Die Existenz-Angst der Kassen-Hausärzte

(Lesezeit 3 Min) Ein Kassen-Hausarzt verdient, bei einem Jahresumsatz von 250.000 bis 300.000€, 50.000 bis 60.000 € netto, das sind, auf 14 Monate gerechnet, etwa 3.500 bis 4.000 € (wobei es eine erhebliche Schwankungsbreite gibt)

Sicher mehr als ein Viertel des Gewinns (arbiträr) stammt nicht aus den Umsätzen als Kassenarzt, sondern aus einer quersubventionierenden Tätigkeit. Nach dieser lassen sich Kassen-Hausärzte  grob in zwei Gruppen teilen.

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Die Existenzängste der Kassen-Hausärzte

Ein Hausarzt verdient bei einem Jahresumsatz von durchschnittlich 250.000 Euro rund 50.000 Euro netto.

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    Ein wesentlicher Teil des Gewinns stammt nicht aus den Umsätzen als Kassenarzt, sondern aus quersubventionierenden Tätigkeiten.

   Da wäre die Hausapotheke, ohne die die Patientenversorgung, wie sie auf dem Land stattfindet, keinesfalls bestünde. Und dann gibt es Einnahmen aus Alternativmedizin und Ästhetik. Scharenweise bessern Hausärzte ihr Auskommen mit Low-Level-Laser, Magnetfeld-Therapie oder Homöopathie auf, die allesamt als medizinisch-wissenschaftliche Tätigkeiten angeboten werden. Oder sie verabreichen Botox-Spritzen.

   Da der Kassenarzt Unternehmer ist, hat er keinen bezahlten Krankenstand, Urlaub, doppelte Gehälter oder Arbeitslosengeld. So etwas gibt es nicht, selbst wenn die Ärztekammer den Kassenvertrag als Kollektivvertrag verkauft. Das ist Polemik, um vermeintlich mehr politischen Druck auf die aus der Gewerkschaft stammenden Gesundheitsminister auszuüben.

   Mehr noch, als Unternehmer muss der Kassenarzt seinen Arbeitsplatz selbst finanzieren, also auch Investitionen aus dem Gewinn stemmen – oder eben nicht. Denn bei so einem geringen Gewinn ist es viel gescheiter, Investitionen fremdzufinanzieren. Und das hat Konsequenzen. Die meisten Kassenärzte, vor allem wenn sie unter 50 sind, sind hoch verschuldet. Und genau deswegen sind sie bereits heute ökonomischen Zwängen unterworfen, auch wenn das gerne und vor allem seitens der Ärztekammer verschwiegen wird.

   Außerhalb der gut beheizten politischen Büros in Ländern, Kassen und Ärztekammern sitzen 4100 Kassenhausärzte in ihren fremdfinanzierten Ordinationen und haben Existenzangst. Natürlich sind die meisten zu elegant, das zuzugeben, schließlich arbeiten sie primär für den Patienten und nicht für Geld, aber real sind es die nächste Kreditrate, die Miete und das nächste doppelte Gehalt für Angestellte, die drücken. Die meisten fürchten sich wohl auch nicht, keine Arbeit mehr zu finden, und sei es angestellt in einem Primary-Health-Care-Zentrum; sie fürchten, auf tausenden Euro Schulden sitzen zu bleiben.

   International wurde deswegen bei Strukturreformen das unternehmerische Risiko immer von den Reformern (zum Beispiel die Politik) übernommen. Fonds wurden eingerichtet und Ordinationen, die geschlossen werden sollten, abgelöst. Es gab einen von Anfang an klar kommunizierten Investitionsschutz, der nicht über einen langwierigen, teuren und unsicheren Rechtsweg (den es bei uns auch gibt) erstritten werden musste. Da stellt sich die Frage, warum dieses Thema niemand aufnimmt. Wer hätte die Aufgabe, die Interessen der Ärzte zu vertreten – aber keinerlei Legitimation, über Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens zu entscheiden?

   Genau da ist Kritik an der Ärztekammer angebracht. Es ist nicht ihre Aufgabe, sich um Patienten zu kümmern, sehr wohl aber, die Interessen ihrer Pflichtmitglieder wahrzunehmen. Doch würde die Kammer zum Thema Ablösen Gespräche führen, wäre das ja eine implizite Zustimmung. Weil aber bei der Reform klar ist, dass Kammerfunktionäre stark an Macht und Einfluss verlieren, dürfte es denen lieber sein, Ängste zu schüren, um gegen die Reform zu mobilisieren, statt diese „ärztefreundlich“ zu gestalten.

„Wiener Zeitung“ Nr. 248 vom 22.12.2016  

Das Hausärztesterben, Alois Stöger und die jungärztliche Ausbildungsreform

Weil der Lohn der Turnusärzte pro geleisteter Arbeitsstunde unter der einer diplomierten Pflegekraft liegt, kommt kein Spital mehr ohne sie aus – ohne Turnusärzte müssten Spitäler geschlossen, oder aber das ohnehin teuerste Spitalswesen Europas noch teurer werden. Keine sehr attraktiven Alternativen für Landespolitiker.

Gleichzeit, und das wird gerne vergessen, sind Turnusärzte aber der Nachwuchs für Hausärzte. Sie sollten im Turnus primär ausgebildet werden und nicht arbeiten. Aber, wie alle wissen, passiert das immer weniger. Statt ausgebildet zu werden, werden sie als Systemerhalter herangezogen, weswegen immer weniger nach ihrer „Ausbildungszeit“ im Spital in eine Hausarztordination wechseln. In Vorarlberg wurde beispielsweise gerade abgefragt, wer denn nach dem Turnus Hausarzt werden will – das Ergebnis: 82% wollen NICHT.

Warum will keiner Hausarzt werden? Und: Warum machen trotzdem alle den Turnus?

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Die Konkretisierung der Gesundheitsreform – Diabetes

Durch die Reform soll die Institutionenorientierung (Spitalsstandorte und Kassenplanstellen) zugunsten einer integrierten Versorgung überwunden werden: Patienten sollen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle– genannt: „Best Point of Service“- behandelt werden. Wo das ist, wird nicht dekretiert, sondern ist dezentral, auf Ebene der Versorgungsregionen des ÖSG – davon gibt es 32 – festzulegen.

Die ambulante Versorgung ist der stationären vorzuziehen– das bedeutet, dass die ambulante Versorgung durch Spitalsambulanzen und Kassen(fach)ärzte bedarfsorientiert auf-, aus- und umgebaut wird. Gruppenpraxen werden dabei eine wichtige Rolle spielen. So soll auf Sicht eine fachärztliche Versorgung gewährleistet werden, die nicht nur Ballungsräume bevorzugt. An den Abbau von Hausärzten denkt definitiv niemand –im Gegenteil.

Zentral werden Rahmenziele aufgestellt, anhand derer der Aufbau der integrierten Versorgung gemessen werden kann. Dezentral – also in den 32 Versorgungsregionen – sind diese unter Berücksichtigung der regionalen und spezifischen Besonderheiten zu konkretisieren. Es sind keine „zentralistischen“ Diktate, angedacht, sondern praxis- bzw. wirkungsorientierte Rahmenvorgaben.

Die Reform klingt abstrakt! Stimmt – und wie könnte das konkret aussehen?

 

Betrachten wir Patienten mit Diabetes

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Soll der Hausarzt eigentlich das „Haus“ behalten?

Der „Best Point of Service“ soll gefunden werden. In etwa 95% bis 99% aller Krankheitsfälle, die ja anfangs der Patient und nicht ein Arzt definiert, ist und bleibt es der Hausarzt – wenigstens theoretisch – Eine launig-traurige Betrachtung!

Wird die Rolle richtig definiert, gehört es, neben der Unterscheidung zwischen Harmlosem und potentiell Gefährlichem und der Motivierung des Patienten, Therapien einzuhalten, zu den wichtigen Aufgaben des Hausarztes, die beunruhigenden Wehwehchen zu erklären und zu beruhigen, dass alles wieder wird. Die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen sind dabei gutes Zureden, das Abwarten und das Beobachten.

Die meisten Sonderleistungen die in den 14 Honorarkatalogen der Krankenkassen (viele davon sind online abrufbar) zu finden sind, sind dabei eher unpraktisch, ja unbrauchbar. Diese Kataloge sind etwas für Fachärzte. Es kommt also nicht von ungefähr, dass 2010 der durchschnittliche Umsatz pro E-Card-Konsultation beim Hausarzt 14,23 Euro beträgt, während der Facharzt 44,20 Euro erreicht (errechnet von der ÖÄK, in den Unterlagen zum Ambulanzmodell – bei mir bestellbar).

Will ein Hausarzt von seiner Tätigkeit leben (und zwar ohne das Zusatzeinkommen einer Hausapotheke, über das ja nur ein Viertel der Kassenhausärzte verfügt), wird er auf Masse spielen müssen  -was echt schlecht für ein Hausarztsystem ist.

Aber weil es so ist wie es ist, ist es logisch, dass ein durchschnittlicher Hausarzt 16.000 E–Card-Konsultationen pro Jahr abarbeitet. Da nehmen sich die 8.700 E-Card-Konsultationen beim Facharzt richtig bescheiden aus.

Umgerechnet auf ein Arbeitsjahr mit 212 Arbeitstagen (das entspricht der Arbeitszeit eines normalen Angestellten) hat ein Hausarzt täglich 75 Patienten zu betreuen. Gut, dass wohl ein großer Teil der Patienten den Arzt nicht sieht, sondern die Rezepte von der Sprechstundenhilfe verlängert werden. Anders ist so eine Arbeitsbelastung nicht zu bewältigen.

Eine durchschnittliche Ordination muss, damit ein Hausarzt ohne Hausapotheke etwa 3.000 bis 3.500 Euro netto pro Monat, 14mal pro Jahr bei 5 Wochen Urlaub und zwei Wochen Krankenstand und einer 40 Stunden-Woche, verdient, 150 Euro Umsatz pro Stunde machen. Solange das Wartezimmer gut gefüllt ist, es also zwischen den Patienten keine Leerläufe gibt und die Ordination 8 Stunden täglich geöffnet hat, ist das machbar – natürlich nur, wenn man pro Patient nur wenige Minuten Zeit benötigt, um ihn wieder los zu werden.

Ist das unser Bild des Hausarztes? Ist das die gewünschte Realität? Und, ist es nicht logisch, dass die Ambulanzen voll von Selbstzuweisern sind?

Ein wesentlicher und immer wichtiger werdender Teil der ambulanten Primärversorgung ist die mobile medizinische Versorgung – also Hausbesuche.

Dieses Wissen ist alles andere als neu. Ein funktionierendes Primary Health Care – das ja vom Gesetzgeber jetzt aufgebaut werden soll –  arbeitet nicht nur nach dem biologischen Krankheitsbegriff, es hat viel mehr das bio-psycho-soziale Krankheitsbild zu berücksichtigen. Anders ausgedrückt, der Patienten muss in seiner Lebenswirklichkeit erfasst werden – und die ist nun einmal nicht das Wartezimmer.

Wie fördert nun das aktuelle System diese mobile Versorgung?

Um Hausbesuche zu machen, muss man Wege zurücklegen – und glücklicherweise wird das auch bezahlt: im Schnitt mit  90 Cent pro Auto-km. Zieht man das amtliche Kilometergeld, das für die Erhaltung der Fahrzeugs gebraucht wird, ab, kennt man den Umsatz des Arztes durch Sitzen im Auto – und das sind dann je nach Krankenkasse, zwischen 20 und 70 Cent pro gefahrenem Kilometer.

Weil gerade Fasching war, rechnen wir das mal um.

Will man die 150 Euro Umsatz pro Stunde erreichen (in der Ordination ist das ja machbar, Hausbesuche sind wirtschaftlich also nur interessant, wenn sie ähnlich Umsatzstark sein können, es also nicht zu Opportunitätskosten kommt), dann sollte man schon ordentlich Gas geben.

Tagsüber wäre in der Steiermark eine Geschwindigkeit von 732 km/h nötig, das ist sicher ein Ausreißer – oder doch nicht? In Oberösterreich wären 613 km/h und  in Niederösterreich 423 km/h angebracht. Tirol ist mit 319 km/h richtig moderat – wohl wegen der kurvigen Bergstraßen.

Nächtens dürfen die Ärzte dann ein bisschen bummeln – in der Steiermark reichen 288 km/h in Tirol gar nur 161 km/h.

Dafür muss man in Tirol gut zu Fuß sein. Dort wo man nicht mit dem Auto hinkommt, kann man Gehzeiten verrechnen – und wenn man es schafft mit 84 km/h mutig durch die Bergwelt zu stapfen, dann erreicht man seinen Zielumsatz. In anderen Bundesländern geht es schon fast menschlich zu, aber unter 40 km/h (das sind die 100m in 9 Sekunden) sollte man trotzdem nirgends fallen, sonst wird der Hausbesuch ein Verlustgeschäft.

Zum Patienten zu kommen und trotzdem davon leben zu können, ist mit den heutigen Transportmitteln und unter den gegebenen Strassenbedingungen schon sehr sehr schwer – vielleicht ist ja dann der Hausbesuch lukrativ und kompensiert die Verluste durch An- und Abfahrt.

Und ja, das geht, allerdings nur, wenn Besuche (Umsatz etwa 28 Euro) schnell erledigt sind – also Fieber- und  Blutdruck messen geht sich aus, Abhören muss man schnell, reden sollte man nicht zu lange. Dauert ein Hausbesuch länger als 8 Minuten wird er zum Verlustgeschäft. Rechnet man jetzt die Zeitverluste durch An- und Abfahrt ab, wird wohl nur ein superschneller Kurzauftritt möglich sein. Und unter uns –  Sooooo wichtig kann Blutdruckmessen auch wieder nicht sein, Abhören wird sowieso allgemein überschätzt, und dass das Reden mit Patienten was nützt, dafür gibt es keinerlei Evidenz (Sarkasmusfalle!).

Am Wochenende und an Feiertagen liegt der Umsatz mit knapp über 30 Euro pro Hausbesuch etwas höher – das ist gut, dann kann man sich ein paar Sekunden länger mit dem Patienten beschäftigen, oder hat Zeit seinem Ehepartner zu erklären, dass man jetzt leider nicht mit den Kindern weiter spielen kann. Und wenn man nachts ausrückt, dann hat man, dank des durchschnittlichen Honorars von 50 Euro auch noch Zeit sich anzuziehen, ohne gleich Verluste zu machen.

Recht eindeutige Belege dafür, dass Hausärzte angehalten werden, ihre Rolle als Primärversorger wahrzunehmen – also darauf zu schauen, dass Patienten so selten wie möglich durch das Gesundheitssystem wandern und wenn dann nur in die Hausarztordination – sind heutzutage nicht zu finden. Sieht man von der intrinsischen Motivation der Hausärzte ab (und Gott sein Dank ist die enorm groß), fördern die externen Bedingungen eher das rasche Versenden der Patienten zu Fachärzten und Spitalsambulanzen, und geben dem Patienten soviel Anreize wie möglich, diese selbst aufzusuchen – ohne den Hausarzt vorher zu belästigen.

Will man also den theoretischen „Best Point of Service“ (wieder) haben, wird man sich einiges einfallen lassen müssen: die Zahl der behandelten Patienten pro Tag und Arzt muss auf 30 sinken, Hausbesuche zu allen Tages und Nachtzeiten müssen lukrativer sein, als in der Ordination auf Patienten zu warten – und dort sollte der finanzielle Anreiz so sein, dass Patienten Termine kriegen, statt Wartezeiten in kauf zu nehmen.

All das wären Forderungen, die für die Versorgung sinnvoll wären, aber aktuell nicht gehört werden. Stattdessen besteht die Forderung nach 1000 neuen KassenFACHärzten – Faschingsscherz?

 

Wie löst man den virtuellen Hausärzte- und echten Präventionsmangel auf einen Streich

Prävention soll verstärkt werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann nach „mehr“ Geld gerufen wird. Ich bin dafür, dass wir Geld aus den Spitälern zu den Hausärzten für Vorsorgemodelle umschichten.

Mit etwa 470 praktizierenden Ärzten (ohne Zahnärzte) pro 100.000 Einwohner liegen wir unangefochten an erster Stelle.  Auch mit 110 Millionen Kassenarzt-Besuchen sind wir vermutlich ganz vorne dabei; hier ist aber das Vergleichen nicht so leicht. Dass wir mit 30 Spitalsaufnahmen pro 100 Einwohner spitze sind, ist Allgemeinwissen. Und wenn wir gleich fünfmal mehr Spitäler als die Dänen, aber nur 1,5-mal Mehr Einwohner haben, denken viele darüber nach, ob’s nicht doch ein bisserl weniger sein dürfte.

Also an Mitteln mangelt es nicht. Aber was machen wir daraus?

Unsere Senioren dürfen eben nicht mit so vielen gesunden Lebensjahren rechnen wie in jenen Ländern, die gleich viel ausgeben wie wir. Hier spielen wir nicht in der Oberliga, sondern mit den Nachzüglern – die aber gleich 30% weniger Ressourcen aufwenden, um das Gleiche zu erreichen.  Dieser Umstand spiegelt sich dann auch in anderen Zahlen wider. Mittlerweile ist jeder dritte neue Pensionist invalide, das sind in etwa 30.000 pro Jahr und ein Spitzenwert. Logisch, unsere Bevölkerung ist ein Pflegefall. Während international bei über 80-Jährigen mit weniger als 25% Pflegebedürftigkeit gerechnet wird, sind es bei uns fast 60%.

Es sollte endlich klar werden, dass wir nicht mehr Mittel brauchen, sondern  diese vernünftig auf Prävention, Kuration, Rehabilitation, Pflege und Palliativversorgung aufteilen.

Und weil es hierzulande vor allem an der Prävention mangelt, hier gleich ein Vorschlag, der nicht nur der Prävention mehr Bedeutung gibt, sondern auch das Problem mit den Hausärzten lösen kann.

Der Mutter-Kind-Pass (MKP), der fast ausschließlich über ein monetäres Bonus-Malus-System angereizt ist, ist wohl das erfolgreichste Präventionsprogramm hierzulande. Es kostet etwa 60 Millionen €. Weil es funktioniert, würde ein monetäres Bonus-Malus-System vielleicht auch bei Erwachsenen (schließlich sind alle Eltern erwachsen) funktionieren.

Also sollte der Hauptverband den Spitälern 200 Millionen € (etwa 2% der Gesamtkosten) weniger überweisen und damit eine komplette neue hausarztzentrierte Vorsorgeschiene finanzieren, die wie der MKP angereizt wird.

Alle Österreicher zwischen 35 und 60 erhalten, wenn sie zur jährlichen Vorsorgeuntersuchung gehen, 100 € bar. In dieser Untersuchung werden mit dem Patienten individuelle, aber wissenschaftlich abgesicherte Ziele vereinbart (Abnehmen, mit dem Rauchen aufhören, mehr Bewegung etc. ähnlich aber etwas besser aufgesetzt als das SVA-Modell). Erreicht der Patient diese Ziele, erhält er zusätzlich 100 € – also 200 €.

Über 60 wird es ein bisschen brenzliger: dort werden dem, der NICHT zur Vorsorgeuntersuchung geht, 300 € (pro Jahr! – also 21€ pro „Monat“ bei 14 Bezügen) von der (Brutto-)Pension abgezogen – analog dem einbehaltenen Kinderbetreuungsgeld, wenn MKP-Untersuchungen nicht wahrgenommen werden. Was für Familien in viel höheren Dimensionen (dort fehlen dann pro Monat deutlich mehr als 21€) erlaubt ist, kann bei Pensionisten nicht unmenschlich sein! Und geht ein Pensionist nicht nur hin, sondern erreicht auch seine Ziele, gibt es auch für ihn 100 € bar.

Rechnet man mit 50% Teilnahme bei den unter 60-Jährigen und mit 80% bei Pensionisten, einer Zielerreichung bei der Hälfte, stellt die jetzige Vorsorgeuntersuchung ein und widmet die einbehaltenen Pensionsanteile dem neuen Programm, dann ist das alles um jene zusätzlichen 200 Millionen zu haben, die den Spitälern weggenommen werden und nicht wirklich abgehen können.

Setzt man so ein Modell um, dann würden die Hausärzte so um etwa 120 Millionen mehr Umsatz machen als heute. Vorausgesetzt, die Zahl der Hausärzte wird nicht erhöht (was blöd wäre), dann käme das einer Einkommenssteigerung von etwa 30% gleich und würde so die große Differenz zu den niedergelassenen Fachärzten erheblich verkleinern. Und weil bekannt ist, dass eben diese Differenz einer der demotivierendsten Faktoren darstellt, würde so der Hausarztberuf  deutlich attraktiver werden.

Und weil so ein Präventionsprogramm hausarztzentriert aufgesetzt ist, wird die Rolle des Hausarztes im System massiv gestärkt – und zwar über den Bereich, wo wir nachhinken – der Prävention!  Im Übrigen, es ist Schwachsinn, Prävention, wie in einigen Bundesländern angedacht, ins Spital zu ziehen. Die gehört zum wohnortnahen Hausarzt (eigentlich zum so genannten Primärversorger, der unter Umständen auch ein Facharzt sein kann!) und sonst nirgendwo hin.

Allerdings, und das ist halt wichtig, muss es wirklich ein Programm sein, und nicht nur einfach eine Geldverschiebung (obwohl ich mich  schon mit dem zufrieden geben würde, weil eben dass Allokationsproblem wenigstens ein bisschen entschärft wäre).

Der Vorschlag ist zwar vermutlich nicht wirklich effizient, aber es würden sicher, eine begleitende Versorgungsforschung vorausgesetzt, einige Effekte auftreten, auf denen man weiterbauen kann.

 

PS: Mir ist klar, es ist eine etwas verquere Ethik, jene zu belohnen, die sich selbst nicht gesund halten. Aber für alle, die einzahlen, ist es, pragmatisch betrachtet, gescheiter, vorher weniger Geld herzuschenken, als später für teurere Behandlungen zu bezahlen. Ginge es, Prävention mit höheren Selbstbehalten für Therapien umzusetzen, wäre es mir lieber, ist aber bewiesenermaßen nicht möglich – eine Eigentümlichkeit des Gesundheitsmarktes.

 PPS.: dieses Modell kostet Steuer- und Beitragszahler keinen Groschen mehr, vorausgesetzt, die Spitäler schaffen es, ihre Effizienz um 2 % zu steigern!!

PPPS.: Ich weiß, dass die Länder nie zustimmen werden, auf diese relativ kleine Summe jemals zu verzichten, ja nicht einmal zustimmen würden, wenn es zusätzliche Mittel gäbe, auf „ihren“ Beuteanteil zu verzichten (die Hälfte der Kasseneinahmen gehen an die Länder – wonit dieses Programm automatisch schon 400 Mio.€ kosten würde!)

Parallele Welten – Ärztekammer und Lehrpraxis

(Folgender Brief hat mich erreicht – habe mit Veröffentlichung aber warten wollen, bis Ärztekammerwahl vorbei ist!)

 

Vor Kurzem fand nach längerer Pause auf Initiative des zuständigen Wiener Referenten Kollegen Lindner ein Fortbildungsseminar für Lehrpraxisleiter statt. Wir Referenten boten, wie ich denke, doch tiefgehende Vorträge von den Grundlagen der Didaktik bis zu den Aspekten der Qualitätssicherung.

17 motivierte TeilnehmerInnen führten mit uns rege Diskussionen. Aber im Endeffekt war das Ganze eine freiwillige Kür von ein paar Unentwegten, die sich offensichtlich trotz aller noch so widrigen Umständen nicht abbringen lassen, missionarisch eine Ausbildungsform einzufordern und zu fördern, die im Ausland Standard und Conditio-sine-qua-non für eine gute Basisversorgung der Bevölkerung ist. Wir sind vom Kollektivvertrag geknebelt, bei der Weiterbildung und Qualitätsverbesserung 100% auf uns alleine gestellt und ohne jegliche Motivation, Unterstützung und Information im Regen stehen gelassen. So zeigte dieser Seminar-Tag einen weiteren  Anachronismus österreichischer Gesundheitspolitik. An der Basis wird nach wie vor, wie ich denke, qualitativ zufriedenstellend gelehrt, aber abgenabelt von jeglicher materiellen und moralischen Unterstützung derer, die ständig groß die seit Jahrzehnten fällige Aufwertung der Hausarztmedizin hinausposaunen.

 Denn die leben in einer Parallelwelt. Hinter verschlossenen Türen verhandeln sie seit Jahren über eine fixe Etablierung der Lehrpraxis in der allgemeinmedizinischen Ausbildung, mit Mühe haben die Entscheidungsträger zu einem Minimalkonsens anscheinend durchgerungen. 6 Monate ist wieder die kürzeste Zeit in Europa. Und dass man das Ergebnis nur ja nicht als Facharzt tituliere. Denn dann könnte man in Zukunft ja nicht mehr auf die angeblich so wichtigen „Barfußmediziner“ hinunterschauen. Aber weiterhin sind die Harmonisierung der Universitätslehrpläne (hat da keiner vorher dran gedacht?) und die Finanzierung ein schier unüberwindbares Hindernis.

Jedoch von dem, wie es in einer Lehrpraxis zugeht und von dem, was am Samstag im Seminar zu hören war, haben die Verhandler aller Seiten anscheinend keine Ahnung, sonst gäbe es eine Lösung schon seit Jahren.

 Sogar der Lehrpraxisreferent der Wiener Kammer weiß so viel über die Entwicklungen wie ich, nämlich nichts. Denn wir werden nicht informiert. Und die in den Verhandlungszimmern des Ministeriums wissen über die Qualitäten gut gelebter Lehrpraxis auch nichts, denn die hören uns nicht zu.

 Unsere Zuhörer fragten sich angesichts dieser Parallelwelt der bürokratischen Ignoranz am Schluß, wie es sich eine Gesellschaft überhaupt heute noch leisten kann, alle die durch langjährige Tätigkeit erfahrenen HausärztInnen in Pension zu schicken, ohne dass diese je ihr Wissen an die Nachfolgegeneration weitergeben haben konnten.

 Es wird auch langsam Zeit, dass das Ausland Wind bekommt, was hier verspielt wird und wie Beobachter durch bisherige Notlösungen (Lehrambulanzen) schamlos hinters Licht geführt werden.

Herzliche Grüße aus Graz (Name bekannt)

Ein überraschtes WIFO und ein tauber Minister

Prof. Aiginger vom WIFO und Minister Stöger lesen den Rezeptblock nicht. Sonst wäre in der letzten Woche etwas anderes zu hören gewesen.

Prof. Aiginger war nämlich überrascht, als er erfuhr, dass unser Gesundheitssystem zwar das zweit teuerste im Euro-Raum ist, aber gemessen an den zu erwartenden gesunden Lebensjahren, dem eigentlichen Ziel des Systems, so gut wie jedes Land besser ist, obwohl genau das vor zwei Monaten an dieser Stelle stand.

Dass Minister Stöger, als Verteidiger des „besten Systems“, diese Kolumne nicht liest, war zu erwarten. Dass er aber auch dem Aiginger nur mehr selektiv zuhört? Nicht anders ist jedoch seine Reaktion zu erklären, die die Fantasielosigkeit der letzten Jahrzehnte aufweist: „Da brauchen wir mehr Mittel.“ Um was zu erreichen? Das teuerste zu werden?

Auch der Minister sollte endlich lernen, dass wir nicht mehr Mittel brauchen, sondern er damit anfangen muss, diese vernünftig auf Prävention, Kuration, Rehabilitation, Pflege und Palliativversorgung aufzuteilen, statt ständig nur über Krankenkassen und Spitäler zu reden, oder irgendwelche Dialoge einzurichten.

Hier eine Nachhilfe für die Prävention.

Der Mutter-Kind-Pass ist wohl das erfolgreichste Präventionsprogramm hierzulande. Es kostet etwa 60 Millionen Euro. Weil es funktioniert, würde es vielleicht auch bei Erwachsenen funktionieren. Schließlich ist Eigenverantwortung diesem Land fremd und Papa Staat für fast alles zuständig.

Wie machen wir es: Der Hauptverband überweist den Spitälern 200 Millionen (etwa zwei Prozent der Gesamtkosten) weniger. Mit diesem Geld finanziert er eine komplette neue Vorsorgeschiene beim Hausarzt.

Alle Österreicher zwischen 35 und 60 erhalten, wenn sie zur jährlichen Vorsorgeuntersuchung gehen, 100 Euro bar. In dieser Untersuchung werden mit dem Patienten individuelle, aber wissenschaftlich abgesicherte, Ziele vereinbart (Abnehmen, Rauchen aufhören, mehr Bewegung etc.). Erreicht der Patient diese Ziele, erhält er zusätzlich 100 Euro – macht 200 Euro.

Über 60 wird es ein bisschen brenzliger: dort werden dem, der nicht hingeht, 300 Euro (pro Jahr!) von der (Brutto)Pension abgezogen – analog dem einbehaltenen Kinderbetreuungsgeld, wenn Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht wahrgenommen werden. Was für Familien in viel höheren Dimensionen erlaubt ist, kann bei Pensionisten nicht unmenschlich sein! Erreicht ein Pensionist seine Ziele, gibt es auch 100 Euro bar.

Rechnet man mit 50 Prozent Teilnahme bei den unter 60-jährigen und mit 80 Prozent bei Pensionisten, einer Zielerreichung bei der Hälfte, stellt die jetzige Vorsorgeuntersuchung ein und widmet die einbehaltenen Pensionsanteile dem neuen Programm, dann ist das alles um 200 Millionen zu haben, die den Spitälern nicht wirklich abgehen können.

Die Hausärzte würden um etwa 240 Millionen mehr Umsatz machen, was deren Job deutlich attraktiver macht und ihre Rolle enorm steigern würde. Es ist übrigens Schwachsinn, Prävention – wie in einigen Bundesländern angedacht – ins Spital zu ziehen. Die gehört zum wohnortnahen Hausarzt (eigentlich zu sogenannten Primärversorger, der unter Umständen auch ein Facharzt sein kann!) und sonst nirgendwo hin.

Der Vorschlag ist zwar vermutlich nicht wirklich effizient, aber es würden sicher einige Effekte, eine begleitende Versorgungsforschung vorausgesetzt, auftreten, auf denen man aufbauen kann – und zwar nachhaltig und ganz ohne Überraschungen!

Dieser Artikel wurde im Mai 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Der Worte sind genug gewechselt

Es ist mühsam, diese Spitalsreformdebatten mit all ihren unvernünftigen Reaktionen zu beobachten. Ein Befreiungsschlag ist nötig!

Herr M. fühlt sich schlapp. Er ist 69 und ängstlich, weil einige Bekannte schon tot sind. Also geht er zum Hausarzt. Ein eher seltener Besuch, denn meist glaubt er genau zu wissen, welchen Facharzt er aufsuchen muss. Und wenn er sich nicht sicher ist, dann ist seine erste Anlaufstelle die Spitalsambulanz. Aber bei allgemeinem Schlapp-Sein, da dürfte der Allgemeinmediziner zuständig sein.

Der Hausarzt kennt Herrn M. nicht wirklich gut, aber schnell steht fest, der Patient braucht eigentlich nichts, nur etwas Beruhigung. Geld für diese „Behandlung“ gibt es entweder nicht, oder so gering, dass ein „Verlustgeschäft“ droht – bei einem Patienten, der sonst nie kommt. Was tun? Nun, eine Überweisung in die Ambulanz mit unspezifischen Herzproblemen geht immer.

Der Patient, nun endgültig beunruhigt, geht ins Spital und wird dort sofort zur Abklärung stationär aufgenommen – weil die Ambulanz viel zu spezialisiert ist, um hinter „allgemeinem Schlapp-Sein“ etwas anderes als ein Körperproblem zu erwarten, um so mehr, als der Hausarzt ja Herzprobleme vermutet. Nach drei Tagen, ohne eindeutigen Befund, wird er entlassen, mit mehreren Medikamenten, die eher aus Verlegenheit, denn aus triftigen Gründen verordnet werden.

Für Herrn M. ist die Sache nicht vorbei. Er glaubt nun, dass er eine so merkwürdige Krankheit hat, dass ein Spitalsaufenthalt nötig war. Noch mehr verunsichert, wird er seine Facharztbesuche in der nächsten Zeit deutlich erhöhen und mit hoher Wahrscheinlichkeit bald wieder in einer Ambulanz und von dort im Spitalsbett landen.

Von außen betrachtet ist das Wahnsinn. Dem Patienten ist um viel Geld nicht geholfen, wenn nicht sogar geschadet, worden. Und warum? Weil, jeder weiß es, die Prozesse im Gesundheitssystem faul sind.

Um Prozesse zu ändern, kann man den langen Weg gehen, alle an einen Tisch bringen und mühsamst über neue oder verbesserte Wege nachdenken. Oder man streicht einfach Ressourcen – ein sehr kurativer Schock, der in den meisten Fällen wirkt. Hier aber wird das nicht passieren, weil es zwischen Kassen und Spitälern keine gemeinsamen Ressourcen gibt.

Wenn es darum geht, unnötige Spitalsaufenthalte zu reduzieren – und nur das kann das Ziel von Spitalsreformen sein –, wird man nicht umhinkommen, mehr zu besprechen, als nur „Bettenabbau“.

Im Grunde gibt es nur eine Chance: man muss verhindern, dass Patienten ins Spital (auch in die Ambulanz) kommen. Und der einzige Weg ist, Hausärzte aufzuwerten. Wenn diese weniger zu Fachärzten oder Ambulanzen überweisen, und Patienten dort seltener selbst hin gehen (müssen), weil sie sich vom Hausarzt gut versorgt fühlen, dann werden automatisch die Aufnahmen weniger.

Es ist viel zu spät, um sich in der jetzigen Situation tiefere Gedanken zu manchen, wie so etwas sinnvoll umgesetzt werden kann. Ich schlage daher vor, mit Ausnahme von Wien (eine Großstadt ist wirklich anders), allen Hausärzten 40 Prozent mehr Geld (das additiv nötig wird) auszubezahlen.

Das kostet erstaunlich wenig – etwa 160 Millionen Euro österreichweit. So könnten dann Spitalsreformen (mit einer Milliarde Einsparungspotential) realistischer werden und vielleicht löst sich auch der angekündigte Hausärztemangel.

Wem das zu undifferenziert ist, sei gesagt: Nachschärfen kann man nachher immer noch – alles im Vorfeld auszudiskutieren, das haben wir ohne jegliches Ergebnis die letzten 40 Jahre versucht! Damit muss Schluss sein.

Dieser Artikel wurde im Mai 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Allokationsproblem – noch ein Lehrstück

Vielleicht ist es Zeit, ein Thema zu verbreiten, dass hierzulande unbekannt ist, aber anderswo schon lange diskutiert wird – das Allokationsproblem.

Frau M. (78) lebt alleine. Die häufigen Besuche ihrer Tochter reichen aus, dass sie mit dem täglichen Leben keine Schwierigkeiten hat. Zudem kommen oft ihre Enkel, samt Ur-Enkel vorbei. Das freut sie und für diese hält sie sich auch fit.

Eines Tages kriegt sie Fieber. Der Hausarzt diagnostiziert eine Lungenentzündung und schickt sie ins Spital. Dort wird sie auf Pneumokokken-Pneumonie sieben Tage lang behandelt. Jeden Spitalstag lässt ihre intellektuelle Kraft nach.

Als sie wieder nach Haus kommt, ist sie verwirrt. Die Familie ist überfordert. Statt auf professionelle (und kostspielige) Hilfe zu setzen, versucht sie mit häufigeren Besuchen und der Übernahme von Tätigkeiten, die früher Frau M. selbst erledigt hat, zu helfen. Aber alles hilft nicht, Frau M. dämmert immer stärker ein. Sechs Monate später muss sie ins Heim, wo sie, schwer dement, nach drei Jahren stirbt.

Was ist passiert? Der Spitalsaufenthalt hat Frau M. aus der Bahn geworfen. Er stellte ein Life-Event dar, das, wenn nicht richtig behandelt (reaktivierende Pflege!), oft zur „Dekompensation“ führt; die durch eigenen Willen und Training hintan gehaltene Demenz tritt plötzlich auf.

Der initiale Spitalsaufenthalt hat etwa 4.000 Euro gekostet. Das Pflegeheim, das sich die Familie nicht leisten konnte, wurde von der zuständigen Sozialabteilung bezahlt und kostete bis zum Tod von Frau M. 36.000 Euro.

War das nötig? Nein.

Beginnen wir damit, dass der Hausarzt die Pneumonie zu Hause behandeln und den Spitalsaufenthalt, der ja Auslöser war, vermeiden hätte können. Kosten dafür vielleicht 1.000 Euro, die jedoch aktuell nur unzureichend vom Kassensystem bezahlt werden. Das System verdrängt gerade ältere Patienten ins Spital.

Dann die Pneumokokken-Pneumonie. Vielleicht hätte diese vermieden werden können, in dem die Ur-Enkel geimpft gewesen wären. Eine solche Impfung verhindert nämlich nicht nur Mittelohrentzündungen bei Kindern, sondern auch Lungenentzündungen bei der Großelterngeneration. In diesem Fall hätte man mit 300 Euro für die Impfung nicht einmal die 1.000 Euro für den Arzt aufbringen müssen.

Dann das Heim. Auch das wäre nicht nötig. Würde bedarfsorientierte Pflege genau so als Sachleistung zur Verfügung stehen wie das Spital, hätte Frau M. für ein paar Wochen täglich eine reaktivierende Pflege und allenfalls auch eine Haushaltshilfe erhalten, die zusammen vielleicht 3.000 Euro gekostet und den Verlauf hätten mildern oder gar verhindern können.

Natürlich ist das zu simpel. Schließlich bedeutet die Verhinderung eines Krankheitsverlaufes nicht, dass damit alles eitle Wonne ist. Aber vieles deutet darauf hin, dass es gerade bei alten Menschen viel bringt, wenn Spitalsaufenthalte vermieden werden. Und mehr noch, selbst wenn wir annehmen, dass die Behandlungskosten nicht gesenkt werden können, weil Frau M. später an einer anderen teuren Krankheit sterben würde, eines hätte wir auf jeden Fall eines erreicht: eine höher Lebensqualität, nicht nur für die Patientin, sonder auch für die Familie.

Um das zu erreichen müssen Ressourcen so verteilt werden, dass sie an der richtigen Stelle vorhanden sind. Aber, solange sie in bestehende und oft falsche Strukturen (etwa unnötige Spitäler) gesteckt werden, fehlen sowohl Motivation als auch die Ressourcen selbst, eine patientenorientierte Neuverteilung vorzunehmen. Das nennt man das Allokationsproblem, das nur vom System gelöst werden kann.

Dieser Artikel wurde im November 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.