Wenn er nur zum Arzt ginge

Prävention ist schwierig, gerade hierzulande. Wenn man sie vernünftig betreiben will, sollte man schauen, wo vielleicht schon manches funktioniert.

Frau M. (75) muss sich wieder einmal über ihren Mann (75) ärgern. Sie sind zwar beide noch rüstig und können ihre Leben selbst gestalten, aber er ist halt doch etwas fahrlässig mit seiner Gesundheit. Er raucht ein wenig, zieht Schweinsbraten dem Salat vor und, was Frau M. am meisten ärgert, vertritt standhaft die Meinung: wer zum Arzt geht, muss krank sein.

Statistisch betrachtet, wird Herr M. fünf bis sechs Jahre vor seiner Frau sterben. So in etwa zwei Jahre dürften auf biologische Faktoren zurückzuführen sein, die restlichen sind in irgendeiner Weise „selbst-“ oder zumindest „mitverschuldet“.

Es gibt viele Theorien, warum Männer früher sterben als Frauen. Die meisten unterstellen, dass Frauen ein besseres Gesundheitsbewusstsein haben. Dabei ist nicht klar, warum das so ist, klar ist nur, dass es so ist.

Gesundheitsbewusstsein schaffen ist ein wesentliches Ziel der Gesundheitsförderung und Prävention. Insbesondere gilt es dabei, jene Menschen zu erreichen, die am meisten davon profitieren würden. Gut gebildete Menschen mit hohem Einkommen haben statistisch betrachtet bereits ein besseres Gesundheitsbewusstsein, als jene mit niedriger Bildung und niedrigem Einkommen. Und genau letztere Gruppe meidet Ärzte gerne. In den Statistiken drückt sich das dann als geringere Lebenserwartung aus.

Damit haben wir zwei wesentliche Punkte: Gesundheitsbewusstsein ist geschlechtsspezifisch und von sozio-ökonomischen Faktoren beeinflusst.

Es ist nicht so, dass es für jede Krankheit gut ist, sie möglichst früh zu entdecken. Auch kann nicht jede Krankheit vermieden werden, wenn man sich nur oft genug untersuchen lässt. Aber so tendenziell ist es ratsam möglichst früh Risikofaktoren und Krankheiten zu erkennen. Aber das Denken „Ich gehe nur zum Arzt, wenn ich krank bin“ verhindert das.

Aus diesem Grund versucht man mit gut strukturierten Programmen, die Prävention möglichst weg von „Krankheitseinrichtungen“ zu bringen, also weg von Krankenhäusern und Ordinationen, hin zum Patienten. In Großbritannien fahren beispielsweise Augenärzte in die Dörfer und untersuchen in Gemeindesälen Diabetiker (Augenkrankheiten und Erblindung sind häufige Komplikationen bei Diabetes, die jedoch vermieden werden können, wenn man sie früh genug erkennt). Damit erreicht man viel mehr Menschen als mit einer simplen Überweisung zum Facharzt, die oft nur von jenen Patienten in Anspruch genommen wird, die wegen ihres höheren Gesundheitsbewusstseins ohnehin weniger Augenprobleme entwickeln.

Aber solche Programme sind auf bestimmte Krankheiten beschränkt und können nur wenig zur generellen Steigerung des Gesundheitsbewusstseins beitragen. Bei Frauen allerdings ist dieses über alle sozio-ökonomischen Schichten hinweg stärker ausgeprägt als bei den Männern. Warum also?

Es gibt hier nur einen gemeinsamen Nenner: So gut wie alle Frauen sind gewöhnt, über Jahrzehnte auch gesund zu ihrem Frauenarzt zu gehen. Wenn man weiß, dass es eine der größten Hürden guter Prävention ist, „Gesunde“ zum Arzt zu bringen, dann liegt der Schluss nahe, dass regelmäßige Arztbesuche als Gesunder dazu beitragen können, das Gesundheitsbewusstsein zu erhöhen und Prävention ernster zu nehmen.

Nun, wäre es nicht vernünftig, auch den Hausarzt so weiterzuentwickeln, dass er von möglichst allen nicht nur als „Reparatur-Doktor“ sondern als „Gesundheitsberater“ wahrgenommen wird? Vermutlich, aber wer will das schon.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Sechs Stunden Wartezimmer

Ärztemangel, zu wenig Geld, Neoliberale – alles ist Schuld am fortschreitenden Versagen des Gesundheitssystems, aber nicht Struktur und Politik! Oder?

Es ist 10:30 Uhr, und er sitzt seit zweieinhalb Stunden im Wartezimmer. In der Früh ist er aufgewacht und hat, zu dem seit einer Woche bestehenden Husten, 39 Grad Fieber bekommen.

Als er endlich drankommt, hat der Arzt vier Minuten Zeit. Dieser hört ihn ab, verschreibt ihm Antibiotika und überweist ihn zur Sicherheit an den Radiologen.

Adresse samt Lageplan des nächsten Röntgeninstituts – eigentlich ein netter Service – hat ihm die Sprechstundenhilfe mit Rezept und Überweisung in die Hand gedrückt.

Beim Radiologen kommt er überraschend schnell dran. Nur zwanzig Minuten nach seinem Eintreffen ist das Röntgen fertig. Allerdings wartet er dann eineinhalb Stunden auf den Befund. Es ist jetzt 14:30 und er ruft beim Hausarzt an, ob er noch vorbei kommen könne. „Nein, heute nicht mehr. Kommen Sie gleich morgen Früh.“

Um 8:00 ist er dort. Als er drankommt, ist es 9:45 Uhr. Der Arzt schaut auf das Röntgen und sagt, dass die Antibiotika schon gut sind, allerdings gefalle ihm das Bild nicht richtig und überweist ihn ohne weiteren Kommentar an einen Lungenfacharzt. Um 9:50 verlässt er die Praxis mit einer neuen Überweisung.

Zuhause angekommen, versucht er einen Termin zu kriegen. Die beiden ersten Lungenfachärzte, die er anruft, teilen mit, dass sie keine Kassenpatienten mehr nehmen können. Erst beim dritten erhält er einen Termin – in drei Wochen! Das nächste Mal, so beschließt er, fährt er gleich in Krankenhaus; da muss man weniger warten, nicht herumfahren und hat seine Diagnose sicher innerhalb von einem Tag!

Was ist denn da los? Wenn man als Patient nach zweit Tagen und 6 Stunden Wartezimmer noch immer seine Diagnose nicht hat, jedenfalls ein Organisationsproblem. Aber es könnte auch ein Ärztemangel vorliegen, wenn man die Wartezeiten ansieht. Doch ist das so?

Betrachtet man die offiziellen Zahlen der OECD, dann haben wir mit 3,7 Ärzte (ohne Zahnärzte) pro 1.000 Einwohner eigentlich gar nicht so wenige Ärzte. Genau genommen sogar viele, da die meisten westeuropäischen Länder weniger haben.

Von den etwa 29.000 fertig ausgebildeten Ärzten arbeiten 12.000 im Krankenhaus. 17.000 sind niedergelassene Ärzte. Von letzteren jedoch haben nur knapp 8.000 einen Kassenvertrag, der Rest sind meist Wahlärzte. Nehmen wir an, 20 Prozent der Bevölkerung kann und will sich den Luxus eines Wahlarztes leisten und rechnen dann auf die Restbevölkerung nur Kassen- und Spitalsärzte. Plötzlich haben wir nur mehr 3 Ärzte pro 1.000 Einwohner. Mit dieser Zahl, landen wir auf den hintersten Rängen, knapp vor Großbritannien und Finnland.

Und schon wird die Sache klar. Uns fehlt es nicht an Ärzten, sondern an Kassenärzten. Noch klarer wird es, wenn wir bemerken, dass die Zahl der Kassenstellen wenigstens seit 1995 (soweit reichen meine Zahlen zurück) unverändert ist, gleichzeitig aber die demographische Veränderung – Stichwort Alterung – immer mehr Ärzte erfordern würde.

Es ist also kein Wunder, dass die Ambulanzen immer voller werden und die Patienten immer schwieriger einen Kassenarzttermin, insbesondere beim Facharzt ergattern können, ja sogar von Kassenärzten abgewiesen werden, auch wenn letzteres meiner Meinung nach nicht korrekt ist.

Und statt sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, was erleben wir tagtäglich? Die Finanzierung der Kassen muss gesichert werden! Nein, Geld ist nicht das Problem, es sind unsere überkommenen Strukturen – die allerdings, will keiner angreifen.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Umgehungsmaßnahmen und „Betrügereien“

Wären Ärzte nicht bereit, das System zu umgehen, um ihre Patienten versorgen zu können, würde die Versorgung längst nicht mehr funktionieren.

Frau M. ist 75, Witwe, ihre Kinder sind von Wien weggezogen, ihre Freunde größtenteils unter der Erde. Frau M geht es so eigentlich gut, aber natürlich ist sie mit 75 nicht mehr ganz gesund. Sie geht, teils weil nötig, größtenteils jedoch weil sie Ansprache erhält, ein bis zwei Mal pro Woche zu ihrem Hausarzt Dr. H. Der ist noch beseelt von seinem Beruf und gehört zu denen, die ihre „seelsorgerische“ Funktion wahrnehmen. Er empfängt Frau M. wirklich fast jedes Mal, um sie zu untersuchen. Klar weiß er, dass er nichts finden wird, aber die „therapeutische Untersuchung“ ist halt was, was zu seinem Beruf gehört.

Eine solche „therapeutische Untersuchung“ nimmt, mit Dokumentation in etwa 10 Minuten seiner Zeit in Anspruch. Da er Frau M. pro Quartal etwa 14 Mal sieht, bedeutet das etwa 140 Minuten seiner Arbeitszeit. Von der Kassa erhält er pro Quartal eine Pauschale inkl. Hausarztzuschlag von 29,50 EURO. Sagen wir, dass ein Drittel davon in die Aufrechterhaltung der Infrastruktur (Miete, Personal, Heizung etc) fließen, dann bleibt für seine Zeit ein Stundenlohn von 8,60 EURO. Würde man das jetzt auf 14 Gehälter und unter Anrechnung der Urlaubszeit umrechnen, sind das heiße 6,20 pro Stunde – brutto!

Davon eine Familie ernähren geht nicht. Also was tut Dr. H.? Einerseits könnte er, wie viele seiner Kollegen, Frau M. sofort weiterüberweisen – am besten in die Spitalsambulanz; was rechtens wäre, aber nicht patientenorientiert (und für uns sehr teuer). Andererseits könnte er bei jedem oder jedem zweiten Besuch ein EKG schreiben. Pro EKG kriegt er 10 EURO und das bessert seinen Stundenlohn auf. Rechtens ist das nicht, weil er nur Leistungen erbringen darf, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten; und sooft ein EKG zu schreiben, ist definitiv nicht nötig. Trotzdem hat Dr. H. sich dafür entschieden. Jetzt hat Frau M. eines der bestdokumentierten gesunden Herzen, und Dr. H. fühlt sich wohl, geholfen zu haben, ohne dass seine Familie verhungern muss – dass er damit das System „betrügt“, ist ihm, seiner Patientin und wohl auch den meisten Entscheidungsträgern in der Kasse egal. Es weiß da wie dort ohnehin jeder, dass die Versorgung zusammenbrechen muss, wenn alle Hausärzte Dienst nach Vorschrift machten.

Aber auch im Spital wird das System untergraben. Hierzulande liegen wir 40 Prozent häufiger mit Pneumonie und gleich 300 Prozent öfter mit chronischem Herzversagen im Krankenhaus als die Deutschen. Klar könnten wir glauben, dass wir viel kränker sind und deswegen häufiger ins Spital müssen – rechtlich darf dort nämlich nur liegen, wer aus medizinischen Gründen einer stationären Versorgung bedarf. Real ist das natürlich anders. Wenn heute ein Patient ins Spital kommt, und der Arzt sich nicht sicher ist, ob die ambulante Versorgung, sei sie pflegerisch oder medizinisch, garantiert ist, dann nimmt er den Patienten halt mit irgendeiner Diagnose auf – Gesetz hin, Gesetz her.

Unser System ist schlecht. Keine Rede davon, dass es die realen Bedürfnisse der Versorgung unterstützt, im Gegenteil wird es täglich hinderlicher. Gott sei dank, lebt die Versorgung von Menschen mit Rückgrad, denen Systemvorschriften wurscht sind, wenn sie Patienten helfen müssen. Schade allerdings, dass sie dabei immer „krimineller“ werden. Und das nur, weil die Systemverantwortlichen an Machterhalt interessiert sind, und die eigentliche Versorgung längst aus dem Blick verloren haben.

Dieser Artikel wurde im September 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Löbliche Abteilung

Mit den Sparvorhaben der Krankenkassen soll es ernst werden. Und mit „bedarfsorientierten Kassenverträgen“ hört man wirklich Neues(?)!

Wenn ein Arzt etwas von einer Spitalsabteilung will, dann ist es Etikette, diese auf dem Überweisungsschein mit „löbliche Abteilung“ anzusprechen. Was man dann will, das ist oft kryptisch. Allzu oft steht nach formvollendeter Anrede nur: „Fachärztliche Abklärung erbeten“. Welches Fach gemeint ist, oder welches Problem abgeklärt werden soll, das kann sich der Spitalsarzt aus den Fingern saugen. In der Regel wird nicht mitgeteilt, welche Untersuchungen bereits durchgeführt wurden und zu welchem Ergebnis sie geführt haben und nur selten wird eine konkrete Frage gestellt.

Diese Seltsamkeit – auch bekannt als Schnittstellenproblem – hat zwei Ursachen: (1) es gibt keinen einheitlichen Katalog für ambulante Leistungen (es gibt 14 Kassen-Honorarkataloge und in den Spitalsambulanzen gar nichts) und (2) fehlt jegliche Abstimmung zwischen Kassenbereich und Ambulanzen. Damit fehlt eine gemeinsame Grundlage, ja selbst eine gemeinsame Sprache ist unmöglich.

Ich habe mir einmal den Spaß erlaubt, die Anzahl der Patientenkontakte bei Kassenärzten mit der der Ambulanzbesuche und stationären Aufnahmen zu vergleichen. Definitiv in Verbindung stehen Ambulanzbesuche und stationäre Aufnahmen. Das heißt, dort, wo Patienten oft in eine Ambulanz gehen, dort werden diese auch oft aufgenommen – ein Effekt des Finanzierungssystems, das ambulante Leistungen schlecht und stationäre gut bezahlt. Überhaupt keine Übereinstimmung findet man aber zwischen Kassenarztkontakten und Ambulanzbesuchen. Anders ausgedrückt, die beiden Welten „Kassensystem“ und „Spitalssystem“ haben statistisch betrachtet nichts mehr miteinander zu tun.

Welche Auswirkung dieses seit 1995 (damals haben sich die Kassen aus den Ambulanzen zurückgezogen und sich selbst überlassen) bestehende Nebeneinander hat, lässt sich in Zahlen ausdrücken. Die Zahl der Ambulanzpatienten ist von 4,5 auf 7,5 Millionen gestiegen. Die Kosten haben sich verdoppelt und liegen bei 1,4 Mrd. Euro. Die stationären Patienten sind von knapp 2 auf über 3 Millionen gestiegen. Auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird, es gab – verstärkt durch das Kassenhonorarsystem – eine massive Verlagerung in die Spitäler, die ein Vielfaches einer wohnortnahen Behandlung durch niedergelassene Ärzte kosten – aber diese Kosten gehören eben wem anderen: den Steuerzahlern (vertreten durch Landesfürsten).

Wenn also künftig Kassenverträge nicht automatisch nachbesetzt werden, sondern nur nach Bedarf, sofern Leistungen nicht auch von Spitälern oder Ambulanzen erbracht werden können, dann bin ich gespannt, wie dieser Bedarf bei fehlenden Leistungskatalogen und -abgrenzungen (Wer soll was wann wo machen) ermittelt werden soll. Denken wir praktisch. Reicht die Nähe eines Spitals aus, dass es keinen niedergelassenen Arzt mehr geben muss? Wird so jede Stadt mit Spital frei von Kassenärzten? Wenn noch mehr in Spitäler verlagert wird, was wird uns Steuerzahler dann die Einsparung der Kassen kosten?

Sehen wir es positiv. Der Ansatz der am Patientenbedarf orientierten Planung ist goldrichtig (aber nicht neu – denn schon seit 1958 Gesetz!). Politiker haben zwar hierzulande keine Ahnung, wie man so was macht und noch nicht einmal geeignete Daten, um so was abzuschätzen, aber so nach 50 bis 100 Jahren, werden sie schon draufkommen, wie es geht – mittels „try and error“, dem wohl gängigsten und teuersten Steuerungsinstrument des hiesigen Gesundheitssystems.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Arzt aus Leidenschaft ist immer in Ihrer Nähe

Was ein Chorsänger und eine Pensionistin in den nächsten Wochen gemein haben? Sie sollen der Ärztekammer helfen, beliebt zu werden!

Jetzt, wo die EU-Wahl hinter uns liegt, und die freundlich lächelnden Papp-Spitalsärzte der Wiener Ärztekammer im Plakatdschungel wohl nicht ganz zur Wirkung kamen, werden sie uns sicher auffallen, die neuen Plakate der Österreichischen Ärztekammer.

Im Juni sollen an rund 1.100 öffentliche Stellen Straßenplakate stehen, auf denen einem Chorsänger der Hals von einer adretten Blondine untersucht wird – während er singt, versteht sich.

Die Plakate, so verspricht sich die Kammer, werden insgesamt etwa 19 Millionen Kontakte in der Zielgruppe 18 Jahre und älter erzielen. Nicht nur Plakate solle es geben, auch Radio-Werbung. Zwei Hörfunk-Spots sollen insgesamt 147 Mal ausgestrahlt werden. Die Hörfunkspots und die Straßenplakate haben zusammen eine Reichweite von über 90 Prozent. Das heißt: „Jeder Bürger oder jede Bürgerin kommt mit den Botschaften unserer Werbung öfter in Kontakt.“ Und was ist die Botschaft? Ein Arzt aus Leidenschaft ist immer in Ihrer Nähe.

Wer so viel Geld in Imagekampagnen investiert, der hat dafür seine Gründe.

Nun, wenn man einmal absieht, dass diese Kampagnen nicht wirklich das Image der Ärzte verbessern kann (Die Kammer selbst zitiert aus Studien, wonach die Ärzte weiterhin Traumwerte erzielen und solange die Informationsasymmetrie zwischen dem hilfesuchenden Patienten und dem studierten Arzt existiert, wird sich daran kaum was ändern), muss was anderes dahinter stehen.

Vielleicht hat die Kammer ja einfach zuviel Geld, das sie teuren PR-Agenturen geben will. Natürlich könnte auch ein interner Machtkampf dahinter stehen. Schließlich zerreisst es die Kammer, weil sie die Grätsche zwischen den angestellten Ärzten, den niedergelassenen Kassenärzten und den Wahlärzten kaum mehr auf die Reihe bringt. Dieser Konflikt wird früher oder später zu einer Trennung der Bereiche führen müssen – oder die Kammer in die Bedeutungslosigkeit verbannen.

Aber ich persönlich tippe auf etwas viel Simpleres. Der 30. Juni steht vor der Tür, und dann wird man Reformvorschläge durch den Hauptverband vorfinden. Bei einigen wird man mitkönnen, bei anderen – insbesondere wenn es um Verträge und Honorar geht – wird man eine starke Verhandlungsposition brauchen. Und die gilt es vorzubereiten.

Beim letzten Mal hat das mit dem Streik ja noch geklappt, aber die Bevölkerung war da schon skeptisch. Zudem gibt es aus Deutschland ganz andere Signale. Dort ist die Regierung in ihren Reformschritten sehr viel unbarmherziger und lässt sich auch von Massendemonstrationen und Streiks nicht abbringen. Und um hiesige Politiker gleich weich zu kochen, wird ihnen daher mitgeteilt, dass alle Österreicher von dieser Kampagne gleich öfter erfahren werden! Also aufpassen, liebe Politiker!

Daher wird es wohl nur darum gehen, sich mit sehr viel Geld für Streikmaßnahmen zu rüsten. Wohlgemerkt stammt das Geld aus Pflichtbeiträgen aller Ärzte, also der angestellten genau so, wie von den etwa 10.000 armen Schluckern, die zwar niedergelassene Ärzte sind, aber keinen Kassenvertrag haben. Aber wie der Text der Pressekonferenz zu dieser Kampagne verrät, geht es eigentlich nur um Kassenärzte.

Aber was soll’s. Ich finde die Plakate drollig. Besonders das Plakat, das in den Ordinationen aufgehängt werden soll. Da überprüft ein junger adretter Arzt einer alten Dame den Kniereflex – während diese mit ihrer ebenfalls betagten Freundin Tauben im Park füttert.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Geschlossene Gesellschaft

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – wenn zwei sich einigen, bezahlt das der Dritte. Aber wer ist das wohl – unsere Kinder oder doch wir?

Es ist wie eh und je, was abläuft bleibt den öffentlichen Ohren verwehrt. Das Volk soll nicht zu viel mitkriegen! Schließlich wissen jene, die da verhandeln, am besten, was uns gut tut. Und so dringt nicht viel von dem nach außen, was Ende Juni unser Gesundheitssystem retten soll.

Was ist bekannt?

Da wäre einmal der Auftrag an den Hauptverband. Dieser soll zwei Dinge erledigen: Zuerst soll er innerhalb von sechs Monaten ein, mit allen abgestimmtes, Konzept zur mittelfristigen Sanierung der Krankenkassen vorlegen. Wer das Schauspiel länger kennt, der weiß, dass alleine die Festlegung, wer zu „allen“ gehört, kein leichtes Spiel ist (nur Ärztekammern und Kassen, oder auch die Wirtschaftskammer? Sind die Länder dabei? Was ist mit der Pharmaindustrie? etc). Aber selbst wenn das gelänge, dann ist es unmöglich, all diese Interessensgruppen in so kurzer Zeit zu einem Beschluss zu bringen. Also wird es wohl wieder nur eine geschlossene Gesellschaft sein, die da was ausmauschelt – die anderen bleiben draußen.

Der zweite Teil der Aufgabe ist noch unmöglicher. Der Hauptverband soll die Finanzierung aus einer Hand – oder wie es neuerdings heißt „aus einem Topf“ – vorbereiten, bei Beibehaltung der Verhandlungshoheit der einzelnen Krankenkassen. Alleine darüber nachdenken macht einen Knopf im Kopf.

Was weiß man noch?

Da gibt es eine ganze Menge Arbeitsgruppen; die meisten und offiziellen im Hauptverband, aber auch jede andere Gruppe, ob in Verhandlungen eingebunden oder nicht, hat solche inoffiziell eingerichtet – die Ärzte, die Pharmaindustrie, die Länder, die einzelnen Kassen, das Ministerium, die Parteien etc. Wer da was arbeitet, weiß man nicht – man kann aber vermuten, dass sich alle sicherheitshalber aufrüsten – für den Tag danach, also den 1. Juli.

Ach, und dann gibt es bereits erste Aussagen. Die Ärzte meinten vor zwei Wochen noch, dass es unmöglich ist, in so kurzer Zeit ein Konzept vorzulegen. Letzte Woche dann der Schwenk, jetzt soll doch was Gescheites rauskommen. Was mag passiert sein?

Der Minister hat ausrichten lassen, dass er keinesfalls eine Fristverlängerung zulassen will. Weiß er bereits mehr?

Und jetzt wage ich eine Prognose!

Im Konzept wird stehen, dass die Steuerzahler zu ihrem eigenen Wohl mehr in die Kassen zahlen „dürfen“, natürlich ohne demokratisches Mitspracherecht. Argumentiert wird das mit den kassenfremden Leistungen. Die Selbstverwaltung bleibt in ihrer derzeitigen Form, mit allen Kassen und ihren Verhandlungshoheiten bestehen, der Hauptverband dient dazu, die zusätzlichen Steuergelder nach irgendeinem abstrusen Schlüssel zu verteilen. Damit werden die Kassen erhalten und der Hauptverband hat seinen „Topf“.

Die Ärzte werden ruhig gestellt, weil durch die Kassen-Entschuldung und den damit wegfallenden Zinszahlungen (die meisten Schulden haben die Kassen bei den Steuerzahlern, die also nicht nur die Schulden bezahlen, sondern gleichzeitig auch auf Zinsen verzichten werden müssen), Spielraum für Honorarsteigerungen sein wird.

Die Länder, nachdem ihnen erlaubt wurde, deftige Schulden aufzubauen, um ihre Lieblingsspielwiese – die Spitäler – weiter zu kultivieren, haben ohnehin bereits klargemacht, dass sie vor 2013 keinen Reformbedarf sehen.

Und damit sind alle glücklich. Nur für die, die nicht dabei sind, was die geschlossene Gesellschaft beschließt, wird das Ergebnis vermutlich die Hölle – seien es wir Steuerzahler oder unsere Kinder.

Dieser Artikel wurde im Juni 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Kritik der praktischen Medizin – ein Teufelskreis

Die Fehler im ambulanten Versorgungssystem sind mittlerweile Kulturgut geworden. Und Kulturen kann man nicht schnell ändern – wenn überhaupt.

Da sitze ich mit einem Freund, technischer Physiker und einer jener Menschen, die ich als Genie bezeichnen würde, im Gastgarten, unsere Kinder spielen im Sand und wir reden – was sonst – über das Gesundheitssystem. Und ich weiß nicht, wie wir darauf gekommen sind, jedenfalls stellt er fest, er braucht keinen Hausarzt, weil er am besten Wisse, welchen Facharzt er benötigt. Und wenn er das ohnehin wisse, dann geht er doch lieber gleich in die Spitalsambulanz, da gibt es alles, was er braucht. Und gleich heißt gleich – Öffnungszeiten sind da unwichtig.

Es hat mich wieder richtig gerissen. Ist das die Einstellung der heutigen Patienten? Um Arzt zu werden, braucht es eine 10- bis 15-jährige Ausbildung, erst dann hat man das Recht, krank von gesund zu unterscheiden. Wie also kann ein „Laie“ so selbstsicher davon ausgehen, dass er es besser wisse? Wie kann es passiert sein, dass der Patient der Arzt-Patienten-Beziehung so wenig traut, dass er lieber in eine hochtechnisierte Ambulanz geht, als sich seinen Arzt zu suchen?

Aber andererseits ist es verständlich.

Es schaut so aus, als ob die Infrastrukturen im niedergelassenen Bereich ausgehöhlt wurde: In den Spitälern hat sich die Zahl der Ärzte in den letzten 20 Jahren fast verdreifacht. Und bei den Kassenstellen für Hausärzte? Da hat sich eigentlich nichts getan. Zudem ist das Leistungsspektrum zurückgegangen. Hat ein Hausarzt früher noch kleine Wunden genäht, sogar Röntgenbilder gemacht, war er früher „regelmäßig“ bei den Familien zu Hause, wartet er zunehmend, nur mehr mit dem Stethoskop in den Ohren in seiner Ordination auf Patienten.

Wohlgemerkt war das nicht der Wunsch der praktischen Ärzte, denn in deren Reihen waren und sind immer wieder Idealisten, die versuchen, die Rolle des Hausarztes zu stärken. Es war das System, dass offenbar wenig für sie über hat. Interessanterweise hat die WHO bereits 1969 (!) festgehalten, dass es die steigende Tendenz gibt, Patienten in Spitäler einzuweisen, und dass diese Tendenz durch das Honorierungssystem (das die Ärztekammer mitzuverantworten hat!) gefördert wird. Aber außer unzählbaren politischen Lippenbekenntnissen hat sich wenig getan, und so wird der Hausarzt halt immer unwichtiger und in der Versorgung unwirksamer.

Wen wundert es, dass Patienten den Hausarzt nur mehr als „Überweiser“ und „Krankschreiber“ und nicht mehr als vertrauenswürdigen Diagnostiker und Therapeuten wahrnehmen? Warum sollte man einem Arzt vertrauen, der keine Zeit hat, bei dem man lange warten muss, der dann ohnehin nur überweist – und das oft in die Ambulanz? Mehr noch, durch den massiven Ausbau des Spitalssektors und einer maßlosen Schönwetterpolitik, werden mittlerweile vermutlich viele Patienten, selbst wenn sie vom Hausarzt richtig und ausreichend therapiert wurden, anschließend die Ambulanz aufsuchen, weil sie der Meinung sind, Spitzenmedizin gibt es nur dort.

Dass bei so einer Politik aber die Wohnortnähe verloren geht, ist offenbar unwichtig, ebenso, dass damit eine sinnlose und teure Überversorgung erzeugt und bald wegen jedem Schnupfen ein komplettes Labor angefordert wird.

Es ist eigentlich ein Wahnsinn, wenn man Gesundheitspolitik mit Populismus paart. Alle erhalten alles, jederzeit, gratis, auf allerhöchstem Niveau ohne Eigenverantwortung und ohne Rücksicht auf Kosten. Ob man die ambulante Versorgung jemals wieder auf zukunftsträchtige Beine stellen kann? Ich weiß es nicht!

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wer Köpfe zählt, der hat keine Ahnung

Nein, es müsste keinen Ärztemangel geben, wenn irgendwo ein solcher vorkommt, dann hat das nicht mit der Zahl der Ärzte zu tun, sondern mit Zynismus.

Was für ein Bild soll ein junger Mensch haben, wenn er hört, dass wir in einen Ärztemangel hineinschlittern? Soll er Medizin studieren, weil da krisensichere Jobs winken?

Bleiben wird bei den Fakten.

Anfang 2005 gab es 38.500 Ärzte, 2009 sind es schon 43.000. Also sind pro Jahr netto 900 Ärzte dazugekommen. In der gleichen Zeit wurden etwa 7.000 Ärzte mit dem Studium fertig. Zieht man die obigen 900 ab, haben 500 Ärzte pro Jahr entweder das Land verlassen oder aber frei werdende Stellen erhalten. Keine Rede von Mangel.

Von den 43.000 arbeiten 13.000 in Spitälern, dazu kommen noch 7.000 Turnusärzte, die darauf hoffen, später einen fixen Platz zu erhalten. 10.000 Ärzte haben einen Kassenvertrag. Also arbeiten 30.000 Ärzte im öffentlichen System, dass wenigstens 95 Prozent der Österreicher versorgt. Wo, fragt man sich, arbeitet der Rest; denn 13.000 haben im öffentlichen System keinen fixen Platz. Diese Ärzte verdingen sich als Wahlärzte, Vertretungsärzte, sitzen auf Karenzstellen oder fahren Notarztdienste. Keiner dieser Jobs ist sicher.

Warum soll plötzlich ein Mangel auftreten?

Ach ja, es wird argumentiert, dass demnächst so viele Ärzte in Pension gehen. Natürlich, wenn man sich nur jene anschaut, die im System sind, kann man den Eindruck haben. Aber wer schaut sich die 13.000 Ärzte an, die eben nicht im System sind? Wie alt sind die? Aber selbst bei den „System-Ärzten“ ist keine Gefahr in Verzug. Das Durchschnittsalter dieser Ärzte hat sich in den vergangen fünf Jahren gerade einmal um neun Monate erhöht. Und eine seriöse Berechnung hat ergeben, dass bis 2025 etwa 750 Ärzte pro Jahr in Pension gehen werden. Bis 2011 werden aber pro Jahr 1.600 Studenten fertig. Dann erst werden die Absolventen sinken – auf mindestens 1.1150, von denen wenigstens 850 aus Österreich kommen. Also selbst dann ist kein Mangel zu sehen. Bis zu dem Zeitpunkt ist die Zahl derer, die im System nicht unterkommen auf geschätzte 16.000 angeschwollen. Wollen wir auf diese einfach verzichten?

Noch ein Aspekt sollte einbezogen werden. Es gibt – was nicht bedeutet, dass es gut ist, nur dass es geht! – Gesundheitssysteme, die für die Versorgung von acht Mio. Einwohnern mit weniger als 20.000 Ärzten auskommen. Was passiert, wenn das Geld knapper wird und wir uns aus Kostengründen dorthin entwickeln? Werden dann noch mehr Ärzte im „Nichts“ verschwinden?

Nichts desto trotz gibt es zunehmend Mangelerscheinungen. Es wird immer schwieriger gerade in der Peripherie Ärzte zu finden, die bereit sind, für wenig Geld viel zu arbeiten. Zudem ist der Anteil der Frauen unter den Ärzten unter 35 Jahren bereits fast 70 Prozent. Diesen Frauen machen wir im System kein Angebot, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Kann man solche Mangelerscheinungen mit noch mehr Uni-Absolventen lösen?

Natürlich nicht. Ob Absolventen, ausländische wie inländische, hier arbeiten wollen, hängt davon ab, welche Vision sie in Österreich haben. Und da scheitert das System furchtbar. Um diese Mängel zu beheben müssen wir über Anreizsysteme und Perspektiven reden – nicht über noch mehr Studenten.

PS: Bei der in Linz geforderten Universität dürfte es wohl eher darum gehen, für die Spitäler neue Geldquellen zu erschließen (bei Uni-Spitälern muss der Bund mitzahlen) und/oder den vielen unechten Professoren, die dort arbeiten, endlich die Chance zu geben, „Richtige“ zu werden. Um Patienten geht es meiner Meinung nicht.

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt

Weiterbildung und Forschung gibt es nicht gratis. Wenn die öffentliche Hand nicht zahlen will, muss das wer Anderer tun. Warum ist das Korruption?

Als ich noch Pathologe war, besuchte ich eine einwöchige Fortbildung in Edinburgh. Damals erhielt ich vom Dienstgeber drei Tage Sonderurlaub, 5.000 Schilling und die Teilnahmegebühr. Persönlich „durfte“ ich zwei Tage Urlaub und 15.000 Schilling beisteuern. Gewohnt habe ich in einem umgebauten Dachbesenkammerl, das noch immer 1.200 Schilling pro Nacht gekostet hat.

Andere hatten da mehr Glück. Deren „Selbstkosten“ wurden übernommen, darum glauben alle, Pharmafirmen kaufen sich Ärzte.

Nun gut, es gab Zeiten, als „wichtige“ Ärzte eine Woche nach Hawaii eingeladen wurden, um sich „fortzubilden“. Was nicht selten als Produktpräsentation während dem Frühstück passierte – der Rest des Tages war frei verfügbar. Auch die Fernseher zu Weihnachten sind Legende. Aber das ist alles längst vorbei und hat auch damals nur die „wichtigen“ Ärzte betroffen.

Ärzte wie Industrie knebeln sich mittlerweile und lobenswerterweise mit Verhaltenskodizes um den Geruch der Korruption los zu werden. Alleine es hilft nicht, und die Politik fühlt sich bemüßigt, gesetzlich einzugreifen. Und das endet dann noch skurriler.

Nur um ja nicht korrupt sein zu können, dürfen Kongresse nur mehr von jeweils einem Arzt pro Abteilung besucht werden. Kongresse, die immer nur einen Vortrag nach dem anderen abhalten, sind jedoch längst vorbei. Heute werden parallel zig Vorträge zu den verschiedensten Themen an ein und demselben Fachkongress gehalten. Was soll er also tun, der arme einzelne Arzt – sich teilen?

Und da haben wir noch gar nicht über die Kosten der Fortbildung, die im Übrigen verpflichtend ist, gesprochen. Vom Arbeitgeber gibt es wenig, und wer die Gehälter der Spitalsärzte kennt, wird sich fragen, wer das bezahlen soll. Ganz abgesehen, reicht es meiner Meinung nach, dass die Ärzte Freizeit (und oft auch Familienzeit) opfern.

Doch nicht nur die von der Industrie übernommenen Fortbildungskosten sind im Gespräch. Auch die Forschung sei „gekauft“. Seit den 70er Jahren, als man dem Ideal der „freien Wissenschaft“ nachjagte, gibt es Gesetze, die es einem forschenden Arzt unmöglich machen, mit seiner Forschung Geld zu verdienen. Man stelle sich vor, wenn man Forschungsmittel (von wem auch immer) erhält, kann man damit zwar Personal anstellen (sog. Drittmittel-Stellen); aber sich selbst ein Gehalt zu bezahlen? – Nein! Ob man forscht oder nicht, man verdient immer das Gleiche.

Wenn dann wenigstens die Gehälter entsprechend wären. Aber wirklich gut verdienen Uni-Ärzte nur, wenn sie alte Verträge haben. Junge Professoren (und das sind die meisten) krebsen irgendwo bei 3.000 Euro brutto herum. Das man bei so einem Gehalt lieber darauf achtet, den Professorentitel in einer Privatordination zu vergolden, statt für Ruhm zu forschen, ist leicht verständlich. Wer trotzdem forscht und dafür dann einen Konsulentenvertrag einer Pharmafirma annimmt, sollte ja eher belobigt werden, als dass man ihn korrupt nennt. Immerhin bleibt er so der Forschung erhalten.

Das alles soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es echte Schlitzohren gibt. Doch ich will glauben, dass sie eine verschwindende Minderheit sind, die man sowieso nicht erwischt. Wenn die Politik jedoch Gesetze macht, die jedem automatisch Korruption unterstellen und gleichzeitig auch nicht bereit ist, jene Kosten zu übernehmen, die heute durch die Industrie gedeckt werden, dann muss ich mir die Frage stellen – ist der Schelm nicht so wie er denkt?

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Aber töte nicht den Überbringer!

Den Überbringer schlechter Nachrichten töten und den Vogelstrauss als Vorbild zu nehmen ist mancherorts Maxime politischen Handelns – Gott sei dank nicht überall

Wie die Politik auf die Kritik im Aufdeckerbuch „Verschlusssache Medizin“ reagieren wird, war letzte Woche noch Hoffnungssache.

In NÖ hat sie jetzt reagiert. Dort hat man kurzerhand den Kontrollarzt, der jene unangenehmen Qualitätsberichte erstellt hat, die NÖ in kein gutes, aber eben reales Bild stellen, entlassen. Alternativ wird ein sagenumwobener Masterplan vorgeschützt, den niemand außer denen kennt, die bereits die Qualitätsberichte unterdrückt haben – sehr vertrauenerweckend! Laut Plan soll es 2015 so weit sein, dann haben die Spitäler ein Qualitätssicherungssystem – und was passiert bis dahin?

Mit dieser Aktion hat man aber allen klar mitgeteilt: Wer Fehler aufzeigt wird entlassen, wer Fehler verschweigt, kann sich sicher fühlen. Fast hat es den Eindruck, als ob es da und dort so etwas wie eine politisch ausgestellte Lizenz zum Töten gibt.

Gott sei dank ist das nicht in jedem Bundesland so, denn anderenorts will man aus Fehlern lernen und versuchen, sie zu vermeiden.

Aber irgendwie ist ja auch die mediale Berichterstattung schief gelaufen. Wer hat sich um die Berechnungen gekümmert, die darstellen, wie sich die extrem langen Ärzte-Arbeitszeiten auf die Fehlerhäufigkeit auswirken. Keiner findet ein Wort über das perverse Bezahlungssystem der Spitäler und der Ärzte, die darin arbeiten, das nur Quantität und nicht Qualität entlohnt. All das ging gänzlich unter. Konzentriert hat man sich auf die knackige Zahl von 2.500 Toten durch vermeidbare Fehler. Und genau diese Zahl wird umgehend von den Apologeten des Systems – die das Buch nicht einmal gelesen haben – bekämpft.

Das alles ist unverständlich. Der Spitalsbereich ist so gigantisch. Täglich – an 365 Tage im Jahr – werden 70.000 Patienten mit 700.000 diagnostischen oder therapeutischen Behandlungen versorgt. Erledigt wird diese Herkulesaufgabe von 17.000 Ärzten, denen 59.000 Personen aus medizinischen Berufen helfen. 33.000 Menschen (verglichen mit der Zahl der Patienten ein bisschen viel?!) schauen, dass die Spitäler funktionieren. Wer kann ernsthaft behaupten, dass so ein Betrieb fehlerlos läuft?

Und trotzdem, die Apologeten attackieren die Aufdecker. Da wird argumentiert, dass das Vertrauen erschüttert ist, Qualitätsarbeit aber Vertrauenssache sei, dass man den Datenschutz beachten muss, dass man Patienten nicht verunsichern (aber falsch behandeln?) darf etc. Dass die Politik Patienten vollmundig Sicherheit und allerhöchste Qualität verspricht und damit Verantwortung verbunden ist, das hört man nicht!

Besonders gern wird auch die Anonymität beschworen, die man für eine Fehlerkultur braucht. Man will ja kein „Blame and Shame“-System haben. Ist das wirklich so? Die Unfallspitäler haben ein Fehlermeldesystem eingeführt und siehe da, 80 Prozent der Fehler wurden nicht anonym gemeldet – weil die meisten, die im Spital arbeiten, Interesse haben, Fehler auszumerzen. Die Basis will dieses „Wir sind fehlerlos“-Spiel nicht spielen; sie wollen arbeiten, ohne zu schaden!

Wen also beschützen die Apologeten? Doch nur die, die Fehler partout nicht zugeben wollen. Also in erster Linie sich selbst, weil sie gut von dem System leben. Und natürlich jene Primarärzte, die Angst davor haben, die Politiker, die sie zu Halbgöttern gemacht haben, zu enttäuschen, weil sie zugeben müssten, dass ihre Bereiche doch nicht fehlerlos funktionieren. Patienten werden sicher nicht beschützt – allen Beteuerung zum Trotz.

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.