Der Fehler im Gesundheitssystem

Wenn Sie rund um Horn leben, können Sie etwas österreichweit Einzigartiges erleben – eine abgestufte medizinische Akutversorgung. Wie lange noch?

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   Die Waldviertler sind in Fragen der Gesundheitsreform reformfreudiger als andere. Als nach Jahren der Diskussion zwei Spitäler aus der Akut-Versorgung genommen wurden, entstand im Krankenhaus Horn die Frage, ob man nicht Betten aufbauen sollte. Immerhin wurden 70 Betten abgebaut und keiner wusste, ob es zu einer Unterversorgung kommen würde.

   Doch anders als üblich zeigten die Ärzte und regionalen Gesundheitsmanager Courage und ließen sich auf ein Experiment ein. Und so wurden nicht Betten aufgestellt, sondern in Abstimmung mit den niedergelassenen Ärzten ein abgestuftes Versorgungsmodell errichtet. Im Grunde ist die Idee simpel. Quasi zwischen den niedergelassenen Ärzten und dem Krankenhaus wurde eine rund um die Uhr offene ambulante Versorgungseinrichtung aufgebaut. Jeder, der ins Krankenhaus kommt, muss durch diese Einrichtung. Dort sitzen fertig ausgebildete Allgemeinmediziner und versuchen, die Patienten ambulant zu behandeln.

   Etwa 12.000 werden dort pro Jahr versorgt, die Hälfte davon kann ohne stationäre Aufnahme nach Haus gehen. Und siehe da, im Einzugsgebiet des Krankenhauses werden die Menschen jetzt um fast zehn Prozent seltener stationär aufgenommen als vorher, und das bei wenigstens gleicher Versorgungsqualität, hoher Zufriedenheit aller und deutlich geringeren Kosten pro Patient. Eigentlich sollten auch die Finanziers zufrieden sein. Da wird zu günstigeren Preisen jeder zufrieden gestellt.

   Allein: So funktioniert das österreichische System nicht. Denn was passiert da? Dadurch, dass Patienten nicht mehr stationär behandelt werden, fehlen diese im Krankenhaus. Die Finanzierung ist jedoch darauf ausgerichtet, nur für stationäre Patienten zu bezahlen. Ambulante Behandlung wird nur sehr schlecht finanziert. Also fehlen Einnahmen. Das macht den Krankenhausfinanzier unglücklich. Noch unglücklicher wird er, weil er, solange für dieses neue und innovative Versorgungsmodell keine reguläre Finanzierung existiert, dieses aus dem Krankenhausbudget bezahlen muss.

   Auch die Krankenkassen sind unglücklich. Genau genommen ist es ja ihre Aufgabe, die Bevölkerung mit ambulanter ärztlicher Leistung zu versorgen. Auch wenn man bei der fachärztlichen Versorgung seit Jahren streitet, allgemeinmedizinische Versorgung war noch nie Aufgabe der Krankenhäuser. Und das, was da in Horn vorgelebt wird, könnte darauf hindeuten, dass die Versorgung in irgendeiner Form reformbedürftig wäre. Das kann gar nicht sein! Also ist es besser, man tut so, als ob das, was da passiert, nur eine „krankenhausinterne“ Prozessoptimierung ist. Und die Patienten, die dort behandelt werden, wären vorher gar nicht da gewesen, sondern erst durch das Angebot entstanden. Als ob man nur krank wird, wenn ein Arzt in der Nähe ist. Und weil sich also die Mächtigen streiten, droht dieses Modell wieder zu verschwinden. Alles soll beim Alten bleiben, auch wenn es viel teurer ist.

   Bestraft werden in diesem System zwei Gruppen – da wären einmal alle, die Innovative Lösungen umsetzen wollen. Innovation wird nicht gefragt. Und dann sind da natürlich noch die Beitrags- und Steuerzahler, die ja für alles geradestehen „dürfen“. Solange eine Reform solche Probleme nicht löst, solange ist sie nicht als Reform zu bezeichnen. Ob die jetzigen Zentralisierungstendenzen die Sache nicht verschlimmern werden, wird sich erst in Zukunft zeigen. Es ist aber zu erwarten.

„Wiener Zeitung“ Nr. 113 vom 10.06.2008