Die Akademisierung der Gesundheitsberufe

   Oder: „Für was brauchen wir das? Das hat es ja noch nie gegeben.“

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   Wir schreiben das Jahr 1900: Der Garnisonsarzt aus dem örtlichen und seit Jahrhunderten bestehenden Spital geht ins fußläufige Lokal am Braunauer Stadtplatz. Er ist eigentlich Militärarzt, aber das Spital wurde nun an einen Orden übergeben, und so ist er jetzt Chirurg. Das liegt in der Familie, seit sein Urgroßvater an der Chirurgenschule in München ausgebildet wurde, waren alle Chirurgen, wobei allerdings erst sein Großvater dafür studierte.

   Im Lokal trifft er, wie erwartet, seinen langjährigen Freund, einen gestandenen Landarzt. Und als das zweite Bier getrunken ward, fragt der Chirurg, ob es denn wirklich nötig sei, dass Landärzte Matura und Studium brauchen. Er versteht nicht genau warum. Der Landarzt pflichtet ihm bei. Diese Akademisierung der Landärzte sei völlig unnötig. Er habe für seinen Job sowas noch nie gebraucht. (Landärzte waren damals angelernt!)

   Zeitsprung: Im Jahr 1970 schließt ein Landarzt seine Ordination, um sich mit einem Freund im Stadtcafé zu treffen. Früher war das ein Bierlokal, in dem sein Ururgroßvater schon saß. Der war auch schon Landarzt, hat das aber nicht studiert. Und als die beiden nach dem Verlängerten auf Cola-Rot umstiegen, fragt der Landarzt seinen Freund, ob es denn wirklich nötig sei, dass Zahnärzte Matura und Studium brauchen. Er versteht nicht genau warum. Sein Freund, der Dentist, versteht diese Akademisierung der Zahnheilkunde auch nicht. Er habe für seinen Job sowas noch nie gebraucht.

   Zeitsprung: Im Jahr 2025 setzt sich die Urururgroßenkelin des Garnisonsarztes neben ihren Mann, einen Dr.med.univ., ins Auto. Sie wollen alte Freunde treffen. Da in den 1990ern die beiden Familien herausgezogen sind, trifft man sich nun regelmäßig in der Pommerschen Schlosstaverne. Ihren Mann lernte sie kennen, als er den Turnus im Braunauer Spital machte. Danach wurde er Gemeindearzt mit allen Kassen, sie blieb im Spital und ist nun Oberschwester. Bei den Freunden, die sie treffen, handelt es sich um die Familie des eingesessenen Zahnarztes, der wegen einer Rechtsänderung nun sogar zwei Doktortitel trägt. Anders als sein Vater – der hatte nicht einmal studiert. Und wie Sie alle da so sitzen, der Hauptgang abserviert und die dritte Flasche Zweigelt zum Atmen geöffnet wird, stellt der Zahnarzt die Frage, ob es denn wirklich nötig sei, dass Krankenschwestern Matura und Studium brauchen.

Nach kurzem Stöhnen erklärt die Oberschwester, diese Akademisierung der Pflege sei völlig sinnlos. Sowas habe sie in ihrem Job noch nie gebraucht. Ihr Mann pflichtet ihr bei.   

Als alle in ihren Autos heimfahren, sicher zu betrunken für normale Bürger, aber für die regionale Prominenz noch völlig im Rahmen, erhalten beide Anrufe der Kinder: Der Sohn des Zahnarztes hat gerade die letzte Prüfung seines Masters in Advanced Nursing Practice geschafft. Die Tochter des Landarztes schickt vorab per WhatsApp den letzten Schein für ihre Ausbildung zur Fachärztin für Orthopädie und Traumatologie. Jetzt heißt es lernen für die Facharztprüfung, und sie will wissen, ob sie für einen Monat wieder zu Hause einziehen kann.

„Wiener Zeitung“ vom 30.03.2023 

Eigenlob stinkt – auch in der Gesundheitspolitik

Ich weiß nicht, wie oft man das sagen muss, bis auch Politiker lernen, dass unser Gesundheitssystem schlecht ist. Die Bevölkerung, die weiß es nämlich schon!

„Wenn man in Österreich mit dem weltbesten Gesundheitssystem über eine Reform desselben spricht, ist das so, als würde das Ski-Nationalteam nach einer Reform rufen.“ Das meint ÖVP Gesundheitssprecher Dr. Erwin Rasinger und fügt sich in die Reihen der Gesundbeter und Realitätsverweigerer.

WZ-Leser wissen, dass solche Aussagen, im Gegensatz zu den nachprüfbaren Medaillen der Ski-Asse, alles andere als beweisbar sind. Daher sollte man sie als „populistische Leerstücke“ gleich vergessen. Aber tun wir so, als ob wir nachdenken wollten. Wie beweist man, ob ein System gut ist?

Das ist gut erforscht: Ein System ist bestens, wenn mit den eingesetzten Ressourcen das machbare Maximum an Gesundheit produziert wird. Das System muss dazu Ressourcen für Versorgung und Behandlung aufbringen und dem Bedarf entsprechend sinnvoll verteilen.

In Österreich haben wir sehr viele Ressourcen im Einsatz.

Mit etwa 470 praktizierenden Ärzten (ohne Zahnärzte) pro 100.000 Einwohner liegen wir unangefochten an erster Stelle – und trotzdem wird gerne über Mangel gejammert! Arbeit ist eben dehnbar wie Gummi.

Aber auch mit 110 Millionen Kassenarzt-Besuchen (also ohne Wahlärzte und Spitalsambulanzen) liegen wir vermutlich ganz vorne; hier ist aber das Zählen und Vergleichen nicht so leicht.

Das wir mit 30 Spitalsaufnahmen pro 100 Einwohner spitze sind, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Dass wir vermutlich auch die meisten medizinischen Großgeräte wie Magnetresonanz haben, wissen nicht mehr alle, aber auch viele. Und wenn wir gleich fünfmal mehr Spitäler als die Dänen haben, denken die meisten Nicht-Politiker darüber nach, ob’s nicht doch ein bisserl weniger sein dürfte.

All das hat seinen Preis, und so darf es nicht verwundern, dass wir sehr viel Geld ausgeben und hier in der absoluten Spitzengruppe mitmischen.

Also, an Ressourcen mangelt es sicher nicht. Und weil wir das weltbeste Gesundheitssystem haben, dürften wir, dank dessen weiser Ressourcenverteilung erwarten, auch mehr Gesundheit zu finden – oder?

Schauen wir einfach nach.

Unsere Senioren dürfen nicht mit allzu vielen gesunden Lebensjahren rechnen, wenigstens nicht mit so vielen, wie eben in jenen Ländern, die gleich viel ausgeben wie wir. Hier spielen wir nicht in der Oberliga, sondern mit den Nachzüglern – die aber gleich 30 Prozent weniger Ressourcen aufwenden, um das gleiche zu erreichen (ganz abgesehen von den ehemaligen Ost-Block-Ländern, die noch viel weniger ausgeben, um ähnliche Werte zu erzielen).

Dieser Umstand spiegelt sich dann auch in anderen Zahlen wider. Die Zahl der Invalidenpensionisten zählt hierzulande zu den höchsten. Pro 1000 Einwohner im Alter zwischen 55 und 59 Jahren werden 40 wegen Krankheit vorzeitig pensioniert. Überhaupt ist es so, dass die Zahl der Invaliditätspensionen ein Drittel aller neuen Pensionisten ausmacht – das sind in etwa 30.000 pro Jahr. Und logisch weitergedacht ist unsere Bevölkerung ein Pflegefall. Während international bei den über 80-Jährigen mit weniger als 25 Prozent Pflegebedürftigkeit gerechnet wird, sind es bei uns fast 60 Prozent.

Es fehlt der Platz um weiteres aufzuzählen (beispielsweise was die Kindergesundheit betrifft), aber im Gesundheitssystem ist es so wie im Bildungssystem: es ist sehr sehr teuer und wenig effektiv – von wegen weltbestes! Wenn das Politiker nicht endlich ernst nehmen, dann werden sie ausgetauscht werden müssen.

Dieser Artikel wurde im April 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Hausarztmodelle – schön und gut!

Hausarztmodelle können nur funktionieren, wenn die Kompetenzen dort, wo sie wirken sollen, bereinigt werden – dazu braucht es Gemeinden, Länder, verschiedene Ministerien, Kassen – und mutige Politiker.

Als ich für „Die Zeit“ einen Artikel zum Thema SVA schreiben sollte, verwendete ich das Wort: „Hausarzt-Modelle“. Der Redakteur teilte mit, das müsse erklärt werden, weil das niemand verstehe. Wenigstens das dürfte sich anlässlich der jetzigen Diskussion ändern. Mit etwas Glück schafft es das Thema zu einer gewissen Breitenakzeptanz.

Es ist an der Zeit zu fragen, warum es die nicht hat und warum hierzulande erst etwas diskutiert werden muss, das anderswo bereits seit Jahrzehnten gute Praxis ist.

Schauen wird einfach in die Realität. Unser „Bild“ vom Hausarzt stammt aus den Nachkriegsjahren. Damals herrschte Ärztemangel, vor allem bei Fachärzten. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, durften Praktiker quasi alles. Und selbst in den 1980er Jahren gab es noch Landärzte, die Geburten machten. Unser Hausarzt war also sehr breit aufgestellt – und das lange Zeit zu recht.

Aber seit wenigstens zwanzig Jahren ist das anders. Die Ärztedichte ist international am höchsten, und Spitalsambulanzen liefern eine Spezialversorgungsbreite, wie sonst nirgendwo. Es ist nicht mehr nötig, dass Hausärzte „alles“ können und dürfen. Zudem hat sich die Bevölkerungsstruktur geändert. Solange die Bevölkerung „jung und gesund“ war, musste der Hausarzt anderes leisten als heute, wo zunehmend alte, und immobile Patienten zu versorgen sind.

Kurz, das „alte“ Bild vom Hausarzt hat ausgedient. Und hier kommen wir zum Kernproblem. Die Politiker wissen einfach nicht, was sie mit dem Hausarzt noch anfangen sollen. Genau genommen, braucht man keine mehr (glaubt man!). Und aufbauend auf einem Gesetz (ASVG), dass niemand mehr versteht, und von Einzelinteressen zur Fratze verzerrt wurde, ist die Entwicklung eines „neuen“ Bildes kaum möglich.

International will man von Hausarztmodellen, dass möglichst viele gesundheitlichen Probleme vor Ort adressiert werden. Das Stichwort ist gesundheitlich – kein Wort von medizinisch, denn das wäre eine Einschränkung, die nicht funktioniert. Hausärzte (mit ihren Ordinationen) sollten niedrigschwellige Leistungen aus allen Bereichen der Gesundheitsversorgung, von Prävention bis zur Pflege, anbieten (nicht bloß koordinieren!) können, nicht nur Heilbehandlung, wie es das ASVG vorsieht.

Prävention für alte Menschen (z.B.: Heimhilfen, damit Patienten nicht wegen häuslicher Verwahrlosung krank oder zum Pflegefall werden), die eben die wichtigste Patientengruppe heute darstellen, hat mit Heilbehandlung wenig zu tun, ja selbst Rehabilitation, wenn sie darauf abzielt, alte Menschen möglichst lange in ihrer Selbstständigkeit zu unterstützen (z.B. aktivierende Pflege) ist ihr nicht zuzurechnen. Und trotzdem gehören all diese Dinge zum „Hausarzt“, wie er sein sollte. Aber genau dort besteht ein Kompetenzwirrwarr zwischen Gemeinden, Länder, verschiedenen Ministerien, Kassen und wer weiß wem sonst noch. Dass hier ein Hausarzt wirklich steuernd eingreifen kann, setzte eine Strukturreform voraus.

Der Erfolg eines Hausarztmodells wird u.a. daran gemessen, ob unnötige Spitalsaufenthalte und Facharztüberweisungen weniger werden. Damit werden die Interessen der Länder und Fachärzte direkt betroffen – Einsparungen könnten zu ihren Lasten gehen. Es ist schwer vorstellbar, dass das dem Hausarzt in der Realität „erlaubt“ würde – ohne Strukturreform.

Will man also wirklich Hausarztmodelle, muss man das System umbauen – alles andere wäre eine „österreichische“ Lösung!

Dieser Artikel wurde im Juli 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ambulante Gesundheitsversorgung – Chaos pur

Das Regel-Chaos in der ambulanten Versorgung ist unerträglich und behindert eine vernünftige Entwicklung – am Ende zum Schaden für die Bevölkerung.

Kaum jemand, der, wenn er einen Arzt besucht, weiß, welches Regel-Chaos sich hinter diesem Besuch verbirgt. Ein Normalbürger geht entweder zu seinem Kassen- oder Wahlarzt, oder in die Spitalsambulanz oder aber in ein Ambulatorium. Dass sich dahinter unterschiedlichste Gesundheitssysteme verbergen, bleibt verborgen.

Von der Patientenzahl her dürften Kassenärzte wohl die wichtigsten sein. Ob das auch für ihre Versorgungswirksamkeit gilt, weiß man nicht. Am Ende werden dort über 110 Millionen Arztbesuche pro Jahr gezählt. Wo es Kassenordinationen gibt, legen Ärztekammer und Kassen im Verhandlungsweg fest. Das Leistungsspektrum wird durch Honorarkataloge bestimmt, von denen es 14 unterschiedliche gibt – fünf für die sogenannten kleinen Kassen und neun für die neun Gebietskrankenkassen. Diese Kataloge sind alles andere als logisch, und funktionieren nach allem, nur nicht nach dem „Gleiches Geld für gleiche Leistung“- Prinzip. Denn die Leistungen sind das Produkt von 50 Jahren Verhandlungen zwischen Dutzenden Kassen und föderalen Ärztekammern. Kein Mensch weiß mehr, was sich die Verhandler bei den Leistungen und den damit verbundenen Honoraren gedacht haben.

Bei den Wahlärzten, von denen es mehr als Kassenärzte gibt, sind diese Kataloge weitgehend egal, weil sie nach dem Kostenerstattungsprinzip funktionieren, also nicht mit den Kassen, sondern mit den Patienten verrechnen, und ihre Honorare selbst festsetzen. Wo es Wahlärzte gibt ist ebenfalls ungeregelt. Das einzige was Wahlärzte mit Kassenärzten verbindet ist die Tatsache, dass beide keine Ärzte anstellen dürfen.

In den Spitalsambulanzen wiederum arbeiten nur angestellte Ärzte; wie viele ist aber ungewiss. Welche Leistungen erbracht werden ist ebenso unbekannt, wie die Menge der erbrachten Leistungen, nicht einmal das Patienten-Zählen funktioniert. Das Einzige, was man weiß, ist, dass sie in einer Grauzone arbeiten. Denn eigentlich sind sie nur für ambulante Patienten zuständig, die eine Versorgung brauchen, die es im niedergelassenen Bereich nicht gibt. Weil man aber weder da noch dort weiß, was es wirklich gibt, machen Ambulanzen mittlerweile alles.

Und schließlich mischen Ambulatorien mit: Wo es welche geben und was dort gearbeitet werden darf, ist Ländersache – die haben den Bedarf zu prüfen. Was allerdings die Bezahlung betrifft, da sind meist die Kassen in der Pflicht. Und um es nicht zu einfach zu machen: Die Vertretung der Ambulatorien ist – irgendwie artfremd – die Wirtschafts- und nicht die Ärztekammer.

Und weil die Verwirrung nicht groß genug scheint, wird es demnächst Ärzte-GmbHs nach dem Stöger-Modell geben: ein Hybrid aus Ambulatorium und Ordination. Es dürfen nur Ärzte, die in der Ärztekammer bleiben, dabei sein, Ärzte dürfen nicht angestellt werden und wo sie entstehen ist Ländersache, der Bedarf muss also von Amtswegen geprüft werden – außer die Ärzte, die seine GmbH gründen wollen, haben einen Kassenvertrag, dann ist es Sache der Kassen.

Alles sehr transparent halt.

Dabei hat der EuGH Österreich genau wegen dieser Intransparenz verurteilt und aufgefordert, endlich Regeln, die für alle gleich gelten, einzuführen. Aber das käme einer Reform gleich, die niemand will.

Praktisch bedeutet das aber Rechtsunsicherheit. Ärzte werden ihre Investitionsüberlegungen dementsprechend anstellen; mit der Folge, dass der ambulante Bereich weiter geschwächt wird – aber vielleicht ist das ja das Ziel.

Dieser Artikel wurde im April 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Enttäuschte Hoffnungen

Die aktuelle Diskussion über teure aber kaum nützliche Therapien ekelt mich an. Sie ist unerträglich scheinheilig und verlogen – von allen Seiten.

1994 starb meine Mutter an den Folgen eines Melanoms, dem schwarzen Hautkrebs. Nach der operativen Entfernung dieses kleinen schwarzen Punktes auf ihrem Arm, war sie sieben Jahre beschwerdefrei und galt als geheilt. Doch dann tauchten Metastasen auf, in Leber und Bauchraum. Sie erhielt neuerlich Chemotherapie, und wirklich, die Metastasen wurden kleiner.

Irgendwann begann ihr rechtes Bein zu zucken. Innerhalb weniger Tage war sie halbseitig gelähmt. Mehrere Hirnmetastasen hatten sich gebildet – die man nun in Graz mit dem Gamma-Knife entfernen wollte.

Tatsächlich erholte sich meine Mutter postoperativ und die Lähmungen gingen zurück. Nach Wochen der Rehabilitation konnte sie sogar wieder selbst gehen. Einen Tag lang, dann begann das linke Bein zu zucken.

Die nächsten und letzten Monate fiel meine Mutter in eine tiefe Depression. Sie war auf der linken Seite komplett gelähmt und musste gewickelt werden. Ich sah damals meine Mutter das erste Mal nackt. Regelmäßig erhielt sie Einläufe, weil Morphium und fehlende Bewegung ihre Verdauung lahm legte.

Während all dieser Zeit schaute sie mir kein einziges Mal mehr in die Augen.

Unsere Familie hat den höchsten Preis bezahlt, den man bezahlen konnte – mit enttäuschten Hoffnungen eines Todgeweihten.

Warum ist das passiert, habe ich mich später oft gefragt. Warum die neuerliche Chemo, warum diese Hirnoperationen?

Sind wirklich die Hersteller von Medizingeräten und Medikamenten schuld, dass so viele falsche Hoffnungen gesät werden? Das zumindest könnte man meinen, wenn man die Diskussion über teure aber kaum nützliche Therapien verfolgt.

Machen wir es uns damit nicht zu leicht? Sind wir nicht selbst schuld an diesem Irrsinn. Wir alle wollen doch, dass alles getan wird, um länger zu leben. Wir fragen nie nach dem Preis dafür.

Wie oft werden in sterbenskranke Krebspatienten die teuersten Medikamente gestopft, ohne echte Chance auf Heilung? Ist denn wirklich alles Machbare auch ein Muss? Verweigern wir nicht schlicht die Diskussion über den Tod, und ziehen uns aus Bequemlichkeit und Feigheit auf den Standpunkt zurück, dass alles, was machbar ist, gemacht werden muss?

Natürlich hat die Politik Mitschuld – statt die Diskussion über den Nutzen von Therapien zu führen, zieht sie sich darauf zurück, allen alles auf allerhöchstem Niveau zu versprechen. Aber sind es nicht wir, die wir sie dann für diesen Populismus mit Wahlsiegen belohnen?

Auch die Ärzte tragen Schuld, weil sie in diesem Klima der falschen Hoffnungen dem Patienten selten seine realen Chancen darstellen. Wenn eine winzigste Chance existiert, dann wird diese aufgeblasen als ob wirklich Heilungschancen bestünden.

Auch die Industrie ist nicht schuldlos – aber von allen ist sie wohl die unschuldigste. Solange wir der Überzeugung sind, dass Gesundheit unendlich viel Wert ist, solang wir bereit sind, das Leben um jeden Preis zu verlängern, darf es nicht wundern, dass uns jemand dazu ein Angebot macht. Solange wir uns der ethisch schwierigen Frage entziehen, wann genug ist, solange werden wir Medikamente und Geräte kaufen, die fähig sind zu horrenden Preisen – und da meine ich gar nicht nur Geld, sondern vor allem die Verzweiflung nach enttäuschter Hoffnung – ein wenig mehr Zeit herauszuschinden.

Ich bin schuld, dass meine Mutter so leiden musste, ich habe mich nicht gegen diese Übertherapien gewehrt – ich habe die Augen geschlossen und es geschehen lassen.

Dieser Artikel wurde im März 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

ELGA und der politische Sumpf

Rund um die ELGA geht nichts weiter? Doch, Pfründe und Lehen werden verteilt – unter den üblichen Verdächtigen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Sie gehen zum Arzt, geben ihre E-Card ab und der Arzt kann sich über relevante Befunde, inklusive der Medikamente, die Sie nehmen, informieren. Er soll alle Informationen haben, die er braucht, um Ihren Fall richtig einzuschätzen und gemeinsam mit Ihnen die richtige Therapie zu finden. Eine Therapie, die anderen nicht widerspricht oder diese gar unwirksam macht, eine Therapie, die zu Ihrer individuellen Situation passt. So soll gute medizinische Versorgung im 21. Jahrhundert funktionieren.

Ist das so schwer zu verstehen? Nein! Ist das in der heutigen Zeit, in der Medizin spezialisiert und unübersichtlich ist, nötig? Ja! Und wie kann man das anstellen – mit der ELGA, der elektronischen Gesundheitsakte.

Natürlich ist das Umsetzen nicht einfach; wenn man wollte, könnte man aber. Doch nichts passiert, stattdessen wird rund um die ELGA der Sumpf immer tiefer.

Zwar loben jene, die sich mehr um Macht als den Patienten kümmern, die Fortschritte in dieser endlosen Geschichte. So soll es ein Meilenstein sein, dass aus der früheren ELGA-Arbeitsgruppe nun eine GmbH wurde. Genauer betrachtet hat sich aber nichts geändert, außer vielleicht, dass es jetzt zwei gut bezahlte Geschäftsführer gibt – einen schwarzen und einen roten! Und weil es ins Bild passt, sind auch gleich nebulose Immobiliendeals im Umfeld zu vermuten. Meilensteine eben!

Aber auch das Paradestück der ELGA, die sogenannte E-Medikation ist so eine Sache. Angeblich bereits zu 99,9 Prozent fertig, schaut die Realität anders aus.

Nachdem man (wer und warum?) sich nicht einigen konnte, was in dieser elektronischen Medikamentenliste stehen soll, greift man auf den „guten“ alten Arzneimittelsicherheitsgurt (AMSG) zurück.

Der Grund, warum man sich nicht einigen konnte, ist ein Klassiker. Die Apotheker wollen keinesfalls auch jene Medikamente eintragen, die sie ohne Einbindung von Ärzten verkaufen. Das betrifft meist rezeptfreie Produkte. Da stört es nicht, wenn die Evaluierung des AMSG zeigt, dass gerade bei den rezeptfreien Produkten der Wechselwirkungsalarm häufiger ausgelöst wurde, als bei den rezeptpflichtigen. Es ist also klar, sollte eine elektronische Medikamentenliste funktionieren, muss eben alles drinnen stehen. Aber man kann sich doch nicht in die Karten schauen lassen! Patientensicherheit hin oder her!

Apropos Evaluierung; die vorliegenden Daten sind so schlecht und ungenügend, dass keine, dem Patienten hilfreiche, Umsetzung zu erwarten ist. Das macht aber nichts. Das Ministerium kauft den Apothekern den AMSG trotzdem ab, für 1,9 Millionen Euro. Kaum jemand wird sich erinnern, dass der AMSG als geschenkter Beitrag der Apotheker zu Gesundheitsreform 2006 gefeiert wurde. Die Kosten haben damals 640.000 Euro ausgemacht, die Hälfte kam vom Hauptverband. So wie es jetzt aussieht, können sich die Apotheker freuen. Ihr angebliches Geschenk wird, nur drei Jahre später, 1,6 Millionen Gewinn abwerfen. Und weil der AMSG in der jetzigen Form nicht für eine österreichweite Umsetzung geeignet ist, wird er dann gleich um 1,2 Millionen umgebaut – alles aus Steuergeldern!

Und damit ja kein Geld oder Einfluss verloren geht, wird das ganze „in-House“ gemacht. Externe, private Firmen kommen nicht zu Zug, selbst wenn das nicht EU-konform ist. Wen interessiert’s? Wer aus Wettbewerbsgründen klagen will, der wird sehen, was er davon hat, sich mit den Mächtigen anzulegen. Geschäftsfördernd wäre so etwas sicher nicht!

Dieser Artikel wurde im März 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

In Kärnten wird es beginnen

Obwohl klar ist, dass Spitäler für Länder unfinanzierbar werden, sind sie an Reformen nicht interessiert – noch können sie ja beim Personal sparen.

Wir schreiben das Jahr 20xy.

Frau M. wird stationär aufgenommen. Die Krankheit, wegen der sie aufgenommen wird, wird außerhalb von Österreich seit langem ambulant behandelt. Anders hierzulande, denn hier gilt es, Patienten aufzunehmen, um zu beweisen, dass jedes Bett und jedes Spital nötig ist.

Nach zwanzig Minuten, die Frau M. neben „ihrem“ Bett stehend zugewartet hat, kommt eine sichtlich mürrische Krankenschwester. Es ist erst halb neun, und Frau M. ist heute die sechste Aufnahme. Da drei Kolleginnen vor Monaten das Handtuch geworfen haben und die Politik bei Nachbesetzungen seit 2010 auf der Bremse steht, wird die Arbeit heute im Schnitt von zwanzig Prozent weniger Schwestern geleistet, als noch 2009. Das wirkt sich halt auf die Umgangsformen aus. Frau M. nimmt es hin, schließlich weiß sie, dass unser Gesundheitssystem das beste ist; folglich muss es überall auf der Welt schlechter sein, denkt sie bei sich.

Kurz vor zwölf kommt eine Ärztin. Ihre Augenringe sind tief und schwarz. Frau M. empfindet spontan Mitleid. Im Gespräch erfährt sie, dass seit 2010 zwei Stellen unbesetzt sind. Wenn alle gesund sind, gehe es sich gerade aus. Aber seit einer Woche ist ein Kollege krank und eine Kollegin schwanger und dürfe keine Nachtdienste machen. Und so ist sie diese Woche bereits im dritten Dienst. Das Unfaire ist, so die Ärztin, dass die Chirurgie einen Stock höher genau so viele Ärzte hat wie ihre Abteilung, allerdings nicht einmal halb so viele Patienten. Eigentlich hätte die Chirurgie längst geschlossen werden können, aber die Politik konnte sich nie dazu durchringen.

Der Reigen dieser Entwicklung wurde Anfang 2010 in Kärnten eröffnet. Nach der Hypo-Pleite musste das Land sparen; auch bei Spitälern.

Anfangs wurde eine Strukturreform angekündigt. Man werde Spitäler nach dem Bedarf ausrichten, was auch bedeutet, Abteilungen, die nicht notwendig sind, zu schließen. Besonders witzig, aber zum damaligen Populismus passend, nannte der Finanzlandesrat als Beispiel für seine Reformideen die Schließung der Chirurgie in Mürzzuschlag. Als er das sagte, hatte die steirische Politik längst beschlossen, diese wieder zu eröffnen. Abteilungen zu schließen hat nie geklappt. Also war, von heute aus betrachtet, schon damals klar, dass die Strukturreform nie kommen wird.

Was kam, waren die Personalsparpläne. Weil jedoch neben Standort- auch Beschäftigungsgarantien ausgesprochen wurden, nützte man die natürliche Fluktuation. Damit hat es besonders jene Abteilungen getroffen, an denen hohe Fluktuation herrschte – also dort, wo hohe Arbeitsbelastung dazu führte, dass Mitarbeiter öfter gingen. Und genau dort wurde bei Nachbesetzung gezögert oder diese gar verhindert.

Aber Kärnten war nur der Anfang. Fast alle Bundesländer gingen den gleichen Weg. Heute finden vor allem kleine Spitäler kaum mehr Ärzte, die bereit sind, eine Spitalskarriere anzustreben – alle wollen so rasch wie möglich raus, um sich als Wahlärzte (nicht als Kassenärzte!) zu versuchen. Die Ausbildung von Ärzten ist damit kaum mehr zu bestreiten. Beim Pflegepersonal ist es nicht besser. Diplomiertes Personal bleibt nicht einmal mehr fünf Jahre im Job. Die Spirale dreht sich und die Personalmisere wird immer schlimmer.

Aber das Schöne ist, dass wegen guter Medienarbeit die Bevölkerung davon nichts mitkriegt und Gott sei Dank eine Strukturreform im besten aller Gesundheitssysteme vermieden werden konnte.

Dieser Artikel wurde im Februar 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Frau Doktor, Sie sind immer noch da?

Spitalsärzte leisten nicht nur enorme Wochenarbeitszeiten, die Dauer ihrer Dienste ist für immer mehr Patienten unvorstellbar – und gefährlich.

Hat ein Spitalsarzt Dienst, bedeutet das, morgens anzutreten und bis zum nächsten Tag zu arbeiten, 24 Stunden Minimum. In einigen Spitälern endet der Dienst tatsächlich „schon“ nach 24 Stunden, die Mehrheit arbeitet aber nach wie vor etwa 30 Stunden am Stück, auch 48 sind keine Seltenheit.

Während der Nacht besteht Bereitschaft, diensthabende Ärzte dürften also schlafen – theoretisch. Denn durch das steigende Patientenaufkommen nimmt auch die Arbeit in der Nacht zu. Es ist keine Seltenheit, dass Ärzte erst um zwei Uhr morgens Abendessen. Ebenso passiert es laufend, dass ein Diensthabender gar nicht zum Schlafen kommt oder stündlich geweckt wird. Selbst in einer „ruhigen“ Nacht beginnt diese nicht vor eins und endet spätestens um halb sechs. Und dann wird „munter“ weiter behandelt.

Ärzte sind sich bewusst, dass sie nicht „munter“ sind. Das führt zu immer höher werdendem Druck, den sie auf sich selbst ausüben. Und so haben Ärzte im Dienst selbst beim Schlafen erhöhten Blutdruck und Puls. Eine Ärztin erzählte mir, sie würde wie ein Wachhund schlafen – schließlich darf man das Telefon nicht „überhören“.

Es ist bewiesen, dass nach 17 Stunden Dienst die Reaktionszeit der mit einem Alkoholspiegel von 0,5 Promille entspricht. Einem Autofahrer nimmt man den Führerschein weg, wenn man ihn fahrend erwischt, ein Arzt hingegen arbeitet so noch mindestens sieben Stunden weiter. Und tatsächlich fühlen sich viele nach einem Dienst „wie betrunken“ und vermeiden es, sich ins Auto zu setzen. Einer Ärztin wurde einmal abgeraten, nach 27 Stunden Dienst mit eineinhalb Stunden Schlaf mit dem Rad nach Hause zu fahren – aus Sicherheitsgründen. Laut dem Arbeitszeitgesetz für Ärzte, das diesen Wahnsinn ermöglicht, hätte sie aber noch Patienten behandeln dürfen: 48 Stunden am Stück sind ebenso legal wie eine Wochenarbeitszeit von 72 Stunden. Bis zu 8 Dienste pro Monat sind erlaubt, was bedeutet, fast jede dritte Nacht im Spital zu verbringen. Das ist so, als ob man jeden dritten Tag auf einen Ball geht, ohne jemals richtig auszuschlafen! Und trotz dieser großzügigen Regelung, werden die Dienstzeiten oft überschritten.

Die meisten Ärzte – inklusive ihrer Familien – leiden darunter, sind jedoch finanziell davon abhängig. Die Entlohnung der Dienste macht mindestens 30 Prozent des Gehalts aus. Aber selbst wenn es nicht auch ums Geld ginge, sie hätten gar keine Wahl, weil nur so viele Ärzte, vor allem Turnusärzte, angestellt werden, wie es das Arbeitszeitgesetz hergibt. Wenn dann Grippewellen oder Schwangerschaften „passieren“, muss das Gesetz halt übertreten werden.

Dass die Politik das zulässt, hängt damit zusammen, dass an allen Spitälern krampfhaft festgehalten wird. Und da heißt es sparen – am Besten bei Personalkosten. Würden wir weniger Spitäler haben und mehr Patienten ambulant behandeln, könnte man menschlichere Bedingungen schaffen – aber das ist undenkbar.

Wer im Spital liegt, soll nicht fragen „Frau Doktor, Sie sind immer noch da?“ – diese Frage ist zynisch! Außer vielleicht, man will von jemandem behandelt werden, der „betrunken“ ist.

Und nur um gleich zu reagieren, früher war es anders. Die Zahl der Patienten war deutlich geringer und, was wesentlicher ist, die Frauen blieben brav am Herd statt Ärzte zu sein, und die starken Ehemänner hielten, eine Perspektive vor Augen, tapfer durch. Tja, irgendwie ist so ein Bild genau so anachronistisch wie unser Spitalswesen.

Dieser Artikel wurde im Februar 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wem soll ich nun glauben?

Durch das zeitgleiche Erscheinen einer nicht bestellten Meinungsumfrage wird die politische Manipulation entlarvt – allerdings nur für Interessierte!

Gesundheitsminister Stöger plant alle drei Monate eine Meinungsumfrage zur Gesundheitsversorgung in Auftrag zu geben, nach deren Ergebnissen er sein Handeln ausrichten will. Da stellt sich die Frage, was er will?

Es trifft sich, dass kurz nach den Jubelmeldungen über die erste dieser Umfragen, die sich „Gesundheitsbarometer“ nennt, eine weitere Umfrage veröffentlicht wurde; eine, ganz ohne Auftraggeber, einfach um Wissen zu schaffen, also um wissenschaftlich und nicht politisch zu sein: die OEKONSULT-Studie „Gesundheit 2010“.

Vergleicht man die Ergebnisse dieser beiden Studien, dann wird jede Klarheit beseitigt.

Im politisch bestellten „Gesundheitsbarometer“ geben 63 Prozent der Bevölkerung an, mit der Gesundheitsversorgung sehr zufrieden zu sein. Demgegenüber sind laut „Gesundheit 2010“ erstaunlicherweise 76 Prozent davon überzeugt, dass die „große Gesundheitsreform“ nun keinen weiteren Aufschub mehr zulassen würde. Wie geht das? Wissenschaftlich betrachtet, muss man zwar Gesundheitssystem streng von der Versorgung trennen. Die Versorgung ist das, was bei jedem Patienten ankommt, während das (reformbedürftige) System nur den Rahmen definiert. Man kann also durchaus mit der Versorgung zufrieden, aber mit dem System unzufrieden sein. Dass allerdings das System durch seine steuernden Bedingungen immer die Versorgung beeinflusst, darf nicht vergessen werden. Wenn also eine so große Diskrepanz in zwei unabhängigen Studien auftritt, ist es nicht gewagt zu behaupten, dass die Versorgung nur mehr funktioniert, weil es genug Ärzte mit Zivilcourage gibt, die sich im Zweifel um Patienten kümmern, selbst wenn sie dafür das System „umgehen“ müssen – was der Patient offenbar zunehmend bemerkt.

91 (!)Prozent der OEKONSULT-Befragten haben keinen Zweifel, dass eine Gesundheitsreform, die nicht auch eine Reform des Spitalswesens darstellt, keine Reform ist. Mehr noch, 77 Prozent wissen, dass dazu wohl auch Spitalsschließungen gehören. Wie passt dazu das Ergebnis des „Gesundheitsbarometers“, wonach sich 67 Prozent der Österreicherinnen gegen Zusammenlegungen von Spitälern aussprechen? Und wenn Gesundheitsminister Stöger sagt: „Die Experten sind für mich in erster Linie die Patienten. Wenn ihnen die Standorte wichtig sind, sind sie mir das auch“, wen meint er dann? Die 77 Prozent von „Gesundheit 2010“ oder die 67 des „Gesundheitsbarometer“?

Wem soll man glauben? Also ich glaube der Studie „Gesundheit 2010“– nicht weil mir ihre Ergebnisse besser gefallen, was ja auch eine Kriterium sein könnte, sondern, weil sie transparenter ist und offenbar etwas wissen und nicht vertuschen will. Während die Daten des ministeriellen „Gesundheitsbarometers“ größtenteils geheim sind, sind die Daten von „Gesundheit 2010“ allen offenbart. Während die Ergebnisse des „Gesundheitsbarometers“ mehr als drei (!) Monate lang „ausgewertet“ werden mussten, bis sie veröffentlicht werden konnten, wurden die der „Gesundheit 2010“ bereits wenige Tage nach Beendigung der Studie publiziert. Während also „Gesundheit 2010“ für jeden nachvollziehbar (und kritisierbar) ist, bleibt der „Gesundheitsbarometer“ im Nebel der Intransparenz.

Aber ich bin nicht naiv genug, zu glauben, dass auch Minister an Transparenz interessiert sind. Daher wird die Strategie bleiben: Gib eine Studie in Auftrag, die du lenken kannst, damit die Ergebnisse so sind, dass du walten und schalten kannst, wie du willst!

Dieser Artikel wurde im Jänner 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Besinnliches zum Jahreswechsel

Die maximale Medizin ist eine Strafe geworden, für die weit verbreitete Unwilligkeit, ethische Fragen zu stellen und ehrliche Antworten zu geben.

Maria K. wäre im Februar 80 geworden. Seit 15 Jahren hatte sie Zucker, der ganz gut eingestellt war. Nichtsdestotrotz waren ihre Gefäße schwer verkalkt. Seit einiger Zeit funktionierten daher ihre Nieren nicht mehr richtig, und auch das Herz wurde immer schwächer. Sie war alt und krank.

Anfang Oktober kam sie mit einem Herzanfall ins Spital. Dort hat man schnell erkannt, dass das Herz Hilfe braucht und eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt. Aber der Grad der Erkrankung war nur mehr durch eine Bypassoperation behandelbar. Die Ärzte begannen nachzudenken, was man tun kann. Weder die Nieren, noch ihr Herz gaben Hoffnung, dass sie eine so große Herzoperation überleben werde. Ihre Zuckerkrankheit gab zudem Anlass zur Sorge: Werden die Wunden überhaupt heilen?

So lag Frau K. vorerst auf der Station. Sie war ansprechbar und auch orientiert, wie wenn ihre Verwirrung, eine jener grausamen Nebenwirkungen der Arterienverkalkung, täglich größer wurde. Den Ärzten war klar, wenn man nichts tut, wird Frau K. bald an einem Herzinfarkt sterben, wenn man sie jedoch operiert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie entweder bei der OP oder auf der Intensivabteilung stirbt, deutlich größer, als dass sie überleben wird.

Rechtfertigt eine so kleine Hoffnung ein so großes Risiko? Darf man eigentlich untätig bleiben und dem Tod seinen Lauf lassen?

Sieben Tage nach ihrer Aufnahme entscheidet man sich für die OP. Man erklärt ihr, dass es eine schwere OP ist, vermeidet jedoch, sie so aufzuklären, dass sie die Alternativen – Sterben innerhalb der nächsten Tage, allerdings bei Bewusstsein und mit der Möglichkeit, ihre Dinge zu klären; oder OP, mit der sehr hohen Wahrscheinlichkeit, dass sie danach nicht mehr aufwacht – wirklich versteht. Sie glaubt, dass die OP ihre einzige Option ist und ihr helfen wird. Daher verabschiedet sie sich nicht von ihren wenigen verbliebenen Freunden.

Während sich eine Säge durch ihr Brustbein frisst, entnimmt ein anderer Chirurg aus ihrem Bein eine Vene. 30 Zentimeter lang ist der Schnitt an ihrem Bein, 25 Zentimeter der in ihrem Brustkorb.

Nach der OP wird sie nicht richtig wach und muss beatmet bleiben. In den nächsten acht Wochen wird sie kein einziges Mal ohne Maschine atmen. Die Ärzte halten sie in Tiefschlaf und versuchen ein Organversagen zu verhindern. Die Wunden heilen nicht. Spezielle Pumpen werden angebracht, um den Heilungsprozess zu fördern. Doch nichts hilft, die Wunden bleiben offen, ihre Nieren versagen, ihre Lungen halten sie kaum am Leben. Mitte Dezember erweist sich die Natur gnädig und lässt ihr Herz stehen bleiben.

Frau K. stirbt, ohne sich auf den Tod vorbereitet zu haben. Mehr noch, man muss hoffen, dass sie von den letzten Wochen nichts mitgekriegt hat. Doch niemand weiß, was Patienten träumen, hören oder empfinden, wenn sie künstlich schlafen!

Ist die maximale Medizin wirklich der richtige Weg? Oder ist weniger nicht oft viel mehr?

Die Behandlung von Frau K. hat 120 Tausend Euro gekostet, Geld, das man woanders hätte einsetzen können. Wäre es denn woanders besser einsetzbar gewesen?

Die Politik erzählt, dass die maximale Therapie die beste ist und die Frage nach den Kosten obszön. Nur bei den Ärzten, kann man hoffen, dass sie zwischen dem Machbaren und dem für Patienten Wünschenswerten abwägen. Leider erhalten sie dabei keine Unterstützung. Eher im Gegenteil. Wir verklagen sie lieber, wenn uns was nicht passt.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.