Wie es dazu kam, dass die EU wegen der Arbeitszeit drohte

 

(Lesezeit 4 Min) 2014 drohte die EU Österreich mit hohen Strafzahlungen wegen Nicht-Umsetzung der EU-Arbeitszeitregelung. Doch ist die EU von selbst aktiv geworden?

NEIN, das tut sie grundsätzlich nicht – jemand muss sich beschweren.

Viele Fraktionen, die jetzt bei der Ärztekammerwahl antreten und so tun, als ob sie es gewesen wären, die die Sitaution der Spitalsärzte verbessert haben, schmücken sich mit fremden Federn! Die meisten der Fraktionen haben trotz Wissen um die illegale Arbeitssituation[i] jahrelang nichts unternommen, mehr noch, bis 2012 wurde das System durch die Ärztekammer OÖ sogar verteidigt und als Erfolg verkauft, wenn das Einkommen v.a. der Jungärzte an Nachtdiensten und Wochenenddienst hängt.

Die Beschwerde kam also nicht von den Institutionen, die eigentlich für Arbeitnehmerschutz und Interessensvertretung zuständig sind, sondern von zwei Privatpersonen:

Dr. Marina Hönigschmid und Dr. Ernest Pichlbauer

Die Beschwerdeführer und ihre Motivation

Dr. Marina Hönigschmid

Schon im Studium habe ich mich gewundert, wieviele Wochenstunden Ärztinnen und Ärzte leisten müssen. Ich fand es bemerkenswert, dass es für diese Berufsgruppe kaum arbeitrechtlichen Schutz gab.

Es ist grotesk, dass in einem Gesundheitsberuf, der andere Menschen heilt, solche Arbeitsbedingungen herrschen. Jeder war froh, wenn er seine Ausbildungszeit hinter sich hatte, da es dann meist etwas besser wurde. In Erinnerung geblieben ist mir v.a. der Spruch: „Reg dich nicht auf, du wirst auch mal Facharzt werden!“.

Für mich war es besonders frustrierend soviele Wochenstunden anwesend zu sein und doch nur wenige ausbildungsrelevante Tätigkeiten durchzuführen bzw- zu erlernen. Wir alle waren täglich im Krankenhaus anwesend und haben schon damals wegen zuwenig Personal bis zu drei verlängerte Dienste in der Woche zusätzlich zur täglichen Anwesenheit leisten müssen. Da kam es schon vor, dass man drei Wochen lang keinen einzigen freien Tag hatte.

Als ich mit der Facharztausbildung begonnen habe, hatte ich drei kleine Kinder. Die Ausbildung war in diesen vielen Wochenstunden schlecht organisiert; es ging hauptsächlich darum die Dienste zu besetzen und den unkontrollierten Patientenstrom zu versorgen. Ich war am Rande der Erschöpfung.

Ich wendete mich an die Betriebsärztin, an das Arbeitsinspektorat, an die Ärztekammer und an die Personalvertretung – keiner konnte mir helfen. Ich fühlte mich vom Gesetzgeber im Stich gelassen, dachte daran mich an die Volksanwaltschaft zu wenden – und fand 2011 einen Artikel von Volksanwalt Dr. Kostelka in dem er schrieb, dass das österreichische Gesetz nicht EU-konform ist. 

Ein befreundeter Jurist riet mir, mich statt beim Volksanwalt, gleich direkt bei der EU zu beschweren, da es dadurch zu einer Gesetzesänderung kommen kann.

Das Verfassen der EU-Beschwerde mit Hilfe juristischer Expertise dauerte 6 Monate.

Da ich Sorge hatte, dass meine Identität durchsickern könnte und ich massive berufliche Konsequenzen fürchtete, suchte ich eine Person, die die Beschwerde unterschreibt und einreicht. Nach mehreren nachvollziehbaren Absagen aus ähnlichen Beweggründen wurde ich bei Dr. Ernest Pichlbauer fündig. Er übernahm das persönliche Risko und reichte die Beschwerde im Dezember 2011 ein.

 

Dr. Ernest Pichlbauer

Jahrelang beobachtete ich die Arbeitsbedingungen der Spitalsärzte, vor allem der Jungen. Bereits 1994 entschied ich, lieber eine Dissertation zu schreiben, um direkt nach dem Studium eine Facharztausbildungsstelle zu erhalten (das war damals nur an Universitäten möglich, die jedoch diese Stellen nur jenen gaben, die bereits wissenschaftliche Erfahrung vorweisen konnten), als 70 Stunden pro Woche im Spital zu arbeiten und 60 Stunden davon Spritzen zugeben, Infusionen anzuhängen, Blutdruck zu messen und EKGs zu schreiben.

Auch meine Wahl, Pathologe zu werden, hatte viel mit den damals völlig irren Arbeitszeiten zu tun. Ich wollte Familie. Als Pathologe durfte ich dann aber auch schnell feststellen, was es finanziell heißt, keine Nachtdienste oder Wochenenddienste zu haben – mit dem damaligen Grundgehalt war an Familiengründung nicht zu denken. Ich stieg im Jahr 2000 aus.

Als ich meine Frau kennenlernte – 2005, also im 21 Jhdt – hatte sie eine 6-Tagewoche in der sie 70-80 Stunden im Spital verbrachte und dafür 2.000€ netto erhielt. Spätestens seit damals war mir klar, dass das eigentlich nicht rechtens sein konnte; allerdings war ich viel zu wenig Jurist, um die gefinkelten Winkelzüge der österreichischen Arbeitszeitgesetze als solche zu erkennen, die, wie ich heute weiß, eine ungesetzliche Situation kaschierten. Also versuchte ich durch Publikationen (u.a. 1 od. 2) das Problem der schlechten Arbeitsbedingungen öffentlich zu machen – ohne jemals in Ärztekammern oder Gewerkschaften Gehör zu finden

Ende 2011 kam dann Dr. Marina Hönigschmid auf mich zu, und legte mir eine praktisch komplett ausgearbeitete EU-Beschwerde vor, in der klar festgehalten wurde – unsere Arbeitszeitsituation ist illegal.

Die Beschwerde (Beschwerde de_Complaint Directive 2003_88_EC working time health care)

Nach dem offiziellen Einreichen der Beschwerde am 12. Dezember 2011, dauerte die Prüfung durch die EU Kommission etwas mehr als zwei Jahre. Und nach einer offenbar erfolglosen Konsultation, erfolgte Anfang 2014 eine Mahnung Österreichs das Krankenanstalten-Arbeitsgesetz (KA-AZG) an die EU-Richtlinie anzupassen; ansonsten drohten Strafzahlungen in Millionenhöhe.

Der Rest ist Geschichte.

 

 

[i] das ergibt sich schon daraus, dass die Ärzte-Bedarfsstudien, aus Ministerien und der Ärztekammer, seit mind. 2005 bereits darauf hinweisen, und die EU-Arbeitszeitrichtline ein wichtiges Argument der Politik war, warum in Linz eine MedUni errichtet werden muss/soll – Alle wußten es!