Die Personalbedarfsberechnungen des Krankenhauses Nord

   Die Entscheidungsträger des KH Nord dürften nicht als Rechenkünstler in die Geschichte eingehen, das betrifft auch den geplanten Ärztebedarf.

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   Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) behauptet, von 405 bedarfsnotwendigen Arztstellen im Krankenhaus Nord (KH Nord) seien fast alle besetzt. Die Ärztekammer meint, 405 sind zu wenig, es müssten 506 Stellen sein. Beide beziehen sich auf eigene Berechnungen. Beeindruckend, wie weit da die Schere auseinandergeht. Überträgt man diese Berechnungsweisen auf den gesamten KAV mit seinen mehr als 3100 Ärzten, heißt das nichts anderes, als dass aktuell in den KAV-Spitälern entweder 620 Ärzte zu wenig oder aber 780 zu viel arbeiten – das ist schon verwirrend.

   Das KH Nord plant 46.000 stationäre Patienten. Nicht eingerechnet und in Rechnungen irgendwie verschwunden sind tagesklinische Patienten, die künftig überwiegend „spitalsambulant behandelt“ (auch in Sonderklasse-Ambulanzen) werden. Weiters soll es 250.000 „ambulante Besuche“ geben; eine, verglichen mit anderen KAV-Spitälern, absurd niedrige Zahl. Vielleicht sind ja nur Patienten gemeint, die in Terminambulanzen bestellt sind. Geht es mit rechten Dingen zu, werden Selbstzuweiser und überwiesene Patienten diese Zahl real verdoppeln.

   Schaut man nun, wie viele Ärzte in Wien für so eine Zahl an Patienten aktuell eingesetzt werden, und überträgt das auf das KH Nord, müsste es dort etwa 500 Stellen geben, womit die von der Ärztekammer genannte Zahl wohl eher stimmt, als die des KAV. 400 Ärzte, wie vom KAV vorgeschlagen, würden eine Produktivitätssteigerung von mehr als einem Viertel bedeuten, oder anders gesprochen, fast ein Viertel weniger Arzt-Zeit pro Patient. Ginge das, müsste es logischerweise möglich sein, im KAV bis zu 780 Ärzte abzubauen, ohne dass die Patientenversorgung verschlechtert wird?

   Doch das ist nicht das einzig Merkwürdige. Es kursiert eine Zahl, die der KAV-Rechnung zugrunde liegen soll. Sie geht davon aus, dass ein Vollzeitarzt netto 1997 Arbeitsstunden pro Jahr leistet. Zum Vergleich: Die Netto-Jahresarbeitszeit bei einer 40-Stundenwoche beträgt für „normale“ Arbeitnehmer 1650 (also 350 weniger) Stunden. Ein Vollzeit-Arzt darf, unter Einrechnung der Überstunden, die angeordnet werden dürfen, und im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie, im Jahresschnitt 48 Wochenstunden arbeiten. Rechnet man jetzt korrekt Urlaube und Feiertage sowie Fortbildung und Gutstunden für Nachtdienste ein, geht sich das haarscharf aus – nur krank darf der Arzt dann nie werden. Ist er nur halb so oft krank wie ein durchschnittlicher Angestellter und soll trotzdem 1997 Stunden leisten, steigt die Wochenarbeitszeit auf unerlaubte 50 Stunden.

   Eine Planung, die so kalkuliert, kann nicht funktionieren. Sollte sie allen KAV-Spitälern zugrunde liegen (was hoffentlich nicht der Fall ist), ist klar, warum so viele Spitalsärzte jammern.

   Die vorgelegte Bedarfsrechnung geht einfach nicht auf und imponiert retrograd kalibriert (rückwirkendes Anpassen einer Berechnung, um ein politisch gewolltes Ergebnis zu „errechnen“): Irgendwann hat wohl irgendwer Dienstposten geschaffen, wohl eher nach Maßgabe von Budgetvorgaben als Leistungszahlen, und dann wohl mehr oder weniger traditionell oder nach politischer Willkür verteilt.

„Wiener Zeitung“ vom 17.01.2019  

Wie es dazu kam, dass die EU wegen der Arbeitszeit drohte

 

(Lesezeit 4 Min) 2014 drohte die EU Österreich mit hohen Strafzahlungen wegen Nicht-Umsetzung der EU-Arbeitszeitregelung. Doch ist die EU von selbst aktiv geworden?

NEIN, das tut sie grundsätzlich nicht – jemand muss sich beschweren.

Viele Fraktionen, die jetzt bei der Ärztekammerwahl antreten und so tun, als ob sie es gewesen wären, die die Sitaution der Spitalsärzte verbessert haben, schmücken sich mit fremden Federn! Die meisten der Fraktionen haben trotz Wissen um die illegale Arbeitssituation[i] jahrelang nichts unternommen, mehr noch, bis 2012 wurde das System durch die Ärztekammer OÖ sogar verteidigt und als Erfolg verkauft, wenn das Einkommen v.a. der Jungärzte an Nachtdiensten und Wochenenddienst hängt.

Die Beschwerde kam also nicht von den Institutionen, die eigentlich für Arbeitnehmerschutz und Interessensvertretung zuständig sind, sondern von zwei Privatpersonen:

Dr. Marina Hönigschmid und Dr. Ernest Pichlbauer

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Was bedeuten 100.000€? Pflege- vs. Ärzte-Einkommen

Nachdem von unterschiedlichsten Seiten immer wieder versucht wird, über eine Neiddebatte, den Berufsgruppenkonflikt zwischen Pflege und Ärzten zu schüren, um politisches Kleingeld zu wechseln, habe ich versucht einmal ein bisschen vergleichbare Zahlen zu erstellen – in der Hoffnung, dass diese Äpfel-Birnen-Vergleiche enden.

Das Einkommen eines Spitalsarztes

Die durchschnittlichen Vollkosten eines Spitalsarztes (von jung bis alt, von Turnusarzt bis Primar) in Österreich betragen 2013 etwa 100.000 €. Darin enthalten sind Arbeitgeberbeiträge in der Höhe von etwa 22.000 €, bleiben 78.000 € brutto. In diesem Brutto enthalten sind, neben dem Grundgehalt, alle Zulagen und Zahlungen für Überstunden und Nachtdienste.

Valide Arbeitszeitaufzeichnungen für Spitalsärzte gibt es nicht, aber, das, was bekannt ist, deutet darauf hin, dass Ärzte durchschnittlich 55 Stunden pro Woche arbeiten. Die Ausfallzeiten betragen meinem Informationsstand zufolge 10% womit pro Jahr etwa 2.600 Leistungsstunden entstehen. 800 bis 900 Stunden sind als Überstunden zu werten, die, wenn man Arbeitsbedingungen zu Grunde legt, die für alle anderen Arbeitnehmer im Spital gelten, mit 1,5 bis 2 zu multiplizieren sind (also 150%ige bis 200%ige Überstunden). Weiterlesen „Was bedeuten 100.000€? Pflege- vs. Ärzte-Einkommen“

Haltet den Dieb – das Machtspiel rund um die Spitalsärzte

Spitalsärzte pochen auf ein Recht, das ihnen elf Jahre lang vorenthalten wurde. Doch wer sauer reagiert, sind die, die das Gesetz gebrochen haben.

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   „Der Schlächter ruft! Die Augen fest geschlossen! Das Kalb marschiert mit ruhig festem Tritt. Die Kälber, deren Blut im Schlachthaus schon geflossen, marschier’n im Geist in seinen Reihen mit“, schrieb Berthold Brecht in seinem „Kälbermarsch“ als Parodie auf ein ganz anderes Lied, das so lautet:

   „Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt. Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen, marschier’n im Geist in unseren Reihen mit.“

   Was das mit Gesundheitspolitik zu tun hat? Nichts. Erstaunlich ist aber, dass dem SPÖ-Klubobmann in Kärnten Herwig Seiser der „Kälbermarsch“ einfällt und das mittels Presseaussendung kund tut, wenn er an Spitalsärzte und ihre Führer, den Ärztekammerpräsidenten Josef Huber und die Spitalsärzte-Vertreterin Petra Preiß, denkt.

   Dass die damit nicht leben können, versteht er übrigens als eine bewusste Fehlinterpretation, die ihn wundert. Er meinte und machte dazu gleich wieder eine Presseaussendung, dass es ihm darum ging, „aufzuzeigen, dass Ärztekammervertreter, die vor nicht allzulanger Zeit unter der Herrschaft der FPÖ in Kärnten gelitten haben, sich offensichtlich jetzt wieder genau von dieser FPÖ instrumentalisieren lassen“. Wahrlich eine deeskalierende Aussage.

   Hintergrund dieser Schlammschlacht ist, dass Kärntens Spitalsärzte etwas Unerhörtes gewagt haben.

   Statt der Obrigkeit und dem Betriebsrat, dessen Vorsitzender der ehemaligen SPÖ-Landtagsabgeordnete Arnold Auer ist, der sogar in gemeinsamen Pressekonferenzen mit dem Kabeg-Vorstand Arnold Gabriel, ehemaliger Büroleiter von Landeshauptmann Peter Kaiser, Ärzte unter Androhung dienstrechtlicher Konsequenzen vor Alleingängen warnte, zu gehorchen, organisierten sich die Ärzte selbst und folgten den lege artis gar nicht zuständigen Kammerfunktionären. Ein Affront, gar eine Majestätsbeleidigung.

   Kärnten ist aber nur die Spitze eines durch und durch politisierten und absolut regierten Spitalswesens. Ein Blick in andere Länder zeigt das.

   Da fällt natürlich Landeshauptmann Josef Pühringer auf, der die Ärztekammer, wenn sie nicht spurt, in die Pfanne hauen will, „bis dass das Fett nur so spritzt“.

   Ganz so krass passiert das meist nicht, aber es passiert. Schauen wir nach Niederösterreich. Dort wurde das Land gerade verurteilt, weil es ärztliche Überstunden nicht gesetzeskonform sondern willkürlich (nicht) ausbezahlte. Oder nach Wien, wo jahrelange gesetzlich vorgeschriebene Ausgleichstage einfach unterschlagen wurden.

   In all diesen Fällen haben Länder und Gewerkschaften (aber auch Ärztekammern, die sich in der Vergangenheit lieber um Kassen- als um Spitalsärzte kümmerten und wenigstens das gleiche Machtstreben an den Tag legen) gezeigt, dass Gesetze für sie nur gelten, wenn sie den eigenen Interessen dienen. Sonst eben nicht.

   Nun jedoch hat die Europäische Union Österreich gezwungen, ein elf Jahre altes Gesetz zu exekutieren, in dem der Mitarbeiterschutz auch für Spitalsärzte gilt. Das beendet (wenigstens für kurze Zeit) die Willkür – und damit können die Herrscher so gar nicht umgehen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 014 vom 22.01.2015   

Arbeitnehmerschutz für Spitalsärzte – unwichtig

 

Eine 48-Stunden-Woche und nicht länger als 25 Stunden am Stück – mehr sollten angestellte Ärzte nicht arbeiten dürfen, meint die EU seit 2003.

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   Die EU hat 1993 (vor 21 Jahren) eine Arbeitszeitrichtlinie vorgelegt, die das Ziel hatte, den Arbeitnehmerschutz im öffentlichen Dienst, auch in Spitälern, zu verbessern – schließlich ist die EU ja eine Wertegemeinschaft, die gemeinsame Sozialstandards verlangen will, und das nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor. Seitdem war klar, wohin der Zug fährt, auch in Österreich, das damals erst über den EU-Beitritt diskutierte.

   Nun, der erste Vorschlag wurde von den Regierungen zurückgeworfen und eine zehnjährige Verhandlungsphase begann, die 2003 (vor elf Jahren) in einer Arbeitszeitrichtlinie endete. Jetzt war klar, auch für Österreich, dass Arbeitnehmerschutz nicht nur für private, sondern auch für öffentliche Arbeitgeber gilt. Für Spitalsärzte galt ab nun in der ganzen EU: 48-Stunden-Woche und nicht länger als 25 Stunden am Stück.

   2010 legte die EU-Kommission einen Bericht vor, wie denn die Richtlinie umgesetzt wurde. Und da stand einiges über Österreich drinnen:

   Die durchschnittliche Arbeitszeit kann ohne Zustimmung der Mitarbeiter auf 60 Stunden erhöht werden, Mindestruhezeiten werden nicht gewährt, es gibt Verzögerungen bei der Möglichkeit zur Konsumation von Ausgleichsruhezeiten, trotz klarer Aussagen des EuGH (2003) werden Bereitschaftszeiten weiterhin nicht als Arbeitszeit gewertet, was sogar von den Behörden selbst zugegeben wird, und, und, und – wir haben praktisch also gar nichts getan, um EU-konform zu arbeiten.

   2012 wurde von einer Privatperson, die ich sehr gut kenne, eine EU-Beschwerde eingereicht, die die fehlende Umsetzung beklagte.

   2013 musste die Regierung dazu Stellung nehmen. Die Stellungnahme war dermaßen ungenügend, dass die EU am 21. Februar 2014 eine Klage androhte. Und nur, weil eine nicht EU-konforme Umsetzung des Arbeitnehmerschutzes die Regierung Millionen von Euro kosten würde, begann man einzulenken und will nun die Arbeitszeit der Spitalsärzte senken.

   2021, also 28 Jahre, nachdem klar wurde, dass die Ausbeutung von Spitalsärzten nicht in das europäische Wertegerüst passt, werden wir die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG umgesetzt haben!

   Und warum erst 2021? Weil es sonst zu überraschend käme und die Politik keine Zeit habe, sich auf diese „neuen“ Bedingungen einzustellen. Was für eine Begründung!

   Realiter geht es darum, dass die Länder weiterhin keine Spitalsreform wollen. Jeder Standort muss gesichert werden, selbst wenn klar ist, dass damit mehr geschadet als genützt wird. Und weil der Spitalswildwuchs belieben muss, geht es jetzt darum zu verhandeln: Der Finanzausgleich muss Ländern mehr Geld bringen, etwaige Rettungspakete sind zu schnüren, Stabilitätspakt und „Kostendämpfungspfad“ der Gesundheitsreform müssen aufgeschnürt werden etc. Das braucht Zeit.    Und bis dahin ist, wie bisher, der Arbeitnehmerschutz völlig egal, auch den Gewerkschaftern Sabine Oberhauser und Rudolf Hundstorfer, die für alle Arbeitnehmer 12 statt 10 Stunden am Stück bei einer 40-Stunden-Woche ausschließen, aber bei Spitalsärzten 49 Stunden am Stück bei einer 60-Stunden-Woche okay finden

„Wiener Zeitung“ Nr. 192 vom 02.10.2014  

Die verkauften Jungärzte

Werter Leser! Stellen Sie sich eine Gewerkschaft vor, sagen wir die Metaller, und fragen Sie sich, wie sie auf Folgendes reagieren würde.

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   Da kommt die EU und sagt: „Ihr in Österreich, ihr behandelt eure Metall-Arbeiter seit Jahrzehnten schlecht. Wir haben euch schon bei eurem EU-Beitritt gesagt, dass sie – mittlerweile sogar unerlaubterweise – zu lange arbeiten! Bringt das in Ordnung, sonst tun wir es.“ Die Gewerkschaft schweigt vorerst, nur der Sozialminister, zuständig für Arbeitszeiten und selbst einmal Gewerkschaftsboss antwortet, weil er muss, sinngemäß: „Jo, eh! Aber wir brauchen noch so zehn Jahre – die Arbeitgeber haben sich an die billigen Arbeitskräfte gewöhnt, und wenn wir jetzt die Arbeitszeiten auf europäisches Maß reduzieren, dann können die sich das einfach nicht mehr leisten.“ Nun gibt auch die Gewerkschaft Laut, sagt, die EU mit all ihren Regeln ist schuld, gibt dem Minister grundsätzlich recht, meint aber, die Übergangszeiten sind schon ein bisserl lang – das war es!

   Klingt das nach dem Verhalten von Gewerkschaftern? Nein! Und doch ist es geschehen – mit einer Berufsgruppe, die dank endloser Arbeitszeiten in oft prekären Arbeitsverhältnissen (nicht selten illegalen Kettenverträgen) kaum aufmucken können – den Spitalsärzten, vor allem den Jungärzten.

   Hauptsächlich diese arbeiten 65 und mehr Wochenstunden und sollen nach dem Willen der EU „nur mehr“ 48 Wochenstunden arbeiten dürfen. Ihre Netto-Jahres-Arbeitszeit beträgt 3000 Stunden, die eines Hausarbeiters im Spital 1400 – und so liegen die Nettostundenlöhne pro geleistete Arbeitsstunde etwa gleich auf.

   Aber warum lassen sich Jungärzte das gefallen?

   Dank einer EU-weit einzigartigen Regelung dürfen sie praktisch nur in Spitälern arbeiten, bis sie ihren Turnus beendet haben. Erst dann erhalten sie eine Approbation, die es erlaubt, selbständig zu arbeiten. Selbst eine Teilapprobation wurde vor Jahren von der Ärztekammer erfolgreich abgewehrt, um die niedergelassenen Ärzte vor Konkurrenz zu schützen.

   Ach, die Ärztekammer! Sie fühlt sich als Gewerkschaft der Ärzte. In Wahrheit verteidigt sie nur den „Kollektivvertrag“, den sie als Monopolist verhandeln darf – den Gesamtvertrag der 8000 Kassenärzte! Die 23.000 Spitalsärzte, davon 9000 Jungärzte, sind ihnen weniger wichtig. Längst hat sie vergessen, dass sie eigentlich die mit staatlichem Monopol versehene Interessensvertretung ALLER Ärzte ist. Das ist leicht erkennbar: Die schlechte Arbeitssituation der Jungärzte wird seit Jahrzehnten diskutiert, aber gab es einmal einen Streik deswegen? Nein! Im Gegensatz zu Fragen der Kassenverträge! Wer nur in deren Nähe kommt, kriegt eine Streikdrohung an den Hals – und ALLE Ärzte müssen dann solidarisch um diese Verträge kämpfen!

   Dank des Ausbildungsmonopols der Spitäler und der desinteressierten Monopol-Interessenvertretung der Kammer sind Jungärzte ihren Arbeitgebern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

   Nur das Auswandern hilft. Und weil das immer mehr tun, jammern die Arbeitgeber, es herrsche Ärztemangel. In Wahrheit fehlen ihnen aber nur billige Turnusärzte. Denn an Ärzten mangelt es nicht: Wir haben gleich 50 Prozent mehr Ärzte zur Verfügung als der OECD-Schnitt.

„Wiener Zeitung“ Nr. 115 vom 13.06.2014    

Frau Doktor, Sie sind immer noch da?

Spitalsärzte leisten nicht nur enorme Wochenarbeitszeiten, die Dauer ihrer Dienste ist für immer mehr Patienten unvorstellbar – und gefährlich.

Hat ein Spitalsarzt Dienst, bedeutet das, morgens anzutreten und bis zum nächsten Tag zu arbeiten, 24 Stunden Minimum. In einigen Spitälern endet der Dienst tatsächlich „schon“ nach 24 Stunden, die Mehrheit arbeitet aber nach wie vor etwa 30 Stunden am Stück, auch 48 sind keine Seltenheit.

Während der Nacht besteht Bereitschaft, diensthabende Ärzte dürften also schlafen – theoretisch. Denn durch das steigende Patientenaufkommen nimmt auch die Arbeit in der Nacht zu. Es ist keine Seltenheit, dass Ärzte erst um zwei Uhr morgens Abendessen. Ebenso passiert es laufend, dass ein Diensthabender gar nicht zum Schlafen kommt oder stündlich geweckt wird. Selbst in einer „ruhigen“ Nacht beginnt diese nicht vor eins und endet spätestens um halb sechs. Und dann wird „munter“ weiter behandelt.

Ärzte sind sich bewusst, dass sie nicht „munter“ sind. Das führt zu immer höher werdendem Druck, den sie auf sich selbst ausüben. Und so haben Ärzte im Dienst selbst beim Schlafen erhöhten Blutdruck und Puls. Eine Ärztin erzählte mir, sie würde wie ein Wachhund schlafen – schließlich darf man das Telefon nicht „überhören“.

Es ist bewiesen, dass nach 17 Stunden Dienst die Reaktionszeit der mit einem Alkoholspiegel von 0,5 Promille entspricht. Einem Autofahrer nimmt man den Führerschein weg, wenn man ihn fahrend erwischt, ein Arzt hingegen arbeitet so noch mindestens sieben Stunden weiter. Und tatsächlich fühlen sich viele nach einem Dienst „wie betrunken“ und vermeiden es, sich ins Auto zu setzen. Einer Ärztin wurde einmal abgeraten, nach 27 Stunden Dienst mit eineinhalb Stunden Schlaf mit dem Rad nach Hause zu fahren – aus Sicherheitsgründen. Laut dem Arbeitszeitgesetz für Ärzte, das diesen Wahnsinn ermöglicht, hätte sie aber noch Patienten behandeln dürfen: 48 Stunden am Stück sind ebenso legal wie eine Wochenarbeitszeit von 72 Stunden. Bis zu 8 Dienste pro Monat sind erlaubt, was bedeutet, fast jede dritte Nacht im Spital zu verbringen. Das ist so, als ob man jeden dritten Tag auf einen Ball geht, ohne jemals richtig auszuschlafen! Und trotz dieser großzügigen Regelung, werden die Dienstzeiten oft überschritten.

Die meisten Ärzte – inklusive ihrer Familien – leiden darunter, sind jedoch finanziell davon abhängig. Die Entlohnung der Dienste macht mindestens 30 Prozent des Gehalts aus. Aber selbst wenn es nicht auch ums Geld ginge, sie hätten gar keine Wahl, weil nur so viele Ärzte, vor allem Turnusärzte, angestellt werden, wie es das Arbeitszeitgesetz hergibt. Wenn dann Grippewellen oder Schwangerschaften „passieren“, muss das Gesetz halt übertreten werden.

Dass die Politik das zulässt, hängt damit zusammen, dass an allen Spitälern krampfhaft festgehalten wird. Und da heißt es sparen – am Besten bei Personalkosten. Würden wir weniger Spitäler haben und mehr Patienten ambulant behandeln, könnte man menschlichere Bedingungen schaffen – aber das ist undenkbar.

Wer im Spital liegt, soll nicht fragen „Frau Doktor, Sie sind immer noch da?“ – diese Frage ist zynisch! Außer vielleicht, man will von jemandem behandelt werden, der „betrunken“ ist.

Und nur um gleich zu reagieren, früher war es anders. Die Zahl der Patienten war deutlich geringer und, was wesentlicher ist, die Frauen blieben brav am Herd statt Ärzte zu sein, und die starken Ehemänner hielten, eine Perspektive vor Augen, tapfer durch. Tja, irgendwie ist so ein Bild genau so anachronistisch wie unser Spitalswesen.

Dieser Artikel wurde im Februar 2010 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Aber töte nicht den Überbringer!

Den Überbringer schlechter Nachrichten töten und den Vogelstrauss als Vorbild zu nehmen ist mancherorts Maxime politischen Handelns – Gott sei dank nicht überall

Wie die Politik auf die Kritik im Aufdeckerbuch „Verschlusssache Medizin“ reagieren wird, war letzte Woche noch Hoffnungssache.

In NÖ hat sie jetzt reagiert. Dort hat man kurzerhand den Kontrollarzt, der jene unangenehmen Qualitätsberichte erstellt hat, die NÖ in kein gutes, aber eben reales Bild stellen, entlassen. Alternativ wird ein sagenumwobener Masterplan vorgeschützt, den niemand außer denen kennt, die bereits die Qualitätsberichte unterdrückt haben – sehr vertrauenerweckend! Laut Plan soll es 2015 so weit sein, dann haben die Spitäler ein Qualitätssicherungssystem – und was passiert bis dahin?

Mit dieser Aktion hat man aber allen klar mitgeteilt: Wer Fehler aufzeigt wird entlassen, wer Fehler verschweigt, kann sich sicher fühlen. Fast hat es den Eindruck, als ob es da und dort so etwas wie eine politisch ausgestellte Lizenz zum Töten gibt.

Gott sei dank ist das nicht in jedem Bundesland so, denn anderenorts will man aus Fehlern lernen und versuchen, sie zu vermeiden.

Aber irgendwie ist ja auch die mediale Berichterstattung schief gelaufen. Wer hat sich um die Berechnungen gekümmert, die darstellen, wie sich die extrem langen Ärzte-Arbeitszeiten auf die Fehlerhäufigkeit auswirken. Keiner findet ein Wort über das perverse Bezahlungssystem der Spitäler und der Ärzte, die darin arbeiten, das nur Quantität und nicht Qualität entlohnt. All das ging gänzlich unter. Konzentriert hat man sich auf die knackige Zahl von 2.500 Toten durch vermeidbare Fehler. Und genau diese Zahl wird umgehend von den Apologeten des Systems – die das Buch nicht einmal gelesen haben – bekämpft.

Das alles ist unverständlich. Der Spitalsbereich ist so gigantisch. Täglich – an 365 Tage im Jahr – werden 70.000 Patienten mit 700.000 diagnostischen oder therapeutischen Behandlungen versorgt. Erledigt wird diese Herkulesaufgabe von 17.000 Ärzten, denen 59.000 Personen aus medizinischen Berufen helfen. 33.000 Menschen (verglichen mit der Zahl der Patienten ein bisschen viel?!) schauen, dass die Spitäler funktionieren. Wer kann ernsthaft behaupten, dass so ein Betrieb fehlerlos läuft?

Und trotzdem, die Apologeten attackieren die Aufdecker. Da wird argumentiert, dass das Vertrauen erschüttert ist, Qualitätsarbeit aber Vertrauenssache sei, dass man den Datenschutz beachten muss, dass man Patienten nicht verunsichern (aber falsch behandeln?) darf etc. Dass die Politik Patienten vollmundig Sicherheit und allerhöchste Qualität verspricht und damit Verantwortung verbunden ist, das hört man nicht!

Besonders gern wird auch die Anonymität beschworen, die man für eine Fehlerkultur braucht. Man will ja kein „Blame and Shame“-System haben. Ist das wirklich so? Die Unfallspitäler haben ein Fehlermeldesystem eingeführt und siehe da, 80 Prozent der Fehler wurden nicht anonym gemeldet – weil die meisten, die im Spital arbeiten, Interesse haben, Fehler auszumerzen. Die Basis will dieses „Wir sind fehlerlos“-Spiel nicht spielen; sie wollen arbeiten, ohne zu schaden!

Wen also beschützen die Apologeten? Doch nur die, die Fehler partout nicht zugeben wollen. Also in erster Linie sich selbst, weil sie gut von dem System leben. Und natürlich jene Primarärzte, die Angst davor haben, die Politiker, die sie zu Halbgöttern gemacht haben, zu enttäuschen, weil sie zugeben müssten, dass ihre Bereiche doch nicht fehlerlos funktionieren. Patienten werden sicher nicht beschützt – allen Beteuerung zum Trotz.

Dieser Artikel wurde im März 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.