Verantwortungs- und folgenlose Gesundheitspolitik

1969, also vor 44 Jahren, hat die WHO kritisiert, dass unser Gesundheitssystem zu wenig „zentralistisch“ ist. Die Bundesregierung, deren Amtssitz sich in Wien befindet und daher sogar von Regierungsmitgliedern, wenn sie aus anderen Bundesländern kommen, gerne als „die Wiener“ tituliert wird,  hat keine Möglichkeit, in die Spitalslandschaft einzugreifen, damit Spitäler Teil eines umfassenden Planes der Gesundheitspflege werden  – mit willkürlichen und der Qualität abträglichen Folgen. Das Spitalsproblem ist also alles andere als neu oder unbekannt.

Seither wurde enorm viel unternommen, um diese Willkür einzufangen.

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Evidenzbasierte versus Eminenzbasierte Gesundheitspolitik

Hintergrund

Die moderne Definition der Gesundheitsversorgung umfasst alle Dienstleistungen, Aktivitäten oder Beratungen, seien sie gesundheitserhaltender, präventiver, diagnostischer, therapeutischer, rehabilitativer, pflegender oder palliativer Natur. Wesentlich ist nur, dass sie sich mit Krankheiten oder Symptomen, die ein Individuum aufweist, beschäftigen, unabhängig ob sie körperlich, seelisch oder verhaltensmäßig sind, einzelne Zellen oder Gene, Strukturen oder Funktionen des Körpers oder eines Teils des Körpers betreffen. Gesundheitsversorgung ist also geprägt von einer Unmenge an Einzelmaßnahmen (als Beispiel sei nur angemerkt, dass es alleine in Österreich ca. 120 bis 150 Millionen Arzt-Patienten-Kontakte gibt), die in Summe das Ziel haben sollten, die Gesundheit des einzelnen und der Bevölkerung insgesamt zu verbessern oder zu erhalten.

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Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem – ein Text zum Verständnis

(Lesezeit 10 Min.) In der gesundheitspolitischen Diskussion, genauer in der realen Situation besteht ein erhebliches Sprachgewirr. So wird beispielsweise gerne behauptet, wir hätten das beste Gesundheitssystem (GS) der Welt und argumentiert das dann mit den Erfolgen der onkologischen Medizin oder den angeblich geringen Wartezeiten auf einzelne Therapien etc.. Abgesehen, dass die meisten dieser Aussage arbiträrer Natur, oder maximal als Einzelerfahrung zu werten sind, werden hier Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem in der Regel willkürlich vermischt.

Grundsätzlich gilt aber, dass die Behandlung eines Patienten nicht automatisch etwas mit seiner Versorgung zu tun haben muss, und noch viel weniger mit dem Gesundheitssystem. Daher können Behandlungserfolge auch nicht unmittelbar der Versorgung und schon gar nicht dem Gesundheitssystem zugesprochen werden. Gesundheitssystem, Versorgung und Behandlung sind verschiedene Ebenen, die, wiewohl systemisch miteinander verknüpft, eigenen Regelmäßigkeiten unterliegen.

Interessant, politisch betrachtet aber logisch, sind die Grenzen dieser Ebenen dann klarer, wenn es um negative Nachrichten geht. Wenn im Rahmen eine Behandlung etwas schief läuft, also ein Misserfolg vorliegt, halten sich meist bereits die Verantwortlichen auf der Versorgungsebene, ganz klar aber jene der Systemebene als unbeteiligte schuldlos. Üblicherweise ist ein Spitalsarzt selbst schuld (auch wenn es juristisch anders aussieht) und nicht das Spital und schon gar nicht das Bundesland. Analog im niedergelassenen Bereich. Dort wird es nie zur Schuldhaftigkeit der Kassen oder in weiterer Folge des Gesundheitsministeriums als Aufsichtsbehörde kommen, wenn eine Behandlung erfolglos blieb.

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Eigenlob stinkt – auch in der Gesundheitspolitik

Ich weiß nicht, wie oft man das sagen muss, bis auch Politiker lernen, dass unser Gesundheitssystem schlecht ist. Die Bevölkerung, die weiß es nämlich schon!

„Wenn man in Österreich mit dem weltbesten Gesundheitssystem über eine Reform desselben spricht, ist das so, als würde das Ski-Nationalteam nach einer Reform rufen.“ Das meint ÖVP Gesundheitssprecher Dr. Erwin Rasinger und fügt sich in die Reihen der Gesundbeter und Realitätsverweigerer.

WZ-Leser wissen, dass solche Aussagen, im Gegensatz zu den nachprüfbaren Medaillen der Ski-Asse, alles andere als beweisbar sind. Daher sollte man sie als „populistische Leerstücke“ gleich vergessen. Aber tun wir so, als ob wir nachdenken wollten. Wie beweist man, ob ein System gut ist?

Das ist gut erforscht: Ein System ist bestens, wenn mit den eingesetzten Ressourcen das machbare Maximum an Gesundheit produziert wird. Das System muss dazu Ressourcen für Versorgung und Behandlung aufbringen und dem Bedarf entsprechend sinnvoll verteilen.

In Österreich haben wir sehr viele Ressourcen im Einsatz.

Mit etwa 470 praktizierenden Ärzten (ohne Zahnärzte) pro 100.000 Einwohner liegen wir unangefochten an erster Stelle – und trotzdem wird gerne über Mangel gejammert! Arbeit ist eben dehnbar wie Gummi.

Aber auch mit 110 Millionen Kassenarzt-Besuchen (also ohne Wahlärzte und Spitalsambulanzen) liegen wir vermutlich ganz vorne; hier ist aber das Zählen und Vergleichen nicht so leicht.

Das wir mit 30 Spitalsaufnahmen pro 100 Einwohner spitze sind, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Dass wir vermutlich auch die meisten medizinischen Großgeräte wie Magnetresonanz haben, wissen nicht mehr alle, aber auch viele. Und wenn wir gleich fünfmal mehr Spitäler als die Dänen haben, denken die meisten Nicht-Politiker darüber nach, ob’s nicht doch ein bisserl weniger sein dürfte.

All das hat seinen Preis, und so darf es nicht verwundern, dass wir sehr viel Geld ausgeben und hier in der absoluten Spitzengruppe mitmischen.

Also, an Ressourcen mangelt es sicher nicht. Und weil wir das weltbeste Gesundheitssystem haben, dürften wir, dank dessen weiser Ressourcenverteilung erwarten, auch mehr Gesundheit zu finden – oder?

Schauen wir einfach nach.

Unsere Senioren dürfen nicht mit allzu vielen gesunden Lebensjahren rechnen, wenigstens nicht mit so vielen, wie eben in jenen Ländern, die gleich viel ausgeben wie wir. Hier spielen wir nicht in der Oberliga, sondern mit den Nachzüglern – die aber gleich 30 Prozent weniger Ressourcen aufwenden, um das gleiche zu erreichen (ganz abgesehen von den ehemaligen Ost-Block-Ländern, die noch viel weniger ausgeben, um ähnliche Werte zu erzielen).

Dieser Umstand spiegelt sich dann auch in anderen Zahlen wider. Die Zahl der Invalidenpensionisten zählt hierzulande zu den höchsten. Pro 1000 Einwohner im Alter zwischen 55 und 59 Jahren werden 40 wegen Krankheit vorzeitig pensioniert. Überhaupt ist es so, dass die Zahl der Invaliditätspensionen ein Drittel aller neuen Pensionisten ausmacht – das sind in etwa 30.000 pro Jahr. Und logisch weitergedacht ist unsere Bevölkerung ein Pflegefall. Während international bei den über 80-Jährigen mit weniger als 25 Prozent Pflegebedürftigkeit gerechnet wird, sind es bei uns fast 60 Prozent.

Es fehlt der Platz um weiteres aufzuzählen (beispielsweise was die Kindergesundheit betrifft), aber im Gesundheitssystem ist es so wie im Bildungssystem: es ist sehr sehr teuer und wenig effektiv – von wegen weltbestes! Wenn das Politiker nicht endlich ernst nehmen, dann werden sie ausgetauscht werden müssen.

Dieser Artikel wurde im April 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Das gesundheitspolitische Sprachgewirr

Gerne wird behauptet, wir hätten das beste Gesundheitssystem und argumentiert das beispielsweise mit den Erfolgen der Krebsbehandlung.

Abgesehen, dass die meisten Aussagen arbiträr sind, werden dabei Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem vermischt. Grundsätzlich gilt aber, dass die Behandlung eines Patienten nicht automatisch etwas mit seiner Versorgung und noch viel weniger mit dem System zu tun hat. Daher können Behandlungserfolge auch nicht direkt der Versorgung und schon gar nicht dem System zugesprochen werden. Gesundheitssystem, Versorgung und Behandlung sind, wiewohl systemisch miteinander verknüpft, verschiedene Ebenen.

Behandlung ist das, was in der Beziehung zwischen Patient und seinem Arzt (oder Gesundheitsprofessionisten) unmittelbar passiert.

Die beiden treffen sich aber nicht zufällig und grundlos. Hinter ihnen steht eine komplexe Logistik, die ein Treffen erst ermöglicht. Sei es, dass Trivialitäten wie Treffpunkt (Ordination, Spital etc.) und Finanzierung, aber auch komplexe Umstände, wie die Motivation der beiden vorhanden sein müssen. Beim Patienten ist letzteres scheinbar einfach, schließlich ist er krank. Aber auch da gibt es nicht triviale Fragen: Welche Schmerzen, Wege, Wartezeiten ist er bereit auf sich zu nehmen, um zum Treffpunkt zu gelangen? Welches Risiko (z.B.: Verlust der Selbstbestimmung) besteht, wenn er sich in diese, von Informationsasymmetrie geprägte, Beziehung, einlässt? Noch komplexere Fragen findet man beim Arzt. Schließlich wird von der Bezahlung bis zu den Arbeitsbedingungen alles Anreize darstellen, diese Beziehung in die eine oder andere Richtung zu steuern. All diese Fragen und Antworten gehören zur Versorgungsebene.

Und weil diese nicht im luftleeren Raum steht, schwebt darüber das Gesundheitssystem. Hier sollten die Fragen abstrakt sein: Was soll das System erreichen? Wie entwickle ich Ziele und wie messe ich sie? Und: Von wem nehme ich für wen das Geld?

Standortdiskussionen gehören nicht zu Systemfragen und Behandlungsfragen schon gar nicht. Im allgemeinen Sprachgewirr, wird aber Gesundheitssystem, Versorgung und Behandlung synonym verwendet; meist von Akteuren, die ein Eigeninteresse daran haben, dass die Bevölkerung keine Unterscheidung treffen kann. Das ermöglicht politischen Gewinn, da so jede erfolgreiche Behandlung – und das sind ja die meisten – als Erfolg des Systems oder der Versorgung im Allgemeinen und deren politischer Vertreter im Besonderen gewertet werden kann.

Die Grenzen der Ebenen sind übrigens dann klarer, wenn es um negative Erfolge geht. Üblicherweise ist ein Spitalsarzt dann selbst schuld und nicht das Spital und schon gar nicht das Bundesland. Analog im niedergelassenen Bereich, dort wird es nie zur Schuldhaftigkeit der Kassen oder des Gesundheitsministeriums kommen, wenn eine Behandlung erfolglos blieb.

Wer die Reformdiskussion anschaut, kann erkennen, wer es ernst meint und wer nicht. Will ein Akteur zusätzlich auf anderen als der eigenen Ebene bestimmen, dann geht es nur um Macht. Das ist beispielsweise so, wenn Länder sowohl Spitäler, inklusiver deren Abteilungsstrukturen, betreiben als auch (mit fremdem Geld) finanzieren wollen. Bei dieser Kompetenzvermischung zwischen System- und Versorgungsverantwortlichkeit ist prognostiziert, dass Ziele nicht unabhängig der Versorgungsstrukturen erstellt werden, und auch die Ergebnisse nicht objektiv sein werden, sondern dem entsprechen, was der Versorger erreichen will. Und weil da die Politik mitspielt, ist das Erreichte dann „das Beste der Welt“.

Dieser Artikel wurde im März 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Jetzt wird es ernst

Maastricht lehrt den Landesspitälern das fürchten – und weil es keine Gesundheitsreform gibt, werden Spitalsmitarbeiter an den Lehren leiden.

Als die Finanzkrise kam, gab es mahnende Stimmen, die vor massiv schrumpfenden Steuereinnahmen aufgrund der daraus resultierenden Wirtschaftskrise warnten. Spätestens seit 2008 mahnten Stimmen, endlich jene Strukturreformen anzugehen, die seit Jahrzehnten überfällig sind; immer mit dabei, Gesundheitssystem und Spitäler.

Dann war sie da, die Krise. Dass wir Normalsterblichen kaum etwas mitbekommen haben, liegt an den gigantischen Geldmitteln, die zu unserem Wohl (?) und um uns bei Laune zu halten, verteilt wurden. Das Geld kam und kommt über Schulden, aber das interessiert nur Kleingeister.

Den Reigen hat Ex-Finanzminister Wilhelm Molterer eingeleitet, als er den Ländern Schulden statt Überschüsse erlaubte. Und tatsächlich haben diese 2009 drei Milliarden Euro mehr unters Volk gebracht als noch 2008. Das meiste davon ging in Spitäler – vermutlich eine Milliarde in den Betrieb, mindestens eine weitere in Neubauten oder „dringend notwendige“ Modernisierungen. An eine Reform war bei einem solchen Geldsegen gar nicht zu denken. Und die Kleingeister (wozu wohl auch Hauptverbandschef Hans Jörg Schelling gezählt werden muss), die stetig eine solche einforderten, wurden belächelt.

Und so haben sich jene, die sich nicht kümmern, woher Geld kommt, auch nicht im geringsten Gedanken gemacht, was passiert, wenn es nicht mehr kommt – so etwas galt in diesen Kreisen wohl als obszön.

Und dann passierte es. Die Griechen haben uns dermaßen hineingeritten, dass die Euro-Länder (nicht aber unsere Bundesländer) beschlossen haben, der populistischen Schuldenpolitik entgegenzutreten. Die Folge ist, dass die „Maastricht-schonend“ ausgelagerten Spitalsschulden – mindestens drei, vielleicht aber auch zehn Milliarden Euro – nun ins Budget zurückfallen. Damit war der Traum vom ewigen Geldregen vorbei. Das passierte fast ohne Aufschrei, denn vermutlich haben viele Bundesländer die Schreckstarre noch nicht überwunden oder sich in eine neurotische Verweigerung zurückgezogen. Ändert aber nichts! Sie werden demnächst auf dem Trockenen sitzen.

Da aber keine Überlegungen stattgefunden haben, wie man mit einer solchen Situation umgeht, und auch jede Gesundheitsreform untergraben oder unterbunden hat, tritt ein, wovor vor zwei Jahren gewarnt wurde.

Die Personalkosten sind mit 56 Prozent der Gesamtkosten der größte Block. Im Personalabbau sieht man nun (nicht nur in Wien) sein Heil. Da politisch ein solcher über Kündigungen kaum umzusetzen ist, greift man zum „natürlichen“ Abgang. Damit kommt es zu einer paradoxen Situation.

Den größten „natürlichen“ Abgang, der in Spitälern weniger durch Pensionierung als durch Fluktuation gegeben ist, findet man dort, wo die Arbeitsbelastung (insbesondere für Jungärzte, die meist nur auf Zeit angestellt sind, und für das Pflegepersonal) am größten ist. Dort, wo die Arbeit vergleichsweise gemütlich ist, ist die Fluktuation geringer. Der Stellenabbau wird daher genau dort stattfinden, wo der größte Arbeitsdruck herrscht, der dadurch noch größer wird. Das wird die Fluktuation weiter anheizen und es wird immer schwieriger werden, Personal zu finden – ein virtueller Mangel wird entstehen.

Und so beginnen sich die Spiralen schneller zu drehen und am Ende steht dann doch eine Reform. Allerdings eine erzwungene, und solche sind immer schlechter als gut vorbereitete.

Dieser Artikel wurde im Jänner 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Salzburger und ihr Medikamentenexperiment

Die Idee der Salzburger Gebietskrankenkassen über Wettbewerb Medikamentenpreise zu senken wird funktionieren – aber zu welchem Preis?

Wenn ein Unternehmen ein Original-Medikament von den Kassen erstattet haben will, darf es den Preis – den sogenannten Fabriksabgabepreis (FAP) – nicht selbst festlegen. Zuerst wird der EU-Durchschnittspreis ermittelt, denn kein Original darf teurer als dieser sein. Auf dieser Basis wird dann mit dem Monopoleinkäufer Hauptverband verhandelt. Folgerichtig sind, international verglichen, unsere Preise niedrig. Generika, also Imitate der Originale, müssen sich nicht an EU-Durchschnittspreise halten, und so sind deren Preise vergleichsweise hoch. Nun gibt es ein weiteres Spezifikum. Originale sind an die Generikapreise gebunden. Je nachdem, wie viele Generika es gibt, müssen entsprechende Originale mit dem Preis runter. Ab dem dritten Generikum darf das Original nicht teurer, als das teuerste Generikum sein.

Am Ende geben Kassen, auf FAP-Basis, knapp zwei Milliarden Euro aus. Dazu kommt noch eine Milliarde für die staatlich festgelegten Handelsspannen der Großhändler und Apotheken.

Gemessen an den Preisen für Originale ist diese regulierte Vorgangsweise erfolgreich, aber nicht ungefährlich. Das zeigt die Tatsache, dass der oligopolartig organisierte Großhandel begonnen hat, zu exportieren, und die niedrigen Einstandspreise dazu nützt, international höhere Gewinne als die hierzulande festgelegten Handelsspannen abzugreifen. Die Folge sind Lieferschwierigkeiten für einzelne Medikamente in Österreich.

Nun, was heißt das im Zusammenhang mit der Salzburger Liste. Da Medikamente, wenn es mindestens drei Generika gibt, etwa gleich viel kosten, stehen Produzenten in einem preisunabhängigen Wettbewerb. Wer verkaufen will, kann sich nur durch Service abgrenzen. Es ist müßig nachzudenken, in wie weit es unethisch zugeht – am Ende, so will es das System, bleibt nur der Service um Produkte an Patienten zu bringen. Und weil wir kaum pharmaunabhängige Fortbildung haben, bildete dieser Service, ob wir wollen oder nicht, eine wichtige Stütze für die Qualität der Versorgung.

Die Idee der Salzburger Liste ist es, einen additiven Preiskampf einzuführen. Da wir hohe Generikapreise haben, wird es zu einem solchen kommen. Ist man der „billigste“, hat man die Chance, für eine Zeit lang, „Quasi“-Monopolverkäufer zu sein, ganz ohne Vertriebssystem und Sponsoring. Wirklich große Generikahersteller werden diese Chance nützen.

In der Folge werden Generika-Preise sinken. Die kleinen werden sich das nicht leisten können und aufhören. Der heute atomistische Markt wird zunehmend von Großen dominiert. Weiters wird es – dank unserem Gesetz – dazu kommen, dass die Preise für Originale noch weiter sinken müssten. Spätestens dann werden internationale Unternehmen nachdenken, ob sie Österreich noch beliefern. Und da der Großhandel bereits begonnen hat zu exportieren und so international auf Preise drückt, wird diese Entscheidung leicht fallen. Die Folge ist, dass Medikamente gar nicht mehr angeboten, und immer mehr Unternehmen ihre Forschungsaktivitäten und (auch die Generikafirmen) Vertriebsysteme einstellen werden.

Durch Kombination aus planwirtschaftlicher Preisregulierung und marktwirtschaftlichem Preiswettbewerb wird so die medikamentöse, und wohl auch – wegen immer schwieriger zu findenden Sponsoren für Fortbildungsveranstaltungen – die ärztliche Versorgung leiden. Und das alles wegen ein paar kurzfristig ersparter Millionen, die das System ohnehin nicht retten können.

Dieser Artikel wurde im Jänner 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Neujahrswünsche

Es ist undurchschaubar, unser Gesundheitssystem. Wenigsten 50 Interessensgruppierungen haben nur ein Ziel – unser Wohl. Ein tröstlicher Gedanke.

Da wären die Gesundheitspolitiker unterschiedlichster Couleur, auf Bundes- und Landesebene, so wie aus den Städten und Gemeinden, und natürlich die Sozialpolitiker, die oft aus anderen Parteien sind und schon deswegen immer das Gegenteil behaupten. Dann die Wirtschaftspolitiker, vor allem auf regionaler Ebene und nicht zu vergessen die Finanzpolitiker – ja, man muss diese getrennt betrachten, weil sie unterschiedliche Ziele verfolgen, wenn wir nur an die Schulden der Länder denken, die der Finanzminister nicht unter Kontrolle bringt. Absolut nicht zu vergessen sind die, den Politikern unterstellten Beamten, auch sie verfolgen nur all zu gerne eigene Ziele.

Die Funktionäre aus den 20 Krankenkassen und 15 Krankenfürsorgeanstalten, und natürlich die Funktionäre der Pensionsversicherungsanstalt, die ja hauptsächlich für die Rehabilitation zuständig ist. Nicht zu vergessen die privaten Versicherer, denen insbesondere bei den Löhnen der Spitalsärzte eine wichtige Rolle zukommt – fragen sie nicht!

Die Träger der Spitäler, seien sie nun staatlich oder auch gemeinnützig-privat (Ordenspitäler) oder rein profitorientiert. Nicht zu vergessen die Besitzer der Ambulatorien – die können Kassen oder niedergelassene Ärzte sein, auch wenn deren Ambulatorien, anders als Ordinationen, der Wirtschaftskammer und nicht der Ärztekammer zugerechnet werden (alles sehr verwirrend). Und natürlich die Personalvertreter aller Einrichtungen zur Wahrung von Standortinteressen.

Dann die Funktionäre der großen Gewerkschaften – ihnen „gehören“ ja nicht nur die Gebietskrankenkassen, sondern auch die meisten Reha-Zentren. Die Funktionäre der zehn Ärztekammern, die es mit den dutzenden Parteien in ihren Reihen sicher nicht leicht haben, oder wenigstens nicht so leicht wie die Funktionäre der Wirtschaftskammer.

Die mehr oder weniger gut organisierten Interessenvertreter (innerhalb und außerhalb der Kammern) der Primarärzte, der angestellten Ärzte mit Ordinationen und die der ohne Ordinationen (jaja, diese Unterscheidungen sind wichtig) und natürlich die Vertreter der Wahlärzte. Ebenfalls in dieser Reihe zu erwähnen sind die Funktionäre in den vielen wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die oft gar nicht harmonisch mit den anderen zusammenarbeiten.

Fast nicht wahrnehmbar, aber doch vorhanden sind die Interessensvertreter der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe, besonders, wenn sie freiberuflich arbeiten können.

Die Funktionäre der meist gemeinnützigen Pflegevereine (übrigens nicht selten klar parteipolitisch zugeordnet inklusive Gebietsschutz; man sollte nicht glauben, wo es überall Pfründe geben kann) und natürlich die Träger der Pflegeheime.

Die Organisatoren des Krankentransportwesens und die Manager der Blaulichtorganisationen (auch hier ist zu unterscheiden!). Achja, nicht zu vergessen, die Manager der Pharmaindustrie und der Firmen, die sich Medizinprodukten widmen (zum Beispiel den sehr beliebten Großgeräten wie Computertomographen).

Und last but not least, die Patientenanwälte, die – ganz ohne Sarkasmus – glücklicherweise eine immer wichtigere Rolle einnehmen.

Und natürlich alle, die, obwohl alleine die oben genannten etwa 50 zu unterscheidende Interessensgruppierungen ergeben, hier vergessen wurden.

Sie alle arbeiten – so wollen wir wenigstens glauben – uneigennützig und nur zu unserem Wohle. Ich wünsche daher auf diesem Weg das allerbeste fürs kommende Jahr.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Allokationsproblem – noch ein Lehrstück

Vielleicht ist es Zeit, ein Thema zu verbreiten, dass hierzulande unbekannt ist, aber anderswo schon lange diskutiert wird – das Allokationsproblem.

Frau M. (78) lebt alleine. Die häufigen Besuche ihrer Tochter reichen aus, dass sie mit dem täglichen Leben keine Schwierigkeiten hat. Zudem kommen oft ihre Enkel, samt Ur-Enkel vorbei. Das freut sie und für diese hält sie sich auch fit.

Eines Tages kriegt sie Fieber. Der Hausarzt diagnostiziert eine Lungenentzündung und schickt sie ins Spital. Dort wird sie auf Pneumokokken-Pneumonie sieben Tage lang behandelt. Jeden Spitalstag lässt ihre intellektuelle Kraft nach.

Als sie wieder nach Haus kommt, ist sie verwirrt. Die Familie ist überfordert. Statt auf professionelle (und kostspielige) Hilfe zu setzen, versucht sie mit häufigeren Besuchen und der Übernahme von Tätigkeiten, die früher Frau M. selbst erledigt hat, zu helfen. Aber alles hilft nicht, Frau M. dämmert immer stärker ein. Sechs Monate später muss sie ins Heim, wo sie, schwer dement, nach drei Jahren stirbt.

Was ist passiert? Der Spitalsaufenthalt hat Frau M. aus der Bahn geworfen. Er stellte ein Life-Event dar, das, wenn nicht richtig behandelt (reaktivierende Pflege!), oft zur „Dekompensation“ führt; die durch eigenen Willen und Training hintan gehaltene Demenz tritt plötzlich auf.

Der initiale Spitalsaufenthalt hat etwa 4.000 Euro gekostet. Das Pflegeheim, das sich die Familie nicht leisten konnte, wurde von der zuständigen Sozialabteilung bezahlt und kostete bis zum Tod von Frau M. 36.000 Euro.

War das nötig? Nein.

Beginnen wir damit, dass der Hausarzt die Pneumonie zu Hause behandeln und den Spitalsaufenthalt, der ja Auslöser war, vermeiden hätte können. Kosten dafür vielleicht 1.000 Euro, die jedoch aktuell nur unzureichend vom Kassensystem bezahlt werden. Das System verdrängt gerade ältere Patienten ins Spital.

Dann die Pneumokokken-Pneumonie. Vielleicht hätte diese vermieden werden können, in dem die Ur-Enkel geimpft gewesen wären. Eine solche Impfung verhindert nämlich nicht nur Mittelohrentzündungen bei Kindern, sondern auch Lungenentzündungen bei der Großelterngeneration. In diesem Fall hätte man mit 300 Euro für die Impfung nicht einmal die 1.000 Euro für den Arzt aufbringen müssen.

Dann das Heim. Auch das wäre nicht nötig. Würde bedarfsorientierte Pflege genau so als Sachleistung zur Verfügung stehen wie das Spital, hätte Frau M. für ein paar Wochen täglich eine reaktivierende Pflege und allenfalls auch eine Haushaltshilfe erhalten, die zusammen vielleicht 3.000 Euro gekostet und den Verlauf hätten mildern oder gar verhindern können.

Natürlich ist das zu simpel. Schließlich bedeutet die Verhinderung eines Krankheitsverlaufes nicht, dass damit alles eitle Wonne ist. Aber vieles deutet darauf hin, dass es gerade bei alten Menschen viel bringt, wenn Spitalsaufenthalte vermieden werden. Und mehr noch, selbst wenn wir annehmen, dass die Behandlungskosten nicht gesenkt werden können, weil Frau M. später an einer anderen teuren Krankheit sterben würde, eines hätte wir auf jeden Fall eines erreicht: eine höher Lebensqualität, nicht nur für die Patientin, sonder auch für die Familie.

Um das zu erreichen müssen Ressourcen so verteilt werden, dass sie an der richtigen Stelle vorhanden sind. Aber, solange sie in bestehende und oft falsche Strukturen (etwa unnötige Spitäler) gesteckt werden, fehlen sowohl Motivation als auch die Ressourcen selbst, eine patientenorientierte Neuverteilung vorzunehmen. Das nennt man das Allokationsproblem, das nur vom System gelöst werden kann.

Dieser Artikel wurde im November 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.