Wir brauchen mehr Medizin-Universitäten

Wenn Jungmediziner wegen schlechter Arbeits- und Ausbildungsbedingungen ins Ausland gehen, dann produzieren wir halt mehr! Problem gelöst!

Petra S. ist alleinerziehende Mutter eines Dreijährigen und seit einem Jahr in einem Wiener Spital in der Ausbildung zur Ärztin für Allgemeinmedizin, auch Turnus genannt. Ausbildung ist allerdings zu viel gesagt, denn ihre Hauptaufgaben sind nach wie vor Blut abnehmen, Infusionen anhängen und Papierkram erledigen. Die Hälfte ihrer Arbeitszeit, die bis zu 80 Wochen-Stunden ausmacht, wird sie alles andere als ausgebildet. Ausgenützt trifft es eher.

Auf die Tatsache, dass sie alleinerziehend ist, wird keine Rücksicht genommen. Eine Teilzeitausbildung, in manchem Bundesland möglich, gibt es beim Wiener Krankenanstaltenverbund, immerhin der größte Ausbildner Österreichs, nicht. Apropos Teilzeitturnus: bis zu 40 Wochen-Stunden (Teilzeit?) bei nur einem Drittel des Gehalts einer Vollzeitkraft – verdienen kann man nur mit Nachtdiensten, die aber bei Teilzeit seltener sind.

Petra S. hatte letzten Samstag Dienst, 24 Stunden am Stück. Da ihre Kollegin (auch Mutter), die sie am Sonntag ablösen hätte sollen, akut erkrankt war, und Petra S. kurzfristig keinen Ersatz für die erkrankte Kollegin finden konnte (ja, auch das ist Aufgabe der Turnusärzte!), musste sie bis Montag bleiben.

Als sie dann nach 48 Stunden Dienst, von denen sie insgesamt sechs Stunden geruht hatte, nach Hause kam, den Babysitter mit dem gerade verdienten Geld bezahlt hatte und vor dem Abholen ihres Sohnes vom Kindergarten noch ein bisschen Nachrichten lesen wollte, erfuhr sie auf orf.at, dass Gesundheitsminister Alois Stöger die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Ärzten in Österreich für gut befindet. Und lachte schallend.

Langsam aber sicher, finden Spitäler immer schwieriger Turnusärzte und auch fertig ausgebildete Ärzte wollen immer seltener im öffentlichen System bleiben. Ein Ärztemangel wird diagnostiziert. Und der soll sich verschlimmern, zum Beispiel wegen einer Pensionierungswelle. Ein weiterer Grund ist die zunehmende Verweiblichung der Medizin. Viele Ärztinnen (zwei Drittel aller Turnusärzte) kehren noch während ihrer Ausbildung aufgrund der schlechten Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Medizin für immer den Rücken.

Und, da nicht nur die Arbeits- sondern auch die Ausbildungsbedingungen schlecht sind, sind immer mehr Uni-Absolventen bereit, ins Ausland zu gehen. Auch wenn dort sicher nicht Milch und Honig fließen, werden Jungärzte deutlich weniger für ausbildungsirrelevante Tätigkeiten herangezogen und die Ausbildung ist verglichen mit hier in der halben Zeit absolviert.

Sind nun mehr Studienplätze die Lösung? Natürlich! Je mehr Absolventen, desto mehr drängen auf den Arbeitsmarkt. Und wenn dann einige Jungmediziner nicht bereit sind, sich versklaven zu lassen und ins Ausland desertieren, bleiben doch genug übrig, die ihre Heimat nicht verlassen und sich ein österreichisches Ärzteleben antun. Und die sind dann, wie auch schon in der Vergangenheit, glücklich, wenn sie einen Job haben und lassen sich weiter auspressen wie Zitronen. Sie werden weiterhin Blutabnehmen und Infusionen anhängen, obwohl das, wie in anderen Ländern auch, Aufgaben anderer Berufsgruppen, sein sollten. Sie werden es sich auch gefallen lassen, wenn trotz steigender Arbeitsbelastung beim ärztlichen Personal gespart wird, ohne delegierbare Arbeit an nicht-ärztliches Personal umzuschichten.

Und es wird weiter alleinerziehende Mütter geben, die 48 Stunden am Stück arbeiten – und das ganz freiwillig. Wenn Jungmediziner wegen schlechter Arbeits- und Ausbildungsbedingungen ins Ausland gehen, dann produzieren wir halt mehr! Problem gelöst!

Dieser Artikel wurde im Februar 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Österreich braucht mehr Spitäler

Tief im dunklen Norden Europas, in einem Land, in dem blonde Wilde hausen, spielt sich vor unseren Augen eine menschliche Katastrophe ab.

In Dänemark hat man der darbenden Bevölkerung die schlechte medizinische Versorgung noch verschlechtert. Tausende und Abertausende werden qualvoll sterben, die Wirtschaft restlos zusammenbrechen und die Bevölkerung wird verelenden. Denn man hat entschieden, 20 der 40 Spitäler (wir haben etwa 160) für immer zu schließen. Für 200.000 bis 400.000 Einwohner wird es nur noch ein Spital geben. Unerträglich – und die Welt schaut tatenlos zu.

Auch wenn unsere Gesundheitspolitiker auf Dänemark angesprochen so oder noch schwarzmalerischer reagieren dürften, eintreten wird das wohl nicht.

Mit nur 5,5 Millionen Einwohnern beträgt das dänische BIP 309 Milliarden US-Dollar. Bei uns (über 8 Millionen) sind es 385 Milliarden. Auch die dänische Arbeitslosigkeit liegt unter unserer. Zudem ist Dänemark, glaubt man dem Human Development Index der UNO, höher entwickelt als Österreich. Und als ob das nicht reicht: Ein 65-Jähriger hat dort fast doppelt so viele gesunde Lebensjahre vor sich wie bei uns – und dabei geben die weniger Geld aus. Wie machen die das nur mit so wenigen Spitälern?

Aber zurück nach Österreich. Da hat Landesrat Wolfgang Sobotka von Niederösterreich wieder einmal kundgetan, dass er Baden und Mödling – Synonyme für Verschwendung und Unsinn in der Spitalslandschaft – erhalten muss, weil ihm das Gesetz keine Wahl lässt. Und wieder einmal zitiert er das Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz, das für 50.000 bis 90.000 Einwohner eine Standardkrankenanstalt (die einfachste Spitalsvariante mit zumindest Innerer Medizin und Chirurgie) verlangt. Nachdem er das nun zum wiederholten Mal tut, muss auch ich einsehen, dass er nur gesetzestreu sein will. Immerhin ist er als Landesrat und sogar Landeshauptmann-Stellvertreter auf die Verfassung vereidigt und verpflichtet, die Gesetze zu halten.

Daher ist es dringend an der Zeit, dass die Politik gesetzeskonform neue Spitäler errichtet. Denn das Spital in Mödling hat ein Einzugsgebiet von 188.000 Einwohnern. Man braucht dort also nicht nur eines, nein sogar drei Spitäler und in Baden mindestens zwei. Eigentlich muss im Einzugsgebiet von fast jedem niederösterreichischen Spital ein zusätzliches errichtet werden.

Aber nicht nur die Niederösterreicher sind mit eklatanten Gesetzesbrüchen ihrer Obrigkeit konfrontiert. Mit Vöcklabruck, Steyr und Wels reiht sich Oberösterreich in die Schar der Gesetzesbrecher. Die Vorarlberger Autoritäten lassen rund um Bregenz die Menschen ungesetzlich im Regen stehen und in Kärnten sind es die Regionen rund um Villach und Spittal; in Tirol ist es die Schwazer Bevölkerung und in der Steiermark die Gegend rund um Judenburg. Aber am buntesten treiben es die Wiener. In Floridsdorf steht fast 300.000 Einwohnern nur ein winzig kleines Spital zur Verfügung – grässlich! Und die Liste ist sicher nicht vollständig.

Also, liebe Politiker, nehmt euch ein Beispiel an den niederösterreichischen Regenten: Dort wird wenigstens versucht, Gesetze – wer macht die überhaupt? – zu befolgen. Wenn ihr schon keine Behinderten einstellt, dann baut doch wenigstens Spitäler!

Manchmal frage ich mich ernsthaft, warum Politiker einfach so Unwahrheiten und Stuss verbreiten können – und das nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder –, ohne dass es Konsequenzen gibt. Ob man beim nächsten Mal vielleicht ein paar dänische Gesundheitspolitiker wählen kann?

Dieser Artikel wurde im Februar 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Lernfähiges Oberösterreich?

Über Jahre hat man vom „Modell Oberösterreich“ gehört, und so die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse für ihre Wirtschaftlichkeit gelobt.

Das „Modell Oberösterreich“ umfasst aber nicht nur die Kasse, sondern auch Spitäler.

Seit Jahren steigen in OÖ die Spitalsfälle und haben heute den höchsten Wert österreichweit. Pro 100 Einwohner werden 30 Aufnahmen (50.000 über dem Bundesdurchschnitt!) gezählt – und das, obwohl die Bevölkerung verhältnismäßig jung ist.

Jedes andere Bundesland, sogar Niederösterreich, wäre längst pleite. Nicht aber OÖ. Denn dort, und nur dort, werden 50 Prozent der Patienten in Ordensspitälern versorgt. Und weil diese Spitäler, zwischen 17 und 25 Prozent effizienter sind, als öffentliche, können Spitalskosten trotz hoher Inanspruchnahme niedrig gehalten werden.

Würden Ordensspitäler mit der gleichen Effizienz arbeiten wie öffentliche, kostete das um mindestens 180 Millionen Euro mehr – Geld, das vom Land bezahlt werden müsste.

Weiter: Würde, durch Reformen, die Zahl der Aufnahmen auf normales Maß reduziert, dann ersparte sich das Land „nur“ etwa 100 Millionen. Bleiben daher ein „Netto-Gewinn“ von mindestens 80 Millionen jährlich, UND der nicht zu unterschätzende politische Gewinn, jede Abteilung in jedem Spital halten zu können. Seitens der Politik gab es also wenig Anreize, das Modell zu ändern.

Der große Nachteil des Modells, alle Spitäler sind in einen Konkurrenzkampf eingetreten und haben versucht, über immer mehr Patienten ständig zu wachsen – eine desaströse Strategie. Aber genau das war andererseits die Rahmenbedingung für die Kassen!

Zwar haben Hausärzte ein für Österreich geradezu vorbildliches Leistungsangebot und könnten damit ein gut funktionierendes Hausarztsystem aufbauen. Aber, ob das auch in ausreichendem Maß am Patienten ankommt, wurde nicht kontrolliert – weil nicht nötig. Eine etwaige Unterversorgung wurde durch die Spitäler aufgefangen. Auch bei Fachärzten, die deutlich seltener als in anderen Bundesländern zu finden sind (was per se nicht schlecht sein muss, aber deswegen ist die Kasse wirtschaftlich im Plus), wurde nicht darauf geachtet, wie sie arbeiten.

Es ist überhaupt jedem Kassenarzt überlassen, was er tut. Ob alles oder nur Teile der „erlaubten“ Spektrums und was wie oft angeboten wird, ist seine Sache. Anders ausgedrückt, keiner kontrolliert, ob ein Arzt so behandelt, wie es im Sinne des Patienten richtig wäre (also so selten wie möglich ins Spital zu müssen); aber sehr wohl wurde die Wirtschaftlichkeit kontrolliert. Und da Spitäler „gerne“ Patienten angenommen haben und die Honorare verhältnismäßig niedrig sind, wurde bei niedergelassenen Ärzten, besonders bei Fachärzten, eine Überweisungskultur gefördert, die zu häufigeren Ambulanzbesuchen und so zu immer mehr stationären Aufnahmen führte. Für Patienten war das Blödsinn, auch wenn es betriebswirtschaftlich „gut“ aussieht.

Jetzt dämmern ob der Enns „echte“ Reformen. Es gibt dabei zwei große Aufgabenblöcke: Für das Land, die Spitalslandschaft so umzubauen, dass die Abstimmung mit der Pflege möglich wird, und so Pflegepatienten nicht mehr unnötig oft oder zu lange im Spital liegen. Für die Kasse heißt es, darauf zu achten, dass ihre Ärzte „mehr“ behandeln und so die Zuweisungen zu den Spitälern reduzieren. Letzteres hat sich die Kasse offen als Ziel gesetzt und ist damit vorgeprescht. Nun kann man gespannt sein, ob auch das Land die Aufgaben einer Spitalsreform erkennt und ähnliche Ziele formuliert. Ob das dann auch umgesetzt wird, steht ohnehin auf einem anderen Blatt Papier.

Dieser Artikel wurde im Februar 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Das Gerede über die Spitalsreform

Die Spitalsreform dreht sich seit Jahrzehnten um die gleichen Themen, die konsequenzlos nicht nur be- sondern meist auch zerredet werden. Auch diesmal?

1997, nach zehnjähriger Vorbereitung, wurde die Spitalsfinanzierung reformiert – mit dem Ziel, die hohe (verglichen mit heute allerdings um 30 Prozent niedrigere!) Zahl an Spitalsaufnahmen zu reduzieren und Kosten transparent darzustellen. Das ging schief, wie eine politisch zurückgehaltene Evaluierung ergab.

Ab 2000 wurde eine Reform der Planung vorbereitet, mit dem Ziel, der regional inhomogenen Versorgungssituation und der seit der Finanzierungsreform sprunghaft steigenden Zahl an Aufnahmen zu begegnen. Statt Standorte und Betten, sollten Leistungen geplant werden, um die Strukturen (Standorte und Betten) dem Bedarf anzupassen. Mehr als drei Jahre dauerten die politischen Vorgespräche bevor mit konkreten Arbeiten begonnen wurde.

Als diese Mitte 2005 fertig waren, war die Politik, trotz jahrelanger Vorbereitung, ständiger Arbeitsgruppen, regelmäßiger Arbeitsfortschrittberichte an die Politik und Projektkosten in Millionenhöhe, mit den Ergebnissen nicht einverstanden; innerhalb kürzester Zeit wurden Kaugummiparagraphen erfunden. Zwar haben sich nach außen alle darauf verständigt, dass Strukturen bedarfsorientiert sein müssen, aber mit Hilfe dieser Paragraphen konnte man für alles „Ausnahmeregelungen“ finden.

Als Anfang 2006 der Österreichische Strukturplan Gesundheit (ÖSG), das Produkt dieser jahrelangen Arbeiten, von Ländern, Sozialversicherungen und Bund in der Bundesgesundheitskommission – die ja auch diesmal wieder bestimmend sein soll – in Kraft gesetzt wurde, war vom ursprünglichen Vorhaben wenig übrig, und das was blieb, musste, weil ohne Sanktionsmechanismen, nicht Realität werden.

Als im Dezember 2010, mit mehrjähriger Verspätung, endlich auch Niederösterreich mit der im ÖSG vorgeschriebenen regionalen Planung fertig war, konnte jeder, der sich auskennt, sehen, dass doch nur wieder Standorte und Betten wichtig waren. Und um diese zu schützen, wurde (fast) österreichweit auf die „Planer“ solange „Druck“ ausgeübt, bis deren Berechnungen das ergaben, was die Politik wünscht. „Schönrechnen“ ist überall Unart; warum das bei der Heeresreform so große Wellen schlägt?

All das und viel mehr führt nicht dazu, zu glauben, dass die jetzige Spitalsreform was wird. Auch dass ein Zeitplan existiert, heißt nichts. Denn solche haben es sogar schon in Gesetze hinein geschafft – allerdings ohne, dass irgendwer sie gehalten hätte; ohne Sanktionen sind diese doch nur Makulatur.

Und trotzdem, es könnte diesmal anders sein. Einerseits ist da der Hauptverband mit seiner schonungslosen Fehleranalyse. Fehlerbewusstsein bei wichtigen Playern ist immer gute Basis für echte Reformen. Aber noch wichtiger scheint, dass die neue Führung der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, medial völlig unbemerkt, erstaunliches formuliert. Dort will man in den eigenen Reihen nach Möglichkeiten suchen, Spitalsaufnahmen zu reduzieren, zum Beispiel durch den Ausbau der Hausarztbetreuung. Und ganz offen wird festgehalten (und damit zugegeben), dass das bloße Hin- und Herschieben von Leistungen und Kosten zwischen Spital und niedergelassenem Bereich nicht im Sinne der Versicherten sein kann. Einfach toll!

Wenn Oberösterreich Schule macht und die Ärztekammer noch aus ihrem Schmollwinkel heraus käme, dann wären vielleicht sogar die Länder, denen glücklicherweise das Wasser bis zum Hals steht, besiegbar – und dann könnten es wirklich so sein, dass dem Reden echte Reformen folgen.

Dieser Artikel wurde im Februar 2011 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.