Die Existenz-Angst der Kassen-Hausärzte

(Lesezeit 3 Min) Ein Kassen-Hausarzt verdient, bei einem Jahresumsatz von 250.000 bis 300.000€, 50.000 bis 60.000 € netto, das sind, auf 14 Monate gerechnet, etwa 3.500 bis 4.000 € (wobei es eine erhebliche Schwankungsbreite gibt)

Sicher mehr als ein Viertel des Gewinns (arbiträr) stammt nicht aus den Umsätzen als Kassenarzt, sondern aus einer quersubventionierenden Tätigkeit. Nach dieser lassen sich Kassen-Hausärzte  grob in zwei Gruppen teilen.

Einmal die mit Hausapotheke (etwa 840 Kassen-Hausärzte haben eine solche, das entspricht etwa 50% aller Landärzte und 20% aller Kassen-Hausärzte), die die Art der Patientenversorgung, wie sie am Land stattfindet, keinesfalls ohne durchführen könnten. Hausbesuche etwa wären dort längst Geschichte ohne die Einnahmen aus der Hausapotheke.

Und dann ist da die Gruppe, die Alternativmedizin und Ästhetik anbietet. Scharenweise bessern Kassen-Hausärzte ihr Auskommen auf: mit Low-Level-Laser, Magnetfeld-Therapie oder Homöopathie, die gegenüber dem Patienten allesamt als medizinisch-wissenschaftliche Tätigkeit angeboten werden. Für einige dieser alternativmedizinischen Angebote, die in anderen Ländern von mehr oder weniger angelernten Hilfskräften wie Heilpraktikern, durchgeführt werden, besteht paradoxerweise in Österreich ein Ärzte-Vorbehalt – wohl um den Hausärzten ihr Zubrot nicht durch Konkurrenz abspenstig zu machen; denn ohne diese Scharlatanerie wären Kassen-Hausarzt-Ordinationen kaum zu halten. Und dann gibt es nicht wenige Kassen-Hausärzte die mit Vampir Lifting, Botox-Spritzen oder Fadenlifting gegen die Falten ihrer Patienten vorgehen –  all das, um die Gewinne so hoch zu bringen, dass sie sich ihre eigentliche Tätigkeit – Kassenpatienten hausärztlich zu versorgen – leisten zu können und trotzdem ein als angemessen empfundenes Einkommen zu erzielen.

Da der Arzt Unternehmer ist, hat er den Schutz, den Angestellte genießen, nicht (bezahlter Krankenstand, Urlaub, 14 Gehälter, Arbeitslosengeld etc…). Diesen Komfort gibt es nicht, auch wenn die Ärztekammer den Kassenvertrag als Kollektivvertrag, analog dem der Arbeiter und Angestellten verkauft. Das ist reine Polemik, um vermeintlich mehr politischen Druck auf die meist aus der Gewerkschaft stammenden Gesundheitsminister auszuüben. Vielleicht aber auch einfach, um die eigene Monopolstellung zu rechtfertigen. Dass diese Art der Argumentation bei Unternehmern kontraproduktiv ist, scheint nicht aufzufallen, wird jedoch seine destruktive Wirkung dann entfalten, wenn es darum geht, ob ein Arzt den Kollektivvertrag mit der Kassa gegen einen „echten“ eintauschen kann – dann, wenn Kassen und Länder ernst machen und in Ambulatorien attraktive Angebote schnüren!

Doch vorerst ist ein Kassenarzt ein Unternehmer. Und anders als Angestellte und Arbeiter, muss ein Kassenarzt seinen eigenen Arbeitsplatz bezahlen, also auch und vor allem Investitionen aus dem Gewinn stemmen  – oder eben nicht.

Denn, bei so einem geringen Gewinn, ist es viel gescheiter, Investitionen zur Gänze fremd zu finanzieren und auf die Betriebskosten umzuwälzen. Und das hat Konsequenzen. Denn die meisten Kassenärzte, vor allem wenn sie unter 50 Jahre alt sind, sind vermutlich hoch verschuldet.

Und genau deswegen sind die meisten Kassenärzte bereits heute ökonomischen Zwängen unterworfen, auch wenn das gerne und vor allem seitens der Ärztekammer verschwiegen wird.

Natürlich sind die meisten zu elegant, das zuzugeben, und verstecken sich quasi hinter dem Patienten. Aber real sind es die nächste Kreditrate, die Miete und die nächsten doppelten Gehälter für Angestellte, die drücken.

Vor diesem Hintergrund erhält die Reformdiskussion eine völlig andere Konnotation. Außerhalb der gut beheizten politischen Büros in Ländern, Kassen und der Ärztekammern, sitzen 4.100 Kassen-Hausärzte in ihren fremdfinanzierten Ordinationen, und haben Existenzangst.

Die meisten fürchten sich nicht davor, keine Arbeit mehr zu finden, etwa in einem PHC-Zentrum, selbst als Angestellter – und damit haben sie recht, denn so wie unsere Hausärzte aufgestellt sind, kann eine Reform nur einen Verbesserung ihrer Situation bringen. Jeder internationale Vergleich zeigt, dass unsere Kassen-Hausärzte bei viel zu vielen Patienten, viel zu wenig verdienen. Auch wenn nur wenig von der angedachten Reform übrig bleibt, der Bedarf an Hausärzten mit Erfahrung wird zunehmen.

Was diese Kassen-Hausärzte wirklich fürchten ist, auf Tausenden Euro Schulden ihrer Ordination sitzen zu bleiben. Denn wie soll man denn Kreditraten von 1.000€, 2.000€ oder mehr von einem egal wie guten Gehalt als angestellter Allgemeinmediziner zurückzahlen – für eine Ordination, die es dann nicht mehr gibt?

International wurde genau deswegen bei Strukturreformen das unternehmerische Risiko IMMER von den Reformern (i.e. Politik) übernommen. Fonds wurden eingerichtet, und Ordinationen, die aus der Versorgung genommen werden sollen, abgelöst. Niemand musste auf seinen Schulden sitzen bleiben – es gab einen Investitionsschutz, der von Anfang an klar kommuniziert wurde, und nicht erst über den langwierigen, teuren und unsicheren Rechtsweg (den es sicher bei uns auch gibt, wohl aber über den Verfassungsgerichtshof)  erstritten werden musste.

Und genau an dem Punkt, stellt sich die Frage, warum dieses Thema niemand aufnimmt. Wer hätte die Aufgabe, die Interessen der Ärzte zu vertreten, aber keinerlei Legitimation über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens zu entscheiden?

Und genau da ist die Kritik an der Ärztekammer völlig angebracht. Es ist nicht die Aufgabe der Kammer, sich um Patienten zu kümmern, sehr wohl aber, die Interessen ihre Pflichtmitglieder wahrzunehmen.