Wie es dazu kam, dass die EU wegen der Arbeitszeit drohte

 

(Lesezeit 4 Min) 2014 drohte die EU Österreich mit hohen Strafzahlungen wegen Nicht-Umsetzung der EU-Arbeitszeitregelung. Doch ist die EU von selbst aktiv geworden?

NEIN, das tut sie grundsätzlich nicht – jemand muss sich beschweren.

Viele Fraktionen, die jetzt bei der Ärztekammerwahl antreten und so tun, als ob sie es gewesen wären, die die Sitaution der Spitalsärzte verbessert haben, schmücken sich mit fremden Federn! Die meisten der Fraktionen haben trotz Wissen um die illegale Arbeitssituation[i] jahrelang nichts unternommen, mehr noch, bis 2012 wurde das System durch die Ärztekammer OÖ sogar verteidigt und als Erfolg verkauft, wenn das Einkommen v.a. der Jungärzte an Nachtdiensten und Wochenenddienst hängt.

Die Beschwerde kam also nicht von den Institutionen, die eigentlich für Arbeitnehmerschutz und Interessensvertretung zuständig sind, sondern von zwei Privatpersonen:

Dr. Marina Hönigschmid und Dr. Ernest Pichlbauer

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Über den Arbeitnehmerschutz von Spitalsärzten – eine politische Chronologie

Die EU hat 1993 (vor 21 Jahren) eine Arbeitszeitrichtlinie vorgelegt, die das Ziel hatte, den Arbeitnehmerschutz im öffentlichen Dienst, auch in Spitälern, zu verbessern – schließlich ist die EU ja eine Wertegemeinschaft, die gemeinsame Sozialstandards verlangen will, und das nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor. Seit dem war klar, wohin der Zug fährt, auch in Österreich, das damals erst über den EU-Beitritt diskutierte.

Nun, der erste Vorschlag wurde von den Regierungen, gegen den Widerstand der Gewerkschaften, als zu unflexibel zurückgeworfen, bzw. heftig zurechtgestutzt. Eine zehn jährige Verhandlungsphase begann, die 2003 (vor 11 Jahren) in der nun auch hierzulande bekannten Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG endete. Jetzt war klar, auch für Österreich, dass Arbeitnehmerschutz nicht nur für private, sondern auch für öffentliche Arbeitgeber gilt. Für Spitalsärzte galt ab nun in der ganzen EU eine 48-Stundenwoche und nicht länger als 25 Stunden am Stück.

Damals gabt es bereits für jene, die freiwillig länger (bis 60 Stunden) arbeiten wollten, eine, vor allem von UK geforderte, individuelle Opt-Out-Regel, also das Recht des Einzelnen, länger zu arbeiten, als die EU es eigentlich erlauben wollte. Diese Opt-Out-Regel war anfangs nur als Übergangslösung gedacht, erfreute sich jedoch bald in vielen EU-Staaten großer Beliebtheit.

Klar wurde diese Opt-Out-Regel von Anfang an gewerkschaftlich massiv bekämpft. Und als es 2008 darum ging, diese Regel, die nun von 16 Staaten angewendet wurde, zu perpetuieren, da wurde sie sogar als ein „Missbrauchsinstrument“ der Arbeitgeber, beschimpft, die unbedingt weg müsse.

Wer so heftig geschimpft hat? Der damalige ÖGB-Präsident und heutige Sozialminister Hundstorfer.

Und als diese Regel dann wirklich fixiert wurde (für Österreich vom damals zuständigen schwarzen Minister Bartenstein), da waren die Schmähungen heftig – sogar der Wiener Bürgermeister Häupl, oberster Chef aller Wiener Spitäler  polterte, dass das einen „eklatanten sozialen Rückschritt“ darstelle. Man konnte aus den damaligen Meldungen der Politiker, vor allem der roten Reichshälfte, den Eindruck gewinnen, die EU erlaubte (neoliberale) Arbeitsbedingungen, die im Verhältnis zu den Österreichischen aber so dermaßen viel schlechter sind, dass das eigentlich der Erlaubnis zur Ausbeutung von Arbeitnehmern gleich kommt.

Alleine, es stimmte halt nicht. Denn 2010 legte die EU-Kommission einen Bericht vor, wie denn die Richtlinie umgesetzt wurde. Und da stand einiges über Österreich drinnen:

Die durchschnittliche Arbeitszeit kann und wird EU-widrig ohne Zustimmung der Mitarbeiter (es reicht die Zustimmung der Gewerkschaft – also ein kollektives Opt-Out, gegen dass der einzelne nicht Einspruch erheben kann) quasi automatisch auf 60 Stunden erhöht, Mindestruhezeiten werden nicht gewährt, es gibt Verzögerungen bei der Möglichkeit zur Konsumation von Ausgleichsruhezeiten, trotz klarer Aussagen des EuGH (2003), werden Bereitschaftszeiten weiterhin nicht als Arbeitszeit gewertet, was sogar von den Behörden selbst zugegeben wird, und, und, und…

Unsere Arbeitszeitgesetze, vor allem für die Spitalsärzte, waren offenbar deutlich arbeitnehmerfeindlicher als die der EU und garantierten schlicht nicht den Arbeitnehmerschutz den die EU mindestens forderte. Und, unsere Politiker haben praktisch gar nichts getan um wenigstens jenen EU-konformen Mindeststandard zu etablieren, von dem so mancher behauptet, er diene der Ausbeutung.

Mehr noch, selbst die offenbar deutlich arbeitnehmerfeindlichen österreichischen Arbeitszeitgesetze wurden nicht eingehalten, selbst von jenen, die sehr laut „Ausbeutung“ gerufen haben. Ein Kontrollamtsbericht aus dem Jahr 2012 zeigt sehr schön, wie in den Wiener Gemeindespitälern Arbeitnehmerschutzbestimmung einfach ignoriert wurden, vor allem bei Turnusärzten – für viele gab es ja noch nicht einmal eine seit langer Zeit gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeitaufzeichnung.

Und wenn wir schon über Spitäler sprechen, die der öffentlichen Hand gehören: Als Minister Hundstorfer 2011 wenigstens die Nachtdienste mit 25 Stunden zu begrenzen suchte, torpedierten die Länder diesen Vorschlag! Warum? Man (also die Länder, die jedes einzelne Spital jedenfalls aufrechterhalten wollten)  könne sich das einfach nicht leisten! Arbeitnehmerschutz hin oder her!

2012 wurde die Scheinheiligkeit der Politik dann zuviel, und eine Privatperson hat eine EU-Beschwerde eingereicht, die die fehlende Umsetzung der EU-Richtlinie beklagte und darauf hinwies, dass die Österr. Arbeitszeitregelungen im Verhältnis zur Richtlinie viel schlechter sind.

Das hat dann gewirkt.  2013 musste die Regierung vor der EU-Kommission zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Dem Vernehmen und den Konsequenzen nach, war die Stellungnahme dermaßen ungenügend, dass die EU am 21. Februrar 2014 – also 11 Jahre nachdem die Richtlinie Geltung hatte – eine Klage androhte  .

Jetzt kam endlich Bewegung ins Spiel und tatsächlich wurde rasch rasch das Gesetz repariert – via Initiativantrag völlig vorbei an demokratischen Diskussionen, dafür mit vielen Geheimverhandlungen mit den wichtigsten Arbeitgebern im Spitalsbereich, den Ländern. Dabei hätte in dem Fall Hundstorfer gar nicht verhandeln müssen, da es im Falle einer EU-Klage kein Mitspracherecht der Länder gibt. Meinte Hundstorfer, der ein paar Jahre zuvor an den Ländern gescheitert ist, es also ernst mit der Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes, dann hätte er in diesem Fall endlich freie Bahn gehabt – hätte, wohl gemerkt. Denn, um ohne die Länder zu handeln, muss man halt auch mutig sein – eine Tugend, die Bundespolitikern restlos fehlt!

Das wohl erschütterndste bei dieser Vorgangsweise ist jedoch, dass die Verbesserung des Arbeitnehmerschutzen nicht als Motiv zu gelten hat. Obwohl jetzt zwei Spitzengewerkschafter das Sozial-, bzw. das Gesundheitsministerium leiten, war es nicht die Frage, Arbeitnehmer vor Ausbeutung zu schützen, die zum Handeln Anlass gab, sondern die drohende Geldstrafe von monatlich 5 Mio.€. Erst eine Geldstrafe führte dazu, Arbeitnehmer zu vertreten – das ist für Gewerkschafter schon sehr sehr ungewöhnlich – aber, es handelt sich ja „nur um Spitalsärzte, und die sind  in den Betriebsräten der Spitäler praktisch nicht vertreten.

 

Und so haben wir ihn nur den Kompromiss!

 

2021, also 28 Jahre nachdem klar wurde, dass die Ausbeutung von Spitalsärzten nicht in das europäische Wertegerüst passt, und 48-Wochenstunden (ca. 10 Stunden mehr, als alle anderen Arbeitnehmer) genug sein sollten, werden wir die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG umgesetzt haben!

Und warum erst 2021? Warum jetzt noch so eine Lange Übergangsfrist? Weil es sonst zu überraschend käme und die Politik keine Zeit habe, sich auf diese „neuen“ Bedingungen einzustellen. Was für eine Begründung!

Realiter geht es darum, dass die Länder weiterhin keine Spitalsreform wollen. Jeder Standort muss gesichert werden, selbst wenn klar ist, dass damit mehr geschadet als genützt wird. Und weil der Spitalswildwuchs belieben muss, geht es jetzt darum zu verhandeln: der Finanzausgleich muss Ländern mehr Geld bringen, etwaige Rettungspakete sind zu schnüren, Stabilitätspakt und „Kostendämpfungspfad“ der Gesundheitsreform müssen aufgeschnürt werden etc. Das braucht Zeit.

Und bis dahin ist, wie bisher, Arbeitnehmerschutz egal, auch den Gewerkschaftern Oberhauser und Hundstorfer, die für alle Arbeitnehmer 12 statt 10 Stunden am Stück bei einer 40 Stundenwoche als ausbeuterisch ausschließen, finden bei Spitalsärzten 49-Stunden am Stück bei einer 60 Stunden-Woche okay.

Aber, so wie es aussieht, wurde die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Zwar konnten die Regierungspolitiker das Gesetz geheim verhandeln,  möglichst ohne Diskussion durchziehen und auch sehr lange Übergangsfristen fixieren (die die EU leider akzeptieren wird), was sie aber nicht verhindern konnten, war, dass hinkünftig jeder einzelne Spitalsarzt der Verlängerung der durchschnittlichen Arbeitszeit von 48 auf 60 Wochenstunden zustimmen muss. Die bisher geübte Praxis, dass der Betriebsrat kollektiv für alle Ärzte die Opt-Out-Regel via Betriebsvereinbarung verlängern konnte ist passe. Jeder Arzt muss nun selbst unterschreiben – und siehe da, viele drohen damit, es nicht zu tun.

V.a. die Ärztekammern in einigen Bundesländern, längst nicht allen, erkennen ihre Chance und verlangen Gehaltsverhandlungen – und das obwohl sie dafür gar nicht zuständig sind. Denn, dank dem österreichischen Recht, sind es nur die Gewerkschaften, die, als Monopolisten, die Gehälter verhandeln dürfen – doch, politischen Druck zu erzeugen, dass können die Ärztekammern (nicht erst seit jetzt) sehr wohl und tun es – aber in der Regel halt nur um ihre eigene Verhandlungsmacht zu schützen, und die liegt im Kassenvertragssystem. Spitalsärzte sind daher nicht wirklich im Fokus der Ärztekammer – oder waren es.

Jedenfalls drehen sich diese geforderten Verhandlungen um die geübte Praxis, Spitalsärzten ein geringes Grundgehalt (Jungärzte etwa 1.500 netto, für 48 (!)-Wochenstunden, womit sie für Vollzeitbeschäftige in Österreich zu den 10% schlechtest verdienenden gehören) zu zahlen, das sie nur durch Nachtdienste und Überstunden so verbessern können, dass ein annähernd marktkonformes Gehalt erreicht wird. Und so ist es üblich, dass mehr als ein Drittel des monatlichen Einkommens durch Überstunden und Nachtdienste herrühren.

Auch, wenn diese Abhängigkeit von Überstunden und Nachtdiensten immer wieder seitens der Ärztekammern angekreidet wurde, so richtig dafür eingesetzt, dass diese Praxis abgestellt wird, haben sie sich nicht, wie man in der Vergangenheit bei so manch bejubelten Verhandlungsergebnisse erkennt. Man hatte sogar den Eindruck, dass die etablierten Kammerfunktionäre in einer Art vorauseilendem Gehorsam diese „Überstunden-lastige“ Gehaltszusammensetzung zuließen, damit Arbeitgeber dann, wenn die doch schon lange bekannte EU-Arbeitzeitrichtlinie kommen sollte, vor allem Jungärzte leichter dazu bewegen, die Opt-Out-Regel zu unterschreiben. Was für „Gegendeals“ dafür erreicht wurden, wäre natürlich auch geheim, und dass es was mit den Nebenbeschäftigungen der etablierten Ärzte zu tun haben könnte, sicher ein Gerücht.

Doch wie es aussieht, ist der Frust der Spitalsärzte so hoch, dass es jetzt zu einer gewaltigen Bewegung innerhalb der Ärzte kam, die nicht mehr aufzuhalten und moderieren ist. Das Freiheitsgefühl der Spitalsärzte, selbst etwas bewegen zu können, ist völlig unbeherrschbar geworden. Und das ist eigentlich nicht überraschend.

Es gehört zum machtpolitischen kleinen 1×1, zu wissen, dass ein Deckel, wenn der Druck zu groß wird, vom Topf abspringt. Regelmäßiges Öffnen ist daher gescheiter, als immer festeres zuhalten. Doch, das ist nicht passiert, obwohl reichlich Gelegenheit war.

2003, als die EU-Richtlinie eingeführt wurde, gab es keine Wirtschaftskrise, keinen Turnusärztemangel, eher im Gegenteil, es waren die Jahre der Ärzteschwemme, es gab keine Emigrationsbewegung von Jungärzten, keine MedUni-Quoten … – Es hätte sachpolitisch und retrospektiv betrachtet praktisch keinen besseren Zeitpunkt geben können, die Richtlinie einzuführen  – aber, in unserer Gesundheitspolitik ist längst jede Sachpolitik der Machtpolitik gewichen

Machiavelli sagte: Zwang und Not, nicht geschriebene Verträge und Verpflichtungen treiben den Herrscher dazu, sein Wort zu halten. Und genau das ist hier passiert. Die EU-Richtlinie wäre zwischen 2003 und heute nie umgesetzt worden – es herrschte eben zu wenig Not, eine Reform umzusetzen. Erst jetzt ist die Not groß genug: wegen Maastricht ist das Geld wirklich knapp und man kann nicht mir nichts dir nichts nachschütten, keine Turnusärzteschwemme, sondern massive Emigrationsströme und ein gut Entwickelter Wahlarztmarkt, der höhere Attraktivität auf Fachärzte hat als ein Leben lang  60 Stunden pro Woche im Spital zu sein, und natürlich die Drohung der EU Monat für Monat Millionen zahlen zu müssen – dass sind die Umstände, unter denen die hiesige Politik bereit ist, ihr Wort, in dem Fall eben den EU-Vertrag, zu halten. Eigentlich ein sehr trauriger Befund.

Die verkauften Jungärzte

Stellen Sie sich eine Gewerkschaft vor, sagen wir die Metaller, und fragen sich, wie sie auf folgendes reagieren würde?

Da kommt die EU und sagt:

Ihr in Österreich, Ihr behandelt eure Metall-Arbeiter seit Jahrzehnten schlecht. Wir haben Euch schon bei eurem EU-Beitritt gesagt, dass sie – mittlerweile sogar unerlaubterweise – zu lange arbeiten! Bringt das in Ordnung, sonst tun wir es.“

Die Gewerkschaft schweigt vorerst, nur der Sozialminister, zuständig für Arbeitszeiten und selbst mal Gewerkschaftsboss antwortet, weil er muss, sinngemäß: „Jo, eh! Aber wir brauchen noch so zehn Jahre, bis wir das umsetzen können – die Arbeitgeber haben sich an die billigen Arbeitskräfte gewöhnt, und wenn wir jetzt die Arbeitszeiten auf europäisches Maß reduzieren, dann können die sich das einfach nicht mehr leisten.“

Nun gibt auch die Gewerkschaft laut, sagt die EU mit all Ihren Regeln ist schuld, gibt dem Minister grundsätzlich Recht, meint aber, die Übergangszeiten sind schon ein bisserl lang – das war es!

Klingt das nach dem Verhalten von Gewerkschaftern? Nein! Und doch ist es geschehen – mit einer Berufsgruppe, die dank endloser Arbeitszeiten in oft prekären Arbeitsverhältnissen (nicht selten illegalen Kettenverträgen) kaum aufmucken können – den Spitalsärzte, vor allem den Jungärzten.

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Ein politischer Deal auf Kosten der Jungärzte?

„SpitalsärztInnen: Plus 12 Millionen Euro jährlich“ steht dick und fett auf dem Titelbild der „OÖÄrzte“, dem Magazin der OÖ- Ärztekammer  . In seinem Vorwort plaudert der amtierende Kammerpräsident Dr. Niedermoser aus dem Nähkästchen: „Glauben Sie mir die Verhandlungen zwischen LH Dr. Josef Pühringer und der Ärztekammer, vertreten durch Dr. Mayer und mich, waren fair, aber kein Honiglecken.“ Und: „Durch diesen Abschluss sind die oberösterreichischen SpitalsärztInnen nun im österreichischen Konzert der Gehälter wieder an vorderster Front.“ Im zugehörigen Artikel steht: „Nach langwierigen und extrem schwierigen Verhandlungen ist es den Vertretern der Ärztekammer nun gelungen, das beste SpitalsärztInnenpaket seit Jahrzehnten abzuschließen. Das ist – vor allem angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Ausgangssituation – sensationell, war aber auch dringend notwendig.“

In diesem Stil geht es immer weiter! Gut, es ist Wahlkampf und so ist es verständlich, dass die herrschende Fraktion im offiziellen Ärztekammerblatt ein „bisschen“ für sich selbst wirbt.

Aber gibt es einen echten Grund für dieses Eigenlob? Nun, ich hab mir diesen Abschluss angesehen – und erkannt: die besseren Verhandler sind immer noch die Profis, und die sind beim Land! Alternativ könnte es auch sein, dass die verhandelnden, im Wahlkampf stehenden, Kammerfunktionäre bewusst so einen Deal eingegangen sind, um wiedergewählt zu werden! Es also darauf angelegt haben gute Schlagzeilen erzeugen zu können, unabhängig ob diese wirklich gute Nachrichten bringen. Wie dem auch sei, der bejubelte Deal ist für die Spitalsärzte, vor allem für jene, die noch in der Ausbildung stehen schlimm – auch wenn die wohl anderes glauben.

Mal abgesehen, dass die finanziellen Versprechen unglaublich aufgeblasen dargestellt sind, die eigentliche Krux des ganzen Abschlusse liegt in einem kleinen Nebensatz auf Seite 8: Im Gegenzug für diese Gehaltserhöhungen werden die laufenden AZG-Betriebsvereinbarungen um weitere fünf Jahre verlängert.

Nun, dieser Satz macht klar, dass offenbar ein Stillhalte-Abkommen paktiert wurde. Inhalt: das gesetzeswidrige Verhalten bezüglich der Übertretung der Arbeitszeitgesetze wird von der Ärztekammer nicht aufgegriffen. Wenn man so will, die Kammer wurde mit Geld dazu gebracht, die Übertretung jener Gesetze zu ignorieren, die dazu da sind, die eigenen Mitglieder vor Ausbeutung zu schützen –  Interessant!

Nun, diese Gesetzesübertretung ist natürlich keine echte, weil eine Betriebsvereinbarung nach österreichischem Recht durchaus möglich ist, aber das angewandte Recht ist halt nicht mit EU-Recht vereinbar. Die Arbeitszeit-Direktive (Directive 2003/88/EC) widerspricht nämlich solchen Betriebsvereinbarungen. Das ist nichts neues, ist diese Direktive ja aus dem Jahre 2003. Und auch nicht neu ist, dass die EU von der gemeinschaftrechtswidrigen Umsetzung  weiß und demnächst die rechtskonforme Umsetzung einfordern wird – was die Bundesländer aber überhaupt nicht goutieren. Denn, wird diese Richtlinie Realität, dann können sie sich die Spitäler nicht mehr leisten und auch der Stabilitätspakt mit dem Bund ist passé.

Da kann es nicht schaden, wenn ein großes Bundesland sich gleich einen mächtigen Partner für den sicher eintretenden Konfliktfall – entweder mit der EU oder dem Bund oder beiden – besorgt! Die anderen Bundesländer haben das sicher mit Wohlgefallen beobachtet, ja sogar mitgetragen! Denn mal ehrlich, glaubt die OÖ-Ärztekammer ernsthaft, dass die OÖ-Landesregierung einen solchen Alleingang macht, dass da nicht die Landeshauptleutekonferenz informiert wurde? Die Ansteckungsgefahr „echter“ Gehaltserhöhungen wäre viel zu hoch! Aber wenn ein Bundesland es schafft, die geltende „illegale“ Gesetzeslage mit Hilfe der Ärztekammer zu fixieren, da kann man sich  ruhig ein bisschen großzügig geben (v.a. dann, wenn es eh nur auf dem Papier so aussieht)!

Also warum ging die Ärztekammer auf diesen Deal ein? Schließlich pocht sie ist seit Jahren darauf, dass die Arbeitszeiten zu lange und EU-Rechts-widrig sind. Auch unterstützt sie gegen den Willen der Bundesländer Minister Hundstorfer, der ebenfalls will, dass Dienste nach 25 Stunden enden müssen, wie es die EU-Direktive vorsieht. Ja mehr noch, in der gerne von OÖ herangezogenen Ärztebedarfsstudie, die einen Mangel heraufbeschwört, der die Errichtung der MedUni-Linz nötig macht, wird dieser Mangel u.a. dadurch begründet, dass bei der Umsetzung der EU-Direktive mehr Spitalsärzte nötig werden. Und jetzt ist das plötzlich unwichtig und vom Tisch, für wenigstens fünf Jahre! Jetzt stimmt die Ärztekammer zu, dass die Arbeitzeiten bleiben wie sie sind? Wäre ich ein Kammermitglied, für mich wäre dieser Schwenk eigenartig.

 

Die Verhandler seitens des Landes waren aber noch viel gewiefter! Sie haben sicher geahnt, dass die Ärztekammer, wenn es um die Beibehaltung der Betriebsvereinbarungen geht, alleine zu schwach ist. Dazu braucht man schon auch die Betriebsräte und die Spitalsärzte selbst. Auch deren Loyalität muss man sich sichern.

Jahrelang schon fordert die Ärztekammer vollkommen zu recht, dass die Grundgehälter erhöht werden müssen, damit die finanzielle Abhängigkeit von Nacht- und Wochenend-Diensten geringer wird! Wenn nun dieser Deal wirklich ein Erfolg der Ärztekammer wäre, dann müsste die Gehalterhöhung das Grundgehalt betreffen und nicht die Dienst. Nun, dem ist. Nicht so

Vorweg, etwa 1.600 angestellte Fachärzte erhalten tatsächlich eine Grundgehaltserhöhung von 7% – aber erst 2014 und dann bezogen auf heute! Also entspricht das einer durchschnittlichen Steigerung von 3,5% jährlich. Ich kenn die Details nicht und weiß nicht, wie die Kollektivvertragsverhandlungen aussehen und aussehen werden (immerhin stehen Null-Lohnrunden im Raum), aber wenn die – und das ist zu erwarten – gering ausfallen, vor allem unter dem Hinweis, dass ohnehin durch die neuen Zulagen eine Erhöhung stattgefunden hat, dann bleiben von den 7% real vermutlich nur Marginalitäten übrig. Warum also dieser Jubel? Ein versierter Verhandler müsste doch mehr Sicherheiten verlangen? Oder ging es nur darum eine „hohe“ Gehalterhöhung vor der Kammerwahl präsentieren zu können?

Wie dem auch sei, nur die Hälfte der kolportierten 12 Mio.€ fallen auf eine Grundgehaltserhöhungen. Die andere Hälfte – wie zu befürchten – gehen über die Dienste! Was ja nichts anderes heißt, als dass die Grundgehälter der 1.400 Ärzte in Ausbildung nicht (wesentlich) angehoben werden! Die finanzielle Abhängigkeit von Diensten wird durch diesen Deal also verstärkt, statt wie es der Kammerforderung entspräche, abgeschwächt! Einmal abgesehen, dass damit klar ist, wer im Fokus der Ärztekammer steht, und wen sie der Tagespolitik leicht opfert, wird die finanzielle Abhängigkeit der Jungärzte von der bestehenden Betriebsvereinbarung erhöht. Sollte nun die EU oder der Bund fordern, dass die Arbeitszeit EU-konform geregelt wird, kann sich das Land sicher sein, dass die Jungärzte dagegen sind. Und von allen Arztgruppen im Spital, ist Arbeitszeitüberschreitung bei Jungärzten am häufigsten! Man braucht sie einfach, die billigen Turnusärzte, die den Betrieb am Laufen halten (statt ausgebildet zu werden)

Also, alles in allem, wurde hier die Ärztekammer über den Tisch gezogen. Die Leidtragenden werden vor allem die jungen Spitalsärzte sein, denen man das alles auch noch als Erfolg verkauft. Traurig!

Ich hoffe nur, dass dieser Deal den Ärztekammerfunktionären einfach nur passiert ist, weil sie gegen die professionellen Taktiker der Landespolitik einfach zu schlecht sind. Sollte es jedoch so sein, dass der Deal nur dazu da ist, um vor der Wahl scheinbar gute Schlagzeilen zu generieren, dann allerdings tun mir die OÖ Spitalsärzte leid!

Frau Doktor, Sie sind immer noch da?

Spitalsärzte leisten nicht nur enorme Wochenarbeitszeiten, die Dauer ihrer Dienste ist für immer mehr Patienten unvorstellbar – und gefährlich.

Hat ein Spitalsarzt Dienst, bedeutet das, morgens anzutreten und bis zum nächsten Tag zu arbeiten, 24 Stunden Minimum. In einigen Spitälern endet der Dienst tatsächlich „schon“ nach 24 Stunden, die Mehrheit arbeitet aber nach wie vor etwa 30 Stunden am Stück, auch 48 sind keine Seltenheit.

Während der Nacht besteht Bereitschaft, diensthabende Ärzte dürften also schlafen – theoretisch. Denn durch das steigende Patientenaufkommen nimmt auch die Arbeit in der Nacht zu. Es ist keine Seltenheit, dass Ärzte erst um zwei Uhr morgens Abendessen. Ebenso passiert es laufend, dass ein Diensthabender gar nicht zum Schlafen kommt oder stündlich geweckt wird. Selbst in einer „ruhigen“ Nacht beginnt diese nicht vor eins und endet spätestens um halb sechs. Und dann wird „munter“ weiter behandelt.

Ärzte sind sich bewusst, dass sie nicht „munter“ sind. Das führt zu immer höher werdendem Druck, den sie auf sich selbst ausüben. Und so haben Ärzte im Dienst selbst beim Schlafen erhöhten Blutdruck und Puls. Eine Ärztin erzählte mir, sie würde wie ein Wachhund schlafen – schließlich darf man das Telefon nicht „überhören“.

Es ist bewiesen, dass nach 17 Stunden Dienst die Reaktionszeit der mit einem Alkoholspiegel von 0,5 Promille entspricht. Einem Autofahrer nimmt man den Führerschein weg, wenn man ihn fahrend erwischt, ein Arzt hingegen arbeitet so noch mindestens sieben Stunden weiter. Und tatsächlich fühlen sich viele nach einem Dienst „wie betrunken“ und vermeiden es, sich ins Auto zu setzen. Einer Ärztin wurde einmal abgeraten, nach 27 Stunden Dienst mit eineinhalb Stunden Schlaf mit dem Rad nach Hause zu fahren – aus Sicherheitsgründen. Laut dem Arbeitszeitgesetz für Ärzte, das diesen Wahnsinn ermöglicht, hätte sie aber noch Patienten behandeln dürfen: 48 Stunden am Stück sind ebenso legal wie eine Wochenarbeitszeit von 72 Stunden. Bis zu 8 Dienste pro Monat sind erlaubt, was bedeutet, fast jede dritte Nacht im Spital zu verbringen. Das ist so, als ob man jeden dritten Tag auf einen Ball geht, ohne jemals richtig auszuschlafen! Und trotz dieser großzügigen Regelung, werden die Dienstzeiten oft überschritten.

Die meisten Ärzte – inklusive ihrer Familien – leiden darunter, sind jedoch finanziell davon abhängig. Die Entlohnung der Dienste macht mindestens 30 Prozent des Gehalts aus. Aber selbst wenn es nicht auch ums Geld ginge, sie hätten gar keine Wahl, weil nur so viele Ärzte, vor allem Turnusärzte, angestellt werden, wie es das Arbeitszeitgesetz hergibt. Wenn dann Grippewellen oder Schwangerschaften „passieren“, muss das Gesetz halt übertreten werden.

Dass die Politik das zulässt, hängt damit zusammen, dass an allen Spitälern krampfhaft festgehalten wird. Und da heißt es sparen – am Besten bei Personalkosten. Würden wir weniger Spitäler haben und mehr Patienten ambulant behandeln, könnte man menschlichere Bedingungen schaffen – aber das ist undenkbar.

Wer im Spital liegt, soll nicht fragen „Frau Doktor, Sie sind immer noch da?“ – diese Frage ist zynisch! Außer vielleicht, man will von jemandem behandelt werden, der „betrunken“ ist.

Und nur um gleich zu reagieren, früher war es anders. Die Zahl der Patienten war deutlich geringer und, was wesentlicher ist, die Frauen blieben brav am Herd statt Ärzte zu sein, und die starken Ehemänner hielten, eine Perspektive vor Augen, tapfer durch. Tja, irgendwie ist so ein Bild genau so anachronistisch wie unser Spitalswesen.

Dieser Artikel wurde im Februar 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.