Wir sind bestens gerüstet für Covid-19

   Wir erleben eine Ausnahmesituation, keinen Normalbetrieb.

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   Stand 25. März, 13 Uhr: Es schaut wirklich gut aus. Die Krankheitsverläufe sind leichter als in anderen Ländern, Spitäler und Intensivabteilungen (noch) „leer“. Aber weil es bei uns aktuell so richtig gut geht, hören wir immer öfter, dass das was mit unserem Gesundheitssystem zu tun hat! Und ja, das stimmt.

   Was wir erleben, ist eine Pandemie einer Infektionskrankheit, die akut verläuft. Für die meisten wird es nicht mehr sein, als sich ein paar Tage „grippig“ zu fühlen, wenn überhaupt (wir wissen nicht, wie oft eine stille Feiung vorkommt). Aber bei relativ wenigen wird das Virus die Lunge derart belasten, dass sie richtig krank sind und zum Arzt müssen. Viele werden in Spitäler kommen und einige davon, vor allem Alte und chronisch Kranke, auch intensiv versorgt werden müssen.

   Das Problem ist, dass relativ wenige absolut sehr viele sein werden. Möglicherweise werden die Spitalsaufnahmen in den nächsten Wochen doppelt oder dreifach so hoch ausfallen wie normalerweise. Doch das wird unser System stemmen!

   Denn unser Gesundheitssystem – und das unterscheidet es von praktisch allen auf der Welt – ist für den Fall einer Pandemie einer akut verlaufenden Infektionskrankheit bestens ausgerichtet.

   Wir haben die höchste Facharztdichte der Welt und daher auch die höchste Zahl an Facharzt-Patienten-Kontakten. Wir haben die meisten Spitalsbetten, die meisten Intensivbetten, die meisten Krankenhausaufnahmen und auch die meisten Rettungshubschrauber. Unser Gesundheitssystem organisiert routiniert alles rund um akute Krankheiten, in struktureller Qualität und Quantität wie sonst nirgends. Wir haben praktisch ein reines Akut-Versorgungssystem, das genau in Fällen wie diesem nicht zu überbieten ist.

   Und weil wir verglichen mit praktisch allen Ländern der Welt aus der Routine heraus schon immer für eine Pandemie „vorbereitet“ waren, auch wenn wir zwischenzeitlich die dafür nötigen Überkapzitäten eben mit unnötigen Behandlungen ausgelastet haben, verführt das jetzt so manchen, das „Österreichische System“ zu loben und zu preisen.

   Doch das ist falsch – denn das, was wir jetzt erleben, ist eine Ausnahmesituation, kein Normalbetrieb. In ein paar Wochen, wenn wieder alles normal ist, wird der typische Patient nicht mehr an einer akuten Krankheit leiden. Er wird wieder Diabetiker sein oder COPD, Herzinsuffizienz oder Bluthochdruck haben oder wegen seines Alters eben multimorbid sein. Und für genau diese Patienten, die keine akute Behandlung, sondern eine lebenslange Versorgung brauchen, haben wir eben kein System. Deswegen haben wir bei Diabetikern die höchste Amputationsrate oder bei COPD-Patienten die höchste Hospitalisierungsrate – weil wir bei allen Patienten eben erst reagieren, wenn sie ein akutes Problem haben, das sie aber nicht haben müssten, wenn unser System sich an chronischen und nicht akuten Krankheiten orientierte. Chronisch Kranken geht es in unserem System echt schlecht.    Aber ich weiß jetzt schon, dass jegliche Neustrukturierung des „Österreichischen Systems“, um chronisch Kranke besser zu versorgen, in den nächsten Jahren mit dem Argument abgeschmettert werden wird, es habe sich doch bestens bewährt – in der Corona-Krise.

„Wiener Zeitung“ vom 26.03.2020  

Das Spiel mit den Milliarden der ÖGK

   Die Österreichische Gesundheitskasse ist seit Anfang 2020 im Amt, der parteipolitische Kampf voll entbrannt.

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   Wie für unser Gesundheitssystem typisch, streiten sich alle nur ums Geld – und hier vor allem um die berühmte Patientenmilliarde. Die war nie klar, schon gar nicht als Umwandlung aus einer Funktionärsmilliarde – es war ein politischer PR-Gag der schwarz-blauen Regierung, den die Politiker nicht mehr los werden. Populismus hat unter Umständen eben auch kurze Beine. Doch was ist jetzt mit den horrenden Defiziten, die angeblich statt dieser Patientenmilliarde eintreten sollen und Beweis dafür sein sollen, dass die Kassenfusion ein Desaster ist? Die sind genauso ein PR-Gag, jetzt halt von der anderen Seite, also der roten, vor allem von der Gewerkschaft.

   Wer sich mit der Gebarungsvorschaurechnung der Krankenkassen (allein das Wort zeigt, aus welcher Epoche das kommt) beschäftigt hat, erkennt, wie „taktisch“ die Rechnungen waren. Sie haben stets einem Verhandlungsziel gegolten, um entweder die Einnahmen (Steuersubventionen) zu erhöhen oder die Ausgaben (Honorare und Medikamentenpreise) zu senken, nie jedoch, um Transparenz herzustellen. Während zwischen 2009 und 2018 von den Kassen kumuliert ein Verlust von 2547 Millionen Euro „vorausgerechnet“ wurde, kam bei der Abrechnung ein kumuliertes Plus von 1674 Millionen Euro heraus – eine Differenz von 4221 Millionen. Besonders krass war das Jahr 2012, da wurde aus einem vorausgerechneten Minus von 737 Millionen in Jahresfrist ein Plus von 181 Millionen!

   Und warum sind all diese Zahlen so herrlich manipulativ einsetzbar? Nun, dass liegt an der Verwendung der absoluten Zahlen; die klingen sehr schnell sehr hoch, auch wenn es nur um wenige Prozent geht. Aktuell macht die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) einen jährlichen Umsatz von etwa 16.000 Millionen Euro – ein einzelnes Prozent sind also schon 160 Millionen.

   Und wenn man dann noch über ein paar Jahre kumuliert, werden die Zahlen noch höher. Und die skandalösen 1700 Millionen Euro Defizit, die die ÖGK bis 2024 angeblich machen wird, klingen halt viel besser, als wenn man von zwei Prozent sprechen würde. Und wer bedenkt, wie sich die Kassen schon bei einer Jahresprognose verrechnen, weiß, dass Fünf-Jahres-Prognosen schlicht Kaffeesudlesen sind, und ein Defizit von zwei Prozent eine statistische Unschärfe sein muss.

   Doch um das ging es ja nicht– es ging darum, der einen populistischen Milliarde eine andere gegenüberzusetzen, um die eigene Klientel glücklich zu stimmen und zu mobilisieren.   

Politisch betrachtet jedoch, war es wohl eine „rote“ Dummheit, diese „Defizite“ so hoch zu rechnen und medial auszuschlachten, dass nun jeder weiß, die ÖGK steht vor einem Milliardendefizit. Denn auch wenn es nichts mit der Realität zu tun hat, wird es der jetzigen Regierung ein Leichtes sein, die Patientenmilliarde, wenn auch nicht wie versprochen bis 2023, so aber doch bis 2024 darzustellen. Denn bereits jetzt kann vorausgesagt werden, dass das Minus der Kassen völlig ohne Leistungskürzungen bis 2024 unter 700 Millionen Euro liegen wird – damit konnte „eine Milliarde im System gespart“ werden! Und es wird niemanden geben, der diesen Mythos brechen kann

„Wiener Zeitung“ vom 27.02.2020 

Regierungsprogramm neu!

   Vor zwei Jahren hatten wir ein Regierungsprogramm, das viel versprach. Jetzt liegt wieder eines vor – ein deutlich mageres.

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   Das alte Regierungsprogramm, von dem viele substanzielle Ideen im Gesundheitsbereich entweder verwässert wurden (einheitlicher Honorar- und Leistungskatalog) oder gestorben sind (Finanzierung von Gesundheit, Vorsorge und Pflege gesamtheitlich betrachten), war quantitativ viel ausführlicher. Diesmal widmen sich gerade einmal 4 Prozent des Regierungsprogramms der Pflege und Gesundheit. Also eher wenig, aber Quantität heißt nicht Qualität – oder doch?

   Redaktionell jedenfalls ist die Qualität schlecht. Was heißt etwa: „Wohnortnahe Versorgung durch Kassenärztinnen und Kinderärzte darf nicht nur in der Stadt, sondern muss auch auf dem Land zugänglich sein“? Will sich die Regierung für Kassenärztinnen (weiblich) und Kinderärzte (männlich und ohne Kassenvertrag) auf dem Land einsetzen? Oder: „Im Medizinstudium wird eine Fachärztin beziehungsweise ein Facharzt für Allgemeinmedizin geschaffen.“ Werden Allgemeinmediziner, wie Zahnärzte, ein eigenes Studium kriegen? Und sind sie unmittelbar nach dem Studium Fachärzte, müssen also keine postpromotionelle Ausbildung – den Turnus – mehr machen?

   Wenn also solche Ungenauigkeiten enthalten sind, ist es nicht unbegründet anzunehmen, dass in dem Programm viele einfach gut klingende, teils seit Jahrzehnten bekannte Lippenbekenntnisse enthalten sind, die nie umgesetzt werden, vor allem dann nicht, wenn das gegen Länder- oder Kammerinteressen nur mit Verfassungsänderungen realisiert werden könnte.

   Doch was wird dann umgesetzt? Eindeutig: die Vermehrung der Arbeitskräfte, und zwar der billigen! Eine Pflegereform kommt nicht, denn das Pflegesystem wird wieder hart vom Gesundheitssystem getrennt. Dem Pflegekräftemangel, der ähnlich dem Ärztemangel nicht an der Zahl der Ausgebildeten (damit liegen wir laut Auswertung der Daten des Pflegeregisters im europäischen Spitzenfeld) festzumachen ist, sondern an deren Unwilligkeit im öffentlichen System zu arbeiten, wird mit mehr Ausbildungsstellen (Pflegelehre) und der Aufnahme aller Pflegeberufe in die Mangelberufsliste, mit dem Ziel; Zuwanderer zu unterstützen (Migrants-Care-Programme), begegnet. Irgendwann wird man dann so viele Migranten haben, dass genug mit dabei sind, die auch unter den jetzigen Arbeitsbedingungen in Pflegeheimen arbeiten wollen.

   Und im Gesundheitsbereich ist eine Ausweitung der Medizinstudienplätze geplant, womit die Zahl der Studenten im „klinisch-praktischen Jahr“ ausgeweitet werden kann. In diesem Zusammenhang steht dann auch „Integration der Inhalte der Basisausbildung (Anm.: gehört heute zur postpromotionellen Ausbildung) um (!) das klinisch-praktische Jahr“ – was, irgendwie danach klingt, als ob das „klinisch-praktische Jahr“ um die neun Monate Basisausbildung verlängert und so die Zahl der „billigen“ Turnusarzt-Ersatzarbeitskräfte vermehrt werden könnte.

   Und dann ist geplant, das Opt-out aus der Spitalsarbeitszeitregelung wieder einzuführen – zurück zur 60-Stunden-Woche! Diese ist zwar nach EU-Recht nur möglich, wenn jeder einzelne Arzt freiwillig zustimmt, aber was heißt schon freiwillig bei Turnusärzten, wenn sie darauf angewiesen sind, einen Ausbildungsplatz zu bekommen?   

So will man (sprich: Länder und Gemeinden) sich also die Systeme weiter leisten, ganz ohne Reformen.

„Wiener Zeitung“ vom 23.01.2020  

Klassenkampf im Kassenkampf

   „Unsere Kasse“ gehört ganz offensichtlich nicht uns, sondern „unseren Kammern“.

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   Eigentlich ist es gut, dass unsere Krankenkasse, die ja jetzt Österreichische Gesundheitskasse heißen wird, sich selbst darstellt. Zu lange hat kaum jemand darüber nachgedacht, was „unsere Kasse“ ist. „Unsere Kasse“ gehört uns, und wir verwalten sie selbst – ohne Einmischung der Politik. Wir wählen aus unseren Reihen einen politikunabhängigen Selbstverwaltungskörper – theoretisch demokratisch! Allerdings weiß das kaum jemand, und noch weniger wissen, wie sie mitstimmen können.

   Seit jeher haben uns paternalistische Politiker die Last der Stimmabgabe abgenommen. Sie nannten das Sozialpartnerschaft. Es sind „unsere Kammern“, die sich wohlwollend um „unsere Kasse“ kümmern: für Unselbständige die Arbeiterkammer, für Selbständige die Wirtschaftskammer. Bei den Kammerwahlen können einige von uns, bei weitem nicht alle, Fraktionen wählen. Kaum jemand wird die FSG oder den Wirtschaftsbund wählen, weil die sich so toll um das Kassensystem kümmern – und doch, es sind die hier siegenden Fraktionen, die dann „ihre“ Vertreter in „unsere Kasse“ entsenden, gerade so, als ob sie Teil des Pflicht-Kammersystems wäre.

   Es ist ganz offensichtlich, dass „unsere Kasse“ nicht uns gehört, sondern „unseren Kammern“, deren Legitimität nicht ohne Grund seit Jahrzehnten hinterfragt wird.

   Und weil eben in „unserer Kasse“ kein Demokratieprinzip besteht und die Kosten zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden, haben sich „unsere Kammern“ die Macht aufgeteilt. Der Streit, ob die Gewichtung der Macht nach der Zahl der Versicherten oder der Kostenaufteilung erfolgen sollte, wurde nur halbherzig geführt – denn würden die Kämmerer über das Demokratieprinzip in „unserer Kasse“ nachdenken, müssten sie Sozialwahlen einführen, also uns erlauben, direkt mitzubestimmen. Doch keiner hat je ernsthaft darüber nachgedacht, Macht und Einfluss der Kammern zu beschränken.

   Die Kassenfusion folgte diesem Prinzip, aber sie bringt neue Abstimmungswege und deutlich verkleinerten Gremien. Und da die Verkleinerung hauptsächlich zu Lasten der AK-Funktionäre ging, sind diese sauer und klagten vor dem VfGH – angeblich, weil sie sich schützend vorn „uns“ stellen wollten, um eine „feindliche Übernahme“ durch „die Wirtschaft“ zu verhindern.

   Der VfGH hat erkannt, dass es keine bedenklichen Machtverschiebungen gibt, sondern die Regierung nur eine neue Organisation durchgeführt hat. Aber weil AK und ÖGB in Ihren Spitzen de facto nicht unparteiisch sind, ist dieser Spruch eine politische Niederlage, nicht nur einfach eine Klarstellung, wie weit Politik sich in „unsere Kasse“ einmischen darf.

   Und so tritt der eigentliche Konflikt offen zu Tage: der Klassenkampf als institutionalisierte Betriebskultur des Kassensystems. Christoph Klein von der AK meinte wörtlich: „In der ÖGK wird eine Minderheit von 160.000 Unternehmern über eine Mehrheit von 7,2 Millionen Versicherte herrschen.“ Und der ÖGB verlangt von der nächsten Regierung, dass den Arbeitnehmern „ihre Kasse“ wieder zurückgegeben wird.

Wir sollten uns unsere Kasse zurückholen – über Sozialwahlen, und ohne kämmerlichen Klassenkampf.

„Wiener Zeitung“ vom 02.01.2020  

Billige Arbeitskräfte in neuen MedUnis

   Der Ruf nach der Verdoppelung der MedUnis wird von standhaft vertretenen alternativen Fakten begleitet.

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   Österreichs MedUnis bilden bezogen auf die Einwohner die meisten Mediziner in Europa aus. Im langjährigen Schnitt bleiben 90 Prozent der inländischen Absolventen (etwa 900) hier und arbeiten als Ärzte. Und auch die ausländischen Absolventen wandern immer seltener ab. Etwa die Hälfte bleibt uns erhalten. Es gibt also keine Massenemigration, wie manche behaupten, eher das Gegenteil. Denn seit einigen Jahren kommen jährlich etwa 500 Ärzte aus dem Ausland neu hinzu. Am Ende sind es 1.600 Ärzte, die jährlich neu in der Ärzteliste eingetragen werden. Demgegenüber stehen etwa 800 Ärzte, die aus dem Beruf ausscheiden. Die Zahl der Ärzte wächst – und das seit Jahrzehnten.

   Nun hört man, es gebe einen Ärztemangel, weil Kassenstellen – und hier vor allem die der Hausärzte – nicht besetzt werden könnten. Aber das ist halt auch falsch. Es gibt etwa 4.000 Kassen-Hausärzte; demgegenüber gibt es mehr als 3.000 Hausärzte, die meisten unter 55 Jahre alt, die eine Wahlarzt-Ordination betreiben, 2.000 leben ausschließlich von ihr. Diese Wahlärzte wollen einfach keinen Kassenvertrag. Ähnliches gilt auch bei den Fachärzten. Da einen generellen Ärztemangel hineinzuinterpretieren, ist schlicht Realitätsverweigerung.

   Bei der Forderung der Länder nach der Verdoppelung der MedUnis kann der akute „Hausärztemangel“ nur vorgeschoben sein – das müssen sogar sie selbst erkennen, ist doch frühesten 2035 mit fertigen Ärzten aus diesen neuen Unis zu rechnen. Und wenn es nur darum ginge, die enttäuschten Eltern und Großeltern der Kinder zu beruhigen, die keinen Studienplatz gekriegt haben, würden sie das nicht so beharrlich fordern. Doch da gibt es noch andere Motive.

   Das Arbeitszeitgesetz für Spitalärzte aus dem Jahr 2015 wird eingehalten und führt zur Arbeitszeitreduktion von bis zu 20 Prozent. Da die Arbeitsdichte vor 2015 schon recht hoch war (in der Arzt-Patienten-Relation gehört Österreich zu Europas „produktivsten“ Staaten), müsste eigentlich die Zahl der Ärzte entsprechend gestiegen oder aber die Belastung gesunken sein (weniger Patienten). Das ist aber nicht der Fall. Die Zahl der Ärzte stieg bis 2018 um lediglich 6 Prozent, und die Belastung blieb gleich. Es kam zur Arbeitsverdichtung – oder?

   Was völlig übersehen wird: Es gibt neue „Mitarbeiter“, die in Statistiken nicht auftauchen und zu allem Möglichen eingesetzt werden können – nämlich die Studenten im Klinisch-Praktischen Jahr, die sogenannten KPJler. Bis zu 1.500 gibt es jedes Jahr – neu. Und weil sie oft Tätigkeiten der „alten“ Turnusärzte übernehmen (Papierkram, Blutabnahmen, Infusionen, etc.), federn sie einiges ab. Um die Lücke zu füllen, bräuchte es jedoch rund 3.000.

   Und plötzlich versteht man die Begehrlichkeit der Länder nach Verdoppelung der Studienplätze.

   Denn mit mehr KPJlern kann man nicht nur Spitalpersonal praktisch zum Nulltarif entlasten, mehr noch, man erhält auch viele hunderte Millionen Euro zusätzlich vom Bund für die ländlichen Spitalspielplätze – weil sich die bundesfinanzierten MedUnis ja in bestehenden Spitälern einmieten müssen und die Miete von den Ländern de facto selbst festgelegt wird. gastkommentar@wienerzeitung.at

„Wiener Zeitung“ vom 28.11.2019 

Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld

   Das Wiener KH Nord, das gern als modernstes Spital Europas, ja der Welt gepriesen wird, hat diese Attribute nicht verdient. Im Grunde ist es ein einfaches „Provinzspital“ ohne sonderlich aufwendige Ausstattung, das schlicht viel zu teuer errichtet wurde und dessen Errichtung viel zu lange gedauert hat.

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Daraus ist ein Investitionsrückstau entstanden. Etwa im vor sich hin bröselnden Wilhelminenspital, dessen nun abgesagter Neubau längst hätte beginnen müssen und das nur noch durch Fotos, die es in die Medien schaffen, auffällt.

   Selbst in einer Schmalspurvariante stehen im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) 2,7 Milliarden Euro an Investitionen an, hunderte Millionen mehr als erwartet. Genau da liegt das Problem: Das Geld ist nicht da.

   Und so müssen sich Wiens Politiker etwas einfallen lassen.

   Wiens Spitäler sind sehr teuer – zwar nicht so sehr im patientennahen Bereichen, sondern vor allem in den patientenfernen, nicht-medizinischen. Dort fallen die österreichweit höchsten Personal- und Sachkosten an. Dort könnte man sparen. Könnte man, wenn man sich mit Gewerkschaften und Netzwerken anlegte. Vor Wien-Wahlen und gerade jetzt ist das keine Option fürs „rote“ Wien.

   Also Einnahmen erhöhen!

   Und das geht über Gastpatienten, die in einem anderen Bundesland behandelt werden, als sie wohnen. Seit 1997 harrt deren Finanzierung einer sinnvollen Lösung. Nach wie vor gibt es das damals eingeführte Provisorium über den Finanzausgleich. Dort wird verhandelt, wie der bundesweite Spitalsfinanzierungstopf auf die Länder verteilt wird. Und weil Wien viele Gastpatienten versorgt, erhält es mehr Geld, als es die Einwohnerzahl rechtfertigen würde. Und mangels anderer, patientenorientierter Lösungen ist es leicht, hier Gerüchte zu lancieren.

   Denn weder steigt die Zahl der Gastpatienten, noch lässt sich eine Kostensteigerung bei diesen ableiten. Es kommt also nicht wie gerne verkündet zu einer Steigerung von vor allem teuren Patienten. Und trotzdem wird gerade das behauptet. Vor allem das „schwarze“ Niederösterreich (nicht aber das „rote“ Burgenland) verdränge ungebührlich teure Patienten nach Wien, heißt es.

   Früher gab es solche Behauptungen nicht. Da gab es die Schiene Erwin Pröll/Michael Häupl, die das nicht zugelassen hat. Jetzt aber gibt es neue Spitzen in den beiden Bundesländern, und da dürfte das Klima anders sein. Wien bringt sich in Stellung, beim nächsten Finanzausgleich will es mehr. Dazu wird mobilisiert.

   Und das geht aktuell ganz leicht. Einerseits ist Wien-Bashing in den Bundesländern üblich geworden, Wien kann daher leicht in eine Opferrolle schlüpfen. Und zudem ziehen die Politiker damit die Ärztekammer an sich, statt sie gegen sich zu haben. Denn die Ärzte stöhnen nach der Arbeitszeitverkürzung unter einer enormen Arbeitsverdichtung. Anders als kolportiert, ist die Zahl der Ärzte nicht derart gestiegen, dass die Zahl der Patienten pro Arzt nach der Arbeitszeitreform gleichgeblieben wäre. Nein, sie ist gestiegen! Daher wünschen sich die Ärzte weniger Patienten und liefern den Politiker auch noch beweisende Anekdoten.

   Ja, so geht Politik

„Wiener Zeitung“ vom 24.10.2019  

Mehr MedUnis braucht das Land – viel mehr

   Auf den ersten Blick ist nicht klar, was da passiert. Denn Österreichs MedUnis bilden, bezogen auf die Einwohner, die meisten Mediziner in Europa aus.

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Es sieht zwar in den offiziellen OECD-Statistiken so aus, als ob die Zahl der Absolventen sinke, das ist aber nur darauf zurückzuführen, dass dort nur Inländer der öffentlichen Universitäten zählen. So was macht halt sonst keiner. Aber selbst mit dieser Einschränkung kommen wir auf 13,4 Absolventen pro 100.000 Einwohner und liegen damit über dem EU-Schnitt (12,7). Zählen wir die Ausländer dazu, steigt die Zahl auf etwa 18; zählt man noch Privatunis und die neue MedUni in Linz dazu, sind es demnächst 22 Absolventen pro 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland sind es aktuell gerade einmal 11.

   Setzt man die Zahl der inländischen Absolventen in Relation zu den inländischen Turnusärzten, dann ist es erstaunlich, dass im 15-Jahres-Schnitt 90 Prozent von ihnen nicht auswandern oder der Medizin den Rücken kehren, sondern hierbleiben und als Ärzte arbeiten. Und auch die Ausländer wandern immer seltener ab. So genau wissen wir das zwar nicht, da aber deren Plätze begrenzt sind, sollten pro Jahr etwa 300 Ausländer hier promovieren. Und siehe da: 150 bis 200 bleiben. Es ist also keine Massenemigration zu sehen und schon gar nicht die immer wieder genannten ominösen 40 Prozent. Und weil sogar ausländische Absolventen immigrieren, kommt am Ende ein Nullsummenspiel heraus.

   Vielleicht brauchen wir trotzdem mehr Absolventen, weil so viele Hausärzte in Pension gehen? Betrachtet man aber die Allgemeinmediziner mit eigener Ordination, findet man tausende außerhalb des Kassensystems, vor allem bei den unter 50-Jährigen. Die wollen offenbar keine Kassenärzte werden. Würden mehr Absolventen nicht einfach die Zahl der Wahlärzte vergrößern? Warum also wird eine Verdoppelung der Studienplätze gefordert, um dem „Hausärztemangel“ zu begegnen?

   Einmal abgesehen davon, dass frühestens 2035 mit fertigen Ärzten aus den neuen Unis zu rechnen ist – also dann, wenn die so bedrohlich aufgeputschte Pensionierungswelle längst verebbt sein wird –, muss es doch was anderes geben, was Politiker antreibt. Warum also?

   7546 oder 40 Prozent aller österreichischen AHS-Maturanten nahmen am Medizinaufnahmetest teil, nur 1260 erhielten einen Studienplatz. Daher sind etwa 13.000 Eltern und sicher noch einmal so viele Großeltern enttäuscht. Was machen die jetzt? Sie wenden sich an Bürgermeister oder Landehauptleute und jammern – von wegen Ärztemangel etc. – und so kommen rund um die Zusendung der Testergebnisse Mitte September endlose Telefonate zustande, die dann in einer politischen Reaktion münden: 2016 forderte Norbert Darabos „nur“ 1000 zusätzliche Plätze, diesmal will Johanna Mikl-Leitner gleich 1700 Plätze.

   Meist vergeht das vorbei, diesmal aber sind wahlwerbende Bundespolitiker in den Ring gestiegen. Und das heißt wohl, dass es demnächst neue MedUnis geben wird. Egal, was die Fakten sagen.

„Wiener Zeitung“ vom 26.09.2019 

Pflegkräftemangel -Mythos

(Lesezeit 10 Min) Die Meldung kam für alle überraschend. Laut den ersten offiziellen Daten des Pflegeregisters, sind 141.096 Personen in einem Gesundheits- und Krankenpflegeberuf ausgebildet. Dazu zählen Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege, Pflegefachassistenz und Pflegeassistenz. Diese Zahl ist erstaunlich hoch, und passt gar nicht in das Bild, das die Politik seit Jahren zeichnet.

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Der planwirtschaftliche Unternehmer und seine Büros

   2011 gab es laut Alois Stöger die „größte Strukturreform seit Jahrzehnten“: die „Ärzte-GmbH“ – eine Totgeburt. Das Gesetz, das den Ärzten das Anstellen von Ärzten erlauben soll, ist eine ebensolche.

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   Die Gründung von GmbHs war, dank absurder Kompromisse, völlig unattraktiv. Heftig diskutiert wurde, ob es möglich sein soll, dass Ärzte Ärzte anstellen.

Kassenfunktionäre hatten Angst, der anstellende Arzt geht golfen, während seine angestellten Ärzte arbeiten. Ärztekammerfunktionäre waren sich nicht sicher, weil die Grenzen zwischen Ordination mit angestellten Ärzten und Krankenanstalt in der Form eines selbständigen Ambulatoriums unklar sind. Letztere werden seit jeher bekämpft, weil sie der Wirtschaftskammer unterstellt sind und über Einzelverträge außerhalb des Gesamtvertrages stehen – also die Ärztekammer keinerlei Macht darüber hat. Dazu kommt, dass sich so mancher Arzt in seiner Kassenordination dauerhaft von anderen Ärzten vertreten lässt. Diese Dauervertretung ist heikel, weil das eigentlich Scheinselbständigkeit ist und Vertreter angestellt werden müssten, was aber eben einem Ordinationsbesitzer nicht erlaubt, sondern Krankenanstalten vorbehalten ist, die aber bekämpft werden.

Wie würde sich eine Anstellungsoption da auswirken? Also wurde diese sicherheitshalber nicht eingeführt. Im Grunde hat sich nichts geändert, deswegen war die Novelle des Ärztegesetzes Anfang 2019, die erlaubt, dass Ärzte Ärzte anstellen, irgendwie ein echter Reformschritt – dachte ich. Ich habe sogar darüber hinweggesehen, dass die Ärztekammer nun gesetzlich festhalten ließ, dass Vertretungsärzte, egal wie sehr sie weisungs-, orts- und zeitgebunden sind, also Attribute der Anstellung aufweisen, immer freiberuflich arbeiten. Das schafft Rechtssicherheit für die, die nebenbei eine Privatordi in der Schweiz oder einen Präsidentenjob in der Kammer haben und ihre Kassenordi jemand anderem überlassen.

Jetzt aber, wo die Details zur „Reform“ offenbar werden, ist klar, dass von der Idee, über den Ausbau der ambulanten Arbeitskraft vor allem die Hausarztebene zu stärken, nichts geblieben ist. Umgerechnet auf Einwohner, arbeiten in dieser Ebene in England fast doppelt so viele Hausärzte und gleich fünfmal so viele Pflegekräfte. Wir könnten also kräftig investieren – doch, würden wir das tun, käme es zu dramatischen Patienten-Rückgängen in Ambulanzen und Spitälern (aber auch bei Fachärzten). Und das wollen die Kassen verhindern.

Denn ein ins Spital (oder zum Wahlarzt) verdrängter Patient kostet kaum etwas, jeder, der beim Hausarzt versorgt wird, kostet viel mehr. Daher darf man Hausärzten keinesfalls erlauben, einfach so Ärzte anzustellen. Die „Reform“ sieht daher vor, dass die Anstellung eines Mitarbeiters nicht Sache des Unternehmers, sondern der Kasse und Kammer ist. Deren Büros planen, wo Ärzte gebraucht werden. Wird mehr als einer gebraucht, darf ein Arzt einen anderen anstellen: Teilzeit und befristet. Wenn die Büros meinen, es braucht keinen zweiten mehr, nehmen sie den einfach weg – Kammer- und Kassenfunktionäre behalten ihre Macht, spielen Planwirtschaft und reden vom freien Arzt. Analog den Ärzte-GmbHs wird diese Reform, die allerhöchstens einigen wenigen Funktionären nutzen wird, daher tot geboren.

„Wiener Zeitung“ vom 05.09.2019 

Pflegkräftemangel – ein Mythos?

   Österreich hat die zweitmeisten Pflegkräfte in der EU – Trotzdem herrscht ein Mangel.

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   Lange schon hören wir, es gibt zu wenige Pflegekräfte und es wird immer schwerer solche zu finden. Ebenso lange wird mit einer OECD-Statistik argumentiert, in der wir nur acht Pflegekräfte auf 1000 Einwohner haben, und damit im EU-weiten Vergleich in der unteren Hälfte liegen; und ebenso lange wird die Fußnote dieser Statistik ignoriert: dort steht, dass Österreich (neben Griechenland) nur die Spitals-Pflegekräfte meldet. Dass das so ist, hing damit zusammen, dass nie irgendwelche Daten erhoben wurden. Wieviele Personen eigentlich in der Pflege arbeiten, schien niemanden wirklich zu interessieren.

   Nach zwei Jahrzehnten Diskussion hat sich die Politik dann doch durchringen können, auch bei uns ein Pflegeregister einzurichten. Ein Jahr lang war Einschreibefrist, die Einschreibung für alle Pflegekräfte obligatorisch. Am 30. Juni lief die Frist aus und am 1. Juli wurden die Ergebnisse präsentiert.

Leider war da niemand mehr aufnahmefähig; die Regierung gesprengt, Ibiza in aller Munde und die Schulferien hatten begonnen. Und wenn dann das Ergebnis auch so gar nicht in das politische Bild des „Pflegenotstands“ passt, darf man sich nicht wundern, dass sich weiter niemand dafür interessiert.

   Denn wie schaut es aus? 141.000 Pflegekräfte (Diplomierte Pflege, Pflegefachassistenz und Pflegeassistenz) sind nun registriert. Legt man diese Zahl auf 1000 Einwohner um – so wie es die OECD macht –, erleben wir erstaunlicherweise, dass Österreich, nach Norwegen, die meisten Pflegekräfte hat. Verglichen mit der EU (8,4) schwimmen wir mit 15,9 pro 1000 Einwohner geradezu in Pflegekräften.   

Doch wo sind die? Zieht man die wenigen Publikationen zu dem Thema zurate (Wirtschaftsforschungsinstitut und Arbeiterkammer haben um die Jahreswende dazu publiziert), ergibt sich folgendes Bild: In Spitälern und Rehazentren arbeiten fast 70.000 (30 Prozent davon Teilzeit), in Pflegeheimen fast 31.000 (40 Prozent davon Teilzeit) und bei den mobilen Diensten fast 11.000 (85 Prozent davon Teilzeit). Zusammen ergibt das aber nur 111.000 Pflegekräfte (ohne Betreuungskräfte wie die 24-Stundenbetreuung), also um etwa 30.000 Personen weniger, als registriert. Bedenkt man nun, dass da und dort in Arztordinationen und Ambulatorien, in Krankenpflegeschulen und 24-Stunden-Betreuungsvereinen Pflegekräfte arbeiten, bleiben trotzdem zehntausende übrig, von denen niemand weiß wo und was sie arbeiten, nur dass sie das, ähnlich dem Wahlarztsektor, nicht im öffentlichen Versorgungssystem tun.

Der Zug in Richtung Privatversorgung ist also auch in der Pflege angekommen und führt, wie bei den Ärzten, dort zu Engpässen, wo die Arbeitsplatzattraktivität durch die öffentliche Hand geregelt wird. Und gleich noch eine Analogie findet man: dem angeblichen Ärztemangel wollen Politiker mit mehr Medizin-Absolventen begegnen, dem Pflegemangel mit der Pflegelehre – es soll also mehr Personen geben, noch mehr, dann wird alles gut – oder so! Wer mit Ressourcen nicht umgehen kann, wird nie genug davon haben, das mag eine Weisheit außerhalb der politischen Elfenbeintürme sein, innerhalb ist sie es nicht

„Wiener Zeitung“ vom 09.08.2019