Solidarität – eine Reflexion

Politiker und Sozialpartner tun so, als ob in der Bevölkerung eine tragfähige Solidarität besteht. Sie dürfte aber eher aufgezwungen, als freiwillig sein – und das ist etwas anderes.

Herr M. ist 62 und in Invaliditätspension, weil er, so sagen Gutachter, nicht mehr arbeiten kann. Grund wäre sein Rücken und seine Knie, alles erheblich abgenützt. 40 Jahre hat er als Maurer gearbeitet, die letzten 15 davon als Polier und sein Job könnte durchaus als körperlich anstrengend bezeichnet werden.

Der wahre, oder wenigstens sehr wesentliche Grund, für seine Invalidität ist aber woanders zu suchen. Herr M. bringt auf seine knapp 1,75 Meter Körpergröße über 100 Kilo. Er ist also fett. Zudem trinkt er täglich etwa fünf Liter Bier, liebt es, üppig zu essen und viel zu rauchen. Dass er Diabetiker ist und unter Bluthochdruck leidet, muss kaum extra erwähnt werden.

Wissenschaftlich betrachtet ist Herr M. für seinen Gesundheitszustand über weite Teile selbst verantwortlich. Das weiß er auch. Schließlich erzählt ihm seit Jahren jeder, vom Hausarzt bis zu seinen Kindern, dass er sich noch „umbringen“ werde.

Solche Warnungen wurden leichtfertig abgetan. Wenn man krank ist, geht man zum Arzt, der macht einen wieder gesund.

Vor zwei Jahren hat er sein Ziel, die Frühpension, erreicht. Die ist zwar mager, kann aber durch Pfusch leicht aufgefettet werden. Und weil er chronisch krank, aber unbelehrbar ist, geht er oft zum Arzt, ein bis zwei mal pro Jahr ins Spital und schluckt haufenweise, dafür unregelmäßig, Medikamente.

Dass das viel kostet, ist ihm egal. Er hat ja ein Leben lang einbezahlt und jetzt ein Recht darauf. Da allerdings täuscht er sich gewaltig.

Denn, bezahlt wird alles nach dem Solidaritätsprinzip, was konkret bedeutet, dass Herr M. sich darauf verlassen muss, dass irgendwer sich mit ihm solidarisch erklärt und die anfallenden Kosten freiwillig übernimmt. Aber warum sollte das jemand tun? Er selbst stellt sich die Frage übrigens nicht – für ihn ist wichtig, dass alles bezahlt wird. Woher das Geld kommt ist ihm herzlich egal.

Und das ist traurig. Denn wenn Solidarität fehlt, wird das Geld nur durch Zwang aufgebracht werden können – und das wäre etwas ganz anderes.

Menschen haben sich schon seit langem zu Gemeinschaften zusammengeschlossen, um sich gegenseitig zu helfen. Mit der Gründung solcher Solidargemeinschaften konnten sich ihre Mitglieder sowohl gegen wirtschaftliche als auch politische Unbilden „absichern“. Basis dieser freiwilligen und selbstverwalteten Zusammenschlüsse war stets das Bekenntnis zu etwas Gemeinsamen, zu dem jeder seinen Beitrag liefern muss; darin liegt der Solidaritätsgedanke; der theoretisch auch unserem Sozialversicherungssystem unterlegt ist.

In wie weit es diesen Gedanken nach 1955 (dem Jahr der Einführung des ASVG) gab, ist ohnehin zu hinterfragen. Hier herrschte immer ein „unfreies“ Pflichtsystem. Ja selbst die Mitbestimmung der Mitglieder ist fragwürdig, da sie über weite Strecken nur über Kammerwahlen möglich ist. Wer die Wahlbeteiligung in diesen Organisationen mit Pflichtmitgliedschaft kennt, kann schnell erkennen, dass Mitbestimmung kaum stattfindet.

In unserem System steckt also bereits sehr viel Zwang, und das ist der Förderung des Solidaritätsgedanken nicht dienlich. Nichtsdestotrotz wird seitens der Politik (inklusive der Kammern) daran festgehalten und so getan, als ob er unverbrüchlich besteht.

Nun, man kann hoffen, dass die gepredigte Solidarität nie in der Realität geprüft wird. So gefühlt, besteht sie längst nicht mehr. Weder von denen, die von ihr leben, noch von denen die dafür aufkommen.

Dieser Artikel wurde im August 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Titanic wird doch nicht gar sinken?

Kann es sein, dass die leeren Kassen beginnen zu diktieren? Zumindest ist hinter den Kulissen mehr Bewegung zu bemerken, als jemals zuvor. Die Angst, die „Spitalswesen“-Titanic könnte doch sinken, geht um.

Im März 2009, als die Finanz- zur Wirtschaftskrise wurde, stand an dieser Stelle, dass die notwendigen Mittel zur Finanzierung der Spitäler, die durch die Länder für 2009 aufzubringen sind (2008 waren dass etwa 3,6 Milliarden Euro) deutlich anwachsen werden. Hintergrund dieser Rechnung war, dass die Einnahmen durch die Wirtschaftskrise sinken werden, weil sie wesentlich vom Steuer- und Beitragsaufkommen abhängen. Da aber die Kosten ungeachtet der Krise weiterwachsen werden, wird das Loch zwischen Einnahmen und Ausgaben größer.

Schon bisher schlossen die Länder dieses Loch durch die Abgangsdeckung, eine Art automatischer Defizitdeckung. Und die war nicht gering. Oberflächlich ausgedrückt, machten die öffentlichen Spitäler pro Jahr 30 bis 35 Prozent Miese, die im Landesbudget hängen blieben; seit 2009 jedoch sind es wohl 40 und mehr Prozent – und das wird solange bleiben, solange die Wirtschaft das durch die Krise entstandene Minus nicht selbst (ohne Staathilfen) kompensiert hat, oder die Kosten der Spitäler real sinken. Ersteres könnte Jahre dauern, und zweiteres ist gegen den Willen der Landespolitik.

Langsam dürfte dort aber die Erkenntnis wachsen, dass man nicht alles haben kann, was man will. Dass das langsam geht, hat zwei Ursachen.

Erstens, weil wirtschaftliche Berechnungen der Spitäler sehr lange brauchen. In der Regel liegen „fertige“ Zahlen erst mit einem Jahr Verzögerung vor. Also sind die Zahlen für 2009 erst Ende dieses Jahres „fertig“. Natürlich gibt es da und dort auch gescheite Mitarbeiter, die unterjährig Schätzungen anstellen, aber ein echtes Controlling ist auf Landesebene die Ausnahme. Das kommt daher, dass Landespolitiker geschätzte Zahlen, wenn sie unangenehm sind, nicht, oder wenigstens so spät wie möglich, hören wollen. Und so warten „brave“ Mitarbeiter darauf, dass sie nur mit „fertigen“ Zahlen zur Politik wandern. Sollte es doch jemand wagen, unerwünschte Zahlen „zu früh“ zu präsentieren, dann riskiert er manchenorts sogar seinen Job. Die Folge dieser Vogelstrauss-Politik ist eine endlose Erkenntnisverzögerung. Nichts desto trotz dürfte langsam auch auf politischer Ebene bemerkt werden, dass es echte Finanzierungsprobleme gibt.

Die zweite Ursache ist „Maastricht“.

Früher war Geld für gestandene Landespolitiker kein Problem; wurde es knapp, musste „Wien“ zahlen. Doch diesmal ist das anders, denn der Bund kann nicht mehr so einfach neue Schulden aufnehmen, nur um Weihnachtsmannpolitik zu bedienen. Und er kann es vermutlich auch nicht mehr Erlauben, dass Länder, statt wie gesetzlich vereinbart, Budgetüberschüsse zu erzielen und ins Bundesbudget einzuzahlen, weiter Schulden machen. Der laufende Betrieb der Spitäler reißt mittlerweile aber so tiefe Löcher in die Landesbudgets, dass ein Überschuss ohne Spitalsreform irreal ist. Wenn jedoch die Länder keinen Überschuss abliefern, erhöht sich das Bundesdefizit, was die Einhaltung der Maastrichtkriterien erschwert und – wichtiger – bei Rating-Agenturen schlecht ankommen wird. Neue Schulden unter diesem Titel würden erhebliche Probleme bereiten – das kriegen auch die Länder langsam mit.

Und so beginnt etwas, das wirklich nach ernsthaften Spitalsreformüberlegungen klingt, von Oberösterreich angefangen, bis nach Wien. Nur Niederösterreich tut noch so, als ob es auf unendlichen Geldquellen sitzt, Aber auch dort wird die Erkenntnis reifen, dass die Quellen zwar spu(c)ken, aber kein Geld.

Dieser Artikel wurde im August 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.