Die Personalbedarfsberechnungen des Krankenhauses Nord

   Die Entscheidungsträger des KH Nord dürften nicht als Rechenkünstler in die Geschichte eingehen, das betrifft auch den geplanten Ärztebedarf.

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   Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) behauptet, von 405 bedarfsnotwendigen Arztstellen im Krankenhaus Nord (KH Nord) seien fast alle besetzt. Die Ärztekammer meint, 405 sind zu wenig, es müssten 506 Stellen sein. Beide beziehen sich auf eigene Berechnungen. Beeindruckend, wie weit da die Schere auseinandergeht. Überträgt man diese Berechnungsweisen auf den gesamten KAV mit seinen mehr als 3100 Ärzten, heißt das nichts anderes, als dass aktuell in den KAV-Spitälern entweder 620 Ärzte zu wenig oder aber 780 zu viel arbeiten – das ist schon verwirrend.

   Das KH Nord plant 46.000 stationäre Patienten. Nicht eingerechnet und in Rechnungen irgendwie verschwunden sind tagesklinische Patienten, die künftig überwiegend „spitalsambulant behandelt“ (auch in Sonderklasse-Ambulanzen) werden. Weiters soll es 250.000 „ambulante Besuche“ geben; eine, verglichen mit anderen KAV-Spitälern, absurd niedrige Zahl. Vielleicht sind ja nur Patienten gemeint, die in Terminambulanzen bestellt sind. Geht es mit rechten Dingen zu, werden Selbstzuweiser und überwiesene Patienten diese Zahl real verdoppeln.

   Schaut man nun, wie viele Ärzte in Wien für so eine Zahl an Patienten aktuell eingesetzt werden, und überträgt das auf das KH Nord, müsste es dort etwa 500 Stellen geben, womit die von der Ärztekammer genannte Zahl wohl eher stimmt, als die des KAV. 400 Ärzte, wie vom KAV vorgeschlagen, würden eine Produktivitätssteigerung von mehr als einem Viertel bedeuten, oder anders gesprochen, fast ein Viertel weniger Arzt-Zeit pro Patient. Ginge das, müsste es logischerweise möglich sein, im KAV bis zu 780 Ärzte abzubauen, ohne dass die Patientenversorgung verschlechtert wird?

   Doch das ist nicht das einzig Merkwürdige. Es kursiert eine Zahl, die der KAV-Rechnung zugrunde liegen soll. Sie geht davon aus, dass ein Vollzeitarzt netto 1997 Arbeitsstunden pro Jahr leistet. Zum Vergleich: Die Netto-Jahresarbeitszeit bei einer 40-Stundenwoche beträgt für „normale“ Arbeitnehmer 1650 (also 350 weniger) Stunden. Ein Vollzeit-Arzt darf, unter Einrechnung der Überstunden, die angeordnet werden dürfen, und im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie, im Jahresschnitt 48 Wochenstunden arbeiten. Rechnet man jetzt korrekt Urlaube und Feiertage sowie Fortbildung und Gutstunden für Nachtdienste ein, geht sich das haarscharf aus – nur krank darf der Arzt dann nie werden. Ist er nur halb so oft krank wie ein durchschnittlicher Angestellter und soll trotzdem 1997 Stunden leisten, steigt die Wochenarbeitszeit auf unerlaubte 50 Stunden.

   Eine Planung, die so kalkuliert, kann nicht funktionieren. Sollte sie allen KAV-Spitälern zugrunde liegen (was hoffentlich nicht der Fall ist), ist klar, warum so viele Spitalsärzte jammern.

   Die vorgelegte Bedarfsrechnung geht einfach nicht auf und imponiert retrograd kalibriert (rückwirkendes Anpassen einer Berechnung, um ein politisch gewolltes Ergebnis zu „errechnen“): Irgendwann hat wohl irgendwer Dienstposten geschaffen, wohl eher nach Maßgabe von Budgetvorgaben als Leistungszahlen, und dann wohl mehr oder weniger traditionell oder nach politischer Willkür verteilt.

„Wiener Zeitung“ vom 17.01.2019  

Wie es dazu kam, dass die EU wegen der Arbeitszeit drohte

 

(Lesezeit 4 Min) 2014 drohte die EU Österreich mit hohen Strafzahlungen wegen Nicht-Umsetzung der EU-Arbeitszeitregelung. Doch ist die EU von selbst aktiv geworden?

NEIN, das tut sie grundsätzlich nicht – jemand muss sich beschweren.

Viele Fraktionen, die jetzt bei der Ärztekammerwahl antreten und so tun, als ob sie es gewesen wären, die die Sitaution der Spitalsärzte verbessert haben, schmücken sich mit fremden Federn! Die meisten der Fraktionen haben trotz Wissen um die illegale Arbeitssituation[i] jahrelang nichts unternommen, mehr noch, bis 2012 wurde das System durch die Ärztekammer OÖ sogar verteidigt und als Erfolg verkauft, wenn das Einkommen v.a. der Jungärzte an Nachtdiensten und Wochenenddienst hängt.

Die Beschwerde kam also nicht von den Institutionen, die eigentlich für Arbeitnehmerschutz und Interessensvertretung zuständig sind, sondern von zwei Privatpersonen:

Dr. Marina Hönigschmid und Dr. Ernest Pichlbauer

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Wenn zwei streiten: Stadt Wien gegen die städtischen Ärzte

Zwischen Wiener Ärztekammer und Stadtregierung fliegen die Fetzen. Dahinter stehen entweder politische Motivation oder falsche Ausgangsdaten.

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    Via Presseaussendungen richtet die Generaldirektion des Krankenanstaltenverbundes (KAV) der Ärztekammer aus, sie lüge, stilisiere den KAV zum Feindbild und betreibe Zuchtmeisterei; keine feine Klinge. In einer dieser Aussendungen fand sich eine bemerkenswerte Aussage. Demnach habe die Ärztearbeitszeit vor der Arbeitszeit-Umstellung nur 46 Wochenstunden betragen. Die EU erlaubt 48 Wochenstunden. Demnach hätte der KAV keinen Grund gehabt, schnell eine Reform durchzuführen. Wenn die veraltete Dienstzeitregelung geändert werden sollte, hätte Wien sich Zeit lassen können. Trotzdem wurde alles sehr schnell geändert und davon gesprochen, dass es zu einer Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich kommen soll. Aber das ist unverständlich, weil es ja, wenn die 46 Stunden stimmen, zu einer Gehaltserhöhung und nicht zu einer Kompensation des Verdienstentganges durch reduzierte Anwesenheitszeiten gekommen wäre. Ein Argument, das aber erst seit wenigen Tagen vorgebracht wird. Stimmen die 46 Stunden, wird auch ein anderes Argument der Stadt verständlich, nämlich, dass es nur zu einer Verlegung der Arbeitszeit kommt und nicht zu einer Reduktion, es also keinen Grund gibt, dass weniger Patienten versorgt werden können.

   Aber stimmen die 46 Stunden? Die Arbeitszeitaufzeichnung im KAV ist schlecht. Und auch die komplizierte Berechnung der Arbeitszeit dürfte nicht gut gelingen. Will man wissen, wie viele Wochenstunden, arbeitsrechtlich korrekt berechnet, gearbeitet wurden, darf man nicht einfach die geleisteten Stunden durch die Kalenderwochen dividieren. Der Divisor ist kompliziert, um Abwesenheitszeiten zu bereinigen. Wird nicht sauber gerechnet, verliert man schnell den Überblick. Real dürfte die Arbeitszeit bei 55 Stunden gelegen haben. Und genau da werden die Argumente der Ärztekammer verständlich. Denn dann verfügt der KAV aktuell über 15 Prozent weniger ärztliche Arbeitszeit als noch vor zwei Jahren. Das führte zu keiner Verlegung der Arbeitszeit, sondern zu einer Reduktion und einer Arbeitsverdichtung. Es legt also ein Problem vor, das einer objektiven Annäherung bedarf – wie viele Stunden waren Ärzte anwesend und wie viele sind sie es nun. Aber eine sachliche Herangehensweise ist zwischen den Verhandlungspartnern unmöglich.

Auf der einen Seite die Stadt. Hier herrscht eine straffe Organisation, in der Loyalität großgeschrieben wird. Wenn oben etwas beschlossen wird, ziehen alle mit.   

Und auf der anderen Seite steht die Ärztekammer, die erst vor kurzem die Rolle der Vertreter der Spitalsärzte von der Gewerkschaft übernommen hat. Das Vertrauen in die Kammer ist gering. Kein Arzt wird seine Meinung an die seines Präsidenten anpassen. Damit ist der Präsident ein von der Basis getriebener.

Und während die Stadt „oben“ etwas ausmachen kann, stellt die Kammer fest, dass sie gar nichts von oben nach unten „befehlen“ kann. So prallen zwei unterschiedliche Kulturen aufeinander. Und weil keiner Verständnis für den anderen hat und weil beide sich beflegeln, können sachlich lösbare Probleme nicht gelöst werden

„Wiener Zeitung“ Nr. 171 vom 01.09.2016 

Der vollzeitäquivalente Spitalsarzt

 

Spitalsärzte klagen, dass sie mit der Arbeit nicht zu Rande kommen, Politiker meinen, dieses Jammern sei überzogen – ein Erklärungsversuch.

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   Normale Arbeitgeber, also solche, die nicht das Glück haben, eine Legislative ihr Eigen zu nennen, und auch die Exekutive nicht „befehligen“ können, sind verpflichtet, Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer akribisch aufzuzeichnen. Anderenfalls wird Gewerkschaft und Arbeitsinspektorat entsprechende Schritte einleiten. Wenn Mitarbeiter regel mäßig über den gesetzlich erlaubten Stunden eingesetzt werden, wird es teuer.

   Rein theoretisch gilt diese Arbeitgeber-Pflicht auch für Spitalsärzte. Doch viele der Arbeitgeber haben eben das Glück eines allumfassenden politischen Schutzes – eines Selbstschutzes, sind doch Politik und Arbeitgeber meist eins. Und so verwundert es nicht, dass korrekte Arbeitsaufzeichnungen nicht selten fehlen beziehungsweise fehlten.

   Der Grund, dass sie fehlten ist einfach: Die Politik wollte nicht, dass irgendwer belegen kann, wie lange Ärzte für ihr Gehalt arbeiten (müssen) – und auch Ärzte selbst sollten das nicht genau wissen, wohl um das Jammern, dass sie so viel arbeiten, als unbegründet zurückweisen zu können. Jedenfalls ist es oftmals nicht möglich gewesen, festzustellen, wie viele Arbeitsstunden pro Woche, Monat oder Jahr pro Arzt anfallen.

   Als normaler Arbeitgeber hat man üblicherweise Voll- oder Teilzeitmitarbeiter. Vollzeit ist primär das, was Arbeitgeber (und Gewerkschaft) so definieren. Der Gesetzgeber sieht allerdings vor, dass Vollzeit nicht mehr als 40 Stunden pro Woche sein darf (Normalarbeitszeit).

   Wenn der Arbeitgeber 38,5 Stunden als Vollzeit ansieht, ist das seine Sache. Anders ist es, wenn offizielle Statistiken geführt werden. Die legen einem Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis eine 40-Stunden-Woche zu Grunde. Das bedeutet, dass ein Mitarbeiter mit 38,5 Wochenstunden nur als 0,96 Vollzeitäquivalente (VZÄ) gerechnet wird.

   Und wie war (und ist) das bei Spitalsärzten? Diese durften bis vor kurzem durchschnittlich 60 Wochenstunden arbeiten und wurden wohl auch 55 bis 60 Stunden pro Woche eingesetzt. Dank der oft fehlenden oder falschen Arbeitszeitaufzeichnungen wusste das aber keiner so genau.

   Und weil das keiner so genau wusste (wissen wollte/durfte), hat man in den Statistiken einen Vollzeit-Arzt einfach als ein VZÄ gewertet. In den gesetzlichen Krankenanstalten-Statistiken wurden also praktisch keine VZÄ gezählt, sondern Köpfe. Das Problem bei dieser Vorgangsweise, die im Übrigen nur Ärzte und keine andere Berufsgruppe im Spital betroffen hat, war, dass so, statistisch, bis zu 50 Prozent der ärztlichen Arbeitszeit einfach verschwunden sind – vorsichtig geschätzt, mehr als 8000 VZÄ-Ärzte.

   Und jetzt passiert es, dass Ärzte nur 48 Wochenstunden arbeiten dürfen. Weil aber niemand genau weiß (wissen wollte/durfte), wie lange sie bis dato wirklich gearbeitet haben, weiß auch keiner, was es bedeutet, wenn die Arbeitszeit reduziert wird. Und siehe da, „unerwarteter Weise“ gibt es für die existierende Arbeit zu wenig Ärztearbeitszeit; Operationen fallen aus, Ambulanzen werden geschlossen, Wartezeiten werden länger – eigentlich ganz logisch, politisch halt unangenehm.

„Wiener Zeitung“ Nr. 018 vom 28.01.2016 

Was bedeuten 100.000€? Pflege- vs. Ärzte-Einkommen

Nachdem von unterschiedlichsten Seiten immer wieder versucht wird, über eine Neiddebatte, den Berufsgruppenkonflikt zwischen Pflege und Ärzten zu schüren, um politisches Kleingeld zu wechseln, habe ich versucht einmal ein bisschen vergleichbare Zahlen zu erstellen – in der Hoffnung, dass diese Äpfel-Birnen-Vergleiche enden.

Das Einkommen eines Spitalsarztes

Die durchschnittlichen Vollkosten eines Spitalsarztes (von jung bis alt, von Turnusarzt bis Primar) in Österreich betragen 2013 etwa 100.000 €. Darin enthalten sind Arbeitgeberbeiträge in der Höhe von etwa 22.000 €, bleiben 78.000 € brutto. In diesem Brutto enthalten sind, neben dem Grundgehalt, alle Zulagen und Zahlungen für Überstunden und Nachtdienste.

Valide Arbeitszeitaufzeichnungen für Spitalsärzte gibt es nicht, aber, das, was bekannt ist, deutet darauf hin, dass Ärzte durchschnittlich 55 Stunden pro Woche arbeiten. Die Ausfallzeiten betragen meinem Informationsstand zufolge 10% womit pro Jahr etwa 2.600 Leistungsstunden entstehen. 800 bis 900 Stunden sind als Überstunden zu werten, die, wenn man Arbeitsbedingungen zu Grunde legt, die für alle anderen Arbeitnehmer im Spital gelten, mit 1,5 bis 2 zu multiplizieren sind (also 150%ige bis 200%ige Überstunden). Weiterlesen „Was bedeuten 100.000€? Pflege- vs. Ärzte-Einkommen“

Über den Arbeitnehmerschutz von Spitalsärzten – eine politische Chronologie

Die EU hat 1993 (vor 21 Jahren) eine Arbeitszeitrichtlinie vorgelegt, die das Ziel hatte, den Arbeitnehmerschutz im öffentlichen Dienst, auch in Spitälern, zu verbessern – schließlich ist die EU ja eine Wertegemeinschaft, die gemeinsame Sozialstandards verlangen will, und das nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor. Seit dem war klar, wohin der Zug fährt, auch in Österreich, das damals erst über den EU-Beitritt diskutierte.

Nun, der erste Vorschlag wurde von den Regierungen, gegen den Widerstand der Gewerkschaften, als zu unflexibel zurückgeworfen, bzw. heftig zurechtgestutzt. Eine zehn jährige Verhandlungsphase begann, die 2003 (vor 11 Jahren) in der nun auch hierzulande bekannten Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG endete. Jetzt war klar, auch für Österreich, dass Arbeitnehmerschutz nicht nur für private, sondern auch für öffentliche Arbeitgeber gilt. Für Spitalsärzte galt ab nun in der ganzen EU eine 48-Stundenwoche und nicht länger als 25 Stunden am Stück.

Damals gabt es bereits für jene, die freiwillig länger (bis 60 Stunden) arbeiten wollten, eine, vor allem von UK geforderte, individuelle Opt-Out-Regel, also das Recht des Einzelnen, länger zu arbeiten, als die EU es eigentlich erlauben wollte. Diese Opt-Out-Regel war anfangs nur als Übergangslösung gedacht, erfreute sich jedoch bald in vielen EU-Staaten großer Beliebtheit.

Klar wurde diese Opt-Out-Regel von Anfang an gewerkschaftlich massiv bekämpft. Und als es 2008 darum ging, diese Regel, die nun von 16 Staaten angewendet wurde, zu perpetuieren, da wurde sie sogar als ein „Missbrauchsinstrument“ der Arbeitgeber, beschimpft, die unbedingt weg müsse.

Wer so heftig geschimpft hat? Der damalige ÖGB-Präsident und heutige Sozialminister Hundstorfer.

Und als diese Regel dann wirklich fixiert wurde (für Österreich vom damals zuständigen schwarzen Minister Bartenstein), da waren die Schmähungen heftig – sogar der Wiener Bürgermeister Häupl, oberster Chef aller Wiener Spitäler  polterte, dass das einen „eklatanten sozialen Rückschritt“ darstelle. Man konnte aus den damaligen Meldungen der Politiker, vor allem der roten Reichshälfte, den Eindruck gewinnen, die EU erlaubte (neoliberale) Arbeitsbedingungen, die im Verhältnis zu den Österreichischen aber so dermaßen viel schlechter sind, dass das eigentlich der Erlaubnis zur Ausbeutung von Arbeitnehmern gleich kommt.

Alleine, es stimmte halt nicht. Denn 2010 legte die EU-Kommission einen Bericht vor, wie denn die Richtlinie umgesetzt wurde. Und da stand einiges über Österreich drinnen:

Die durchschnittliche Arbeitszeit kann und wird EU-widrig ohne Zustimmung der Mitarbeiter (es reicht die Zustimmung der Gewerkschaft – also ein kollektives Opt-Out, gegen dass der einzelne nicht Einspruch erheben kann) quasi automatisch auf 60 Stunden erhöht, Mindestruhezeiten werden nicht gewährt, es gibt Verzögerungen bei der Möglichkeit zur Konsumation von Ausgleichsruhezeiten, trotz klarer Aussagen des EuGH (2003), werden Bereitschaftszeiten weiterhin nicht als Arbeitszeit gewertet, was sogar von den Behörden selbst zugegeben wird, und, und, und…

Unsere Arbeitszeitgesetze, vor allem für die Spitalsärzte, waren offenbar deutlich arbeitnehmerfeindlicher als die der EU und garantierten schlicht nicht den Arbeitnehmerschutz den die EU mindestens forderte. Und, unsere Politiker haben praktisch gar nichts getan um wenigstens jenen EU-konformen Mindeststandard zu etablieren, von dem so mancher behauptet, er diene der Ausbeutung.

Mehr noch, selbst die offenbar deutlich arbeitnehmerfeindlichen österreichischen Arbeitszeitgesetze wurden nicht eingehalten, selbst von jenen, die sehr laut „Ausbeutung“ gerufen haben. Ein Kontrollamtsbericht aus dem Jahr 2012 zeigt sehr schön, wie in den Wiener Gemeindespitälern Arbeitnehmerschutzbestimmung einfach ignoriert wurden, vor allem bei Turnusärzten – für viele gab es ja noch nicht einmal eine seit langer Zeit gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeitaufzeichnung.

Und wenn wir schon über Spitäler sprechen, die der öffentlichen Hand gehören: Als Minister Hundstorfer 2011 wenigstens die Nachtdienste mit 25 Stunden zu begrenzen suchte, torpedierten die Länder diesen Vorschlag! Warum? Man (also die Länder, die jedes einzelne Spital jedenfalls aufrechterhalten wollten)  könne sich das einfach nicht leisten! Arbeitnehmerschutz hin oder her!

2012 wurde die Scheinheiligkeit der Politik dann zuviel, und eine Privatperson hat eine EU-Beschwerde eingereicht, die die fehlende Umsetzung der EU-Richtlinie beklagte und darauf hinwies, dass die Österr. Arbeitszeitregelungen im Verhältnis zur Richtlinie viel schlechter sind.

Das hat dann gewirkt.  2013 musste die Regierung vor der EU-Kommission zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Dem Vernehmen und den Konsequenzen nach, war die Stellungnahme dermaßen ungenügend, dass die EU am 21. Februrar 2014 – also 11 Jahre nachdem die Richtlinie Geltung hatte – eine Klage androhte  .

Jetzt kam endlich Bewegung ins Spiel und tatsächlich wurde rasch rasch das Gesetz repariert – via Initiativantrag völlig vorbei an demokratischen Diskussionen, dafür mit vielen Geheimverhandlungen mit den wichtigsten Arbeitgebern im Spitalsbereich, den Ländern. Dabei hätte in dem Fall Hundstorfer gar nicht verhandeln müssen, da es im Falle einer EU-Klage kein Mitspracherecht der Länder gibt. Meinte Hundstorfer, der ein paar Jahre zuvor an den Ländern gescheitert ist, es also ernst mit der Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes, dann hätte er in diesem Fall endlich freie Bahn gehabt – hätte, wohl gemerkt. Denn, um ohne die Länder zu handeln, muss man halt auch mutig sein – eine Tugend, die Bundespolitikern restlos fehlt!

Das wohl erschütterndste bei dieser Vorgangsweise ist jedoch, dass die Verbesserung des Arbeitnehmerschutzen nicht als Motiv zu gelten hat. Obwohl jetzt zwei Spitzengewerkschafter das Sozial-, bzw. das Gesundheitsministerium leiten, war es nicht die Frage, Arbeitnehmer vor Ausbeutung zu schützen, die zum Handeln Anlass gab, sondern die drohende Geldstrafe von monatlich 5 Mio.€. Erst eine Geldstrafe führte dazu, Arbeitnehmer zu vertreten – das ist für Gewerkschafter schon sehr sehr ungewöhnlich – aber, es handelt sich ja „nur um Spitalsärzte, und die sind  in den Betriebsräten der Spitäler praktisch nicht vertreten.

 

Und so haben wir ihn nur den Kompromiss!

 

2021, also 28 Jahre nachdem klar wurde, dass die Ausbeutung von Spitalsärzten nicht in das europäische Wertegerüst passt, und 48-Wochenstunden (ca. 10 Stunden mehr, als alle anderen Arbeitnehmer) genug sein sollten, werden wir die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG umgesetzt haben!

Und warum erst 2021? Warum jetzt noch so eine Lange Übergangsfrist? Weil es sonst zu überraschend käme und die Politik keine Zeit habe, sich auf diese „neuen“ Bedingungen einzustellen. Was für eine Begründung!

Realiter geht es darum, dass die Länder weiterhin keine Spitalsreform wollen. Jeder Standort muss gesichert werden, selbst wenn klar ist, dass damit mehr geschadet als genützt wird. Und weil der Spitalswildwuchs belieben muss, geht es jetzt darum zu verhandeln: der Finanzausgleich muss Ländern mehr Geld bringen, etwaige Rettungspakete sind zu schnüren, Stabilitätspakt und „Kostendämpfungspfad“ der Gesundheitsreform müssen aufgeschnürt werden etc. Das braucht Zeit.

Und bis dahin ist, wie bisher, Arbeitnehmerschutz egal, auch den Gewerkschaftern Oberhauser und Hundstorfer, die für alle Arbeitnehmer 12 statt 10 Stunden am Stück bei einer 40 Stundenwoche als ausbeuterisch ausschließen, finden bei Spitalsärzten 49-Stunden am Stück bei einer 60 Stunden-Woche okay.

Aber, so wie es aussieht, wurde die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Zwar konnten die Regierungspolitiker das Gesetz geheim verhandeln,  möglichst ohne Diskussion durchziehen und auch sehr lange Übergangsfristen fixieren (die die EU leider akzeptieren wird), was sie aber nicht verhindern konnten, war, dass hinkünftig jeder einzelne Spitalsarzt der Verlängerung der durchschnittlichen Arbeitszeit von 48 auf 60 Wochenstunden zustimmen muss. Die bisher geübte Praxis, dass der Betriebsrat kollektiv für alle Ärzte die Opt-Out-Regel via Betriebsvereinbarung verlängern konnte ist passe. Jeder Arzt muss nun selbst unterschreiben – und siehe da, viele drohen damit, es nicht zu tun.

V.a. die Ärztekammern in einigen Bundesländern, längst nicht allen, erkennen ihre Chance und verlangen Gehaltsverhandlungen – und das obwohl sie dafür gar nicht zuständig sind. Denn, dank dem österreichischen Recht, sind es nur die Gewerkschaften, die, als Monopolisten, die Gehälter verhandeln dürfen – doch, politischen Druck zu erzeugen, dass können die Ärztekammern (nicht erst seit jetzt) sehr wohl und tun es – aber in der Regel halt nur um ihre eigene Verhandlungsmacht zu schützen, und die liegt im Kassenvertragssystem. Spitalsärzte sind daher nicht wirklich im Fokus der Ärztekammer – oder waren es.

Jedenfalls drehen sich diese geforderten Verhandlungen um die geübte Praxis, Spitalsärzten ein geringes Grundgehalt (Jungärzte etwa 1.500 netto, für 48 (!)-Wochenstunden, womit sie für Vollzeitbeschäftige in Österreich zu den 10% schlechtest verdienenden gehören) zu zahlen, das sie nur durch Nachtdienste und Überstunden so verbessern können, dass ein annähernd marktkonformes Gehalt erreicht wird. Und so ist es üblich, dass mehr als ein Drittel des monatlichen Einkommens durch Überstunden und Nachtdienste herrühren.

Auch, wenn diese Abhängigkeit von Überstunden und Nachtdiensten immer wieder seitens der Ärztekammern angekreidet wurde, so richtig dafür eingesetzt, dass diese Praxis abgestellt wird, haben sie sich nicht, wie man in der Vergangenheit bei so manch bejubelten Verhandlungsergebnisse erkennt. Man hatte sogar den Eindruck, dass die etablierten Kammerfunktionäre in einer Art vorauseilendem Gehorsam diese „Überstunden-lastige“ Gehaltszusammensetzung zuließen, damit Arbeitgeber dann, wenn die doch schon lange bekannte EU-Arbeitzeitrichtlinie kommen sollte, vor allem Jungärzte leichter dazu bewegen, die Opt-Out-Regel zu unterschreiben. Was für „Gegendeals“ dafür erreicht wurden, wäre natürlich auch geheim, und dass es was mit den Nebenbeschäftigungen der etablierten Ärzte zu tun haben könnte, sicher ein Gerücht.

Doch wie es aussieht, ist der Frust der Spitalsärzte so hoch, dass es jetzt zu einer gewaltigen Bewegung innerhalb der Ärzte kam, die nicht mehr aufzuhalten und moderieren ist. Das Freiheitsgefühl der Spitalsärzte, selbst etwas bewegen zu können, ist völlig unbeherrschbar geworden. Und das ist eigentlich nicht überraschend.

Es gehört zum machtpolitischen kleinen 1×1, zu wissen, dass ein Deckel, wenn der Druck zu groß wird, vom Topf abspringt. Regelmäßiges Öffnen ist daher gescheiter, als immer festeres zuhalten. Doch, das ist nicht passiert, obwohl reichlich Gelegenheit war.

2003, als die EU-Richtlinie eingeführt wurde, gab es keine Wirtschaftskrise, keinen Turnusärztemangel, eher im Gegenteil, es waren die Jahre der Ärzteschwemme, es gab keine Emigrationsbewegung von Jungärzten, keine MedUni-Quoten … – Es hätte sachpolitisch und retrospektiv betrachtet praktisch keinen besseren Zeitpunkt geben können, die Richtlinie einzuführen  – aber, in unserer Gesundheitspolitik ist längst jede Sachpolitik der Machtpolitik gewichen

Machiavelli sagte: Zwang und Not, nicht geschriebene Verträge und Verpflichtungen treiben den Herrscher dazu, sein Wort zu halten. Und genau das ist hier passiert. Die EU-Richtlinie wäre zwischen 2003 und heute nie umgesetzt worden – es herrschte eben zu wenig Not, eine Reform umzusetzen. Erst jetzt ist die Not groß genug: wegen Maastricht ist das Geld wirklich knapp und man kann nicht mir nichts dir nichts nachschütten, keine Turnusärzteschwemme, sondern massive Emigrationsströme und ein gut Entwickelter Wahlarztmarkt, der höhere Attraktivität auf Fachärzte hat als ein Leben lang  60 Stunden pro Woche im Spital zu sein, und natürlich die Drohung der EU Monat für Monat Millionen zahlen zu müssen – dass sind die Umstände, unter denen die hiesige Politik bereit ist, ihr Wort, in dem Fall eben den EU-Vertrag, zu halten. Eigentlich ein sehr trauriger Befund.