sondern an Prozenten interessiert ist, und daher festlegt, dass Sie, egal was Sie verdienen, 50 Prozent zahlen müssen, müssten Sie entweder 100 Euro Miete zahlen oder, viel wahrscheinlicher, eine andere Wohnung suchen. Einfach deswegen, weil Sie, wie jeder andere auch, an Geld, und nicht an Prozenten interessiert sind.

Nun, wenn es um das Bruttoinlandsprodukt (BIP) geht, ist das anders. Denn es ist modern geworden, nur mehr in BIP-Prozenten zu reden.

Gerade im Gesundheitssystem ist diese BIPitis ausgebrochen. Und Politiker, insbesondere Ärztekämmerer, erzählen Land auf Land ab, es gäbe keine Kostenexplosion, da die Ausgaben, gemessen am BIP, seit „Jahrzehnten“ stabil bei ungefähr zehn Prozent liegen.

Gerne wird außer Acht gelassen, dass das so betrachtete BIP immer 100 Prozent beträgt. Wenn also, wie großzügig gesagt wird, die Ausgaben „ungefähr“ gleich geblieben sind, wird verschwiegen, dass ein „Mehr“ dort, immer ein „Weniger“ woanders bedeutet. Und ein Blick in die Zahlen zeigt, dass das gar nicht so ungefähr ist. Der Anteil am BIP lag 1995 noch bei 9,5 (ungefähr 10?) Prozent und 2008 bei 10,5 (auch ungefähr 10?). Nach heutigem Geldwert beträgt die Differenz schlichte 2,7 Milliarden Euro, ein bisschen viel für „Ungefähr“.

Und weil es ja um Prozente geht, heißt dass nichts anderes, als dass diese Milliarden Euro heute jemand anderem zur Verfügung stehen, als noch 1995. Ob dieses Geld über Steuern und Beiträge der Bevölkerung schlicht abgenommen und das frei verfügbare Einkommen reduziert, oder aber aus anderen öffentlichen Bereichen (Bildung, Forschung, Verkehr, Sicherheit etc.) abgezogen wurde, soll nicht näher betrachtet werden. Wesentlich ist, diese Mittel wurden „umgeschichtet“. Und angesichts der demographischen Veränderung, wird diese Umschichtung munter weitergehen!

Und wenn wir schon bei BIP-Prozentrechnungen sind, dann sei ein bisschen in die „Zukunft“ geschaut.

Aus welchen Gründen auch immer, obwohl wir Ende 2010 haben, sind die Daten für 2009 vom Gesundheitsministerium noch nicht veröffentlicht. In diesem Jahr schrumpfte das BIP. Die Ausgaben in echtem Geld sind jedoch munter weiter gestiegen. Und so kann man auch ohne ministerielle Hilfe gut abschätzen, was, gemessen am BIP, so in die Gesundheit geflossen sein wird. Und wenn nicht irgendwelche unerkannt gebliebenen Wunder aufgetreten sind, dann werden es wohl ungefähr 11,5 Prozent werden; eine „explosionsartige“ Steigerung um 10 Prozent verglichen mit 2008.

Und da nicht unwichtige Teile des BIP 2009 auf Schulden aufgebaut sind, unsere Gläubiger, so wie jeder andere auch, nicht an Prozenten sondern echtem Geld interessiert sein werden, wird zukünftig der „frei verfügbare BIP-Kuchen (echtes Geld und keine Prozente)“ wohl kleiner werden. Mal sehen, wie die, die heute noch erzählen, dass die Gesundheitsausgaben „stabil“ sind, dann argumentieren werden.

Dieser Artikel wurde im Oktober 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.