Weg damit! – Ein innerer Monolog

Facharztdienste sind – in den meisten Fällen – lang und öd. Und manch altgedienter Oberarzt sinnt über das Leben nach.

„Schon wieder in einem der unnötigsten ärztlichen Tätigkeitsbereiche: dem DIENST (siehe 1 unten).

Da wären Millionen drin, wenn man die unnötigen Dienste reduzieren würd’. Wer braucht z.B. MICH im XS-Spital? Andererseits verdien’ ich wenigstens mehr. Vom Grundgehalt kann man ja nicht leben. Ich hab’ gehört, die Jungen im AKH verdienen ohne Dienste gerade einmal 1.100 € – Brutto! Wahnsinn!

Trotzdem; drei Fachärzte und ein Turnus-Sklave (siehe 2 unten) hier im Dienst, in unserer Quetsch’n! Völliger Schwachsinn! Nur weil’s ein Landesgesetz gibt, des vorschreibt, wie viele Ärzte da sein müssen – egal ob man’s braucht oder net. Und kaum si’ma im Dienst, wer’ma mit lauter Unsinn konfrontiert; angebotsinduzierte Nachfrage, ein Klassiker.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen! Dienst ist zum überwiegenden Teil Unsinn, daher gibt’s im Dienst überwiegend nur Unsinn. Zweckmäßig ist hier nichts. Außer, dass ma’ deppert wird im Schädel und am nächsten Tag müd’ wie a alter Hund.

Wer braucht im XXL sieben (oder sind’s eh schon 15?) Kardiologen im Dienst? GLEICHZEITIG? Unfassbar. Und keiner schreit öffentlich auf, weil dem Volk vorgegaukelt wird, es sei eine gute Versorgung, wenn Fachärzte vor sich hindümpeln und artfremde Tätigkeiten verrichten; und in ihrer Überqualifikation dem Burn-Out entgegentreiben. Unterforderung KANN nur krank machen!

Im XL haben’s an Haut-Arzt, an HNO-Kollegen und fünf Internisten im Dienst! Samt zugehörigen Turnus-Sklaven, die stundenlang Spritzen geben und Infusionen anhängen – bei Patienten die davon eh nix haben. Nur weil die Schwestern vor lauter Doku-Wahn ständig Zeitmangel haben. Wer hat ihnen eigentlich diesen Blödsinn aufgedrückt. Sicher wieder irgend a Gesetz!

Warum gibt’s nicht kompetente kleine mobile Notfall-Teams für die Nachtstunden? Statt ausgelaugter Hundertschaften von Fachärzten, die in entwürdigenden Dienstzimmern entweder blödsinnig Fernschau’n, mürrisch ins Telefon plärr’n, insuffiziente Arztbriefe von unbekannten Patienten diktieren oder tschechern, bis sie ins verlotterte Dienstbett fallen, wo sie bestenfalls noch eine junge naive Kollegin verführen können?

Die Ärzte machen diesen Dienst-Scheiss ja nur, weil ihr Gehalt davon abhängt. NOTWENDIG oder EFFIZIENT ist das bei Gott nicht. Gebt den Fachärzten ein ordentliches Grundgehalt und Schluss! Wäre locker ein Drittel billiger. Wo es im niedergelassenen Bereich eh schon Fachärztemangel gibt, sitzen alle blöd im Dienst herum. Und alles auf Kosten der Allgemeinheit!

Hätten wir fliegenden Notfallteams, dann bräucht’ ma genau niemand! Außer vielleicht auf einer Gyn, einer Unfall, der Chirurgie, im Herzlabor und auf der Intensiv. Ansonsten reicht a Allgemeinmediziner, der kommt am Abend und geht in der Früh. Raus mit den Fachärzten, rein mit den Allgemeinmedizinern! Aber des geht gesetzlich wieder net.

Warum können die eigentlich keine g’scheiten Gesetze machen, die Bezahlern und Patienten nützen? Wenn es nach mir ginge, einfach weg damit!“

PS: Wer diesen inneren Monolog für Dichtung hält, der hat den Boden der Realität bereits verlassen! Tatsächlich ist er aus der Feder eines Spital-Facharztes.

1. vulg. für Nacht- und Wochenend-Dienste

2. Turnus: Bezeichnung für die mindestens dreijährige praktische Pflichtausbildung nach dem Medizinstudium. Turnus-Ärzte stehen in der Nahrungskette im Krankenhaus ganz hinten – also gerade noch höher als die ausgelagerten Reinigungskräfte. Daher das Wort Sklave.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wer nicht entscheidet, für den wird entschieden!

Der Wunsch, ärztliche Entscheidungen wieder den Ärzten zu überlassen – und nicht den Ökonomen – ist zu spüren! Allerdings nur halbherzig.

Schließen Sie die Augen! Sie sind zehn Jahre alt und haben entsetzliche Bauchschmerzen. Der Blinddarm muss raus. Glücklicherweise ist alles früh festgestellt worden und der Operateur entscheidet, den Blinddarm endoskopisch, also mit Knopflochchirurgie, zu entfernen. Am zweiten Tag kommt der Arzt und sagt: „Sie sind gesund, sie können gehen“. Doch nein! Unmittelbar nach dem Arzt kommt der Krankenhausverwalter, ein Ökonom, und sagt: „Sie müssen bleiben, weil wir noch ein bisschen an Ihnen verdienen wollen.“ Der Arzt, der daneben steht, fällt dem Ökonomen jetzt nicht ins Wort und weist ihn zu Recht – nein, er gibt dem Ökonomen spontan recht.

Wachen Sie jetzt auf und lassen sich erklären, welchen Schwachsinn Sie geträumt haben.

Das Spitalswesen hierzulande wird von einem wenig vernünftigen System finanziert – der leistungsorientierten Krankenanstalten-Finanzierung (LKF). Es pauschaliert Leistungen, was Bezahlung als auch Aufenthaltsdauer betrifft. Beides wird von Statistikern berechnet, die Daten dafür werden in Referenzspitälern erhoben. Ökonomen haben hier nichts zu sagen. Die Einnahmen aus den Pauschalen decken längst nicht mehr die Kosten. Würden Ökonomen das Sagen haben, würden Sie versuchen, Kosten zu vermeiden. Gott sei Dank, haben Sie das aber nicht.

Für eine endoskopische Blinddarmentfernung gibt das System drei bis sieben Tage Aufenthaltsdauer an. Vom LKF her könnte man also ohne „Einnahmenverluste“ am dritten Tag entlassen, medizinisch noch früher. Unsere Kinder „dürfen“ aber durchschnittlich fünf Tage liegen. Offenbar ist nicht der Ökonom an der späten Entlassung Schuld, sondern doch eher wer anderer.

Vielleicht ist der Blinddarm ein schlechtes Beispiel. Schauen wir uns die Curretage oder die Konisation an. Zwei Eingriffe, die viele Frauen kennen – Männer nicht. Dafür liegen sie zwei Tage im Spital. Bezahlt wird vom System aber auch die ambulante Versorgung und sogar deutlich besser. Allein die Patientinnen würden so die Betten nicht belegen. Wer also legt die Patientinnen auf die Station? Der Ökonom? Vielleicht muss man an dieser Stelle festhalten, dass österreichweit die gynäkologischen Abteilungen nicht einmal mehr zu zwei Drittel ausgelastet sind. Viele Abteilungen müssten längst gesperrt sein, wenn die Ökonomen das Sagen hätten; und zwar ohne Qualitätsverlust. Manche behaupten sogar, mit Qualitätssteigerung – aber das sind besondere Wirrköpfe.

Wenn also Ökonomen nicht schuld sind, sondern doch Ärzte, warum ist das so? Schwierig! Ich bleibe dabei, dass Primarärzte darauf achten, Ihre Abteilungen auszulasten. Immerhin sind Betten der einzige Maßstab für die Personalzumessung, und Klassebetten sind mit einem fixen Schlüssel an die Zahl der Abteilungsbetten gebunden. Zwei wichtige Argumente.

Und um klar zu stellen. Krankenhäuser sind auch in Österreich infektiös. Es ist daher nicht ihre Aufgabe, Sicherheit und Geborgenheit vorzutäuschen. Noch dazu um einen Preis, für den man in einer geborgeneren Versorgungseinrichtung – den eigenen vier Wänden – viel mehr Patienten kompetent betreuen könnte – auf Kosten des Systems!

Ja, es wäre wichtig, dass die Entscheidung, wie und wo behandelt und wann entlassen wird, wieder zu einer ärztlichen wird. Allerdings reicht es nicht aus, das zu fordern. Man muss es tun, jeden Tag! Und keinesfalls darf man sich als Arzt hinter irgendwelchen Ökonomen verstecken – sie sind nur Sündenböcke für die eigenen Sünden.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Muss es wirklich immer so lang sein?

Wären Politiker entscheidungsfreudiger und Ärzte ehrlicher, müssten Patienten rund 50 Millionen Euro pro Jahr weniger aus der eigenen Tasche bezahlen.

Stellen Sie sich vor, Sie müssen wegen einer Star-Operation ins Spital. Wären Sie irgendwo in Europa, würden Sie in der Früh ins Krankenhaus gehen und am Abend nach Hause. In Österreich bleiben Sie drei Tage im Spital! Stellen Sie sich vor, Sie brauchen eine Gallenblasenoperation. Wären Sie irgendwo in Europa, würden Sie mit einem Spitalsaufenthalt von drei Tagen rechnen. In Österreich sind es sieben! Solche Beispiele gäbe es noch viele. Am Ende kommen fünf Millionen Krankenhaustage zustande, die eigentlich nicht nötig wären. Abgesehen davon, dass das der Allgemeinheit Kosten in Milliardenhöhe aufbürdet, müssen Patienten dafür aus der eigenen Tasche rund 50 Millionen Euro bezahlen – den sogenannten „Verpflegskostenbeitrag“.

Dass wir Weltmeister im Spitalsliegen sind, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Warum wir es sind, diese Frage ist schon interessanter. Einmal ehrlich, hat der Patient wirklich eine Chance weniger im Spital zu liegen? Der Durchschnittsösterreicher hat weder Medizin studiert, noch kennt er sich mit Fragen der Versorgungsqualität aus. Das eine – so zumindest die Theorie – sollten doch die Ärzte am besten können, das zweite ist eigentlich Aufgabe der Länder. Beide betonen aber, dass alles zum Besten ist. Wer bleibt sonst übrig, um Patienten vor zu langen Spitalsaufenthalten zu bewahren? Nein, der Patient ist sicher kein selbstgemachter Weltmeister, sondern nimmt nur an, dass Ärzte und Politiker ihren Job gut machen. Wenn man aber ein bisschen genauer schaut, dann erkennt man rasch, dass es nicht so ist.

Auf der einen Seite sind da die Primarärzte. Das wichtigste Argument in der Frage der eigenen Existenzsicherung ist selbst im 21. Jahrhundert nicht der Patient, sondern noch immer die Anzahl der ausgelasteten Betten. Kurze Liegedauer oder gar ambulante Versorgung würde die Zahl der ausgelasteten Betten sinken lassen und so die eigene Existenz gefährden. Aber noch wesentlicher als die Betten, sind die Einnahmen aus den Klasseversicherungen. Wegen komplizierter verfassungsrechtlicher Bestimmungen sind die sogenannten Klassegelder noch immer weitgehend an die Länge des Spitalsaufenthalts gebunden. Je kürzer Patienten liegen, desto geringer diese Zusatzeinnahmen. Und um die Klasse-Patienten ja nicht auf den Geschmack kurzer Aufenthalte zu bringen, werden sicherheitshalber alle länger behalten.

Auf der anderen Seite stehen die Landespolitiker. Sie wären verpflichtet, die Krankenhaushäufigkeit und Liegedauer auf das medizinisch notwendige Maß zu minimieren. Würden sie diese Gesetzesvorschrift wirklich ernst nehmen, dann müssten sie Krankenhäuser sperren – und zwar viele. Damit würde sie aber ihre Spielwiesen verlieren. Auch wenn es zum Wohle des Patienten wäre, ist das eine Denkunmöglichkeit! Da ist es schon besser, man versteckt sich hinter den Primarärzten und behauptet wie sie, dass lange Aufenthalte notwendig sind (siehe oben).

Solange diese beiden Gruppen behaupten, dass lange Aufenthalte medizinisch begründet sind, wird es den Patienten schwer fallen, etwas anderes zu vermuten. Solange alles so bleibt wie es ist, werden sie dafür, angeblich zu ihrem eigenen Wohl, Jahr für Jahr Unsummen auf den Tisch legen. Und nur, dass es nicht zu Missverständnissen kommt, selbst wenn wir die oben beschriebenen fünf Millionen Krankenhaustage nicht mehr hätten, würden wir im europäischen Vergleich noch immer zum obersten Drittel der Spitalslieger gehören.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitspolitik: Um was es wirklich geht!

Wen interessiert eigentlich noch der Patient und dessen Versorgung – eine emotionale Reflexion über ein bravouröses Stück Politiker-Mikado!

Kennen Sie sich noch aus? Diese Frage hat der ORF genau so gestellt, als die Verhandlungen rund um die Gesundheitsreform – eher das Kassensanierungsunterfangen – von einer 75/25 Chance für ein Zustandekommen über mehrmalige Unterbrechungen bis hin zum Scheitern, von keinem mehr so richtig beobachtet werden konnte.

Erlauben Sie mir ausnahmsweise eine emotionale und unbeherrschte Meinungsäußerung zu diesen Vorgängen, denn ich bin glücklich, dass dieses Werk nicht vollendet wird. Man hätte ein ohnehin schon sehr schwaches Konzept durch immer faulere Kompromisse so verwässert, dass nicht einmal das wenige, das erreicht hätte werden sollen, auch nur annähernd jemals erreicht hätte werden können. Das Scheitern aber eröffnet vielleicht jenen Weg, der mit Konsens und Vernunft – und der entsprechenden Zeitachse – gegangen werden kann, und dessen Ziel die Patientenversorgung und nicht der Erhalt von Machtkomplexen sein könnte.

Nichts desto trotz, war es spannend zu sehen, wie ignorant die einzelnen Machtkomplexe sich mittlerweile dem Thema der Gesundheitsversorgung widmen. Mit grundsätzlichen Fragen wie „Was wollen wir vom System?“, „Wie soll die Versorgung aussehen?“, „Erhalten die Patienten was sie brauchen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle?“ etc hat man sich erst gar nicht auseinandergesetzt. Aber das ist ja auch nicht nötig bei dem besten System des Universums, das sowieso allen und überall eine Versorgung auf allerallerhöchstem Niveau bietet – gratis, versteht sich! Auch die Frage nach Struktur- und Kompetenzveränderungen stoppte sofort an dem Punkt, wo die Mächtigen ihre Macht zugunsten der Patienten hätten aufgeben müssen – statt dessen konnten alle zuschauen wie ein peinlicher Machtkampf entbrannte und die Mächtigen nicht einmal mehr den Anstand wahren mussten, wenigstens nach außen für die Patienten einzustehen.

Dass alle Experten, wie das parlamentarische Expertenhearing gezeigt hat, mit der vorliegenden Reform nichts anfangen konnten, hat auch nicht zu einer vertieften und vielleicht sachorientierten Reflexion geführt. Ganz im Gegenteil! Der Vorwurf der populistischen Politiker in allen Parteien, dass man als Experte ja nichts umsetzen muss und daher leicht reden kann, wurde erhoben. Dieser Vorwurf ist getragen von genau der Ignoranz, die erst dazu führte, dass die Machtkomplexe immer weiter und tiefer Entscheidungen nach populistischen statt nach vernünftigen Kriterien getroffen haben. Und genau diese Ignoranz ist es auch, die es der ach so umsetzungsstarken Kaste erlaubt hat, den Patienten und dessen Versorgung endgültig aus allen Diskussionen herauszuhalten. Und mit genau der gleichen Ignoranz wurden konsequenterweise seit Jahrzehnten Expertenmeinungen unterdrückt und Kritiker verjagt– es geht ja offenbar um wichtigeres.

Die Machtkomplexe müssen sich wieder einmal darauf besinnen, dass der Patient nur dann ein Gesundheitssystem braucht, wenn er im System gesünder werden kann, als ohne es! Das Gesundheitssystem ist nicht dazu da, Krankenhäuser zu erhalten, Ärzte zu ernähren, regionale Politiker glücklich zu machen oder die Existenz von Krankenkassen zu sichern. Es ist dazu da, die Gesundheit des einzelnen Patienten zu verbessern. Aber solange die Politik nicht daran erinnert wird, wird wohl ein öffentliches Gesundheitssystem österreichischen Zuschnitts durch Ignoranz und Festhalten an der Macht um jeden Preis weiterwursteln.

Dieser Artikel wurde im Juli 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitsplattformen – die unbekannten Wesen

Ohne größere Bekanntheit erlangt zu haben sterben die letzten zarten Pflänzchen einer sinnvolleren Reform ab – und niemand wird es merken!

Wer noch nie von Gesundheitsplattformen gehört hat, der soll sich nicht grämen, er gehört zur großen Mehrheit. Die, die wenigstens schon was gehört haben, sind in der Minderzahl. Die seltenen Vögel, die sogar wissen, was diese Institutionen für Aufgaben hätten – und es sind deren viele – sind echte Exoten.

Die Kernidee dieser unbekannten Wesen, die in jedem Bundesland institutionalisiert wurden, war die DEZENTRALE Planung des Gesundheitssystems. Da saßen Länder und Sozialversicherungen als Finanziers zusammen und sollten, so der gesetzliche Auftrag, GEMEINSAM für die Gesundheitsversorgung der REGIONALEN Bevölkerung sorgen. Wenn man die aktuellen Entwicklungen beobachtet, dann weiß man, dass diese Idee in den letzten Zügen liegt.

Andererseits hat sie nie wirklich einen richtigen Zug gehabt. Keine Plattform hat es geschafft auch nur die klitzekleinen Reformprojekte Realität werden zu lassen. Eine gemeinsame Vorgangsweise gibt es, wenn überhaupt, nur in vereinzelten, kaum wahrnehmbaren Ansätzen. Der Pflegebereich wurde gleich gar nicht in die Agenda aufgenommen. Und die wenigen Plattformen, die es sich geleistet haben, ein sachlich kompetentes – und nicht politisch tickendes – gemeinsames Büro einzurichten, haben dieses bald wieder abgeschafft.

Die Folge dieses offensichtlichen aber verleugneten Scheiterns kennt man mittlerweile: die Kassen gehen pleite und die Spitalsausgaben explodieren (wie man hört in einigen Bundesländern um 36% in zwei Jahren!). Schuld ist natürlich der Bund – der macht ja immer alles falsch. Interessant, dass die WHO schon 1969 gesagt hat, dass die Bundesregierung keine Kompetenzen hat, den Finanziers verbindliche Weisungen zu erteilen. Trotzdem ist der Bund schuld – weil immer andere schuld sein müssen.

Ehrlicher- und daher unausgesprochenerweise  sind die Gesundheitsplattformen aber selber schuld. Man beachte nur wie skurril die Kompetenzen verteilt wurden. Was die niedergelassenen Ärzte betrifft, haben immer die Sozialversicherungen das Sagen, was die Spitäler betrifft die Länder – Zeugt das von einem gemeinsamen Willen?

Aber was hat man denn erwartet? Da sitzen die dem Populismus zugeneigten Länder und die in klassenkämpferischen Verhandlungen geübten Gewerkschaften zusammen und sollen gemeinsam gestalten, eine gemeinsame Vision, eben die gemeinsame Sorge um die Patienten, entwickeln. Einmal ehrlich – ist das nicht zu naiv gedacht? Kann man wirklich erwarten, dass sich Organisationen mit reinem Machtwillen zusammensetzen und plötzlich aus heiterem Himmel einen gemeinsamen Gestaltungswillen entdecken?

Dabei hallt das Wort Rauch-Kallats noch nach: Die Gesundheitsreform steht! Heute, drei Jahre später, ist davon aber nichts übrig, auch wenn man nicht müde wird, das Gegenteil zu behaupten. Real werden die jetzigen Reformschritte die Kluft zwischen den Finanziers (eigentlich nur die Verwalter unseres Geldes! Aber das will auch niemand hören!) sogar vergrößern und eine dezentrale Planung noch unmöglicher machen; Plattformen hin oder her.

Was aber wird nun mit den Gesundheitsplattformen passieren? Natürlich nichts. Sie werden weiter existieren. Oder hat man in Österreich schon jemals eine politische Einrichtung abgeschafft, nur weil sie nutzlos wurde? Es ist typisch für uns, tote Pferde zu reiten und allen zu erzählen, dass es sich dabei um eine österreichische und international unvergleichlich gute Galoppversion handelt!

Dieser Artikel wurde im Juni 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Die Arzt-Patienten-Beziehung – eine sensible Größe

Die Gesundheitsversorgung ist dazu da, die Gesundheit des einzelnen Patienten zu verbessern. Das ist das einzige Ziel eines Gesundheitssystems!

Man ruft beim Arzt an und kriegt einen Termin in zwei Monaten. Dann ist man dort und wartet stundenlang. Eine Spitalsambulanz erspart zwar nicht das Warten, aber wenigstens die Terminvereinbarung – und wahrscheinlich das lästige Wandern von einem Arzt zum anderen. Dass es so ist, wie es ist, da kann der Arzt kaum etwas dafür. Schuld daran ist das System. Dafür ist der Arzt aber nicht verantwortlich. Er lebt nur darin, wie auch der Patient.

Man muss festhalten, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem System und der Versorgung. Die Versorgung ist das, was beim Patienten ankommt, das System ist der Rahmen, in dem dies ermöglicht wird. Ändert sich der Patient, dann ändert sich der Versorgungsbedarf. Will man die Versorgung gewährleisten, muss man das System anpassen. Es gibt kein Gesundheitssystem, dass nicht immer wieder reformiert werden müsste. Wer an ein jahrzehntelang gutes System glaubt, der verkennt schlicht die Realität!

Die wesentliche „Stellgröße“ in der Versorgung (von der Prävention bis zur Pflege) ist die Arzt-Patienten-Beziehung. Und die bewegt sich in gigantischen Dimensionen.

In Österreich finden bei den Kassenärzten 80 Mio. Patientenbesuche statt. Laut den Sozialversicherungen sind 40 Mio. davon Erstkontakte, also Besuche, die zustande kommen, weil der Patienten, aus welchen Gründen auch immer, von sich aus zum Arzt geht. Die anderen 40 Mio. sind sogenannte Folgeordinationen, also im Wesentlichen Besuche, die dazu dienen, den Krankheitsverlauf zu kontrollieren und/oder den Patienten „gesund“ zu schreiben. Neben den Kassenärzten gibt es die Wahl- und Privatärzte. Dort finden, so vermutet man, etwa 20 Mio. Patientenkontakte statt. In den Spitalsambulanzen werden pro Jahr 5 Mio. Patienten behandelt, die etwa 15 Mio. Mal dort erscheinen. 1,5 Mio Patienten werden 2,5 Mio. Mal im Krankenhaus aufgenommen. Dabei „verliegen“ sie 16 Mio. Tage und sehen den Arzt täglich zwei Mal.

Anhand dieser astronomisch wirkenden Zahlen kann man erahnen, welche zentrale Rolle der Arzt spielt. Andererseits muss man sich bewusst sein, dass es in der Arzt-Patienten-Beziehung auch den Patienten gibt. Viele Reformen konzentrieren sich zu stark auf den Arzt. Das ist historisch gewachsen. Einerseits ist es sehr schwierig, Patienten zu organisieren, andererseits verhindern der Wissensvorsprung und das hohe Sozialprestige des Arztes, dass der Patient in dieser Beziehung auf gleicher Augenhöhe erkannt würde. Zudem besteht seit langem die Befürchtung, dass Patienten, wenn man sie zu „wichtig“ nimmt, immer mehr Versorgung wollen. Der Patient will aber gar nicht mehr Versorgung, er will nur mehr Gesundheit! Letztlich darf man nicht vergessen, dass der wichtigste, vielleicht einzige Grund für ein Gesundheitssystem der ist, für Patienten eine bessere Gesundheit zu ermöglichen, als dies ohne System möglich wäre. Das sollten sich Kassen, Länder und besonders Ärztekammern merken!

Die Arzt-Patienten-Beziehung ist und bleibt die zentrale Stellgröße. 80% aller Ressourcen werden durch diese besondere Beziehung gesteuert. Wenn das Vertrauen der Patienten einerseits oder die Motivation der Ärzte andererseits auch nur ein bisschen sinkt, dann hat das sofort riesige Auswirkungen. Jede Gesundheitsreform, die es nicht schafft, die Arzt-Patienten-Beziehung positiv zu beeinflussen oder diese gar stört, wird die Qualität reduzieren, die Kosten erhöhen und ihr Ziel verfehlen.

Dieser Artikel wurde im Juni 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Der Fehler im Gesundheitssystem

Wenn Sie rund um Horn leben, können Sie etwas österreichweit Einzigartiges erleben – eine abgestufte medizinische Akutversorgung. Wie lange noch?

Weiterlesen: Der Fehler im Gesundheitssystem

   Die Waldviertler sind in Fragen der Gesundheitsreform reformfreudiger als andere. Als nach Jahren der Diskussion zwei Spitäler aus der Akut-Versorgung genommen wurden, entstand im Krankenhaus Horn die Frage, ob man nicht Betten aufbauen sollte. Immerhin wurden 70 Betten abgebaut und keiner wusste, ob es zu einer Unterversorgung kommen würde.

   Doch anders als üblich zeigten die Ärzte und regionalen Gesundheitsmanager Courage und ließen sich auf ein Experiment ein. Und so wurden nicht Betten aufgestellt, sondern in Abstimmung mit den niedergelassenen Ärzten ein abgestuftes Versorgungsmodell errichtet. Im Grunde ist die Idee simpel. Quasi zwischen den niedergelassenen Ärzten und dem Krankenhaus wurde eine rund um die Uhr offene ambulante Versorgungseinrichtung aufgebaut. Jeder, der ins Krankenhaus kommt, muss durch diese Einrichtung. Dort sitzen fertig ausgebildete Allgemeinmediziner und versuchen, die Patienten ambulant zu behandeln.

   Etwa 12.000 werden dort pro Jahr versorgt, die Hälfte davon kann ohne stationäre Aufnahme nach Haus gehen. Und siehe da, im Einzugsgebiet des Krankenhauses werden die Menschen jetzt um fast zehn Prozent seltener stationär aufgenommen als vorher, und das bei wenigstens gleicher Versorgungsqualität, hoher Zufriedenheit aller und deutlich geringeren Kosten pro Patient. Eigentlich sollten auch die Finanziers zufrieden sein. Da wird zu günstigeren Preisen jeder zufrieden gestellt.

   Allein: So funktioniert das österreichische System nicht. Denn was passiert da? Dadurch, dass Patienten nicht mehr stationär behandelt werden, fehlen diese im Krankenhaus. Die Finanzierung ist jedoch darauf ausgerichtet, nur für stationäre Patienten zu bezahlen. Ambulante Behandlung wird nur sehr schlecht finanziert. Also fehlen Einnahmen. Das macht den Krankenhausfinanzier unglücklich. Noch unglücklicher wird er, weil er, solange für dieses neue und innovative Versorgungsmodell keine reguläre Finanzierung existiert, dieses aus dem Krankenhausbudget bezahlen muss.

   Auch die Krankenkassen sind unglücklich. Genau genommen ist es ja ihre Aufgabe, die Bevölkerung mit ambulanter ärztlicher Leistung zu versorgen. Auch wenn man bei der fachärztlichen Versorgung seit Jahren streitet, allgemeinmedizinische Versorgung war noch nie Aufgabe der Krankenhäuser. Und das, was da in Horn vorgelebt wird, könnte darauf hindeuten, dass die Versorgung in irgendeiner Form reformbedürftig wäre. Das kann gar nicht sein! Also ist es besser, man tut so, als ob das, was da passiert, nur eine „krankenhausinterne“ Prozessoptimierung ist. Und die Patienten, die dort behandelt werden, wären vorher gar nicht da gewesen, sondern erst durch das Angebot entstanden. Als ob man nur krank wird, wenn ein Arzt in der Nähe ist. Und weil sich also die Mächtigen streiten, droht dieses Modell wieder zu verschwinden. Alles soll beim Alten bleiben, auch wenn es viel teurer ist.

   Bestraft werden in diesem System zwei Gruppen – da wären einmal alle, die Innovative Lösungen umsetzen wollen. Innovation wird nicht gefragt. Und dann sind da natürlich noch die Beitrags- und Steuerzahler, die ja für alles geradestehen „dürfen“. Solange eine Reform solche Probleme nicht löst, solange ist sie nicht als Reform zu bezeichnen. Ob die jetzigen Zentralisierungstendenzen die Sache nicht verschlimmern werden, wird sich erst in Zukunft zeigen. Es ist aber zu erwarten.

„Wiener Zeitung“ Nr. 113 vom 10.06.2008  

Von den Reförmchen zur Reform

Eine Gesundheitsreform steht schon lange an, das merken die Wähler. Da Regieren hierzulande von Reagieren kommt, muss es überhaps gehen!

Weiterlesen: Von den Reförmchen zur Reform

   Auch diesmal droht, dass Geschwindigkeit mehr zählt als Vernunft. Will man aber ein solidarisches Gesundheitssystem erhalten, dann wird man sich Zeit nehmen müssen. In einem transparenten Meinungsbildungsprozess muss eine für alle Österreicher – für die, die bezahlen, genauso wie für die, die profitieren – tragfähige Zieldefinition entstehen. Erst wenn man weiß, was man vom Gesundheitssystem erwartet, kann man Umsetzungspläne schmieden. Realistisch wird man für die Zieldefinition fünf Jahre und für die Konkretisierung noch einmal fünf weitere brauchen. Darunter ist an eine substantielle Reform gar nicht zu denken. Konsequenterweise bedeutet das aber auch, dass bis dahin das alte System ausfinanziert wird – koste es, was es wolle!

   Weil die Politik dazu neigt, populistische Reförmchen anzugehen, ist es nötig eine „Kontroll-Instanz“ einzusetzen. Man sollte einen unabhängigen Weisenrat installieren, dessen einzige Aufgabe es ist, das „vernünftige Gewissen“ der Reform zu sein. Keinesfalls dürfen diese Weisen aber aus den bestehenden Machtkomplexen, also Kammern, Gewerkschaften, Ländern etc. kommen. Der Weisenrat soll auf Basis seiner Expertise so oft wie möglich – insbesondere in den Medien – seine Meinung kundtun und freimütig den Reformprozess kommentieren. Und damit diese „Weisen“ sich das trauen, wird es nötig sein, ihnen unkündbare, gut bezahlte Verträge für wenigstens drei Legislaturperioden zu geben.

   Um den breitest möglichen demokratischen Konsens zu erzielen, ist eine Steuerungsgruppe einzurichten, in der alle Budget- und Gesundheitssprecher aller parlamentarischen Parteien von der Bundes-und Landesebene vertreten sind. Die Steuerungsgruppe soll auf folgende fünf Fragen populismusfreie Antworten geben.

   Was gehört zur Gesundheitsversorgung (Prävention, Kuration, Rehabilitation, Pflege, Palliation; alles oder nur Teile) und was davon soll öffentlich sein?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode diese Auswahl treffen?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode feststellen, ob die Patienten auch das erhalten, was sie brauchen?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode feststellen, wie viel solidarisch aufgebrachtes Geld zur Verfügung steht?

   Wer darf unter welchen Umständen und nach welcher Methode festlegen, wer in welcher Form welchen Anspruch hat?

   Jede dieser fünf Fragen wird eine Fülle von Detailfragen aufwerfen, die nur unter Einbindung von Sozialversicherungen, Interessens- und Standesvertretungen sowie den Patientenvertretern beantwortet werden können. Um „Geheimdiplomatie“ hintan zu halten, sollten diese in Arbeitsgruppen organisiert werden. Dort sollen dann im durch die Steuerungsgruppe festgelegten Rahmen die Details des neuen Systems maßgeblich bestimmt werden.

   Nach vielen Abstimmungen und Verhandlungen wird die Steuerungsgruppe ein Gesetzeswerk vorlegen, das auf den Antworten aufbaut und das neue System normiert. Dieses Gesetzeswerk ist letztendlich in einer All-Parteien-Einigung im Verfassungsrang zu beschließen.

   So könnte man tatsächlich eine richtige Reform angehen. Allerdings klingt dieser Weg für den gelernten Österreicher so fremd, dass er sicher keine Chance hat. In der Wirklichkeit wird es weitere nicht nachhaltige Reförmchen geben, bis das solidarische Gesundheitssystem endgültig zusammenbricht – und dann wird sich der freie Markt den Gesundheitsbereich zurückerobern

„Wiener Zeitung“ Nr. 108 vom 03.06.2008 

Sand in die Augen der Patienten

Die angedachte Gesundheitsreform wird höhere Steuern und höhere Selbstbehalte bringen. Dass also der Patient davon nichts merken wird, stimmt nicht.

Weiterlesen: Sand in die Augen der Patienten

   Aufgrund der heftigen Debatte um das geplante Reförmchen, kann man davon ausgehen, dass jeder davon weiß. Was man davon halten soll, insbesondere wenn man Patient ist, das wird wohl noch im Nebel liegen.

   Vorweg: Der Versuch, die wirre Situation der Krankenkassen mit den unterschiedlichen Leistungsangeboten und Honorarkatalogen zu bereinigen, ist zu begrüßen. Immerhin ist dieser „Wildwuchs“ aus nur einem österreichweit geltenden Gesetz entstanden und sollte daher nicht zu unterschiedlichen Behandlungen führen. Umso mehr sollte das nicht passieren, als das Kassensystem ein Pflichtsystem ist und der Patient keine Wahlfreiheit hat. Zweifelsfrei ist auch der Vorschlag, mit der Reform mehr Transparenz in das System zu bringen, ein Riesenschritt in die richtige Richtung.

   Trotzdem ist Skepsis angebracht. Das beginnt schon damit, dass die Macht des Hauptverbandes ausgereicht hätte, vieles zu ändern – allein, es ist nicht geschehen! Warum die Umorganisation in eine Holding daran etwas ändern soll, ist schleierhaft. Aber was wirklich zweifeln lässt, dass es um nicht mehr als nur um Macht geht, sind die Aussagen, dass sich für Patienten und Bezahler nichts ändern wird.

   Wer die Unterlagen genau liest, wird verwundert sein, dass die Ausgabensteigerung für Kassenärzte angeblich auf 2 Prozent jährlich gedrückt werden kann. Das ist nicht einmal das, was man durch die Demographie zu erwarten hätte (2,5 Prozent mehr Patienten jährlich!), geschweige denn, den medizinischen Fortschritt abbildet. Wie soll das gehen? Oder rechnet man eine Reduktion der Kassenärzte ein?

Trotz Dementis ist das wahrscheinlich, da man ja Oberösterreich als Richtwert anlegen will. Tut man das, werden österreichweit 10 bis 20 Prozent weniger Kassenärzte zur Verfügung stehen, als heute. Wenn man aber die Zahl der Ärzte auf das oberösterreichische Maß reduziert, dann wird man das sehr wohl merken, sei es, dass die Wartezeiten länger werden oder die Patienten häufiger in Spitalsambulanzen ausweichen. Nur am Rande sei bemerkt, dass der Hauptverband seit Jahren Oberösterreich dafür kritisiert, dass es dort zu wenige Kassenärzte gibt.

   Aber vielleicht will man ja die Patienten in den Wahlarztbereich abdrängen: Es spricht viel dafür. Kommt das Gesetz wie vorgeschlagen, dann wird das ein gigantischer Impuls für Kassenärzte sein, ihre Kassenverträge zurückzulegen und eine Wahlarztordination zu eröffnen. Da gibt es keine Gängelungen, man kann sich die Patienten aussuchen und die Preise selbst festsetzen. Für die Krankenkassen kommt das zudem billiger, weil sie nur 80 Prozent des Tarifs ersetzen müssen. Der Rest muss dann halt selbst bezahlt werden. Das ist aber eine versteckte Erhöhung des Selbstbehalts!

   Apropos Erhöhung der Selbstbehalte: Bei der Aut- idem-Regelung sind diese ebenfalls versteckt. Jeder, der ein Originalmedikament haben will – weil er es nicht besser weiß oder weil er glaubt es sei das bessere -, muss aufzahlen, zusätzlich zu den ohnehin schon hohen Rezeptgebühren, die ja nach offizieller Lesart auch keine Selbstbehalte sondern eben Gebühren sind.

   Und last but not least wird es spannend, wie Wirtschaftskammer – einst Hort wirtschaftlichen Denkens -, Gewerkschaften und Politiker denkenden Menschen klar machen, dass die Milliardenspritze für die Kassen keine „neuen“ Steuern sind.    So ist die Reform vermutlich wenigstens eine Steuererhöhung, wahrscheinlich aber auch eine Selbstbehaltserhöhung und womöglich auch eine Verschlechterung der Versorgung.

„Wiener Zeitung“ Nr. 103 vom 27.05.2008   

Kühle Rechner oder machthungrige Funktionäre?

Die Sozialpartner übernehmen die Macht im Gesundheitssystem – und haben dabei nicht einmal ihr eigenes Geschäft im Griff. Wohin führt das?

Weiterlesen: Kühle Rechner oder machthungrige Funktionäre?

   Wer liest schon ein technokratisches Papier, das von irgendwelchen Vereinen geschrieben wird? Kaum jemand! Mit diesem Kalkül sind wohl auch die Autoren des Reformvorschlags „Zukunftssicherung für die soziale Krankenversicherung“ vorgegangen. Anders ist es nicht zu erklären, da das, was da veröffentlicht wurde, nicht gerade von hoher Kompetenz zeugt. Und trotzdem ist es die Basis einer Reform.

   Nichtsdestotrotz gibt es einige, die sich mit solchen Papieren auseinandersetzen. Dazu gehören unter anderen die Mitglieder der kleinen aber feinen Österreichischen Public Health Gesellschaft. Und es ist nicht verwunderlich, dass diese Kreise, die halt eher denken als plaudern, schon bei Bekanntwerden des oben erwähnten Papiers nur ein Kopfschütteln übrig hatten.

   Da ist einmal eine Darstellung der Finanzströme. Abgesehen davon, dass weder Quellen- oder auch nur Jahresangaben zu finden sind, sind die Zahlen alles andere als schlüssig. Das beginnt damit, dass offenbar alle irgendwie im Vorhinein Geld haben. Steuer- und Beitragszahler, die das Geld bereitstellen, kommen gar nicht vor. Ebenfalls wird nicht dargestellt, wofür das Geld ausgegeben wird, also für Krankenhäuser oder Ärzte etwa. Ausgewiesen wird nur, wie es hin und her geschoben wird. Und siehe da, die dargestellten Institutionen wie Kassen oder Länder schieben das Geld so lange hin und her – wenigstens aus Sicht der Sozialpartner – bis die Länder 4,4 Milliarden Euro Einnahmen ohne Ausgaben haben, während die „armen“ Sozialversicherungen 2,7 Milliarden mehr ausgeben als sie einnehmen.

   Noch skurriler wird es, wenn man all das Hin- und Hergeschiebe summiert, dann werden es alleine durch die Bewegung des (Monopoly)Geldes innerhalb eines Jahres 430 Millionen Euro mehr!? Eigenartige Vermehrung – wird da spekuliert oder einfach falsch gerechnet?

   Doch nicht nur die Zahlen sind unschlüssig. Im Kapitel Spitäler wird festgehalten, dass es im EU-Durchschnitt 17,14 Aufnahmen in Akutkrankenhäusern pro 100 Einwohner gab. Für Österreich lag dieser Wert bei 26,09 und damit um 52 Prozent über dem EU-Schnitt. Soweit so gut. Ein bisschen weiter unten auf derselben Seite liest man dann voll Erstaunen, dass Verlagerungen vom Spitalsbereich in den kassenfinanzierten Bereich stattfinden. Was jetzt? Rein oder raus? Oder beides? Natürlich stimmt das nicht für das Hanusch-Krankenhaus, das einzige Krankenhaus, das von einem Sozialpartner (Wiener Gebietskrankenkasse) betrieben wird. Denn wie man nachlesen kann, entlastet das besagte Krankenhaus – offenbar als einziges Österreichs – das Land Wien in seinem Versorgungsauftrag. Von diesem wird hiefür allerdings nur unzureichend Kostenersatz geleistet. Auch eine einzigartige Situation?

   Wer nun hofft, es gäbe ein ausführlicheres Papier, das dem Ganzen zugrunde liegt, der wird enttäuscht. Es gibt nichts, zumindest nichts, das man als Bürger zu sehen bekäme. Aber all diese Widersprüche sind offenbar vollkommen egal; denn „kreative Buchführung“ scheint ja in „gewerkschaftseigenen“ Einrichtungen nicht unüblich zu sein.

   Und so verwundert es nicht, dass es den ansonsten eher unpolitischen Mitgliedern der oben erwähnten Gesellschaft sogar ein mitleidiges Wort entlockt: „Mir tun der Bundeskanzler und die Frau Minister leid, mit so unklaren Phrasen werden die gefüttert und dürfen dann dafür die Verantwortung übernehmen . . .“ Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gewerkschaft und Wirtschaftskammer doch eher an der Macht als an der Sache interessiert sind.

„Wiener Zeitung“ Nr. 99 vom 20.05.2008