Chancen der neuen Primärversorgung

Hektisch war sie, die Geheimdiplomatie rund um die neue Erstversorgung, begleitet von Streik- und Weltuntergangsdrohungen.

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   Nach verbalem und Patienten wie Ärzte verunsichernden Schlagabtausch zwischen Ärztekammer und Volksvertretern, nach mehrfachem Hin und Her streng geheimer Papiere, die hinter verschlossenen Türen verhandelt wurden, ohne dass man weiß, wer denn verhandelt hätte, wurde am 30. Juni ein Konzept beschlossen, das die Basis für die Neuordnung der Primärversorgung sein soll.

   Aber was steht drinnen – und viel wichtiger: Wird es wirklich die Primärversorgung neu ordnen?

   Viele schöne und richtige Worte findet man – was nach 100 Jahren internationaler Erfahrungen und wissenschaftlicher Untersuchungen auch das Mindeste sein sollte, wenn einem eine „Primärversorgung nach internationalem Vorbild“ ein Anliegen ist.

   Einer der Höhepunkte: „Ärztliche und nicht-ärztliche Gesundheits-und Sozialberufe arbeiten unter der medizinischen Leitung des Arztes in der Primärversorgung im Team (. . .) zum Zweck einer optimalen Primärversorgung und Sicherstellung durchgängiger Versorgungsketten im Gesundheits- und Sozialbereich für Personen/Patienten eines definierten Einzugsbereichs.“

   In diesem Satz liegen die gesamte Weisheit des Papiers – und auch alle Fallstricke.

   Denn, will man nicht via Verfassungsänderung den Rahmen herstellen, so etwas von einer Stelle aus organisieren zu können (Finanzierung aus einer Hand), und das wurde dezidiert ausgeschlossen, dann stehen umfangreiche Verhandlungen bevor: zwischen zwei Ministerien (Soziales und Gesundheit), neun Ländern mit jeweils mindestens zwei Landesräten (Finanzen, Gesundheit und Soziales, meist aus verschiedenen Parteien); 21 Krankenkassen, die teils bundes-, teils landesweit organisiert sind und deren bundesweit agierende Vertreter praktisch ein Vetorecht gegen jede Reform haben und in der Vergangenheit gerne auch ausübten; mehrere, meist parteipolitisch genau zuordenbare Organisationen mobiler Pflege, die regional oft Monopolisten sind; hunderte Pflegeheime betreibende Gemeinden; und natürlich die zehn Ärztekammern mit ihren 20 Kurien, die dank der Sicherstellung, dass alles im Rahmen der Gesamtverträge ablaufen muss, sehr viel Sand ins Getriebe der Verhandlungen werfen können und werden.

   „Das konkret anzubietende Leistungsspektrum ist vertraglich mit der Sozialversicherung und sonstigen Finanzierungsträgern zu vereinbaren.“ So steht es lapidar im Konzept. Und weil jeder weiß, dass es nie dazu kommen wird, dass sich all diese Partikularinteressenvertreter einigen, beginnt jetzt schon ein rein machtpolitischer Kampf.

   Ein Blick nach Niederösterreich zeigt das. Dort wurde die landeseigene Primärversorgungsidee vorgestellt – ohne Vertreter der Krankenkassen und ohne Ärztekammer, dafür mit einem ehemaligen, aber abgewählten Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Das kommt einer Kampfansage gleich, die für die Verhandlungen, und damit die Neuordnung der Primärversorgung wohl bereits ein Todesstoß ist.    Aber wenigstens eines wurde erreicht: Der Terminus „Primärversorgung“ ist, etwa 100 Jahre nach seiner Einführung, nun auch in Österreich verwendbar. Man soll sich eben auch mit kleinen Schritten zufriedengeben.

„Wiener Zeitung“ Nr. 134 vom 11.07.2014