Zahnspangen, frische Gratis-Zahnspangen!

Schon ziemlich verwirrend, was sich da rund um die Gratis-Zahnspangen so tut. Zuerst alle, dann keine, dann ein Teil – Politik vom feinsten.

Der Startschuss zu dieser  absurden Debatte fiel im September 2013, wenige Wochen vor der Nationalratswahl, als BM Alois Stöger, gemeinsam mit dem SPÖ-Bundesgeschäftsführer und einem prominenten Professor für Innere Medizin (!) verkündete, Kinder und Jugendliche bis zum Beginn des 19. Lebensjahrs sollen ab 2015 kostenlose Zahnspangen, Zahnersatz und Mundhygiene erhalten. Die Selbstbehalte auf diesen Leistungen werden gestrichen.

Nun, mangels Geld verschwanden nach den Wahlen Zahnersatz (also v.a. Kronen) und Mundhygiene spurlos. Dann wurde gemeint, dass Kinder und Jugendliche ab 2018 (dem Jahr der nächsten Nationalratswahlen, was die Möglichkeit geboten hätte, das Wahlzuckerl gleich ein zweites mal zu versprechen) in den Genuss von Gratis-Spangen kommen sollten, um dann, nach erheblicher medialer Kritik zu beschließen, dass  es doch schon 2015 Gratis-Spangenträger geben soll, aber nur jene, die an sehr schweren Zahnfehlstellungen leiden (nur Grad 4 und 5 nach IOTN – der meiner Meinung nach einzig sinnvolle Aspekt dieser Kasperliade). Finanziert wird das übrigens auf Kosten der Forschungsausgaben werden, schließlich tut man ja mit den Spangen schon was für die Zukunft Österreichs.

Wie auch immer, das alles war also ein klassisches Vorher-Nachher-Spiel, das endgültig auch die Gesundheitspolitik erreicht hat.

Stögers wesentliche Argumente für Gratis-Spangen waren und sind:  „Für uns zählt nicht die Kreditkarte, sondern die E-Card.“ Und gleich noch klassenkämpferisch „Ich möchte nicht, dass man am Gebiss des Kindes das Einkommen der Eltern ablesen kann.“

Spannend denkt man, und so sozial – schließlich ist es wirklich nicht gerecht, dass die Reichen mit geraden, die Armen mit schiefen Zähnen durchs Leben gehen.

Doch ist das so?

2008 wurde der kieferorthopädische Zahnstatus der 18 jährigen Einwohner untersucht, mit einem für diese Diskussion doch erstaunlichen Ergebnis.

94% der Untersuchten, also praktisch alle, hatten mindestens eine kieferorthopädische Untersuchung. Kinder und Jugendliche gehen also brav zum Zahnarzt.  52% aller 18jährigen haben oder hatten eine kieferorthopädische Behandlung. Nimmt man die übliche Prävalenz an, bedeutet das, dass praktisch alle, die eine Zahnspange nötig hatten, auch wirklich eine erhielten. Es ist definitiv nicht so, dass nur Kinder reicher Eltern gerade Zähne haben.

Es gibt festsitzende oder abnehmbare Zahnspangen. Wirksam sind beide Varianten der Zahnregulierung. Größter Unterschied: abnehmbare Spangen sind heutzutage (vor wenigen Jahren war das komplett umgekehrt) bei weitem nicht so hip wie die festsitzenden.

Der Selbstbehalt, den i.d.R die Eltern zahlen, beträgt für festsitzende Spangen und für die Dauer der Behandlung pro Monat etwa 125 Euro (Kassen zahlen 30 Euro). Die kolportierten 6.000€ sind jene Kosten, die in etwa eine festsitzende Spange bei einer (üblichen) drei Jährigen Behandlungsdauer anlaufen – 4.500€ Selbstbehalt, 1.500€ Kassenbeitrag. Die abnehmbaren Spangen sind mit 35 Euro monatlichem Selbstbehalt (Kassenbeitrag 35 Euro) deutlich günstiger; und wie man an der hohen Zahl der „regulierten“ Gebisse der 18 jährigen sieht, ein Betrag, der offenbar für alle sozioökonomischen Schichten erschwinglich und nicht diskriminierend ist.

Für festsitzende Spangen ist gute Zahnhygiene unabdingbar – also sind sie nur dort sinnvoll, wo sich der Zahnarzt auf entsprechende Zahnpflege verlassen kann. Mehr noch, ist das Gebiss wegen schlechter Zahnhygiene kariös, dann sind festsitzende Spangen sogar contraindiziert. Bei den abnehmbaren Zahnspangen ist das nicht so heikel. Betrachtet man die „Karies-Verteilung“ wegen mangelnder Zahnhygiene bei Kindern und Jugendlichen, findet man eine klare Assoziation mit dem sozioökonomischen Status der Eltern – heißt, vor allem Kinder aus schwachen Familien haben häufiger Karies und daher kommen sie seltener für festsitzende Spangen in Frage – selbst, wenn diese nichts kosten.

 

Wenn man also das alles ins Kalkül zieht, was heißt es nun, wenn ALLE ZAHNSPANGEN (also auch die festsitzenden) gratis werden?

 

Ganz klar: Gratisspangen unterstützen vor allem jene, die heute bereits die gesünderen Zähne haben und es sich zudem leisten wollen, den hohen Selbstbehalt für festsitzende Spangen zu bezahlen. Gratis-Spangen helfen sicher nicht jenen, die BM Alois Stöger vorgibt im Kopf zu haben. Denn bei denen geht eben nicht um schiefe Zähne sondern vornehmlich um Karies, also Mundhygiene. Zahnärztliche Mundhygiene wird aber gerade nicht gratis sein. Und Anreizmodelle die Mundhygiene zu forcieren (z.B.: Maßnahmen der individuellen Kariesprophylaxe  in einem entsprechend erweiterten Mutter-Kind-Pass aufzunehmen), war ja noch nicht einmal angedacht.

Was bleibt also von dem ministeriellen Wunsch am Gebiss des Kindes das Einkommen der Eltern nicht ablesen zu können? Nichts! Gar Nicht! Es sei denn, hinter der Gratis-Zahnspangen steht der sehr absurde Gedanke, dass es nicht medizinische Gründe (Zahnregulierung als Behandlung) sind, die zu dieser Aktion geführt haben, sondern die Art der Zahnspange (festsitzend oder abnehmbar) per se als soziale Diskriminierung interpretiert wird – der Minister also nicht will, dass man an der ZAHNSPANGE (nicht am Gebiss) des Kindes das Einkommen der Eltern ablesen kann.

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es um was ganz anderes, viel banaleres ging. Es ging darum, auch seitens des Gesundheitsministers klassenkämpferische Töne zu spucken und ein 6.000€- Wahlzuckerl zu verschenken– 6.000€, das ist ein Betrag, der ihm, dem Wackelkandidaten, volle Aufmerksamkeit und Stimmen garantierte.

Wahrscheinlich stand hinter dieser Ankündigung also reiner Populismus, ein 80 Mio.€ (jährlich) teurer Populismus! Was könnte man damit alles Sinnvolleres anstellen. Und nur um die Relationen klar zu machen, die ja im Dunst der Hypo Alp Adria ein wenig verschwimmen; die geforderte Lehrpraxis der Allgemeinmediziner, an deren Sinnhaftigkeit außer dem Ministerium niemand zweifelt, würde in der Maximalvariante jährlich 15 Mio.€ kosten – aber dafür fehlt jegliches Geld. Und Warum? Weil sich das Thema als Wahlzuckerl nicht eignet? Oder weil damit nicht Klassenkampf gemacht werden kann? Wer weiß