Statt Gesundheitsreform lieber Pharma-Bashing

Weil in der Gesundheitsreform nichts weitergeht und nun auch der Finanzplan zu scheitern droht, zeigt die Gesundheitspolitik ihren Zynismus.

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   Eigentlich würde die Reform vorsehen, dass Behandlungs- und Versorgungsprozesse inklusive der Versorgung mit Medikamenten sektorenübergreifend am Patientenbedarf zu orientieren sind. Ein Blick in den von der OECD erhobenen Medikamentenverbrauch (in Tagesdosen) bei Volkskrankheiten zeigt, dass es eine bedarfsgerechte Versorgung ganz offensichtlich nicht gibt.

   In Österreich werden etwa nur halb so viele blutdrucksenkende Medikamente verbraucht wie in der EU. Mit diesem Verbrauch liegen wir abgeschlagen an letzter Stelle. Gleiches gilt für Diabetes-Medikamente, auch hier liegen wir an letzter Stelle und erreichen kaum die Hälfte des EU-Schnitts. Die „zweitschlechtesten“ Dänen verbrauchen bereits um ein Drittel mehr. Bei den blutfettsenkenden Medikamenten liegen wir nicht an letzter, sondern vorletzter Stelle – da hat Estland die rote Laterne, und der Abstand zum EU-Schnitt beträgt „nur“ 50 Prozent.

   Natürlich kann und muss man sich fragen, inwieweit der Medikamentenkonsum von der Pharmaindustrie nach oben getrieben wird. Betrachtet man aber solche Fakten, muss man sich viel dringender fragen, ob Patienten bei uns kriegen, was sie brauchen. Schließlich liegen wir weit hinter Ländern, die strikte Regeln haben, um sich am Patientenbedarf zu orientieren und Überversorgung zu verhindern. Dann wird klar, dass in Österreich Millionen von Patienten offensichtlich unterversorgt sind, was in der Folge dazu führt, dass Krankheitsverläufe schwerer als nötig sind und medikamentös vermeidbare Krankenhausaufenthalte nicht vermieden werden.

   Da liegt der politische Gewinn: Kassen geben weniger für Medikamente aus, und Länder können sich über ausgelastete Spitäler freuen.

   Dass das zynisch ist, stört große Politik nicht. Und wie wenig diese daran etwas ändern will, erkennt man an diesen Zwangsrabatt-Ideen. Laut einem Gesetzesentwurf von Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser muss die Pharmaindustrie in den Jahren 2016 bis 2018 jeweils 125 Millionen Euro an Rabatten gewähren, um den Finanzplan der Reform, und nur diesen, einzuhalten. Das sind knapp sechs Prozent ihres Umsatzes mit den Krankenkassen.

   Ein Rabatt wohlgemerkt, der sich auf Preise bezieht, die gesetzlich von vornherein unter dem europäischen Mittelwert liegen müssen (unsere Medikamentenpreise sind, im Unterschied etwa zu Deutschland, weitgehend reguliert).

   Anders ausgedrückt: der Pharmabranche wird die nächsten Jahre ein Null-, wenn nicht sogar ein Minuswachstum per Gesetz verordnet. Und das, nachdem die Branche seit 2008 in Österreich kein reales Wachstum mehr aufweist.

   Zu glauben, dass wir mächtig genug sind, die Margen der Pharmaindustrie zu reduzieren, ist planwirtschaftliche Allmachtsphantasie. Was wir sehen werden, ist eine Reduktion der Produktionskosten – und zwar um etwa sechs Prozent unter den europäischen Mittelwert – was nichts anderes heißt, als dass Forschung und Fertigung abwandern werden und, wenn alles schief geht, sogar Medikamente vom Markt verschwinden oder nicht eingeführt werden.

   Denn, auch wenn manche es gerne hätten, die Pharmabranche wird nicht wie ein Sündenbock ruhig stehen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 210 vom 29.10.2015  

Vollkasko oder Eigenverantwortung?

Warum die Forderung nach mehr Eigenverantwortung der Patienten im Österreichischen Gesundheitswesen ein politisches Ablenkungsmanöver ist – erklärt in 14 Sätzen:

1.   Hinter der Frage „Vollkasko oder Eigenverantwortung“ steckt, wenn auch nicht offensichtlich, das Problem der Informationsasymmetrie zwischen dem Patienten und „seinem“ Arzt.

1.1.        Diese Asymmetrie verhindert automatisch ein Begegnen auf Augenhöhe

1.2.        Daraus resultiert, dass der Patient sich auf den Arzt verlassen muss –

1.3.        Der Patient hat alleine KEINE Chance, selbst wenn er Mediziner ist, diese Asymmetrie zu beheben

2.   Hinter dem Arzt steht ein Versorgungssystem, und dahinter wieder das eigentliche, politisch gesteuerte, Gesundheitssystem

3.   Wird die Informationssymmetrie seitens des Gesundheitssystem akzeptiert, oder toleriert, resultiert ein paternalistisches Gesundheitswesen – ein solches denkt und handelt als „guter Vater“ für den Patienten, der selbst keine Verantwortung tragen muss.

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Die Oberösterreich-Wahl aus gesundheitspolitischer Sicht

Die Flüchtlinge in Oberösterreich können nicht der einzige Grund sein, warum SPÖ und ÖVP dermaßen verloren haben.

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   Wenn ich über das politische Erdbeben in Oberösterreich reflektiere, dann fällt mir auf, dass es gesundheitspolitische Gründe gibt, warum man den (ehemals) großen Parteien einfach nicht mehr glauben will.

   Nehmen wir deren Spitalsreform. Sie wurde ja gleich zwei Mal durchgeführt – und zwar in den Jahren 2005 und 2012.

   Die erste Reform war eigentlich gar keine. Als 2004 erkannt wurde, dass man das, was man 2001 mit dem Bund gesetzlich fixiert hatte, nicht bis 2005 umsetzen kann (euphemistisch gesprochen, denn es wurde gar nichts getan), hat man, medial groß aufgezogen, noch mal (schein)verhandelt und versprochen, alles bis 2010 umzusetzen. Die Spitalsreform I war geboren. Doch statt dann aktiv zu werden, passierte wieder nichts. Mehr noch, statt die Zahl der Spitalsaufnahmen pro Einwohner, die mittlerweile die zweithöchste in ganz Österreich war, zu senken, stieg diese ab 2005 noch stärker als in den Jahren davor.

   Aber die Bevölkerung hat natürlich geglaubt, dass reformiert wurde – schließlich sprach die Politik ja ständig davon. Dass real nichts passierte, konnten nur Kenner erkennen. Und die sahen, dass alles schlimmer wurde. 2010 lag Österreich, was die Spitalsaufnahmen betrifft, ja schon etwa doppelt so hoch wie Europa, aber Oberösterreich lag mittlerweile gleich noch mal 20 Prozent über dem Österreichschnitt und mit Abstand an der Spitze.

   Nach über zehn Jahren „Schein“-Reformen musste irgendwann tatsächlich eine Kurskorrektur her: Und die nannte man Spitalsreform II. Diese Reform war alles andere als eine echte Reform, es war nur der Versuch, den populistischen Wildwuchs, der mittlerweile wucherte, zu begrenzen.

   Ja, Wildwuchs; nehmen wir Ried als Beispiel, in dessen Spital ohne Genehmigung ein Herzkatheter errichtet wurde – wie üblich. Man macht, und Politiker schauten darauf, dass entsprechende Genehmigungen nachgeholt werden, auch wenn man dazu nicht selten den Bund erpressen musste.

   Als nun dieser Herzkatheter im Nachhinein nicht genehmigt, sondern im Rahmen der Spitalsreform II verboten wurde, da waren die Granden vor Ort sauer – und wie man merkte, bis heute.

   Denn als 2012 die Reform von SPÖ und ÖVP beschlossen wurde, kam es nicht zu dem nötigen Schulterschluss zwischen den Parteien. Im Wahlkampf 2015 wurde vor allem durch SPÖ-Funktionäre ständig auf die durch die Reform angeblich auftretenden Probleme hingewiesen. Mit völlig unfundierten Zahlen wurde behauptet, Patienten fänden keine Versorgung, und sie müssen sogar sterben – besonders, weil der Rieder Herzkatheter nicht bewilligt wurde. Mit einer ganz klaren Folge: der Verwirrung der Bevölkerung.

   Wäre ich Oberösterreicher, ich wüsste nach mittlerweile 15 Jahren Reform nicht, was wichtig ist, weil die, die entscheiden, praktisch dauernd was anderes sagen und sich noch darüber streiten. So etwas würde mich verängstigen, ich würde denken, da geht es um etwas anderes, was ich nicht verstehe, und es scheint denen da oben auch egal zu sein, was mit mir wird. Und wenn dem so ist, dann gibt es wohl kaum einen Grund, diese Parteien zu wählen – und genau das haben die Oberösterreicher getan.

„Wiener Zeitung“ Nr. 190 vom 01.10.2015