Zankapfel Gastpatient

Das Thema Gastpatienten begleitet uns bereits seit langer Zeit Was liegt hinter diesem ewigen Streit um Gastpatienten und warum?

(Lesedauer 6 Minuten)

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Aktuell rechtlich fixiert ist die Situation in einer 15a-Vereinbarung in der es heißt:

(2025) „Für inländische Gastpatientinnen und Gastpatienten wird für die Dauer dieser Vereinbarung keine über die Abgeltung der Landesgesundheitsfonds hinausgehende Entschädigung bezahlt. Bilaterale Vereinbarungen bezüglich Gastpatientinnen und Gastpatienten sind möglich.“

Dieser Text hat seit seinem erstmaligen Beschluss 1997 defacto keine Veränderung erlebt, sieht man vom Zusatz aus 2003 zu bilateralen Vereinbarungen ab, der für die Einführung des ÖSG nötig wurde.

(1997) „Für inländische Gastpatienten wird für die Dauer dieser Vereinbarung keine über die Abgeltung der Landesfonds hinausgehende Entschädigung bezahlt.“

Entstanden ist diese Regelung zu Zeiten der EU-Beitrittsverhandlungen. Die Formulierung zeigt, dass sie als Provisorium gedacht war. Als Lösung war damals bereits die Idee, dass Geld der Leistung folgen soll. Und das wäre durchaus realisierbar gewesen, da gleichzeitig die „Leistungsorientierte Krankenanstalten Finanzierung (LKF)“  eingeführt wurde und das frühere Tagsatz-System ablöste.

Dieses LKF-System ist ein Punktesystem, das auf der ebenfalls damals eingeführten verpflichtenden Diagnose- und Leistungsdokumentation (DLD) aufbaute, die der Grundstock für das (ex post sehr verständliche) ärztlich Jammern über überbordenden Bürokratie ist. Es wurden taxative Listen erstellt und für jede dort enthaltene Leistung, bzw. Diagnose Gruppen gebildet, für die dann Kosten in Punkte (1 Punkte =1€) umgerechnet wurden – sehr kompliziert. Der Erlös ergibt sich jedoch nicht auf Grund der Punktezahl, sondern erst über den realen Punktewert, der am Ende einer weiteren komplizierten Rechnung steht.

Zuerst muss festgestellt werden, wieviel Geld zur Verfügung steht. Das ist abhängig von der Entwicklung der Steuereinnahmen und der Lohnsumme. Das Geld wird in einen Topf gegeben. Dieser wird dann entsprechend einem, im Finanzausgleich (FAG) fixierten, Schlüssel auf Ländertöpfe aufgeteilt. Und dort wird dann ein vom Bundesland selbst beschlossener Anteil direkt auf die Punkte, und ein anderer als „Steuerungsbereich“ mehr oder weniger punkteabhängig und willkürlich auf einzelne Spitäler verteilt. Was also in einem bestimmten Spital der Punkt wert ist, ist frühestens ein Jahr nach den Leistungen, die dafür erbracht wurden, klar.

Fehlt damit bereits die Verbindung zwischen Leistung und Erlös (was ja wesentlich für irgendeine Art Kostenbewusstsein nötig wäre), wurde zudem eine merkwürdige Kalkulation herangezogen. Denn diese Punkte wurden, anders als in der betriebswirtschaftlichen Literatur empfohlen, nicht über eine SOLL-Kostenrechnung nach klaren Regeln festgelegt, sondern über eine IST-Kostendarstellung mit eher kryptischen Vorgaben in Referenz-Spitälern, die ganz Österreich repräsentieren sollten – und nie öffentlich zugänglich wurden,

Sporadisch (1999: für das LKF-Modell  von 2002 bis 2008, 2005 für 2009 – 2016, 2014 ab 2017) wurde in diesen Spitälern „nachkalkuliert“, damit der Wert nahe der Realität bleibt – was natürlich nie funktioniert hat und immer zu absurden Überganszeiten führte. Etwa als die Technik der Katarakt-OP massiv verbessert wurde, waren bis zu Nachkalkulation diese Operationen eine wahre Cash-Cow und Spitäler mit Augenabteilungen hatten viel niedrigere Defizite als die ohne. Da das LKF-System aber über einen gedeckelten Topf gespeist wird, ging das natürlich auf Kosten anderer.

Das hat neben der gefühlt überbordenden Bürokratie zu weiterem Frust in den Spitälern geführt, weil diese Punkte offenbar ziemlich blödsinnig oder wenigstens völlig unpraktisch waren, Dass seit damals auch von jedem Primararzt eine wirtschaftliche Zusatzausbildung verlangt wurde, war dann nur noch ein Brandbeschleuniger..

Warum das System quasi gegen jede Art der Vernunft und zum Ärger der Spitäler so aufgestellt wurde, liegt in seinen Ursprüngen.

Von Anfang an war niemand interessiert, tiefer ins System einzugreifen als nötig. Direkte Vergleiche zwischen den Spitälern war genauso unerwünscht, wie eine Orientierungshilfe für die Spitäler, wie und wo man effizienter werden könnte. Denn gedacht war dieses System nicht um Transparenz zu schaffen oder gar Wettbewerb zwischen öffentlich finanzierten Spitälern herzustellen, sondern um die Spitäler aus dem Maastricht-Budget rauszuhalten

Das musste sein, weil interessanterweise damals keine realpolitische Chance bestand, die Vermögenslage, besser Verschuldungslage, der Spitäler einzusehen. Die Spitalsträger, im Überwiegenden Fall damals noch Gemeinden vor Ländern haben das einfach verhindert (geschickt gespielt hätten die die Offenlegung der Finanzen viel Jahre verzögern können).  Um die EU-Verhandlungen weiterzuführen, musste ein Workaround gefunden werden und das war eben das LKF-System, dass durch die Festlegung von Preisen für Leistungen eine Art marktähnliche Situation vortäuschte, und so die Schulden der Spitäler aus dem Maastricht Budget raushalten konnte. Egal welche Flurschäden entstehen.

Wäre es tatsächlich so gekommen wie verkauft, wäre es möglich gewesen, das immer wieder politisch geforderte und auch versprochen Prinzip „Geld-folgt Leistung“ umzusetzen. Es wäre damit durchaus auch denkbar gewesen, seitens des Bundes die Leistungen zu bezahlen, egal an wem und in welchem Bundesland sie erbracht wurden. Die ganze Gastpatientendiskussion wäre nie entstanden.

Aber das war natürlich nur Theorie. Denn die Einführung dieses LKF-Systems war ja dazu da, Maastricht zu umgehen. Und so wurde eben beschlossen, dass auf der einen Seite das Punktesystem besteht, aber auf der anderen Seite eben das Geld für diese Punkte via Verhandlungen auf- und dann von den Ländern verteilt werden,

Und obwohl eigentlich einst kostendeckend kalkuliert, war der Topf, aus dem das alles nach dem Prinzip Ein Punkt = Ein Euro finanziert hätte werden sollen, defacto von Anfang an zu gering gefüllt. Denn, wie erwartbar, explodierte die Zahl der Patienten unmittelbar mit der Einführung des Systems. Und trotz immer höherer Dotierung des Topfs blieb das auch so. Und das damit unvermeidbare Defizit wird daher und seit jeher vom Spitalserhalter global und ziemlich willkürlich gedeckt.

Von einer „marktähnlichen“ Situation war man immer weit weg. Die realen „Preise“ für die gleiche Leistung sind mittlerweile in jedem Bundesland, ja in jedem Spital anders, aber, weil geheim, eben ohne die Signalwirkung zu entwickeln, die eigentlich erwünscht wäre. Reformverweigerung um jeden Preis, quasi.

Und weil das so ist, wurden die Gastpatienten natürlich zum Zankapfel. Nicht weil der Patient im Mittelpunkt steht, sondern weil man den eigenen Wählern gefallen muss. Reichen die zugeteilten Gelder nicht aus, müssen Landespolitiker die Defizite ausgleichen. Das geht über höhere Schulden. Wenn das irgendwie nicht mehr ganz so leicht ging, dann drohten Kürzungen in anderen Bereichen landesfürstlicher Wohltaten. Solche Kürzungen fallen den Wählern auf. Und dann kam und kommt der Gastpatient ins Spiel. Und das erleben wir eben gerade in Wien, dass vor einer Wahl steht.

Die Aussage, dass man bei der Spitalsfinanzierung das Steuergeld der eigenen Bundeslandsleute nicht für andre ausgeben darf ist also nicht neu, und war noch nie richtig. Aber weil das LKF-System derart merkwürdig aufgesetzt ist, steht seit 1997 der gegenseitige Vorwurf der Bundesländer im Raum, der andere erhielte zu viel, man selbst zu wenig. Der propagandistische Wert dieses Vorwurfs ist leicht erkennbar, weil dabei stets bei sich nur die angeblichen Mehrkosten thematisiert werden, und beim anderen die angeblich zu hohen Einnahmen. Eine Gegenüberstellung auf Basis eines gemeinsamen Nenners, etwa dem Kostenträger, also einem vergleichbaren Patienten, sehen wir nie.

Und das ist erstaunlich, weil ja das LKF-System mit seinen Punkten hervorragend als Orientierung geeignet ist, um herauszufinden, wie teuer die Spitalsversorgung in den einzelnen Bundesländern wirklich ist. Dass das kaum wer tut, ist halt der Komplexität des Systems geschuldet die kaum ein Journalist durchblickt und noch weniger nachprüfen kann. Die Ausrede, die Daten stimmen nicht, ist einfach immer schlagend.

Wenn es auch nicht möglich ist, in einzelne Spitäler zu schauen, auf Landesebene geht das aber sehr wohl. Seit vielen Jahren wird in der  „Überregionale Auswertung der Dokumentation in landesgesundheitsfondsfinanzierten Krankenanstalten“   genau berichtet. Abrufen kann man mittlerweile nur mehr die aktuelle Fassung, früher gab es sogar einmal eine eigene Homepage! Aber so viel verändert sich eh nicht. Einerseits weil ich ein Archiv habe, das Jahrzehnte zurückgeht – ich lade alles immer brav runter, weil ich ja weiß, dass jede neue Regierung sofort das alte unzugänglich macht, andererseits wegen der Dimensionen.

Denn es sind gewaltige Dimension – 2023 wurden 9,9 Milliarde Punkte produziert, die 21,3 Milliarden € gekostet haben. Und wie man an der Tabelle sieht, erhält Wien im FAG relativ viel Geld für seine LKF-Punkte, macht aber auch relativ zur Bevölkerung mehr, aber das relativ teuer. Aber Warum?

Betrachtet man die Produktionskosten pro Bundesland, fällt auf, dass es nur ein Bundesland gibt, das sehr teuer ist. Betragen die Kosten außerhalb von Wien zwischen 1,9 und 2,1 Euro pro Punkt, liegen diese in Wien mit 2,7€ etwa 40% höher.

Die erste Reaktion würde natürlich sein, dass das am AKH liegt, weil eben dort absolute und daher seht teure Spitzenmedizin geleistet wird.

Ein zweiter Blick zeigt aber, dass das anders ist. Erstens haben Tirol und Steiermark auch Universitäten, deren Kosten sich jedoch nicht erheblich von anderen unterscheiden, und zweitens liegen die Treiber der Kosten außerhalb des medizinischen Bereichs.

Dank der Aufstellung der Kosten können Personalkosten, medizinische Sachkosten und weitere Kostenarten, die nicht unmittelbar bei der Behandlung anfallen, unterschieden werden. Dazu gehören etwa nicht-medizinische Fremdleistungen, Energie, Abgaben und Gebühren etc. Fassen wir diese Kostenarten unter dem Stichwort „Infrastruktur“ zusammen, dann kostet die in Wien pro Punkt 1,2€ und damit doppelt so viel wie im Schnitt der anderen Bundesländer.

Und weil Wien nun etwa 2,3 Milliarden Punkte produziert, kommt da eine erhebliche Summe heraus. Anders ausgedrückt, wenn Wiens Infrastruktur so effizient wäre, wie im Rest von Österreich, hätte deren Infrastruktur 2023 um 1.362.911.984,65 € weniger gekostet. Die Frage, wo diese 1,4 Milliarden € im Infrastrukturbereich (also patientenfern) hin sind, ist eine völlig legitime Frage. Die größten Brocken dieser Mehrkosten sind 500 Mio€  für Abgaben, Beiträge, Gebühren und sonstigen Kosten und 400 Mio€ für nichtmedizinsche Fremdleistungen (und das bei hohen Personalkosten – also kein Hinweis auf außergewöhnliches Outsourcing).

Warum in Wien die Infrastruktur-Kosten derart hoch sind, lässt sich nur vermuten. Es könnte jedoch viel mit dem AKH zu tun haben. Denn neben der Bereitstellung aller Ärzte durch das Wissenschaftsministerium, zahlt dieses auch 16% der Betriebskosten (Zusammen werden so etwa ein Drittel der Kosten vom Bund übernommen). Je höher die Betriebskosten sind, desto mehr Geld kommt daher vom Bund. Und weil die Infrastruktur der meisten Spitäler in Wien durch die Stadt Wien bereitgestellt wird, zahlt sich das Wien quasi selbst, womit die Höhe, etwa für Gebühren, eigentlich unwichtig ist. Aber da das Wissenschaftsministerium, das selbst keinen Einfluss auf diese Kosten hat, aber über das AKH zahlen muss, entstehen zusätzliche Einnahmen. Das ist natürlich reine Spekulation.

Aber völlig unabhängig, was dahintersteht, die Behauptung dass Wien zu wenig Geld für die Versorgung der Gastpatienten erhält, stimmt also nur, wenn es die eigenen, selbst festgelegten Kosten als Basis heranzieht. Aus Sicht der Daten ist das nicht verständlich, womit der Verdacht, es geht um Wahlkampf, nicht von der Hand zu weisen ist. Nachvollziehbar, nur Wiener dürfen in Wien wählen, also kann man die anderen vergrämen. Und da die politischen Achsen zwischen Wien und NÖ, bzw. Wien und Burgenland heute andere sind, als noch vor wenigen Jahren, war das dort sicher nicht überraschend.

Das Gastpatienten-Spiel tritt je nach Wahlkalender seit Jahrzehnten immer wieder zwischen fast allen Bundesländern in unterschiedlicher Ausprägung auf – und das mit voller Absicht und gewollt, sonst würden sie längst eine datenbasierte Lösung gefunden haben. Denn anders als 1997 gibt es kaum mehr Gemeindespitäler, die irgendetwas verhindern könnten, der ÖSG, der das sogar bilateral zuließe ist seit 2003 Gesetz, und zudem sind seit 2016 öffentliche Spitäler automatisch im Maastricht-Budget. Aber wer gibt liebgewonnene chauvinistische Wahlkampfthemen einfach so auf.

Wie es dazu kam, dass die EU wegen der Arbeitszeit drohte

 

(Lesezeit 4 Min) 2014 drohte die EU Österreich mit hohen Strafzahlungen wegen Nicht-Umsetzung der EU-Arbeitszeitregelung. Doch ist die EU von selbst aktiv geworden?

NEIN, das tut sie grundsätzlich nicht – jemand muss sich beschweren.

Viele Fraktionen, die jetzt bei der Ärztekammerwahl antreten und so tun, als ob sie es gewesen wären, die die Sitaution der Spitalsärzte verbessert haben, schmücken sich mit fremden Federn! Die meisten der Fraktionen haben trotz Wissen um die illegale Arbeitssituation[i] jahrelang nichts unternommen, mehr noch, bis 2012 wurde das System durch die Ärztekammer OÖ sogar verteidigt und als Erfolg verkauft, wenn das Einkommen v.a. der Jungärzte an Nachtdiensten und Wochenenddienst hängt.

Die Beschwerde kam also nicht von den Institutionen, die eigentlich für Arbeitnehmerschutz und Interessensvertretung zuständig sind, sondern von zwei Privatpersonen:

Dr. Marina Hönigschmid und Dr. Ernest Pichlbauer

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Des Kanzlers PlanA, die SVA, die LSE und der Wahlkampf

(Lesezeit 7 min) Der PlanA von Christian Kern ist wohl nichts als Wahlkampf – zumindest im gesundheitspolitischen Teil ist das klar

Bevor wir den PlanA anschauen, erinnern wir uns an den 17. 2. 2009.

Damals wurde, unter Bundeskanzler W. Faymann und Vizekanzler J.Pröll, eine Arbeitsgruppe aus fünf regierungsnahen Institutionen gebildet. Rechnungshof, WIFO, IHS, Staatsschuldenausschuss (dem heutigen Fiskalrat) und KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung sollten über den Bereich „Gesundheit und Pflege“ (die beiden gehören zusammen) eine strukturierte Analyse der bestehenden Probleme und die verbundenen Folgewirkungen  anfertigen und  Lösungsansätze  erarbeiten. Diese sollten dann auf politischer Ebene umgesetzt werden.

Im Mai 2010 wurde der Bericht gelegt.

Vieles stand da: etwa über die zersplitterten verfassungsrechtlichen Kompetenzen und die fragmentierte Rechtsgrundlagen im Gesundheitswesen, die fehlenden verfassungsrechtliche Grundlagen für ein koordiniertes Vorgehen im Pflegebereich, die fehlende Absicherung gegen das finanzielle Risiko der Pflegebedürftigkeit, die zersplitterte Finanzierungs– und Organisationsstruktur oder die mangelnde Koordination zwischen Sach- und Geldleistungen. Über die Schnittstellenprobleme Krankenanstalten – niedergelassener Bereich – Pflege, mangelhafte Leistungsabstimmung zwischen intra- und extramuralem Bereich sowie Pflege, fehlende sektorübergreifende Planung. Über Zersplitterung der Sozialversicherungsträger, fehlende Vergleichbarkeit der erbrachten Leistungen und der Kosten dieser Leistungen, intransparente Preis- und Tarifgestaltung von ärztlichen Leistungen, heterogene Vertragspartnerdichte – u.s.w.

Nicht, dass das damals neu war! Diese Zersplitterung ist schon viele Jahre von allen möglichen nationalen und internationalen Organisationen kritisiert worden –  aber jetzt hatte es die Regierung von den eigenen, handverlesenen und überwiegend öffentlich finanzierten Beratern schwarz auf weiß; und jetzt kann man die dargestellten Lösungsansätze, wie 2009 versprochen umsetzen – oder?

Zurück in die Gegenwart

Am 11. 1. 2017; hält SPÖ-Parteivorsitzender und Bundeskanzler Christian Kern eine Grundsatzrede, und auch zu Gesundheit und Pflege finden wir einiges im „PlanA“  .

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Ist die Kassenfusion ein gangbarer Weg, die ambulante Versorgung besser zu organisieren?

 

Inhaltsverzeichnis

  • Zusammenfassung

 

  • Einleitung

 

  • Behandlung, Versorgung und Gesundheitssystem sind unterschiedliche Dinge
  • a).. Die Ebene der Behandlung
  • b).. Die Ebene der Versorgung
  • c).. Die Ebene des Gesundheitssystems

 

  • Grundsätzliches zum österreichischen Gesundheitssystem…

 

  • Die Kassenfusion
  • (1) Ist das österreichische ambulante Versorgungssystem wirklich so schlecht?
    • a… Was soll ambulante Versorgung?
    • b.. Was ist PHC?
    • c… Ist unsere ambulante Versorgung so schlecht?
    • d.. Wie misst man „ambulante Versorgung“?
    • e.. Warum gibt es bei uns kein PHC?
  • (2) Welche Organisationsformen gibt es in der ambulanten Versorgung?
    • a.. Kassenärzte
    • b.. Wahlärzte
    • c… Spitalsambulanzen
    • d.. Kasseneigene Ambulatorien
    • e.. Selbständige Ambulatorien
    • f… Privatärzte
  • (3) Welche Folgen hat diese Zersplitterung?
    • a.. Welche Folgen hat das auf die Versorgung?
    • b.. Welche Folgen hat das für die Regionen?
    • c… Warum gibt es keinen einheitlichen Katalog?
    • d… Warum ist es sinnvoll, einheitliche Leistungen einheitlich zu honorieren und dafür über andere Modelle (P4P) Leistungsanreize zu schaffen, die sowohl regional als auch finanziell flexibel sind?
  • (4) • Warum gibt es in Österreich so viele Kassen?
    • a.. Wie viele Kassen gibt es?
    • b.. Woher haben die Krankenkassen ihr Geld?
    • c… Kostet die Verwaltung wirklich nur 3%?
    • d… Sind Pflichtsysteme wie in Österreich (Pflichtversicherung statt Versicherungspflicht und Kassenplanstellen statt Niederlassungs-freiheit) wirklich schlecht?
  • (5) Was passiert, wenn die Kassen fusionieren?
    • e.. Ist eine Kassenfusion eigentlich sinnvoll (Zentralisierung im Zeitalter der Dezentralisierung)?
    • f… Was bringt eine Fusion – Einsparungen?
    • g.. Welche Voraussetzungen sind nötig, um die Kassen zu fusionieren (rechtlich und kulturell)?
    • h.. Wie geht man bei einer Kassenfusion mit den Spitalsambulanzen um?
    • i… Wie geht man bei einer Kassenfusion mit den Wahlärzten um?

 

  • Literatur
  • Abkürzungen

Eine Analyse im Auftrag der Team Stronach Akademie im ersten Halbjahr 2015

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75.390 Unterschriften gegen Dumpingmedizin

Faktenfreies Diskutieren ist gesundheitspolitischer Sport. Die faktenfreie Mobilisierung der Ärztekammer gegen das PHC-Gesetz ist aber bedenklich.

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   „Die Gesundheitspolitik schafft mit dem PHC-Gesetz eine gefährliche Parallelstruktur, welche Schritt für Schritt die Hausärzte ersetzen soll und eine Dumpingmedizin erschafft – der billigste Preis und nicht die beste Patientenversorgung stehen hier im Vordergrund“, „75.390 Unterschriften sind für uns ein klarer Auftrag, den Hausarzt zu stärken und dieses PHC-Gesetz mit allen Mitteln zu verhindern.“

   Erstaunlich, aktuell gibt es noch nicht einmal einen Gesetzesentwurf. Was es gibt, ist ein Verhandlungsentwurf, und der ist Gerüchten zu Folge dermaßen geheim, dass er nur in Papierform mit persönlicher Kennzeichnung übergeben wurde, und auch von der Ärztekammer nicht veröffentlicht wird.

   Das ändert nichts daran, dass der Vizepräsident der Ärztekammer Johannes Steinhart, eine Kampagne fährt. Die Ärzte wurden per Rundschreiben über das Gesetz, das „alle Befürchtungen der Ärztevertretung bestätigt“, informiert. Die wiederum dürften Patienten informiert haben, was zur Folge hatte, dass 75.390 Menschen gegen etwas unterschrieben, das sie nicht kennen; das praktisch niemand kennt, von dem aber sicher sei, dass es zum Untergang der besten Patientenversorgung und dem Aussterben der Hausärzte führen könnte.

   Was will die Ärztekammer retten? Die Hausärzte? Die Patientenversorgung? Was sagen die Fakten?

   Laut Gesundheitsbefragungen 2007 und 2014 (dazwischen gab es keine) ist die Quote der Bevölkerung über 60, die wenigstens einmal einen Hausarzt aufsuchte, von etwa 90 auf auf 80 Prozent gesunken – man meint das ist nicht schlimm, aber das ist falsch: Menschen dieser Altersgruppe brauchen Ärzte. Weil ich gerne mit Dänemark vergleiche: Dort gehen 95Prozent zu ihrem Hausarzt. Wo gehen die österreichischen Patienten hin? Genau, zum Facharzt. Haben 2007 etwa 42 Prozent der Österreicher über 60 einen (Wahl-)Facharzt aufgesucht, sind es 2014 sagenhafte 67 Prozent (Ausdruck der zunehmenden Beliebtheit der Wahlärzte, die in öffentlichen Statistiken verleugnet wird). Zum Vergleich, in Dänemark waren nur 46 Prozent der Bevölkerung über 60 bei einem Facharzt. Bei den unter 60-Jährigen ist es noch deutlicher: Dänemark: 25 Prozent, Österreich 61 Prozent.

   Hätten wir das dänische Versorgungssystem, das ein gut ausgebautes PHC hat, wären 762.000 Österreicher (über 15) 2014 zusätzlich zum Hausarzt gegangen, dafür aber 2,4 Millionen nicht zum Facharzt.

   Bedenkt man, dass Dänen ungefähr gleich viel Geld ausgeben, aber deutlich seltener zum Arzt gehen, weiß man, warum dort Ärzte zufrieden sind. Sie haben pro Patient mehr Zeit. Und weil Dänen über 65 noch 13 gesunde Lebensjahre vor sich haben, Österreicher aber nur 9, sind auch Patienten zufrieden.

   Wenn nun erklärt wird, dass mit allen Mittel das PHC-Gesetz verhindert werden muss: Ist es, um den Hausarzt zu stärken und die beste Patientenversorgung zu retten?    PS: Wenn die Zahl der Facharztbesuche angestiegen ist, sind die Spitalsambulanzen entlastet worden? Nein, auch hier gibt es 50 Prozent Steigerung: 2014 sind 32 Prozent der Österreicher über 15 wenigstens einmal in einer Ambulanz gewesen, in Dänemark nur 22 Prozent

„Wiener Zeitung“ Nr. 074 vom 15.04.2016    

Vollkasko oder Eigenverantwortung?

Warum die Forderung nach mehr Eigenverantwortung der Patienten im Österreichischen Gesundheitswesen ein politisches Ablenkungsmanöver ist – erklärt in 14 Sätzen:

1.   Hinter der Frage „Vollkasko oder Eigenverantwortung“ steckt, wenn auch nicht offensichtlich, das Problem der Informationsasymmetrie zwischen dem Patienten und „seinem“ Arzt.

1.1.        Diese Asymmetrie verhindert automatisch ein Begegnen auf Augenhöhe

1.2.        Daraus resultiert, dass der Patient sich auf den Arzt verlassen muss –

1.3.        Der Patient hat alleine KEINE Chance, selbst wenn er Mediziner ist, diese Asymmetrie zu beheben

2.   Hinter dem Arzt steht ein Versorgungssystem, und dahinter wieder das eigentliche, politisch gesteuerte, Gesundheitssystem

3.   Wird die Informationssymmetrie seitens des Gesundheitssystem akzeptiert, oder toleriert, resultiert ein paternalistisches Gesundheitswesen – ein solches denkt und handelt als „guter Vater“ für den Patienten, der selbst keine Verantwortung tragen muss.

Das reicht Weiterlesen „Vollkasko oder Eigenverantwortung?“

Analyse der neue Ärzteausbildung – ein riesen Bluff

Wenn die entworfene Ärzteausbildung eine Verbesserung bringen soll, müssten parallel 10.000 Spitalsbetten abgebaut werden! Also doch nur ein Bluff!

Zusammenfassung

Blickt man schnell auf den Entwurf, deutet alles darauf hin, dass die Politik ernsthaft eine Verbesserung der Ausbildung der Jungärzte anstrebt. Turnusärzte  (TÄ), die Allgemeinmediziner werden wollen, sollen eine verpflichtende Lehrpraxis machen, die mindestens 6 Monate dauert. Die Facharzt-Ausbildung soll durch das Abstellen der Unart, dass vor der Facharzt-Ausbildung zuerst eine Allgemeinmediziner-Ausbildung gemacht werden muss, deutlich verkürzt werden. Und damit Spitalserhalter, v.a die Länder, diese neuen Regeln nicht umgehen können, wacht die Ärztekammer über jede einzelne Ausbildungsstelle. Soweit so gut!

Allerdings liegt der Teufel im Detail. Analysiert man den Entwurf, erkennt man, dass zwar die Ausbildungszeit der Fachärzte wirklich verkürzt werden könnte, dafür werden aber offenbar bewusst Engpässe eingebaut, die die Ausbildungszeit der Allgemeinmediziner in den Spitälern real enorm verlängern wird – es sei denn, es kommt auch zu einer sehr, sehr großen Spitalsreform, mit dem Schließen von etwa 10.000 (25%) Spitalsbetten – das ist nicht realistisch.

V.a. Kleinstspitäler und Kleinstabteilungen, die eigentlich durch den Entwurf aus Qualitätsgründen ihre Ausbildungsbefugnis verlören, werden durch eine Ausnahmeregelung im selben Entwurf geschützt. Diese Ausnahmeregelung stellt sicher, dass TÄ weiterhin ohne ordentliche Ausbildung als Systemerhalter eingesetzt werden können, weil es niemanden gibt, der ihre Ausbildung einfordern kann – sie bleiben weiterhin verkauft. Die auf den ersten Blick eingeführte Überwachung der Ausbildungsqualität durch die Ärztekammer (Ausbildung nur an anerkannten Ausbildungsstellen) ist nichts als Blendwerk. Real wird die Zahl der notwendigen TÄ weiterhin durch einen Bettenschlüssen bestimmt und nicht durch Ausbildungsinhalte oder gar den Bedarf.

Und weil die Zahl der TÄ derartig bestimmt wird, ist es völlig unrealistisch, dass die 42 Monate Ausbildungsdauer (davon 36 im Spital), wie im Gesetz vorgestellt, halten wird. Rein rechnerisch geht sich das Zahlenspiel dieser „Reform“ nur aus, wenn TÄ 5 Jahre (60 Monate) im Spital arbeiten. Und um TÄ ans Spital zu ketten, werden bewußt Wartezeiten eingebaut. Deswegen wird es, um das Angebot der Lehrpraxis so klein wie möglich zu halten, realistischerweise keine öffentliche Finanzierung der Lehrpraxen geben und das Angebot der „kleinen Fächer“ wird reduziert – erheblich reduziert.

Um Feststellen zu können, ob diese Reform wirklich nur eine Show darstellt, sind v.a. zwei Fragen zu stellen:

  1. Bleibt es dabei, dass pro 15 Betten ein Turnusarzt in der Ausbildung zum Allgemeinmediziner angestellt werden muss?
  2. Bleibt es bei der Unterfinanzierung der Lehrpraxis (Bundesförderung reicht bei einer 6-monatigen Lehrpraxis für etwa 60 Stellen jährlich, nötig wären jedoch 350-400, Bewerber wird es 500 geben)?

Wenn diese Fragen mit Ja zu beantworten sind, streut die Regierung v.a. den Jungärzten nur Sand in die Augen, um ihnen das Weggehen zu erschweren. Ihre Ausbildung wird jedoch eher schlechter denn besser! Und nach wenigen Jahren wird die Netto-Emmigration wohl über 50% liegen – völlig verständlich.

Es gibt aber noch eine Möglichkeit, das alles aus dem Sumpf zu ziehen. Wenn Jungärzte nach dem Common Trunk eine Approbation erhalten, dann werden die Spitalserhalter es viel schwerer haben, diese Ärzte auf Wartelisten versauern zu lassen. Ob es allerdings gelingt, dieses international total übliche Recht für Jungärzte in Österreich durchzusetzen?

 

Analyse im Detail

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Die hundertjährige Diskussion

Die immer größer werdenden Archive ermöglichen es, das gesundheitspolitische Versagen zu bewerten.

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   Prävention und Kuration sind nach vernünftigen Grundsätzen nicht voneinander zu trennen und müssen im Wirkungsbereich des Hausarztes zusammengeführt werden, wobei der Hausarzt sich nicht nur um die Gesundheit des Einzelnen kümmern soll, sondern auch um die Volksgesundheit (Public Health).

   Um die Aufgaben effektiv zu erfüllen, braucht der Hausarzt Hilfe durch die Mitarbeit von Apothekern, Pflegekräften und Hebammen. Unter der Führung des Hausarztes (oder mehrerer Hausärzte), der in entsprechend ausgestatteten, und idealerweise seitens des Gesundheitssystems bereitgestellten, Räumlichkeiten (Primary Care Center) ordiniert, sollen diese zusammenarbeiten. Die Leistungen dieses Teams sind so wohnortnah wie möglich zu erbringen. Patienten, die nicht in die Ordination kommen können, werden zu Hause besucht. Patienten sollen hauptsächlich durch „ihren“ Arzt betreut werden. Wenn der Hausarzt einen Facharzt beiziehen will, werden durch ihn die Termine und der Transport organisiert. Die Hausarztordinationen sollen nach regionalem Bedarf dimensioniert sein, wobei zwischen ruralen und urbanen Regionen zu unterscheiden ist. Entsprechend dem Bedarf sollen Fachärzte regelmäßig zu Konsultationen kommen.

   Diese Aussagen klingen nach dem, was gerade in Österreich über die Neustrukturierung der Primärversorgung diskutiert wird, stammen aber nicht von hier, sondern wurden in Großbritannien geäußert – und zwar 1920 (Interim Report on the Future Provision of Medical and Allied Services; Lord Dawson of Penn).

   Der Bericht zeigt, mit welcher Verzögerung wir auf Entwicklungen reagieren. Die gleiche Trägheit finden wir auch in vielen anderen Bereichen.

   Dass wir zu viele, aber vor allem zu viele kleine Spitäler haben, die zu viele Patienten stationär versorgen, was unter anderem durch das Kassenhonorarsystem gefördert wird, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO 1969 berichtet – also vor 45 Jahren.

   Seit mindestens 15 Jahren liegen die Probleme der Kinder-Rehabilitation auf dem Tisch und werden ebenso lange seitens der Politik als wichtig genannt. Letzte Aussage des Primus inter Pares der Landesfürsten, die seit jeher über die Finanzierung mit den Kassen im Clinch liegen: „Es ist uns als Länder ein äußerst wichtiges Anliegen.“ Dass diese 2013, als es um konkrete Umsetzung ging, kurzerhand beschlossen haben, nicht mitzuzahlen, steht im krassen, aber offenbar politisch verkraftbaren Widerspruch.

   Und weil gerade aktuell: Zehn Jahre nach dem konsensuellen Plan über den Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung, dem eine vieljährige Verhandlungsphase zwischen Ländern, Kassen und Bund vorangegangen ist, erfahren wir von der Caritas, dass ihre Hospizeinrichtungen weiterhin nur über Spenden finanziert werden.

   Wir hatten wohl nie eine Gesundheitspolitik, kriegen es aber nicht wirklich mit, weil es noch zu wenig Archive gibt, die die Nicht-Existenz derselben illustrieren können. Aber, die Archive wachsen, wie man an dem Bericht aus 1920 feststellen kann. Und irgendwann werden alle erkennen, dass Politiker Probleme nur vor sich herschieben oder schönreden, statt sie zu lösen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 077 vom 18.04.2014 

UK 1920 über die Errichtung eines Primary Health Care

Es ist erschütternd zu sehen, auf welchem Niveau sich die Österreichische Gesundheitspolitik bewegt, bzw. sich nicht bewegt. Hier zum Vergleich ein Bericht des britischen Unterhauses über die nötigen Reformen – aus dem Jahr 1920 (!). Da wird praktisch alles bedacht, was wichtig ist – von der Ausbildung der Gesundheitsberufe, über die Funktion und Rolle des Krankentransportwesens bis hin zur einheitlichen Krankenakte als Kommunikationstool innerhalb eine abgestuften Versorgungssystems. (Lesezeit 65 Min.)

Interim Report on the Future Provision of Medical and Allied Services

1920 (Lord Dawson of Penn)

  Weiterlesen „UK 1920 über die Errichtung eines Primary Health Care“