Die ewige Gesundheits- und Pflegereform

   Gesetze sind dazu da, sie zu befolgen oder zu übertreten – oder, wenn man sie selbst macht, sie einfach zu ignorieren.

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   Wer falsch parkt, kriegt einen Strafzettel – man hat ein Gesetz übertreten. Das ist normal, für die meisten jedenfalls.

   Gehen wir zurück ins Jahr 2000, das in der Gesundheitspolitik ein besonderes war. Nach 20 Jahre dauerndem Dahinwursteln haben sich die hohen Politiker der Länder und des Bundes geeinigt, die Gesundheitsplanung komplett neu zu gestaltet. Das hat der EU-Beitritt so nach sich gezogen, nicht der politische Wille.

   Bis dahin gab es den „Österreichischen Krankenanstalten-Plan“ (Ökap). Darin enthalten waren alle Krankenhäuser mit einer fixierten Anzahl an Betten. Diese wurde kleinerenteils wissenschaftlich errechnet, größerenteils politisch verhandelt. Ziel des Ökap wäre es gewesen, die stationäre Spitalsversorgung – und ausschließlich diese – in einen vernünftigen Rahmen zu bringen. Nun gut, an den Ökap hat sich niemand gehalten. Jedes Bundesland, ja beinahe jedes einzelne Krankenhaus, hat gemacht, was es wollte. Und wenn etwas nicht Ökap-konform war, haben Politiker halt fallweise den Ökap umgeschrieben. Einmal wurde der Ökap sogar evaluiert. Das Ergebnis war so desaströs, dass man sich hinter verschlossenen Türen geeinigt hat, einfach so zu tun, als ob es diese Evaluierung gar nicht gegeben hätte.

   Aber ab 2000 wurde alles anders. Ein entscheidender Paradigmenwechsel in der Gesundheitsplanung wurde eingeleitet: Die herkömmliche Planung wurde durch eine gemeinsame, einheitliche, bedarfsorientierte Leistungsangebotsplanung abgelöst. Die Planung sollte die stationäre und die ambulante Versorgung, die Rehabilitation und sogar die Pflege umfassen. Geplant werden sollten nun nicht mehr die Spitalsbetten, sondern vom Patienten ausgehend jene Leistungen, die Patienten brauchen, und zwar dort, wo sie sie brauchen. Die Leistungen selbst sollten nur erbracht werden dürfen, wenn man dafür Qualitätskriterien erfüllen konnte. Somit sollte die Planung erstmals das gesamte Gesundheitswesen quantitativ und qualitativ umfassen (wie schon 1969 von der WHO gefordert).

   Unzählige Arbeitsgruppen später wurde der „Österreichische Strukturplan Gesundheit“ (ÖSG) mit großem Pomp beschlossen und als großer Wurf verkauft. Jedes Bundesland hat in seinen Landesgesetzen festgelegt, dass der ÖSG geltendes Recht ist.

   Heute, 2022, schaut man nach, was denn umgesetzt wurde. Und siehe da: kaum etwas. Obwohl gesetzlich anders vorgeschrieben, ist die „Planung“ chaotisch; Länder machen weiter in den Spitäler willkürliche Bettenplanung, Kassen und Ärztekammern verwalten weiter autistisch die Kassenarztstellen, die Reha geht an der Hand des Dachverbandes zielsicher an der Realität vorbei, und die Pflege ist weiterhin ein völlig ungelöstes Problem von irgendwem. Und die gesetzlich geforderten Qualitätskriterien wurden zu unverbindlichen Empfehlungen degradiert.

   Alles wird völlig faktenbefreit, dafür hochemotional diskutiert, etwa der Ärzte- und Pflegemangel, und alle Probleme, die seit nachweislich 53 Jahren bestehen, werden gepflegt und gehegt, deren Lösung in Gesetze gegossen – und diese dann geflissentlich ignoriert. Das wird ewig so weitergehen, denn einen Strafzettel für diese Gesetzesübertretungen wird es nie geben.

„Wiener Zeitung“ vom 23.06.2022  

Die Parteipolitik in den Krankenkassen

   Ein Zahlenwirrwarr, Merkwürdigkeiten in der Pandemie und ein Vertrauensverlust bei den Versicherten.

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   Im Frühjahr 2020 warnte Andreas Huss, ein hoher Krankenkassenfunktionär der roten Reichshälfte, noch vor bis zu einer Milliarde Euro Defizit. Geworden sind es, ohne die 60 Millionen Euro, die der Bund extra zuschoss, 71 Millionen Euro. Nun, diese Gebarungsvorschau-Nabelschau ist nichts Neues und eigentlich völlig nutzlos. Denn so eine Darstellung in absoluten Zahlen ist (milde ausgedrückt) irreführend. Die ÖGK – um die es hier hauptsächlich geht – hat eine Bilanzsumme von 15 Milliarden Euro – 1 Prozent sind dann schon 150 Millionen Euro –, womit ein Überschuss oder ein Defizit bis zu dieser Höhe schon eine ziemlich genaue Prognose ist. Allerdings wäre eben eine Defizitprognose von 7 Prozent (also die oben genannte Milliarde) schon etwas, wo man genauer hinschauen sollte, bevor man sie in den Raum stellt. Und noch genauer, wenn sie nicht eintritt.

   Aber darum ging es wohl wirklich nicht. Es war natürlich Parteipolitik – der Defizit-Warner hat sich mit der türkisen Reform, die im Wesentlichen keine Prozesse bereinigt (also eher nur Türschilder ausgetauscht), sehr wohl aber die Zahl der roten Funktionäre – und nur die – dramatisch und völlig unnötig reduziert hat, nie abfinden können. Er wünscht sich ein krachendes Scheitern. Die moralische Vereinbarkeit einer solchen persönlichen und parteipolitischen Befindlichkeit mit dem Amt in der Selbstverwaltung ist fraglich – rechtlich ist das leider in Ordnung.

   So weit also nichts Neues. Was das Jahr 2020 aber so besonders macht, ist die Pandemie. Und da wird es doch etwas gruselig. Je nachdem, wer gerade was sagt, haben die Kassen auf der Einnahmenseite wenig verloren. Laut Peter Lehner , einem hohen Kassenfunktionär der türkisen Reichshälfte, sind die Einnahmen sogar um etwa 2 Prozent gestiegen – und das bei einem Rückgang des BIP um 7 Prozent.

   Zurückzuführen ist dieser „Einnahmenerfolg“ auf steuerfinanzierte Maßnahmen wie etwa die Kurzarbeit. Womit klar ist, dass die selbstverwalteten Kassen eigentlich steuerfinanziert sind – was so nicht vorgesehen wäre.

   Und ausgabenseitig? Ja, da ist ebenfalls ein „Erfolg“ zu verbuchen. Denn die Ausgaben sind hinter den Erwartungen geblieben – weil die Menschen seltener zum Kostentreiber Arzt gegangen sind. Und was heißt das? Sind wirklich viele Arztbesuche vermeidbar? Wenn ja, sollten wir daraus nicht lernen und endlich die Kassenmedizin aus dem Minuten- und Groscherl-Geschäft herauslösen und Zeit beim Arzt besser honorieren? Wenn nein, haben wir da jetzt eine gewaltige Verschlechterung der Volksgesundheit, die wir wegen unserer miserablen Datenlage nicht erforschen können?   

Auf so miesepetrige Fragen gibt es keine Antworten, denn es gilt doch, Erfolge zu feiern oder zu missgönnen – doch, das hat ebenfalls seine Wirkung. Je mehr sich die Funktionäre im gegenseitigen parteipolitischen Hickhack ergehen, desto irritierter sind die Zwangsversicherten. Und obwohl das Gesundheitssystem eigentlich gut gehalten hat, ist in der Pandemie deren Vertrauen gesunken – sehr zur Freude der Privatkassen , denn die sind tatsächlich Pandemiegewinner

„Wiener Zeitung“ vom 25.02.2021 

Das Spiel mit den Milliarden der ÖGK

   Die Österreichische Gesundheitskasse ist seit Anfang 2020 im Amt, der parteipolitische Kampf voll entbrannt.

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   Wie für unser Gesundheitssystem typisch, streiten sich alle nur ums Geld – und hier vor allem um die berühmte Patientenmilliarde. Die war nie klar, schon gar nicht als Umwandlung aus einer Funktionärsmilliarde – es war ein politischer PR-Gag der schwarz-blauen Regierung, den die Politiker nicht mehr los werden. Populismus hat unter Umständen eben auch kurze Beine. Doch was ist jetzt mit den horrenden Defiziten, die angeblich statt dieser Patientenmilliarde eintreten sollen und Beweis dafür sein sollen, dass die Kassenfusion ein Desaster ist? Die sind genauso ein PR-Gag, jetzt halt von der anderen Seite, also der roten, vor allem von der Gewerkschaft.

   Wer sich mit der Gebarungsvorschaurechnung der Krankenkassen (allein das Wort zeigt, aus welcher Epoche das kommt) beschäftigt hat, erkennt, wie „taktisch“ die Rechnungen waren. Sie haben stets einem Verhandlungsziel gegolten, um entweder die Einnahmen (Steuersubventionen) zu erhöhen oder die Ausgaben (Honorare und Medikamentenpreise) zu senken, nie jedoch, um Transparenz herzustellen. Während zwischen 2009 und 2018 von den Kassen kumuliert ein Verlust von 2547 Millionen Euro „vorausgerechnet“ wurde, kam bei der Abrechnung ein kumuliertes Plus von 1674 Millionen Euro heraus – eine Differenz von 4221 Millionen. Besonders krass war das Jahr 2012, da wurde aus einem vorausgerechneten Minus von 737 Millionen in Jahresfrist ein Plus von 181 Millionen!

   Und warum sind all diese Zahlen so herrlich manipulativ einsetzbar? Nun, dass liegt an der Verwendung der absoluten Zahlen; die klingen sehr schnell sehr hoch, auch wenn es nur um wenige Prozent geht. Aktuell macht die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) einen jährlichen Umsatz von etwa 16.000 Millionen Euro – ein einzelnes Prozent sind also schon 160 Millionen.

   Und wenn man dann noch über ein paar Jahre kumuliert, werden die Zahlen noch höher. Und die skandalösen 1700 Millionen Euro Defizit, die die ÖGK bis 2024 angeblich machen wird, klingen halt viel besser, als wenn man von zwei Prozent sprechen würde. Und wer bedenkt, wie sich die Kassen schon bei einer Jahresprognose verrechnen, weiß, dass Fünf-Jahres-Prognosen schlicht Kaffeesudlesen sind, und ein Defizit von zwei Prozent eine statistische Unschärfe sein muss.

   Doch um das ging es ja nicht– es ging darum, der einen populistischen Milliarde eine andere gegenüberzusetzen, um die eigene Klientel glücklich zu stimmen und zu mobilisieren.   

Politisch betrachtet jedoch, war es wohl eine „rote“ Dummheit, diese „Defizite“ so hoch zu rechnen und medial auszuschlachten, dass nun jeder weiß, die ÖGK steht vor einem Milliardendefizit. Denn auch wenn es nichts mit der Realität zu tun hat, wird es der jetzigen Regierung ein Leichtes sein, die Patientenmilliarde, wenn auch nicht wie versprochen bis 2023, so aber doch bis 2024 darzustellen. Denn bereits jetzt kann vorausgesagt werden, dass das Minus der Kassen völlig ohne Leistungskürzungen bis 2024 unter 700 Millionen Euro liegen wird – damit konnte „eine Milliarde im System gespart“ werden! Und es wird niemanden geben, der diesen Mythos brechen kann

„Wiener Zeitung“ vom 27.02.2020 

Die größte Strukturreform der Zweiten Republik

(Lesezeit 20 Minuten) Eine ausführliche Würdigung einer als Strukturreform getarnten Türschildreform, die einen billig schmeckenden parteipolitischen Nachgeschmack hinterlässt

„Das österreichische Gesundheitswesen zeigt das Bild beachtlicher Verschiedenheit durch unterschiedlichste Träger, wodurch eine überregionale Zusammenarbeit zugunsten von „Eigeninteressen“ behindert wird. […] Die Existenz so vieler Träger ist nicht geeignet, die Entwicklung eines rationellen, aufeinander abgestimmten und reibungslos funktionierenden Systems zu fördern. […] Zwischen intramuralem und extramuralem Bereich besteht eine scharfe Trennlinie. Es existieren Zweigleisigkeiten in der Arbeit von Spitälern und Ärzten in der Praxis.  […] Es gibt die steigende Tendenz der praktizierenden Ärzte, ihre Patienten in ein Spital einzuweisen – diese Tendenz wird unter anderem durch das Honorierungssystem gefördert. […] Die Vorsorge für die ärztliche Betreuung alter Menschen und chronisch Erkrankter ist im Allgemeinen unzulänglich.“

Und:

„Trotz verschiedenster Bemühungen um eine verstärkte Koordinierung und Angleichung der Interessen mussten wir feststellen, dass das österreichische Gesundheitssystem aufgrund seiner vielschichtigen Verwaltungsstruktur und dualen Finanzierung komplex und fragmentiert ist. […] Besonders die Aufteilung der Finanzierung von intra- und extramuralen Leistungen zwischen den Bundesländern und Sozialversicherungen kann die Betreuungskontinuität beeinträchtigen und zu Kostenverschiebungen führen.  Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass zurzeit die Gesundheitsergebnisse innerhalb der Bevölkerung schlechter und die Gesamtkosten höher ausfallen, als dies in einem koordinierten System der Fall wäre.“

Zwischen diesen beiden Aussagen liegen fast 50 Jahre. Die erste stammt vom Regionalbüro für Europa der WHO ( „Besprechung des Spitalswesen in Österreich mit Empfehlung für künftige Entwicklungen“ Oktober 1969), die andere aus der „Effizienzanalyse des österreichischen Sozialversicherungs- und Gesundheitssystems“ der London School of Economics and Political Science (LSE 2017)

Was kritisieren diese beiden Studien? Unser System

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Kassen und Spitäler gemeinsam denken

Kassenfusionen sind ein altes Thema. Denn die aktuelle Situation schadet seit Jahrzehnten Patienten, Versicherten und Steuerzahlern.

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    Zu viele Krankenkassen, ein Kassenhonorarsystem, das vernünftige Planung verhindert, strikt getrenntes und doppelgleisiges Arbeiten inner- und außerhalb von Spitälern – das sind keine neuen Probleme, die hat uns die Weltgesundheitsorganisation WHO schon 1969 aufgezeigt.

   Es ist auch nicht so, dass Regierungen sich der Lage nicht bewusst wären. Die Idee, Kassenärzte und Spitäler wenigstens planerisch zusammen zu denken, findet man beispielsweise 1996 in einem Bund-Länder-Kassen-Vertrag, der vorsah, dass es für alle ein einheitliches Leistungsgerüst geben soll. Die Leistungsharmonisierung ist ein Vorhaben, das nie Realität wurde, aber immer wieder zu finden ist – das letzte Mal 2013 im Bundeszielsteuerungsvertrag. Dort nahm sich die Regierung vor, ab 2016 einen einheitlichen Leistungskatalog einzuführen. Sie hat es halt wieder nicht geschafft . . .

   Und warum sollte man Kassen und Spitäler gemeinsam denken?

   Nun, weil es patientenfreundlicher ist; und billiger. Wegen fehlender Abstimmung liegen 900.000 Patienten in Spitälern, die ambulant behandelt werden könnten. Von diesen stecken sich 50.000 unnötigerweise mit Spitalskeimen an (das ist nicht zu verhindern), und einige Hundert werden unnötigerweise sterben. Abgesehen davon, dass die stationäre Behandlung dieser 900.000 Patienten wohl ein bis zwei Milliarden Euro unnötige Kosten erzeugt, sollte es doch wenigstens das Ziel sein, Patienten nicht unnötig zu schaden.

   Wenn also die Rede von der Kassenfusionierung wieder aufpoppt, sollte es nicht darum gehen, ein paar hundert Versorgungsposten einzusparen, die es zweifellos gibt. Thema ist, dass die Abstimmung zwischen Krankenkassen, Ärztekammern und Spitalsträgern einfach nicht klappt, ja nicht klappen kann, selbst wenn die eingebundenen Entscheidungsträger Engel und keine politischen Machtmenschen wären. Es gibt einfach zu viele und vor allem schlecht definierte Entscheidungsebenen.

   Natürlich haben sich Länder und Gebietskrankenkassen an einen dezentralen Modus Vivendi gewöhnt. Davon abzuleiten, dass diese nur regional wüssten, wie es geht, ist aber falsch. Gänzlich ausgeblendet wird, dass es große Kassen gibt, die bundesweit agieren: Beamten-, Bauern- und die Selbständigen-Kasse, und auch noch die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt AUVA und die Pensionsversicherung.

   Die Idee, nur wenige, bundesweite Kassen zu haben, denen eine bundesweit agierende Spitalsplanung gegenübersteht, ist logisch. Umso mehr, als es eben auch bundesweite Regeln für Beiträge und Steuern gibt. Aber man kann es auch anders machen: neun Länder und neun Kassen, die dann aber ihre Steuern und Beiträge selbst einheben müssen – bundesweite Entscheidungsstrukturen und Finanzierungsregeln sind dann unnötig.   

Die jetzige Reformverweigerung kommt wohl woanders her. Bedient doch die aktuelle Situation die Machtbestrebungen aller. Landespolitiker und Gewerkschaften freuen sich darüber, dass die Abstimmung nicht klappt – denn das ist der Garant für ausgelastete Spitäler, über die Posten zu besetzen sind, und die für einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad sorgen. Mit dem Patienten hat das nichts zu tun.

„Wiener Zeitung“ Nr. 227 vom 23.11.2017  

Fehlgeleitet

Patienten werden von den Krankenkassen bewusst zu Wahlärzten und in Spitalsambulanzen verschoben.

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   Vorweg: Ein Kassenarzt ist verpflichtet, eine Mindeststundenanzahl offen zu haben. Wenn Patienten außerhalb dieser Zeit behandelt werden, kann ein Zuschlag verrechnet werden, der dazu dient, die mit den außertourlichen Öffnungszeiten verbundenen Mehrkosten, etwa Überstundenzuschläge für Mitarbeiter, zu kompensieren.

   Weil die Leistungshonorare, vor allem der Gebietskrankenkassen, sehr niedrig und viele nicht einmal mehr kostendeckend sind und durch Privatleistungen quersubventioniert werden müssen, entstehen durch außertourliche Öffnungszeiten nicht nur Mehrkosten, sondern auch Opportunitätskosten. Am Ende ist es für Kassenärzte ein wirtschaftliches (und wohl auch gewolltes) Problem, länger offen zu halten.

   Vor etwa einem Monat gab es das Gerücht, dass Kassenärzte, wenn sie etwa bei Grippewellen länger offen hatten, für Patienten keinen „Zuschlag“ abgegolten erhielten. Die Krankenkassen hätten diese Zuschläge, mit der Aussage, dass ja Spitalsambulanzen offen waren, im Nachhinein abgelehnt. Wie gesagt, nur ein Gerücht, das von Kassen dementiert wurde. Daten dazu gibt es nicht.

   Jetzt kann man einwenden, dass Ärzte dieses Gerücht gestreut haben, weil sie irgendeine versteckte Agenda verfolgen. Doch da erreicht mich folgende Geschichte einer Patientin (Name bekannt, Text gekürzt): „Mit einem akuten gesundheitlichen Problem suche ich den Wahlarzt meines Vertrauens auf, welcher nach ausführlichster Untersuchung samt Ultraschall 140 wohlverdiente Euro verrechnet. Frohen Mutes reiche ich diese Honorarnote bei der Krankenkasse ein, um in Worten sechs Euro rück erstattet zu bekommen. Nun dachte ich, jene Summe rückerstattet zu bekommen, die ein niedergelassener Facharzt mit Kassenvertrag erhalten hätte (wohl kaum 6 Euro, sonst kann der zumachen), und rufe bei der Krankenkasse mit der Bitte um Aufklärung an: ,Ja, das ist wegen dem Ultraschall. Der wird ja nicht bezahlt.‘ Ich darauf: ,Naja, wie soll er in mich reinschauen, mit dem Röntgenblick?‘ Sie darauf: ,Gehen Sie halt das nächste Mal in eine Spitalsambulanz, da ist ohnehin nachher ein Krankenhaus nötig.‘ Darauf ich: ,Aha, das soll ich also schon vorher wissen? Und, da komm’ ich Ihnen dann billiger in der Ambulanz?‘ Darauf sie: ,Das zahlt dann wer anderer, verstehen Sie?‘“

   Natürlich bleibt auch das wieder Anekdote – doch das Bild verdichtet sich, dass die Kassen ihre Patienten bewusst zu Wahlärzten und in Spitalsambulanzen verdrängen. Denn der (altersstandardisierte) Anteil der Bevölkerung, der 2014 wenigstens einmal einen Facharzt (Wahl- oder Kassenarzt) sah, stieg, verglichen mit 2007, um 40 Prozent, der Anteil in einer Spitalsambulanz um 34 Prozent. Im Gegenzug dazu stieg im gleichen Zeitraum die Zahl der Kassenfachärzte nur um 4 Prozent, die Zahl der Spitalsärzte aber um 30 Prozent und die Zahl der reinen Wahlfachärzte (also jene niedergelassenen Ärzte ohne Kassenvertrag, die nur davon leben und keinerlei zusätzliche Anstellung haben) gar um 370 Prozent. Und wenn 1+1=2 ist, dann ist die Verdrängung der Patienten vom Kassenarzt zum Wahlarzt und in die Spitalsambulanz kein Zufall.

„Wiener Zeitung“ Nr. 032 vom 16.02.2017  

Die Existenz-Angst der Kassen-Hausärzte

(Lesezeit 3 Min) Ein Kassen-Hausarzt verdient, bei einem Jahresumsatz von 250.000 bis 300.000€, 50.000 bis 60.000 € netto, das sind, auf 14 Monate gerechnet, etwa 3.500 bis 4.000 € (wobei es eine erhebliche Schwankungsbreite gibt)

Sicher mehr als ein Viertel des Gewinns (arbiträr) stammt nicht aus den Umsätzen als Kassenarzt, sondern aus einer quersubventionierenden Tätigkeit. Nach dieser lassen sich Kassen-Hausärzte  grob in zwei Gruppen teilen.

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Die Absurdität der SVA-Diskussion

(Lesezeit 4 Min) Unselbständige haben einen weitreichenden sozialen Schutz, und wissen meist gar nicht, woher das Geld dafür kommt. Bei den EPUs der SVA wird das dann plötzlich klar.

Wer als Unselbständiger monatlich 2.280€ brutto verdient, ärgert sich zwar, dass nicht einmal 1.650€ netto bleiben, vergisst aber auch schnell, dass es die 14 mal gibt, und dafür nur 10,5 Monate gearbeitet werden müssen. Mehr noch, wenn man krank ist (im Schnitt weitere 2 Wochen), erhält man weiter sein Geld – also bezahlter Krankenstand, die sogenannte Entgeltfortzahlung! Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit zwischen 6 und 12 Wochen zahlt der Arbeitgeber volles, danach 4 Wochen halbes Gehalt. Dann erst springt die Sozialversicherungen mit Krankengeld ein

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Kassen, Kammern, Ambulatorien, der Gesamtvertrag und die PHC-Zentren

(Lesezeit 4 Min) Ärztekammern, Krankenkassen und Ambulatorien; ein Streit der praktisch so alt ist wie die zweite Republik und in der PHC-Diskussion gerade wieder aufflammt

 

Herbst 1955 – Seit kurzem gibt es den Staatsvertrag, die Besatzungsmächte sind noch nicht vollständig abgezogen, da wird das ASVG, zur Abstimmung gebracht. Und fast typisch, trotz zehn Jahren Verhandlung, kommt eine, wie ein Stenographisches  Protokoll zeigt, schnell zusammengezimmerte „Zwischenlösung“ zur Verlesung, weil wenige Tage davor ein Aufstand der Wiener Ärztekammer zu Änderungen zwang.

Um was es ging? Um Ambulatorien und Kassenplanstellen.

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Die immerwährende Reform

Ärztekammern, Krankenkassen und Ambulatorien – ein Streit, der so alt ist wie die Zweite Republik und nun wieder aufflammt.

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   Herbst 1955 – seit kurzem gibt es den Staatsvertrag, die Besatzungsmächte sind noch nicht vollständig abgezogen, da wird das ASVG zur Abstimmung gebracht. Und fast typisch, trotz zehn Jahren Verhandlung kommt eine schnell zusammengezimmerte „Zwischenlösung“ zur Verlesung, weil wenige Tage davor ein Aufstand der Wiener Ärztekammer zu Änderungen zwang. Worum es ging? Um Ambulatorien und Kassenplanstellen. Die Kammer forderte fixe Kassenplanstellen und ein Veto-Recht bei Errichtung von Ambulatorien. Sie fürchtete, nicht zu Unrecht, dass Kassen mit ihren Ambulatorien über kurz oder lang niedergelassene Ärzte verdrängen würden.

   Ja, so lange existiert der Konflikt, der uns im Rahmen der PHC-Gesetzes-Werdung wieder beschäftigt. Und auch weiterhin ist die Begründung der Ärztekammer nicht unrichtig. Denn obwohl vorgeschrieben ist, dass sich kasseneigene Ambulatorien durch die gleichen Honorare wie Kassenärzte finanzieren müssen, schaffen das gerade mal 10 Prozent. 90 Prozent werden subventioniert, in dem ihre Defizite aus Kassenmittel gedeckt werden. Wenn das auch mit den PHC-Zentren, die als Ambulatorien geführt werden sollen, passiert, sind diese eine unbezwingbare Konkurrenz, niedergelassene Kassen-Hausärzte würden verschwinden.

   Dass Politiker gewillt sind, solche Subventionen zu bezahlen, sieht man am Vorzeigeprojekt „Maria Hilf“. In dieses PHC-Zentrum, das nicht mehr als eine Gruppenpraxis von drei Kassen-Hausärzten ist, fließen jährlich 230.000 Euro. Da es aber nicht als Ambulatorium firmiert, können diese Subventionen nicht dauerhaft rechtskonform ausbezahlt werden. Jede Änderung hier wird daher durch die Ärztekammer blockiert – und das ist auch ihr gesetzlicher Auftrag. Denn sie ist nicht für die Versorgung zuständig, sondern hat die Interessen der Ärzte zu vertreten. Und wenn die Kammer zustimmte, dass Ärzte in Konkurs gehen, weil sie von subventionierten Einrichtungen niederkonkurrenziert werden, hätte sie ihren Auftrag nicht erfüllt. Die Art und Weise allerdings, wie die Kammer vorgeht, ist destruktiv und polemisch. Man bedenke die Argumente. Es drohe Staatsmedizin à la DDR, gleichzeitig wird vor profitgierigen Großkonzernen gewarnt, die die niedergelassenen Ärzte als freien Berufsstand bedrohen. Verstaatlichung, Privatisierung oder beides gleichzeitig?

   Nun, aus der Historie ist dieses Paradox erklärbar – Ambulatorien, entweder in den Händen der Kassen (DDR-Staatsmedizin) oder von Privaten (profitgierige Großkonzerne), stellen eine Konkurrenz für die Ärztekammer dar – und daher sind beide prinzipiell böse. Aber wie schaut es denn mit uns, den Finanziers und Nutznießern unseres Gesundheitswesens, aus? Es gibt tonnenweise wissenschaftliche Literatur, dass das, was wir „Gesundheitssystem“ nennen, teuer und ineffektiv ist. Wir bezahlen diese Streitereien mit viel Geld und weniger gesunden Lebensjahren; und die, die chronisch krank sind, mit vielen verlorenen Lebensjahren – die sterben einfach früher als nötig. Wir, so denke ich, hätten ein Recht darauf, dass diese Machtklüngel endlich zu einer Lösung kommen – nach mehr als 60 Jahren!

„Wiener Zeitung“ Nr. 191 vom 29.09.2016