Das Hausärztesterben, Alois Stöger und die jungärztliche Ausbildungsreform

Weil der Lohn der Turnusärzte pro geleisteter Arbeitsstunde unter der einer diplomierten Pflegekraft liegt, kommt kein Spital mehr ohne sie aus – ohne Turnusärzte müssten Spitäler geschlossen, oder aber das ohnehin teuerste Spitalswesen Europas noch teurer werden. Keine sehr attraktiven Alternativen für Landespolitiker.

Gleichzeit, und das wird gerne vergessen, sind Turnusärzte aber der Nachwuchs für Hausärzte. Sie sollten im Turnus primär ausgebildet werden und nicht arbeiten. Aber, wie alle wissen, passiert das immer weniger. Statt ausgebildet zu werden, werden sie als Systemerhalter herangezogen, weswegen immer weniger nach ihrer „Ausbildungszeit“ im Spital in eine Hausarztordination wechseln. In Vorarlberg wurde beispielsweise gerade abgefragt, wer denn nach dem Turnus Hausarzt werden will – das Ergebnis: 82% wollen NICHT.

Warum will keiner Hausarzt werden? Und: Warum machen trotzdem alle den Turnus?

Auf erste Frage gibt es klare Antworten.

Die Welt in einem Spital ist komplett anders als die in einer Hausarztordination: andere Krankheiten, keine teuren, jederzeit bereitstehenden Diagnosegeräte, keine ärztlichen Kollegen, die man fragen kann; und das alles nicht als Angestellter, sondern als selbständiger Unternehmer! Es ist schon ein sehr großer Sprung raus aus dem Spital rein in eine Ordination (Eine Erkenntnis, die jetzt bald 100 Jahre alt ist, wie ein Bericht aus UK aus 1920 ! beweist).

Um Schwellenängste zu verringern, ist es international üblich, während dem Studium mehrwöchige Praktika in einer Hausarztordination vorzuschreiben, und die, die dann Hausärzte werden wollen, müssen nach dem Studium einen Großteil der Ausbildung dort absolvieren. International ist man überzeugt, dass ein Hausarzt mindestens ein Jahr lang von einem Hausarzt ausgebildet werden sollte, um die den Jahreszeiten entsprechenden Krankheiten gesehen zu haben und eine Ahnung über die Langzeitbetreuung chronisch Kranker und alter Menschen zu erhalten. Und so gibt es neben der Funktion der Lehrpraxis Schwellenängste zu nehmen, auch einen handfesten inhaltlichen Grund, warum diese eben nicht zu kurz sein darf.

Bei uns gilt es jedoch nicht Hausärzte auszubilden oder einem Hausärztemangel zu begegnen, sondern Spitäler zu retten, die wegen zunehmender Emigration der Jungärzte immer schwerer Turnusärzte finden.

Daher wird deren Ausbildung nun eben so und nicht anders reformiert.

In der neuen Ausbildungsordnung wird festgelegt sein, dass alles mit einer gemeinsamen Ausbildung aller Jungärzte beginnt. Ein neun Monate langer „common trunk“ im Spital in den Fächern Chirurgie und Innere Medizin – also jenen Fächern, die, weil in jedem Spital angeboten, am dringendsten billige, ärztliche Arbeitskraft brauchen. Eine Approbation, also das Recht sich niederzulassen und als Arzt zu arbeiten wird es danach nicht geben – eine internationale Besonderheit. Aber schließlich brauchen wir die Turnusärzte in den Spitälern! Sie sollen nicht fliehen können!

Nach dem „common trunk“ folgen für Hausärzte verpflichtende 33 (Spitals)Monate in verschiedenen Fächern, mit dabei auch hier wieder Chirurgie und Innere. Immerhin, bis zu 6 Monate (bisher waren es 12) davon darf man in einer Lehrpraxis absolvieren. Darf wohlgemerkt, denn kaum ein Turnusarzt wird eine Lehrpraxis-Stelle finden – diese gibt es praktisch nicht mehr, seit die Ärztekammer das Mindestgehalt der „Lehrpraktikanten“ kollektiv geregelt hat, und niemand für deren Ausbildung bezahlen will.

Und wenn immer wieder erzählt wird, dass es 1.200 gemeldete Lehrpraxen gibt, dann heißt das nur, dass 1.200 niedergelassene Ärzte bereit wären, Zeit in die Ausbildung junger Kollegen zu investieren, nicht aber, diese auch noch zu bezahlen. Und nur um keine falschen Schlüsse zuzulassen: das was Lehrprakitkanten arbeiten, darf NICHT als Leistung den Kassen verrechnet werden. Es besteht also rechtlich keine Möglichkeit, das Gehalt „selbst“ zu verdienen; Nein, das Gehalt ist vom Einkommen des Lehrpraxisinhabers abzuziehen – und wer die Netto-Gewinne von Hausarztpraxen kennt, weiß, wie wenige sich solche Kollektivlöhne leisten können. Der Vollständigkeit halber muss natürlich erwähnt werden, dass es eine staatliche Förderung gibt – die reicht für ganze 107 Lehrpraktika im Jahr (für alle Fächer!)! Alleine der pensionsbedingte Ersatzbedarf bei Hausärzten liegt bei 380.

In der Folge werden die meisten Turnusärzte wohl die vorgesehene Lehrpraxis in einer Spitalambulanz absolvieren – der gesetzlich vorgesehenen intramuralen Alternative zur extramuralen Lehrpraxis.

Und um ganz sicher zu gehen, dass den Spitälern genug Turnusärzte zur Verfügung stehen, wird man als Allgemeinmediziner auch KEIN Facharzt; international ebenfalls ungewöhnlich. Die Forderung Facharzt für Allgemeinmedizin werden zu können, hat weniger mit Titelgeilheit zu tun, als mit der gesetzlichen Lage. Während jedes Spital so viele Hausärzte „ausbilden“ darf wie es will/braucht, ist jede einzelne Facharzt-Ausbildungsstelle separat zu bewilligen – von der Ärztekammer; das kommt sicher nicht in Frage.

 

Facit: Die Ausbildung dauert nun mindestens 42 statt 36 Monate[1], und man wird hochwahrscheinlich Hausarzt, ohne eine Hausarztordination gesehen zu haben – das ist weltweit EINZIGARTIG

 

Und so kommen wir zur zweiten Frage: Warum machen alle Jungärzte einen Turnus, wenn sie doch gar keine Hausärzte werden wollen?

Und hier ist die Antwort schlicht, weil das System sie dazu zwingt! Kein Spital (außer dem AKH Wien) gibt Jungärzten gleich eine Facharztausbildungsstelle: entweder wird dafür ohnehin bereits ein Jus prakitkandi – also einen abgeschlossenen Turnus -verlangt, oder aber Spitalsleitung und Primarärzte wollen das Jungärzte zuerst einmal ein paar Jahre Sklavendienst geleistet haben – denn schließlich weiß jeder, OHNE Turnusärzte bricht das System zusammen.

Aber so ganz unter uns, die „Reform-Idee“ wird nicht aufgehen: die Jungärzte werden das nicht machen, sondern noch schneller das Land verlassen – vor allem die guten unter ihnen! Denn überall auf der Welt werden sie mehr respektiert als hierzulande.

Trotzdem wird Minister Stöger die Reform verordnen, die, auch wenn anders verkauft, schlicht Länder befriedigt. Er wird das Hausärztesterben beschleunigen, aber Spitäler (kurzfristig) glücklich machen. Da ist es wenig interessant, dass eine Studie errechnet, dass 4.000 vorzeitige Todesfälle vermieden werden könnten, wenn die Zahl der Hausärzte um 20 Prozent höher wäre. Tote können nicht wählen.



[1] Das heute noch jemand in 36 Monaten seinen Turnus abschließen kann ist ohnehin nur Theorie. Denn üblicherweise müssen Turnusärzte in den „großen Fächern (v.a. Innere und Chirurgie, die in jedem Spital angeboten werden) viel länger arbeiten als es die Ausbildungsordnung verlangen würde. Der Grund ist, dass wir viel mehr Turnusärzte als Ausbildungstellen in den „kleinen Fächern“ (z.B.: HNO)  haben und so Turnusärzte eben „freiwillig“ länger in den „großen Fächern“ ausgebildet werden, als nötig. Diese verlängerte Ausbildungszeit ist jedoch NICHT auf die Ausbildung anrechenbar. In dieser Zeit sind Turnusärzte also jedenfalls NICHT in Ausbildung.  Und so dauert der Turnus heute schon üblicherweise 45 bis 50 Monate. Da die Zahl der Ausbildungsstellen in den „kleinen Fächern“ nicht mehr werden – tendenziell sogar weniger – wird die reale Turnuszeit daher wohl zukünftig 50 und mehr Monate dauern