Die Existenz-Angst der Kassen-Hausärzte

(Lesezeit 3 Min) Ein Kassen-Hausarzt verdient, bei einem Jahresumsatz von 250.000 bis 300.000€, 50.000 bis 60.000 € netto, das sind, auf 14 Monate gerechnet, etwa 3.500 bis 4.000 € (wobei es eine erhebliche Schwankungsbreite gibt)

Sicher mehr als ein Viertel des Gewinns (arbiträr) stammt nicht aus den Umsätzen als Kassenarzt, sondern aus einer quersubventionierenden Tätigkeit. Nach dieser lassen sich Kassen-Hausärzte  grob in zwei Gruppen teilen.

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Die verkauften Jungärzte

Stellen Sie sich eine Gewerkschaft vor, sagen wir die Metaller, und fragen sich, wie sie auf folgendes reagieren würde?

Da kommt die EU und sagt:

Ihr in Österreich, Ihr behandelt eure Metall-Arbeiter seit Jahrzehnten schlecht. Wir haben Euch schon bei eurem EU-Beitritt gesagt, dass sie – mittlerweile sogar unerlaubterweise – zu lange arbeiten! Bringt das in Ordnung, sonst tun wir es.“

Die Gewerkschaft schweigt vorerst, nur der Sozialminister, zuständig für Arbeitszeiten und selbst mal Gewerkschaftsboss antwortet, weil er muss, sinngemäß: „Jo, eh! Aber wir brauchen noch so zehn Jahre, bis wir das umsetzen können – die Arbeitgeber haben sich an die billigen Arbeitskräfte gewöhnt, und wenn wir jetzt die Arbeitszeiten auf europäisches Maß reduzieren, dann können die sich das einfach nicht mehr leisten.“

Nun gibt auch die Gewerkschaft laut, sagt die EU mit all Ihren Regeln ist schuld, gibt dem Minister grundsätzlich Recht, meint aber, die Übergangszeiten sind schon ein bisserl lang – das war es!

Klingt das nach dem Verhalten von Gewerkschaftern? Nein! Und doch ist es geschehen – mit einer Berufsgruppe, die dank endloser Arbeitszeiten in oft prekären Arbeitsverhältnissen (nicht selten illegalen Kettenverträgen) kaum aufmucken können – den Spitalsärzte, vor allem den Jungärzten.

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Analyse: Das Ambulanz-Modell der Ärztekammer

(8 Min Lesezeit) Errichtet man 1.041 neue Kassenstellen, dann erspart man sich in der Versorgung 322.000.000 €. Das rechnet die Ärztekammer in einem Simulationsmodell vor.

Und wie schaut dieses Modell aus?

Das erste, das  auffällt ist, dass es sich um ein rein betriebswirtschaftliches Rechenmodell handelt, weit weg von gesundheitsökonomischen Ansätzen. Es finden sich keine Versorgungskonzepte für bestimmte Patientengruppen oder Angaben zum Patientennutzen – gar nichts. Mehr noch, das Wort Patienten kommt KEIN einziges Mal als Bezeichnung für einen kranken Menschen vor, sondern wird ausschließlich als Maßeinheit verwendet.

Diesem rein betriebswirtschaftlichen Ansatz entsprechend, wird daher auch nur in Kosten pro Leistungserbringer (Kassenarzt oder Spitalsambulanz) gerechnet, und nicht, wie eben in der Gesundheitsökonomie üblich, in Kosten pro Patientennutzen. Das ist schon verstörend, weil gerade die Ärztekammer die „Ökonomisierung“ des Gesundheitssystems beklagt, und selbst doch nur betriebswirtschaftlich zu denken scheint.

Aber vielleicht ist es wenigstens eine gute betriebswirtschaftliche Rechnung?

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Warum Österreichs Ärzte streiken („Die Zeit“ 24.Jänner 2013)

Als der Ministerrat in der zweiten Jänner-Woche die heftig umkämpfte Gesundheitsreform absegnete, schlossen in Oberösterreich 1200 Ärzte ihre Ordinationen aus Protest. Weiterhin verteufelt die Standesvertretung der Mediziner den Maßnahmenkatalog als »Totspar-Reform«. Zwar hat nach der 1,5 Millionen Euro teuren Kampagne im vergangenen Dezember der Kampf gegen den vorerst zaghaften Umbau des Gesundheitssystems etwas an Kraft verloren, befriedet sind die Kritiker allerdings nicht.

Ziel der Reform ist es, künftig die Versorgung rund um Patienten und nicht mehr rund um Spitalsstandorte und Kassenordinationen zu organisieren. Patienten sollen dort behandelt werden, wo es richtig ist, und nicht mehr dort, wo gerade eine medizinische Einrichtung offen hat.

Es soll nach Jahrzehnten der politischen Diskussion das Prinzip »ambulant vor stationär« umgesetzt werden und es sollen Gruppenpraxen gegründet werden, die sich am Versorgungsbedarf und nicht an Finanzregeln orientieren. Es soll weiters ein System fixiert werden, bei dem das Geld der Leistung folgt und das dafür sorgt, dass Finanzmittel aus der stationären in die ambulante Versorgung fliessen.

All das und noch mehr sind jahrelange Forderungen der Ärztekammer, die dazu führen können, die Versorgung zu verbessern. Gleichzeitig sollen so die Kosten pro Patient gesenkt werden – ein Ziel, das zu erreichen bisher daran gescheitert ist, dass Länder und Kassen eher gegeneinander, als miteinander gearbeitet haben.

Warum wehrt sich also die Ärztekammer dagegen? Hat sie vielleicht recht, dass durch die Reform das System kaputtgespart wird?

Wenn bis 2020 elf Milliarden Euro eingespart werden, so erklärt der oberösterreichische Ärztekammerpräsident Dr. Peter Niedermoser, so »bedeutet das, dass man alle Krankenhäuser ein Jahr lang schließen müsste«.

Ein Blick in das Zahlenwerk zeigt allerdings, dass bis 2020 Mehrausgaben von 42 Milliarden Euro geplant sind – damit könnte man ein Jahr lang vier mal so viele Spitäler finanziere, wie heute. Die Reform ist, was Einsparungen betrifft, alles andere als ambitioniert. Hinter den fehlenden tatsächlichen Einsparungen steht vermutlich die politische Idee, gar keine größere Strukturreform durchzuführen – das stünde nämlich den Erwartungen der Ärztekammer diametral entgegen. Es ist kein augenscheinlicher Grund auszumachen, warum die Kammer dermaßen aggressiv Widerstand leistet. Warum also?

Das eigentliche Motiv für den hinhaltenden Protest liegt in einem anderen Effekt der Reform: Sie schränkt die Verhandlungsmacht der Ärztekammer, was die Vergabe von Kassenverträgen betrifft, erheblich ein. Bisher konnten ausschließlich Ärztekammer und Kassen gemeinsam beschließen, wo ein Kassenarzt ordinieren darf; zukünftig sollen nun Länder und Kassen gemeinsam den Versorgungsbedarf feststellen und die Infrastruktur dem Ergebnis entsprechend ausrichten. Die Ärztekammer kann also nicht mehr im gewohnten Ausmaß mitreden, wo eine Einzelordination oder eine Gruppenpraxis steht.

Das mag wenig dramatisch klingen, hat aber zwei Auswirkungen. Einerseits verlieren die Funktionäre der Ärztekammern viel an Macht, denn bisher galt ein einfache Gleichung: Ohne Kammer kein Kassenvertrag, ohne Kassenvertrag keine Kassen-Ordination und daher keine Versorgung auf Krankenschein. Auf dieser Formel baute die Macht der Ärztekammer in der Gesundheitspolitik aber auch gegenüber ihren Mitgliedern. Jetzt, da die Monopolverhandlungsmacht beendet werden könnte, zerbröselt diese Logik.

Sie mutet allerdings seit Jahren eigenartig an. Schließlich sollte die Kammer alle 41.000 Ärzte vertreten, und nicht nur jene etwa 8 000, die über einen Kassenvertrag verfügen. Betrachtet man die Situation der etwa 4 000 Hausärzte, entsteht der Eindruck, die Kammer vertrete eigentlich nur Fachärzte mit Kassenvertrag. Diesen geht es nämlich auch im internationalen Vergleich hervorragend.

Daraus ergibt sich die zweite Konsequenz der Reform: All jene Kassen-Fachärzte, die in Regionen mit hoher Facharztdichte arbeiten – also vor allem in Ballungsräumen und an Spitalsstandorten – können nicht mehr damit rechnen, dass ihre Ordinationen in der jetzigen Form über die eigene Pensionierung hinaus benötigt werden. Damit fällt aber die Möglichkeit weg, die eigene Ordinationen lukrativ an einen Nachfolger zu verkaufen, oder wie es eigentlich heißt, »ablösen« zu lassen. Diese Ordinationen könnten ohne den Vertragsautomatismus nahezu wertlos werden.

Wahrscheinlich haben solche Ordinationsinhaber ihre Funktionäre dazu gedrängt, diese Reform möglichst scheitern zu lassen – so sie nicht sogar selbst Funktionäre sind, da die für die Funktionärstätigkeit nötige Zeit vor allem Kassen-Fachärzte aufbringen können.

Alternativ zu diesem Macht- und Profitstreben einzelner wäre es allerdings auch möglich, dass maßgebliche Funktionäre tatsächlich glauben, das derzeitige System müsse so bleiben wie es ist, obwohl die Lebenserwartung des gesunden Teils der Bevölkerung im Vergleich mit Großbritannien etwa um fünf Jahre geringer, die Diabetiker-Sterblichkeit dreimal höher und die Zahl kaputter Zähne bei Zwölfjährigen doppelt so hoch ist – und das bei deutlich höheren Kosten.

 

Erschienen 24.Jänner 2013; Die Zeit 

Ein Fünkchen Hoffnung

Für Laien ist die Vereinbarung zwischen der SVA und der Ärztekammer wohl kaum in ihrer Bedeutung nachzuvollziehen – aber sie ist wirklich epochal, wenn sie denn zu leben beginnt.

Wir schreiben das Jahr 20xy. Herr M. erhält einen Anruf seines Hausarztes Dr. K. Seine Blutbefunde seien eingetroffen und leider seien die Werte seiner Zuckerkrankheit nicht so, wie es sich beide erhofft hätten. Er bitte um einen Termin und avisiert seine Sprechstundenhilfe, die den Termin koordinieren wird.

Herr M. ärgert sich, weil er es nicht geschafft hat, mehr Selbstdisziplin an den Tag zu legen und die vereinbarten fünf Kilo abzunehmen – jetzt kriegt er die Rechnung. Aber andererseits freut er sich, dass es jemanden gibt, der ihm die Realität vor Augen hält und seinen Zucker nicht schönredet; denn Zucker ist keine Sache, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Das weiß er.

Auch Dr. K. ärgert sich. Seine Praxis zählt zu den Top 5 Prozent in der Diabetikerbetreuung. Seine Patienten müssen selten ins Spital, die Amputationsraten hat er mehr als gedrittelt, Erblindungen kommen praktisch nicht mehr vor und kein einziger Patient wurde dialysepflichtig. Und das alles, obwohl die sozioökonomische Schicht seiner Patienten unterdurchschnittlich ist. So eine Qualität kann man nur erbringen, wenn man sich über jeden einzelnen Patienten, der seine Gesundheit aufs Spiel setzt, ärgert.

Dr. K. hat schon früher, vor der Umstellung des Kassen-Honorarsystems, Diabetiker besonders betreut. Das hat viel (Frei)Zeit und Geld gekostet. Seine Frau und seine Kinder waren dagegen, aber er hat aus ethischer Sicht nicht anders können. Seit allerdings nicht mehr nur Menge, sondern auch Qualität bezahlt wird, hat sich das geändert. Mit seinen Qualitätskennzahlen verdient er jetzt mehr als vorher und kann sich dabei stärker auf seine Patienten konzentrieren. Die Reform, die 2010 zwischen der SVA und der Ärztekammer beschlossen und später von allen Kassen übernommen wurde, hat riesige Vorteile für ihn und seine Patienten gebracht. Zwar war er anfangs skeptisch, aber alle Zweifel sind mittlerweile verflogen.

Das, was für Systemkenner wie eine Utopie klingt, könnte Realität werden; denn die SVA-Ärztekammer-Vereinbarung, in der festgelegt ist, wie man das Kranken- in ein Gesundheits-Kassensystem umbauen will, könnte Grundlage für eine echte Reform sein.

Man soll aber auf dem Boden bleiben. Was vorerst in einer Punktation beschlossen wurde, ist ohne sehr viel theoretische Vorbereitungsarbeit nicht umzusetzen. Mehr noch, es besteht eine nicht zu unterschätzende Gefahr eines Total-Flops.

Aber, es gibt international schon viel Wissen, wie man solche Reformen angehen kann. Viele Länder haben bereits seit Jahrzehnten Erfahrung mit Hausarzt- und Vorsorgemodellen. Auch mit der Umstellung von Einzelleistungs- auf qualitätsorientierte Betreuungs- Honorarsysteme gibt es Wissen, das dienlich sein könnte. Es liegt an den Verhandlern, dieses Wissen aufzugreifen, für hiesige Verhältnisse zu adaptieren und darauf zu achten, Fehler, die anderswo gemacht wurden, zu vermeiden. Bei gutem Willen und transparentem Vorgehen funktioniert das.

Aber neben der Theorie geht es jetzt vor allem um Überzeugungsarbeit. Viel Skepsis wird auftreten und es wird nicht reichen, nur Funktionäre zu überzeugen. Die Basis muss überzeugt werden! Wenn das aber gelingt, dann kann man wirklich von einer „epochalen Veränderung“ (Ärztekammerpräsident Dr. Dorner) sprechen.

Und weil ich sonst mit Lob sparsam bin, hier ist es angebracht – einfach weil Mut bewiesen wird und Bewegung in das anachronistische Kassensystem kommt!

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Neue Zeiten im Kassenbereich?

Seit Jahrzehnten verhandeln zehn Ärztekammern und dutzende Krankenkassen über Organisation und Finanzierung der ambulanten Versorgung – und das mit anachronistischen Methoden.

Ziel dieser Verhandlungen ist es, in kollektivvertragsartigen Gesamtverträgen festzulegen, wie viele Kassenärzte es wo geben muss, welche Leistungen von welchen Kassen bezahlt werden und in welcher Höhe die Leistungshonorare ausfallen.

Die Verhandlungen selbst liefen immer gleich ab. Die Kassen haben den Kammerfunktionären gesagt, wie viel mehr Geld es im nächsten Jahr geben wird und dann ist man daran gegangen, anhand von Honorarkatalogen, in denen die Leistungen taxativ festgehalten sind, zu überlegen, wie man das zusätzliche Geld verteilt. Und mal haben sich die einen (Fach)Ärzte durchgesetzt, mal die anderen.

Es gibt 13 oder 14 solcher Honorarkataloge (für die neun Gebietskrankenkassen je einen, für die restlichen zehn oder zwölf Kassen die restlichen) die allesamt nicht zusammenpassen, auch wenn über „Meta-Honorar-Ordnungen“ oder „Mapping-Strategien“ versucht wird, eine Vergleichbarkeit herzustellen. Es wurde nämlich gänzlich vernachlässigt, die einzelnen Leistungen ordentlich zu definieren oder den Verhandlungen echte Kalkulationen zu Grunde zu legen. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Bedarf der Leistungen hat es ebenso wenig gegeben, wie den Versuch, herauszufinden, welche Anreize man mit den Honoraren schafft und welche Auswirkung das auf die Versorgung hat. Die Kataloge sind schlicht ein willkürliches Verteilungsinstrument.

Allerdings hat sich die Welt gehörig geändert. So ist das Monopol der ambulanten Versorgung durch Kassenärzte längst gebrochen. Seit den 1970ern nehmen die Spitalsambulanzen an Bedeutung zu. Anfangs waren sie noch Teil des Systems, weil sie den Kassen spezielle Honorare verrechnen konnten. Seit 1995 ist das vorbei. Seither gibt es nur patientenunabhängige Pauschalen, die an Landesregierungen ausbezahlt werden. Und wen wundert es, dass die Zahl der Patienten explodiert, die Anreize sind ja so ausgerichtet, dass Patienten dem Spital zugewiesen werden. Parallel stieg die Zahl der Wahlärzte an. Heute gibt es mittlerweile mehr als Kassenärzte. Welche Versorgungswirksamkeit Wahlärzte haben, wird sorgsam verschwiegen; aber sie sind sicher nicht mehr aus der ambulanten Versorgung wegzudenken. Und in all dem noch gar nicht berücksichtigt, sind die tagesklinischen (Spitals)Leistungen, die ja eigentlich auch der ambulanten Versorgung zuzurechnen sind.

Es wird Zeit, dass Kassen und Ärztekammern endlich verstehen, dass ihr liebgewonnener Weg anachronistisch ist. Will das Kassensystem überleben, wird es sich bewegen müssen.

Und genau das dürfte bei der SVA passieren. Denn, so der Vorschlag gegenüber der Ärztekammer, anstelle des alten Kataloges soll ein innovatives, patientenorientiertes Verrechnungsmodell treten. Moderne und flexible Honorierung nach Erkenntnissen der Versorgungswissenschaft und laufende Adaptierung des Leistungskatalogs nach neuesten medizinischen Erkenntnissen wird ebenso vorgeschlagen wie die Entlohnung in Abhängigkeit von der erbrachten Qualität, anstatt nur der Quantität. Es soll Anreize für integrative Versorgung geben, Hausarztmodelle sollten ebenso im Katalog enthalten sein, wie strukturierte Versorgungskonzepte für chronisch Kranke – alles in allem also eine komplette Umstellung der Finanzierungs- und Organisationsstruktur.

Das so etwas von der Ärztekammer vorerst (und reflexartig) abgelehnt werden muss, ist nur klar, aber dass es auf Dauer verhindert werden kann, Illusion.

Dieser Artikel wurde im Juni 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ambulante Gesundheitsversorgung – Chaos pur

Das Regel-Chaos in der ambulanten Versorgung ist unerträglich und behindert eine vernünftige Entwicklung – am Ende zum Schaden für die Bevölkerung.

Kaum jemand, der, wenn er einen Arzt besucht, weiß, welches Regel-Chaos sich hinter diesem Besuch verbirgt. Ein Normalbürger geht entweder zu seinem Kassen- oder Wahlarzt, oder in die Spitalsambulanz oder aber in ein Ambulatorium. Dass sich dahinter unterschiedlichste Gesundheitssysteme verbergen, bleibt verborgen.

Von der Patientenzahl her dürften Kassenärzte wohl die wichtigsten sein. Ob das auch für ihre Versorgungswirksamkeit gilt, weiß man nicht. Am Ende werden dort über 110 Millionen Arztbesuche pro Jahr gezählt. Wo es Kassenordinationen gibt, legen Ärztekammer und Kassen im Verhandlungsweg fest. Das Leistungsspektrum wird durch Honorarkataloge bestimmt, von denen es 14 unterschiedliche gibt – fünf für die sogenannten kleinen Kassen und neun für die neun Gebietskrankenkassen. Diese Kataloge sind alles andere als logisch, und funktionieren nach allem, nur nicht nach dem „Gleiches Geld für gleiche Leistung“- Prinzip. Denn die Leistungen sind das Produkt von 50 Jahren Verhandlungen zwischen Dutzenden Kassen und föderalen Ärztekammern. Kein Mensch weiß mehr, was sich die Verhandler bei den Leistungen und den damit verbundenen Honoraren gedacht haben.

Bei den Wahlärzten, von denen es mehr als Kassenärzte gibt, sind diese Kataloge weitgehend egal, weil sie nach dem Kostenerstattungsprinzip funktionieren, also nicht mit den Kassen, sondern mit den Patienten verrechnen, und ihre Honorare selbst festsetzen. Wo es Wahlärzte gibt ist ebenfalls ungeregelt. Das einzige was Wahlärzte mit Kassenärzten verbindet ist die Tatsache, dass beide keine Ärzte anstellen dürfen.

In den Spitalsambulanzen wiederum arbeiten nur angestellte Ärzte; wie viele ist aber ungewiss. Welche Leistungen erbracht werden ist ebenso unbekannt, wie die Menge der erbrachten Leistungen, nicht einmal das Patienten-Zählen funktioniert. Das Einzige, was man weiß, ist, dass sie in einer Grauzone arbeiten. Denn eigentlich sind sie nur für ambulante Patienten zuständig, die eine Versorgung brauchen, die es im niedergelassenen Bereich nicht gibt. Weil man aber weder da noch dort weiß, was es wirklich gibt, machen Ambulanzen mittlerweile alles.

Und schließlich mischen Ambulatorien mit: Wo es welche geben und was dort gearbeitet werden darf, ist Ländersache – die haben den Bedarf zu prüfen. Was allerdings die Bezahlung betrifft, da sind meist die Kassen in der Pflicht. Und um es nicht zu einfach zu machen: Die Vertretung der Ambulatorien ist – irgendwie artfremd – die Wirtschafts- und nicht die Ärztekammer.

Und weil die Verwirrung nicht groß genug scheint, wird es demnächst Ärzte-GmbHs nach dem Stöger-Modell geben: ein Hybrid aus Ambulatorium und Ordination. Es dürfen nur Ärzte, die in der Ärztekammer bleiben, dabei sein, Ärzte dürfen nicht angestellt werden und wo sie entstehen ist Ländersache, der Bedarf muss also von Amtswegen geprüft werden – außer die Ärzte, die seine GmbH gründen wollen, haben einen Kassenvertrag, dann ist es Sache der Kassen.

Alles sehr transparent halt.

Dabei hat der EuGH Österreich genau wegen dieser Intransparenz verurteilt und aufgefordert, endlich Regeln, die für alle gleich gelten, einzuführen. Aber das käme einer Reform gleich, die niemand will.

Praktisch bedeutet das aber Rechtsunsicherheit. Ärzte werden ihre Investitionsüberlegungen dementsprechend anstellen; mit der Folge, dass der ambulante Bereich weiter geschwächt wird – aber vielleicht ist das ja das Ziel.

Dieser Artikel wurde im April 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Turnusärzte – das Leiden geht weiter!

Ein drohender Ärztemangel ist ein hervorragendes Thema um Interessen durchzusetzen – hoffentlich fallen nicht alle darauf rein.

Die Linzer wünschen sich dringend eine eigene Med-Uni, denn ein Ärztemangel droht, der nur mit einer solchen zu beheben ist. Und anhand einiger Indikatoren meint man den Mangel zu sehen. Kassenstellen sind immer schwerer nachzubesetzen und selbst in Spitälern wird es schwerer, Ärzte zu finden – vor allem in kleinen Landspitälern. Alles deutet auf eine Mangel hin, der größer werden soll, weil eine Pensionierungswelle durch den Kassenbereich gehen wird. Doch ist der Mangel real?

Beginnen wir mit den OECD-Zahlen. Dort liegen wir, was die Zahl der Ärzte betrifft, an sechster Stelle (von 31) und haben sieben Prozent mehr (!) Ärzte als Deutschland, das Mangelerscheinungen hat. Genauer geschaut, rechnen die Deutschen (OECD-konform) auch ihre Ärzte in Ausbildung mit, die wir weglassen. Zählt man die dazu, haben wir 30 (!) Prozent mehr Ärzte als die Deutschen – und trotzdem einen Mangel?

Natürlich nicht, im Gegenteil, eine Schwemme. Nur: Unsere Ärzte wollen immer weniger im System arbeiten und suchen (freiwillig?), sich außerhalb zu verwirklichen – als Wahlärzte!

Bei den Hausärzten drohe der größte Mangel, sagt man. Und das stimmt, aber nicht weil wir zu wenige Ärzte haben. Dass sich Turnusärzte am Ende der heutigen Ausbildung nicht trauen, Kassenhausärzte zu werden, ist verständlich. Überall hat man erkannt, dass der Hausarzt als Facharzt ausgebildet werden muss; es reicht keinesfalls, ihn im Spital Blut abnehmen und Spritzen geben zu lassen. Doch gibt es hierzulande so einen Facharzt? Nein. Glaubt man Gerüchten, dann ist sogar die Arbeitsgruppe, die seit Jahren tagt um diesen einzuführen, vertagt. Und warum? Weil die Länder billige Turnusärzte brauchen, um die vielen unnötigen Spitäler betreiben zu können. Würden Turnusärzte zum Facharzt ausgebildet, dann gäbe es viel weniger als heute. Die Länder wären gezwungen, Ärzte zu höheren Gehältern fix aufzunehmen – was sie sich nicht leisten wollen.

Kommen wir zu Pensionierungswelle. Seit 1995 ist die Zahl der Kassenärzte (obwohl die Arbeit mehr wurde) gleich geblieben. Und weil davor die Zahl gestiegen ist, kommt es jetzt zu einer scheinbar mangeltreibenden Pensionierungswelle. Da aber in der gleichen Zeit kontinuierlich etwa 900 Ärzte jährlich zu arbeiten begonnen haben, gibt es genügend Ärzte –

nur eben nicht Kassenärzte, weil es keine Stellen gab. Und so stehen den etwa 8.000 Kassenstellen aktuell 10.000 Wahlärzte gegenüber, die, wenn es attraktiv genug wäre, auch wieder ins Kassensystem zurückkehren.

Also warum wird der Ärztemangel beschworen?

Da sind einerseits die Ärztekammer und deren eigenes Pensionssystem. Analog dem öffentlichen wurde es auf einem Generationenvertrag errichtet, das nur funktioniert, wenn die „Alterspyramide“ eine Pyramide bleibt, also immer mehr Ärzte hinten nachkommen – bis quasi alle Österreicher Ärzte sind. Passiert das nicht, dann wird es schmerzhafte Einschnitte bei den Ärzte-Pensionen geben müssen – das gilt es zu verhindern.

Die zweite Interessenslage betrifft die nun auftretenden Finanzierungsschwierigkeiten in Oberösterreich. Die (rote) Stadt Linz braucht Geld, um ihr Prestige-Spital zu finanzieren. Das (schwarze) Land will dieses Geld nicht hergeben. Ergo braucht es neue Quellen – den Bund. Hätte nämlich Linz eine Med-Uni, dann müsste der Bund die Spitäler mitfinanzieren – und das Problem wäre gelöst!

An die Turnusärzte und deren Zukunft denkt dabei keiner.

Dieser Artikel wurde im März 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die unsicheren Prognosen der Kassen

Seit jeher sind die Prognosen der Krankenkassen falsch und immer ist das Ergebnis besser als die Vorschau – können oder wollen die nicht rechnen?

Es ist August 2009 und heiß. Angeblich der fünftwärmste August seit 150 Jahren. Durch die Medien geistern positive Meldungen über Kassenfinanzen! Nach dem im Mai, der ebenfalls zu warm war noch ein Minus von über 130 Millionen Euro erwartet wurde, geht man nun von plus 7,5 Millionen aus. Der Grund dafür sind Steuerzuschüsse.

Im November ist es ebenfalls zu warm, und die Positivmeldungen reißen nicht ab. Das Plus liegt jetzt schon bei 60 Millionen. Politiker sprechen von einer reformbedingten Trendwende. Allerdings schaue die Zukunft nicht rosig aus – da werden die Defizite wieder astronomische Höhen erreichen. Von 700 Millionen Minus wird gewarnt, und das schon bald.

Der Jänner zieht ins Land, und ist, anders als seine Vorgängermonate, zu kalt. Das Ergebnis der Kassen für 2009 liegt bei plus 145 Millionen.

Innerhalb von acht Monaten von minus 130 auf plus 145 Millionen Euro! Hängen die Prognosen mit dem Wetter zusammen?

Man kann einwenden, dass es bei den Kassen um etwa 14 Milliarden Euro geht und die Prognosen nur im Promillebereich schwanken. Das stimmt, aber warum aber soll man sie dann medial so verbreiten, wenn sie ohnehin nichts sagen?

Der Grund für diese Zahlen-Spielereien ist woanders zu suchen.

Die Prognosemodelle der Kassen sind (oder waren es wenigstens – sie sind streng geheim!) so dermaßen simpel, dass sie nie realitätsnahe Werte ausspucken können. Im Wesentlichen wird einfach ein Drei-Jahres-Trend nach vorne gerechnet.

Wäre Gesundheitsökonomie doch nur so simpel – ist sie aber nicht.

Will man wirklich gestaltend und nachhaltig vorgehen, und aussagekräftige Prognosemodelle entwerfen, muss man sich ein bisschen mehr anstrengen. Und dafür braucht es Epidemiologen, Demographen und Versorgungsforscher, die nichts anderes tun als sich zu fragen, wie es wirklich aussehen wird! Zwar könnte man meinen, dass es bei den vielen Kassen-Mitarbeitern jemanden gäbe, der das könnte und machte, aber nachdem doch die meisten dort mit Leib und Seele Gewerkschafter sind, die nicht gestalten sondern verhandeln wollen, ist das nicht der Fall. Und da liegt der Wurm.

Die Zahlen dienen nur dazu, Verhandlungen zu führen, sei es mit Politikern oder Kammern. Dass am Ende die Prognosen von der Realität nur gering abweichen, hängt genau damit zusammen – es wird im Verhandlungsweg retrograd kalibriert. Fehlt Geld, dann erhöht man Beiträge (getarnt als Harmonisierungen) oder erhält Steuergelder (bereits ein Drittel der Einnahmen der Kassen stammen aus Steuern), also Einnahmen, um die „drohenden“ Defizite zu decken. Je höher die Defizite, desto höher die Einnahmen. Wenn es sich trotzdem nicht ausgeht, dann verdrängt man über das Honorar- und Planstellensystem der Kassenärzte solange Patienten in Spitäler, bis es sich wieder ausgeht. Und so passt es ins Bild, dass, seit die Kassen nur mehr Pauschal in die Spitäler einzahlen (1995), die Zahl der Kassenärzte nicht verändert wurde – trotz demographischer und epidemiologischer Veränderungen!

Kassen-Prognosen sind also nicht am Patienten ausgerichtet, sondern um den Machtspielchen zwischen Gewerkschaften, Politikern und Kammern zu dienen. Ernsthafte Prognosen braucht man dazu nicht, sie sind sogar hinderlich.

Und schon jetzt kann ich sagen, dass es nie zu dem prognostizierten Defizit von 700 Millionen Euro kommen wird, das wird die eine oder andere Steuer- oder Beitragserhöhung schon verhindern – ganz ohne Reform.

Dieser Artikel wurde im Februar 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Sechs Stunden Wartezimmer

Ärztemangel, zu wenig Geld, Neoliberale – alles ist Schuld am fortschreitenden Versagen des Gesundheitssystems, aber nicht Struktur und Politik! Oder?

Es ist 10:30 Uhr, und er sitzt seit zweieinhalb Stunden im Wartezimmer. In der Früh ist er aufgewacht und hat, zu dem seit einer Woche bestehenden Husten, 39 Grad Fieber bekommen.

Als er endlich drankommt, hat der Arzt vier Minuten Zeit. Dieser hört ihn ab, verschreibt ihm Antibiotika und überweist ihn zur Sicherheit an den Radiologen.

Adresse samt Lageplan des nächsten Röntgeninstituts – eigentlich ein netter Service – hat ihm die Sprechstundenhilfe mit Rezept und Überweisung in die Hand gedrückt.

Beim Radiologen kommt er überraschend schnell dran. Nur zwanzig Minuten nach seinem Eintreffen ist das Röntgen fertig. Allerdings wartet er dann eineinhalb Stunden auf den Befund. Es ist jetzt 14:30 und er ruft beim Hausarzt an, ob er noch vorbei kommen könne. „Nein, heute nicht mehr. Kommen Sie gleich morgen Früh.“

Um 8:00 ist er dort. Als er drankommt, ist es 9:45 Uhr. Der Arzt schaut auf das Röntgen und sagt, dass die Antibiotika schon gut sind, allerdings gefalle ihm das Bild nicht richtig und überweist ihn ohne weiteren Kommentar an einen Lungenfacharzt. Um 9:50 verlässt er die Praxis mit einer neuen Überweisung.

Zuhause angekommen, versucht er einen Termin zu kriegen. Die beiden ersten Lungenfachärzte, die er anruft, teilen mit, dass sie keine Kassenpatienten mehr nehmen können. Erst beim dritten erhält er einen Termin – in drei Wochen! Das nächste Mal, so beschließt er, fährt er gleich in Krankenhaus; da muss man weniger warten, nicht herumfahren und hat seine Diagnose sicher innerhalb von einem Tag!

Was ist denn da los? Wenn man als Patient nach zweit Tagen und 6 Stunden Wartezimmer noch immer seine Diagnose nicht hat, jedenfalls ein Organisationsproblem. Aber es könnte auch ein Ärztemangel vorliegen, wenn man die Wartezeiten ansieht. Doch ist das so?

Betrachtet man die offiziellen Zahlen der OECD, dann haben wir mit 3,7 Ärzte (ohne Zahnärzte) pro 1.000 Einwohner eigentlich gar nicht so wenige Ärzte. Genau genommen sogar viele, da die meisten westeuropäischen Länder weniger haben.

Von den etwa 29.000 fertig ausgebildeten Ärzten arbeiten 12.000 im Krankenhaus. 17.000 sind niedergelassene Ärzte. Von letzteren jedoch haben nur knapp 8.000 einen Kassenvertrag, der Rest sind meist Wahlärzte. Nehmen wir an, 20 Prozent der Bevölkerung kann und will sich den Luxus eines Wahlarztes leisten und rechnen dann auf die Restbevölkerung nur Kassen- und Spitalsärzte. Plötzlich haben wir nur mehr 3 Ärzte pro 1.000 Einwohner. Mit dieser Zahl, landen wir auf den hintersten Rängen, knapp vor Großbritannien und Finnland.

Und schon wird die Sache klar. Uns fehlt es nicht an Ärzten, sondern an Kassenärzten. Noch klarer wird es, wenn wir bemerken, dass die Zahl der Kassenstellen wenigstens seit 1995 (soweit reichen meine Zahlen zurück) unverändert ist, gleichzeitig aber die demographische Veränderung – Stichwort Alterung – immer mehr Ärzte erfordern würde.

Es ist also kein Wunder, dass die Ambulanzen immer voller werden und die Patienten immer schwieriger einen Kassenarzttermin, insbesondere beim Facharzt ergattern können, ja sogar von Kassenärzten abgewiesen werden, auch wenn letzteres meiner Meinung nach nicht korrekt ist.

Und statt sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, was erleben wir tagtäglich? Die Finanzierung der Kassen muss gesichert werden! Nein, Geld ist nicht das Problem, es sind unsere überkommenen Strukturen – die allerdings, will keiner angreifen.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.