Die Tücken der Vereinfachung in der Pandemie

   Komplexes lässt sich nicht linear erklären, schon gar nicht mit einem einzelnen Surrogat-Parameter.

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   In der Versorgungswissenschaft, jenem Teilgebiet der Gesundheitsökonomie, das sich damit beschäftigt, ob der richtige Patient zur richtigen Zeit die richtige Therapie erhält, ist es normal, Daten heranzuziehen, die nichts mit dem einzelnen Patienten zu tun haben, sondern nur indirekt auf ihn schließen lassen – es werden Surrogat-Parameter gemessen. Das klingt komplizierter, als es ist. Beispiel: Um die Energie eines Photons zu messen, sind aufwendige Experimente nötig. In der Praxis ist das unmöglich. Daher werden andere Parameter gesucht, die leicht zu erheben sind und höchstwahrscheinlich auch zur richtigen Antwort führen. Etwa die Farbe des Lichts, als Surrogat-Parameter für die Frequenz des Photons.

   Surrogat-Parameter sind leicht erhebbar und sollen, sofern die dahinterliegende Hypothese plausibel ist, eine gute Annäherung liefern. Will man wissen, wie viele Diabetiker es gibt, kann man zum Beispiel den Taillenumfang messen – ein sehr leicht zu messender Parameter mit erstaunlicher Aussagekraft. Oder man schätzt anhand der Kraft des Händedrucks die Gebrechlichkeit ab, anhand des Blutdrucks das Schlaganfall-Risiko, anhand der Cholesterinwerte das Herzinfarkt-Risiko etc.

   Doch solche Surrogat-Parameter sind trickreich. Wenn nämlich in der Hypothese ein Fehler vorliegt, hat man schnell völlig falsche Aussagen. Nehmen wir den Intelligenzquotienten, einen sehr aufwendig zu erhebenden Parameter. Erstaunlicherweise geht der IQ mit der Schuhgröße einher – je größer die Füße, desto höher der IQ. Und weil Schuhgrößen leichter erhebbar sind, brauchen wir also nur die Schuhgröße zu messen – oder?

   Nein, denn die Hypothese ist falsch. Das Alter und die damit verbundene sprachliche Kompetenz führen dazu, dass man, den gleichen Test vorausgesetzt, immer „gescheiter“ wird. Die Schuhgröße ist also ein Surrogat-Parameter für das Alter – und wenn man zweimal ums Eck schaut, summiert sich in der Praxis, die immer komplex ist, der Fehler, und man kommt zu falschen Schlüssen.

   Genau das passiert gerade beim Messen der Corona-Müdigkeit mithilfe von Mobiltelefondaten. Diese Daten zeigen, dass wir uns mehr bewegen als im Frühjahr 2020 – mehr eigentlich nicht. Doch Medien und Politiker machen daraus klare und einfache Aussagen: Die Mobilität sinkt nicht so stark wie im Frühjahr 2020, also halten sich die Menschen nicht an die Vorschriften, deswegen sinken die Infektionszahlen nicht rasch genug, deswegen müssen die Vorschriften verschärft werden.

   Der allgemeine Wunsch, Komplexes möglichst einfach zu erklären und so Schuld und damit Kausalität zuzuweisen, ist verständlich – er darf aber nicht davon ablenken, dass solche Erklärungen nichts Wahres in sich tragen müssen.

   Denn was passiert, wenn wir unterstellen, dass diese Daten nur widerspiegeln, dass wir viel häufiger Spazieren gehen – was wir ja sollten? Dass also Mobilität, gemessen über Mobiltelefondaten, eigentlich etwas Richtiges wäre? Dann wäre der Ruf nach verschärften Vorschriften plötzlich völlig falsch, und die Politik müssten eine andere Antwort finden, warum die Corona-Zahlen nicht sinken.

„Wiener Zeitung“ vom 28.01.2021 

E-Impfpass kommt früher – er könnte längst da sein

   Manches dauert in Österreich, bis es kommt. Aber es kommt. Vielleicht.

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   Es musste also erst eine Pandemie kommen, damit tatsächlich etwas weitergeht. Die bevorstehenden Corona-Impfungen sowie die bereits laufenden Influenza-Impfungen werden nämlich als Grund genannt, die Einführung des elektronischen Impfpasses vorzuziehen. Seit Ende Oktober laufen dazu erste Pilotprojekte.

   Es hat ja nur 15 Jahre gedauert. Genauso lange haben wir nämlich die E-Card, die im Dezember 2005 den Krankenschein ablöste. Eine tolle Innovation, keine Frage. Bloß könnte man die vielen versprochenen Möglichkeiten schon lange ausschöpfen. Der archäologische Befund zeigt: Die Krankenkassen luden am 8. April 2008 zum Pressegespräch „Alle Impfungen auf einen Klick – mit dem elektronischen Impfpaß“ (sic!). Laut GfK-Umfrage waren damals 64 Prozent der Bevölkerung für eine automatische Verbindung von Impfpass und E-Card. Aber gut Ding will Weile haben, und was sind schon knapp 13 Jahre?

   Detail am Rande: Ursprünglich hatte in Wien der Gesundheitsstadtrat den E-Impfpass schon für 2020 versprochen. Der Gesundheitsminister lobte nun diesen Freitag das Tempo der Regierung, denn „man hatte ja vor kurzem noch davon geträumt, ihn 2030 einzuführen“.

   Wien startete übrigens im September 2003 – vor bloß 17 Jahren – ein Service, das via E-Mail an fällige Impfungen erinnerte. Das Ganze wurde halt irgendwann wieder still und heimlich abgestellt. Vielleicht war der Datenschutz schuld oder waren Haftungsfragen ungeklärt – oder bei der MA 15 ist bloß der zuständige Beamte in Pension gegangen. Oder aber man wollte dem Bürger einfach nicht zumuten, Impfungen selbst im System einzutragen, weil der so viel Verantwortung gar nicht selbst tragen kann.

   Die Elektronische Gesundheitsakte (Elga) lässt solche Eigenverantwortungsflausen erst gar nicht aufkommen. Eingespielt wird nur, was die Systemverantwortlichen wollen. So berichtet ein verärgerter Bandscheibenpatient, der angesichts zweier OPs seine alten Befunde einscannen und hochladen wollte, um sich beim nächsten Gang zum Arzt Mühen zu ersparen, dass ihm beschieden wurde: Rückwirkend wird ins System gar nichts aufgenommen. Aber auch akut wird offenbar ausgesiebt: Selbst sein aktueller MR-Befund wurde nicht in die Elga eingespielt. Dafür hat er vom Institut die Bilder digital mitbekommen – inklusive Abspielsoftware.

   Aber was erwartet man in einem Land, in dem mitunter im selben Spital die eine Abteilung nicht die Daten eines Patienten einer anderen abrufen kann? (Wahrscheinlich schlägt auch hier der Datenschutz zu.) Und in dem Ärzte auf die Barrikaden gegen Elga steigen, damit bloß keiner mitlesen kann. Vor den Patienten ist das System sowieso sicher – oder haben Sie schon einmal versucht, sich selbständig einzuloggen? Viel Spaß dabei.    Der Spaß hört allerdings auf, wenn es um Leben und Tod geht. So wie bei einem Fünfjährigen, der voriges Jahr nach einer Mandeloperation verblutet ist. Dessen Vater glaubt, die OP hätte womöglich gar nicht erst stattgefunden, hätte man im Spital bei der Indikationsstellung einen Blick in die Krankenakten bei Haus- und Kinderarzt werfen können. Denn laut denen waren die Mandeln vielleicht gar nicht oft genug entzündet, um die Tonsillotomie zu rechtfertigen.

„Wiener Zeitung“ vom 24.12.2020  

Der Harte und der Weiche – was vom Verstand blieb

   An wem orientiert sich die Regierung im Corona-Management? An politisch Nahestehenden? Nach unten? Offenbar nicht an der Wissenschaft.

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   Der harte Lockdown – inklusive Schulschließungen und Ausgangsverbot – ist nun den zehnten Tag in Kraft. Er war dringend nötig, sagt man uns, und appelliert an unseren Verstand. Er, der „Harte“, hieß es, solle zweieinhalb Wochen dauern und am 7. Dezember null Uhr vorbei sein. Das wären 20 volle Tage – warum das zweieinhalb Wochen sein sollen, ist so jetzt nicht leicht verständlich. Und wenn die Schulen schon alle zu sein müssen, warum dann nicht bis 9. Dezember – ist doch der 8. Dezember ein Feier- und der Montag daher ein Zwickeltag.

   Oder geht es um den 8. Dezember als Einkaufstag? Das wäre vernünftig, dem Handel geht es schlecht. Aber die Argumente sind andere – und überhaupt, die Erzählung von den zweieinhalb Wochen wäre obsolet.

   Aber warum kommt der „Harte“ überhaupt? Na, weil der „Weiche“ zu wenig gewirkt habe, sagt man uns. Zwar konnte am Tag der (inoffiziellen – also via Medien gespielten) Verkündigung des „Harten“ das noch gar niemand wissen, weil da der „Weiche“ erst neun Tage alt war; aber das versteht ja eh keiner. Und unser Kanzler ist überzeugt, dass nur ein „Harter“ wirkt – und er eigentlich schon viel früher einen „Harten“ haben wollte, so einen wie in Tschechien oder Israel.

   Klar liegt die Reproduktionszahl bereits jetzt unter 1 und die Sieben-Tage-Inzidenz in jenem Bereich, von dem vor einigen Wochen gesagt wurde, dass das Contact-Tracing noch funktioniere (was man nicht verstehen muss) – also sind all jene Ziele, die der „Harte“ bringen soll, schon erreicht – durch den „Weichen“.

   Das ist praktisch. Denn dank mangelnder Aufklärung durch den Boulevard und der Verbreitung von Fake-News (das meine ich genau so, wenn ich an die unerwartet „explodierenden“ Fallzahlen denke) kann der ganze Erfolg auf den „Harten“ verbucht werden. Dass der erst um den 1. Dezember sichtbar werden kann, darum geht es nicht – denn wer versteht das schon?

   Es geht um Erzählungen. Und so erzählt unser Kanzler geradeheraus, dass Israel sein Vorbild ist. Der dortige Erfolg ist zwar objektiv bescheiden, aber das versteht keiner. Verstehen sollen wir, dass Bibi Netanjahu, so nennt ihn der Kanzler liebevoll, bereits im Frühjahr meinte, es werde ein Auf-Zu-Auf-Zu werden – eine zweite oder dritte Welle sei nicht zu verhindern. Das war halt so ein Geheimding zwischen Kanzler und Premier, von dem wir erst jetzt wissen dürfen. Bisher galt: Keine zweite Welle!

   Aber irgendwie reicht der „Harte“ nicht. Deshalb wird was Neues aus dem Hut gezaubert – so groß und so wichtig, dass es von allem, auch vom Terroranschlag samt BVT-Versagen, ablenken wird: Massentests à la Slowakei. Auch dort wieder so eine rechtspopulistische Regierung mit Showpotenzial. Was, wenn man diese beiden Maßnahmen – harter Lockdown und Massentests – verknüpft? Ein garantierter Riesenerfolg. Ja, und warum soll man sich anschauen, wie Dänemark, Deutschland oder gar Finnland die Krise meistert? Weil die dortigen Regierungen weniger rechtspopulistisch sind? Oder wie muss ich das verstehen?

„Wiener Zeitung“ vom 26.11.2020 

Wer kennt die „3 Cs“ oder die „3 G“?

    Verhaltensvorschriften führen nicht automatisch zu deren Verständnis und damit auch nicht zur automatischen Befolgung – Surprise!

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   Ich habe einen Hund, mit dem muss ich täglich mehrfach Gassi gehen. Dabei treffe ich unterschiedliche Menschen, mit denen ich ins Gespräch komme. Seit Monaten habe ich mir zur Aufgabe gemacht, nachzufragen, ob sie die „3 Cs“ kennen. Um sicher zu sein, dass ich mein Gegenüber nicht überfordere, frage ich seit einiger Zeit auch nach den deutschen Geschwistern, den „3 G“. Ich habe noch keinen getroffen, der damit etwas anfangen konnte.

   Gut, das sind allesamt Menschen weit weg von Gesundheitswesen, Gesundheitspolitik und Krisenmanagement. Sie wurden eben von der Kommunikation noch nicht erreicht. Aber ich befrage auch meine Studenten, 18- bis 21-jährige junge Menschen mit dem Wunsch, Arzt zu werden. Und die sollten doch schon etwas davon gehört haben – aber auch hier: unbekannt. Ja, selbst aktive Spitalsmitarbeiter – von Ärzten bis zu Schreibkräften – können damit nichts anfangen: Noch nie gehört – das ist der Konsens!

   Da die „3 Cs“ oder „3 G“ keiner kennt, sie also eben nicht als Eselsbrücke dienen können, auch wenn das so gedacht war, frage ich nach, ob sie denn schon etwas gehört hätten von den zu vermeidenden Risikosituationen, in denen eine Corona-Infektion höher wahrscheinlich ist, und führe dann aus: G eschlossene (C losed), schlecht belüftete Räume, in denen G edränge herrscht (C rowd) und laute G espräche (C onversation) geführt werden, sind eben die zu vermeidenden Risikosituationen, weil das Zusammentreffen der „3 Cs“ oder „3 G“ Superspreader-Ereignisse beziehungsweise Cluster möglich macht. Doch selbst mit dieser Hilfe erinnert sich keiner, jemals davon gehört zu haben – keiner!

   Dabei wurden die „3 Cs“ bereits im März als wissenschaftlich valide Empfehlung international ausgesprochen. Ende August wurden die „3 Cs“ dann vom Robert Koch Institut eingedeutscht („3 G“) und wären spätestens dann auch hierzulande zu kommunizieren gewesen. Aber niemand tat es. Stattdessen gibt es Verhaltensvorschriften, Verordnungen und Strafandrohungen. Und die zeigen Wirkung. Denn die meisten, die ich frage, wissen, wo sie einen MNS tragen müssen. Und jeder sagt ganz klar, dass die Maske Infektionen vermeiden könne.

   Alleine, dieses Wissen ist allerhöchstens Halbwissen. Denn in den Daten kann man das (wenigstens) in Österreich nicht ablesen. Mehr noch, wenn ich populistisch sein wollte, verstärkt eine Maskenpflicht das Infektionsgeschehen sogar, weil jedes Mal, mit 14 Tagen Verzögerung, ein Anstieg der Reproduktionszahl und kein Sinken zu beobachten war.

   Das Wissen um eine Vorschrift führt nicht automatisch dazu, dass diese auch verstanden wird. Und dann wird deren Befolgung zur lästigen Pflicht, die, sobald niemand zusieht, eben außen vor ist. So ist Österreich im Gleichschritt mit den anderen populistisch agierenden „smarten“ Ländern Israel und Tschechien, die zuerst die strengsten und härtesten waren, dann am frühesten lockerten und dazwischen immer wieder einmal einen symbolischen Akt setzten – und der Shutdown wird unvermeidbar.

„Wiener Zeitung“ vom 29.10.2020  

Völlige Verwirrung – der stabilste Weggefährte

   Ein weiterer ständiger Begleiter dieser Pandemie ist die gegenseitige Schuldzuweisung, wer für Verwirrung gesorgt hat.

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   Das Verwirrspiel begann früh: Als Ende April die Maßnahmen verschärft wurden, weil bald jeder jemanden kennen würde, der an Covid-19 gestorben wäre, löste die erste Kluft zwischen Wissenschaft und Politik Irritation aus.

   Dann die Diskussion über Kinder als Superspreader: Seit der ersten Clusteranalyse und im Einklang mit wissenschaftlicher Literatur war klar: Kindergärten und Volksschulen spielen keine Rolle im Infektionsgeschehen. Doch erst jetzt traut sich ein Minister, das öffentlich zu sagen. Vermutlich hat sich der Irrglaube an infektiöse Kinder verfestigt. Denn er wurde monatelang politisch bestärkt, weil Meinungsumfragen ergaben, dass die Bevölkerung das glaubt und glauben will: Also Kindergärten und Volksschulen schließen. Warum sollte man über unpopuläre Fakten aufklären, wenn man populäre Alternativen bedienen kann?

   Dann die Wiedereinführung der Maskenpflicht in Supermärkten: Grund war eine Meinungsumfrage! Die Mehrheit hatte Angst, sich dort anzustecken. Das zeigte, wie wenig das Wissen über richtiges und falsches Verhalten verbreitet ist – wenn es da wäre, hätte keiner oder wenigstens nicht die Mehrheit der Wähler nach Masken gerufen. Supermärkte sind unbedeutend im Ansteckungsgeschehen, weil wir dort kein Risikoverhalten an den Tag legen.

   Und jetzt die Ampel: Eigentlich sollte sie die regionale Bevölkerung über regionale Gefahrenlagen informieren, um zu lernen, was richtig ist, was läuft, und so Risikoverhalten verändern – dezentral. Aber warum sollte das funktionieren? Niemals wurde Risikoverhalten erklärt, immer nur wurden zentral Verhaltensregeln vorgeschrieben!

   Meinungsumfragen-gestützte Symbolpolitik und Verhaltensvorschriften sind leichter umzusetzen, als mühsam evidenzbasiertes Wissen über Infektionsgeschehen und zu vermeidendes Risikoverhalten zu verbreiten. Und so wird es weitergehen. Populistisch. Wenn jetzt aus dem Nichts die Grippeimpfung empfohlen wird, dann wohl deshalb, weil irgendeine Meinungsumfrage zeigt, dass die Mehrheit sich (jetzt) impfen lassen will. Dass dies weniger dem Individual- als dem Herdenschutz dient, wird die Mehrheit nicht wissen (man nennt das Präventionsparadox). Um das Wissen aufzubauen, hätte man seit Monaten klar (nicht einfach!) kommunizieren müssen – bekannt ist das Problem ja seit Mai! Ob jetzt noch Aufklärung funktioniert? Wenn nicht, wie wird die Politik auf fragwürdige Schwarzmarkt-Impfstoffe reagieren, die sich die Menschen in der Angst ums eigene Wohl selbst besorgen?

   Und weil die Verwirrung groß ist, gib es das andere Spiel: die gegenseitige Schuldzuweisung. Die (vor allem junge) Bevölkerung, die sich nicht an Verhaltensregeln halten will, reißt sich nicht zusammen; oder Eltern, die sich nicht ordentlich informieren, sind an der Verwirrung schuld; oder eben eine andere als die eigene Behörde; das Land; der Bund; die EU. Jeder – vom Bürgermeister über politische Bildungsdirektoren, Landes- und Stadträte bis hin zu Ministern – kennt jemanden, der schuld ist.

„Wiener Zeitung“ vom 24.09.2020  

Masken im Supermarkt gegen Chöre in Freikirchen

   Masken wirken dort, wo Menschen in schlecht belüfteten Räumen gedrängt laut reden oder singen – im Supermarkt sind sie nur symbolisch.

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   Es ist dunkel. Auf einer spärlich beleuchteten Straße sehen Sie unter einer Laterne einen Mann, der offensichtlich etwas auf dem Boden sucht. Auf der anderen Straßenseite, die nicht beleuchtet und daher stockdunkel ist, steht ein Auto. Höflich fragen Sie, was der Mann denn täte und ob Sie helfen könnten. Er ist erfreut und sagt, er habe seinen Autoschlüssel verloren. Wo habe er ihn denn das letzte Mal gesehen? Nun, der Schlüssel sei runtergefallen, als er sein Auto öffnen wollte, sagt er und zeigt dabei zum Auto im Dunkeln hinüber. Verwirrt fragen Sie, warum er dann nicht dort suche. Na, weil es drüben dafür zu dunkel sei, hier aber im Licht der Laterne könne er suchen.

   Genau so ist die Diskussion über Masken in Supermärkten. Diese haben in Epidemien einen schlechten Ruf, weil dort alle hinmüssen und das im Falle der Ausbreitung über Schmierinfektion ein echtes Problem darstellt. Aber eben nur, wenn Schmierinfektion wichtig ist. Und gegen eine solche helfen Masken gar nichts. Die helfen gegen Tröpfcheninfektion – und da richtig gut, vor allem dort, wo Abstandhalten schwierig ist. Doch wie es aussieht, ist das in Supermärkten nicht der Fall. Sonst hätten wir dort Cluster identifiziert und viele infizierte Verkäufer entdeckt. Abstandhalten und Hust-Nies-Hygiene funktionieren – und die Menschen halten sich im Supermarkt daran.

   Die Verbreitung von Sars-CoV2 findet anderswo statt. Einzelne Superspreader, denen man die Möglichkeit gibt, nahe und lang genug mit anderen zu reden, führen zu Ausbrüchen. Die meisten Infizierten sind kaum ansteckend, dafür ist jeder zehnte ein potenzieller Superspreader. Das ist eigentlich gut, denn damit bleiben Cluster leichter beherrschbar. Und Ampelkarten, die glücklicherweise manche Wissenschafter einfach so publizieren, ohne auf Politiker zu warten, zeigen schön, dass eben nur da oder dort einzelne Bezirke rot aufleuchten und die Umgebung grün bleibt. Das Virus sickert nicht einfach so durch die Gegend. Und das macht Test and Trace – also testen, so viel wie geht, und jedem Fall nachlaufen und isolieren – machbar. Und obwohl die Zahlen steigen, sind die Cluster beherrschbar, oder nicht?

   Jedenfalls sind alle öffentlich gewordenen Cluster, von gemeinsamem Singen bei Gottesdiensten bis zum Postzentrum (würden Clubs wieder öffnen, wären sie auch dabei), genau dort, wo die Wissenschaft sie erwartet hat: in geschlossenen, schlecht belüfteten Räumen (closed), in denen sich Menschen drängen (crowd) und laut miteinander reden (conversation), wozu auch singen gehört – die drei Cs!

   Wer sich an ihnen orientiert und dort Superspread-Ereignisse unterbindet, darf mit einem R unter 1 rechnen. Und wenn eine 3C-Veranstaltung nicht verhindert werden kann, dann braucht man eben Masken. Supermärkte weisen, wenn überhaupt, sehr selten die drei Cs auf. Deswegen gibt es dort – mit und ohne Maske – kaum Verbreitung. Und doch sollen dort Masken wiederkommen. Aber wie sollen diese dort Cluster in Freikirchen verhindern?

„Wiener Zeitung“ vom 23.07.2020 

Lagen die Epidemiologen alle falsch?

   Man kann hinterher gescheiter sein. Aber jene, die damals recht hatten, heute als Irrende darzustellen, ist Chuzpe.

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   Es ist anscheinend bei uns weit verbreitet, anzunehmen, dass sich WHO, CDC, RKI und überhaupt alle Epidemiologen geirrt haben, aber nicht einmal den Mut besitzen, ihre Fehleinschätzungen zuzugeben. Als Beweis dafür wird verschiedenes vorgebracht, unter anderem, sie hätten Masken viel zu spät und zögerlich empfohlen. Mehr noch, man hört sogar, Millionen Menschen hätten gerettet werden können, wenn WHO & Co ihre Empfehlungen früher angepasst hätten. Aber glücklicherweise haben einige weise Politiker, auch gegen die irrenden Epidemiologen, diese eingeführt.

   Ist das so? Haben sich die geirrt? Und haben uns weise Politiker vor falschen Experten gerettet? Eher nicht!

Es zeigt halt nur Unverständnis, wie Epidemiologen in einer Pandemie arbeiten. Es gibt, wie mittlerweile bekannt sein sollte, zwei Infektionswege: über Schmiere und Tröpfchen. Zweitere teilt man in sehr kleine, schwebende Tröpfchenkerne und in große Tröpfchen, also das, was uns im Gesicht landet, wenn das Gegenüber uns direkt anniest, anhustet oder laut anspricht – oder aber innerhalb von zwei Metern runterfällt und dort Schmiere bildet. Letztere entsteht aber nicht nur durch falsche „Nies- und Husthygiene“, sondern vor allem durch fehlende Händehygiene. Beim Griff ins Gesicht, vor allem in die Nasenregion, werden Erreger zuerst auf Finger und von dort dann auf alles, was man angreift, übertragen – um von dort wieder im Gesicht eines anderen zu landen.

   In einer Pandemie mit einem neuen Erreger versuchen Epidemiologen, so schnell wie möglich herauszufinden, welcher Infektionsweg wie wichtig ist, um dann Handlungsempfehlungen zu geben. Und genau das haben sie getan und tun sie noch heute. Denn dass wir heute wissen, dass Tröpfchenkerne und Schmierinfektion eine nur untergeordnete Rolle einnehmen, ist noch nicht lange bekannt – und ein unglaubliches Glück.

   Denn damals, als WHO & Co von Masken abrieten, aber populistische Politiker, flankiert von Virologen, die Maskenpflicht (eigentlich den Mund-Nasen-Schutz) eingeführt haben, war das unklar. Masken führen jedoch dazu, dass viel mehr Schmiere in die Welt kommt. Einerseits, weil in den Masken die Erregerkonzentration steigt, aber viel wichtiger, weil der Griff ins Gesicht für ungeübte Maskenträger viel häufiger wird. Und gegen Aerosole wirken Masken nicht, aber weil sie psychologisch einen Schutz liefern, werden Menschen unvorsichtiger. Der einzige Infektionsweg, der dadurch reduziert wird, ist der über große Tröpfchen.

   Und wenn Sars-CoV-2 nicht hauptsächlich über solche übertragen worden wäre, dann wären Masken Brandbeschleuniger gewesen. Supermärkte, öffentliche Verkehrsmittel und Büros wären tatsächlich zu den Superspreadern geworden, wie es in manchen Modellen, auch in Österreich, befürchtet wurde.    Aber dem war nicht so – Gott sei Dank! Doch dass das alles gut ausgegangen ist, war keine Leistung weiser Politiker – es war pures Glück. Und dass jetzt so kommuniziert und geglaubt wird, Epidemiologen hätten sich geirrt, weil sie gegen die Masken waren, ist Chuzpe

„Wiener Zeitung“ vom 25.06.2020   

Wie wir zu Kleinkindern degradiert wurden

   Eigentlich sollte die große Mehrheit mittlerweile ein wenig Covid-19-Wissen aufgebaut haben oder wenigstens keine falschen Theorien vertreten. Oder doch?

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   Es gibt zwei Infektionswege: Schmiere und Tröpfchen. Zweitere teilt man in Aerosole, also sehr kleine, schwebende Tröpfchenkerne, und große Tröpfchen, also das, was uns im Gesicht landet, wenn das Gegenüber uns direkt anniest, anhustet oder anschreit – oder aber runterfällt und Schmiere bildet, die infektiös sein kann.

   Ob es zur Infektion kommt, hängt von Virenmenge und Infektiosität ab. Masern etwa sind über die Luft schon bei kleinen Mengen hochansteckend. Wie schwer die Infektion abläuft, bestimmt die Virulenz. Diese ist von Virus zu Virus und Mensch zu Mensch anders und hängt vom Immunsystem ab. Ist dieses alters- und/oder krankheitsbedingt geschwächt, wird der Verlauf schwerer.

   Für Covid-19 ist der wichtigste Infektionsweg außerhalb der eigenen vier Wände jener durch große Tröpfchen. Was nicht heißt, dass es nicht auch über die anderen Wege ginge – aber eben viel weniger wahrscheinlich.

   Daher ist die Ansteckung dort am häufigsten, wo Erwachsene (!) einander anschreien, weil die Musik laut (Clubs) oder der Gesprächspartner schwerhörig (Pflegeheime) ist, oder wo ausgelassene Massen wild brüllen (Fußballspiele) – im Grunde also überall, wo Erwachsene nicht darauf achten, ob sie beim Artikulieren spucken – das gilt auch für Chorgesang.

   Andere feucht anzusprechen (nicht im Vorbeigehen anzuatmen), ist ein wichtiges Risikoverhalten, auf das jeder achten sollte – und über das öffentlich aufgeklärt werden müsste.

   In der Versorgungswissenschaft nennt man das Patienten-Empowerment; also die Aufklärungsarbeit so zu gestalten, dass der Patient ermächtigt wird, das Richtige zu erkennen. Wird das erreicht, kann man auf dessen Adhärenz bauen, also auf die eigenverantwortliche Umsetzung eines richtigen Verhaltens oder die Vermeidung eines Risikoverhaltens.

   Alternativ kann man paternalistisch vorgehen – also nicht mühsam erklären, sondern nach dem streng väterlichen Prinzip vorgehen: „Frag nicht, sondern mach was ich sage!“ Dann werden viele Patienten sich aber auch wie Kinder verhalten und, sobald der Papa nicht hinschaut, nicht folgen.

   Unsere Regierung hat bisher den paternalistischen Weg gewählt und – um ja niemanden zu diskriminieren – keinerlei differenzierte Betrachtung zugelassen. Überall sind alle Infektionswege und jeder Sozialkontakt gleich gefährlich, jeder ist gleich gefährdet, anzustecken oder angesteckt zu werden, und jeder Verlauf kann schwer sein. Daher werden undifferenziert ein Meter Abstand und Masken für alle dekretiert.

   Doch was passiert, wenn man so vorgeht? Dann reimt sich jeder selbst etwas zusammen.

   Und so werden sich die einen wild „argumentierend“ zu Tode fürchten, und andere werden nichts mehr ernst nehmen, weil es egal ist oder Corona gar nicht existiert. Kinder werden als Virenschleudern betrachtet und zu absurdem Sozialverhalten gezwungen, Jugendliche werden Party machen, halt „zu Hause“, und Kranke werden nicht zum Arzt gehen, um nicht an Covid-19 zu sterben.    Eine zweite Welle wird so kaum flachzuhalten sein, weil wir nicht aus der ersten lernen durften. Und dann? Dann kommt Papa wieder, sagt, dass er uns gewarnt hat, und verbietet alles – wieder.

„Wiener Zeitung“ vom 28.05.2020 

Covid-19 – eine verstörende Ansicht

   Darf man Freiheit und Selbstbestimmung des einen einschränken, wenn man damit das Leben eines anderen vielleicht verlängert?

   Es wird für viele verstörend sein, was hier zu lesen ist, denn die öffentliche und propagierte Meinung lässt diese Gedanken nicht zu – wer das tut, riskiert den Tod vieler.

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Halten wir fest: das Strafrecht kennt Geld- und Freiheitsstrafen, letztere gibt es abgestuft, von Einzelhaft bis Fußfessel. Strafen dienen dazu, die Lebensqualität des verurteilten Täters zu reduzieren und klarzumachen: „Wir wollen dein Verhalten nicht.“ Lebensqualitätseinschränkende Maßnahmen sind auch bei Kindern als Strafe gedacht. Kinder kriegen Hausarrest oder Fernsehverbot. Lebensqualität ist für Lebende ein wichtiges Lebenselement. Deswegen ist sie auch in der Gesundheitsökonomie wesentlich. Und nur, um Diskussionen vorzubeugen: Die Messung ist keine einfache Sache, aber möglich.

   Eine Verlängerung des Lebens um jeden Preis (nicht finanziell gemeint) gilt als unethisch, Schaden und Nutzen sind aufzuwiegen. Reduktion der Lebensqualität ist ein Schaden, Lebensverlängerung ein Nutzen. Gerechnet wird in qualitätsadjustierten Lebensjahren – jedes Lebensjahr wird mit einem Qualitätsfaktor multipliziert. Das ermöglicht dann, Lebenslänge und Lebensqualität gemeinsamen zu betrachten.

   Das ist für viele verstörend. Deswegen betrachten sie die Lebenslänge als unendlich viel wert und Lebensqualität als unwichtig – alles für die Lebenslänge! Damit ist jegliche Maßnahme gerechtfertigt, die dazu führt, dass auch nur ein einziger Mensch nur eine Minute länger lebt.

   Ich halte das gerade jetzt für unethisch, weil es die Opfer, die die Gesellschaft aktuell erbringt (Freiheitseinschränkungen und finanzielle Nachteile – also „Strafen“) als selbstverständlich nimmt. Und mehr noch, weil ein moralisches Diskussionsverbot existiert, wird noch nicht einmal das Ziel der Lebensverlängerung klar formuliert, denn vermutlich wäre eine Rechnung über „gewonnene Lebensjahre“ bei möglichen Covid-Patienten noch nicht einmal positiv – denn wie die aktuelle „Übersterblichkeitsstatistik“ zeigt, ist die Hälfte auf Nicht-Covid-Tote zurückzuführen. Haben wir da Lebenslänge bei den einen geopfert, um das Leben anderer zu verlängern?

   Aber um dieser „lästigen“ Diskussion zu entgehen, wird lieber eine Gefühlsdiskussion geführt. Das ist der mit Abstand leichteste Weg. Er braucht keine Zahlen, keine Daten und erlaubt es, die Mehrheit hinter sich zu scharen: Jeder Schaden ist schicksalhaft hinzunehmen, niemand opfert etwas, alle retten Leben.

   Alleine, es ist nicht so! Die verzweifelten Menschen in den Pflegeheimen, deren Lebensinhalt die regelmäßigen Besuche der Angehörigen waren und deren Lebensfreude darin bestand, mit dem Personal zu reden, werden das anders sehen. Ebenso jene Kinder, die jetzt von ihren Eltern verprügelt werden, weil die Spannungen durch Quarantäne und Arbeitslosigkeit so hoch sind, und deren Leben die nächsten Jahrzehnte davon geprägt sein wird. Die Lebensqualität von Millionen wurde erheblich reduziert, und das ist den gewonnenen qualitätsadjustierten Lebensjahren gegenüberzustellen. Auch wenn das verstörend klingt.

„Wiener Zeitung“ vom 23.04.2020

COVID19 – Testen, Testen, Testen heißt Daten, Daten, Daten!

(Lesezeit 8 Min.) Ich bin kein Epidemiologe, deswegen halte ich mich aus der Diskussion raus. Epidemiologie ist in der Versorgungswissenschaft sowas wie die theoretische Physik in der Naturwissenschaft.

Die Aufgabe der Epidemiologen ist leicht zu verstehen. Sie fragen sich, wer hat welche Krankheit, seit wann, woher und mit welchem Verlauf und welchem Ergebnis für seine Gesundheit?

Doch um das zu beantworten, müssen komplizierte und am Ende komplexe Modell gerechnet werden, die aus vielen Parameter bestehen. Diese Parameter sind so zu wählen, dass für jeden eine plausible Annahme getroffen werden kann, weil meistens harte Daten fehlen, und erst später experimentell bestätigt werden können. Und während man für viele Krankheiten Jahre Zeit hat, viele Experimente machen und so Modelle immer nachziehen kann, ist das bei einer Pandemie durch einen neuartigen Erreger, die sich explosionsartig ausbreitet, schlicht nicht möglich – dann ist Können angesagt.

Wären alle möglichen Daten in IST-Zeit zugänglich, wäre die Aufgabe der Epidemiologen leicht – doch das ist nie der Fall. Also müssen sie zuerst Krankheitsmodelle entwerfen, die sich aus Risikofaktoren zusammensetzen und messbar sind. Und die müssen sie dann mit sozioökonomischen, kulturellen und demographischen Daten verknüpfen. Die Schwierigkeit besteht darin, das alles so zusammenzubringen, dass selbst widersprüchliche Annahmen ein schlüssiges Bild ergeben.

Im Fall von COVID19 wissen Epidemiologen wenigstens schon mal ein paar Risikofaktoren, die den Verlauf bestimmen: Alter, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, COPD, Hypertonie, Krebserkrankung, Einnahme von immunsuppressiven Medikamenten, Body-Mass-Index, Geschlecht, Raucherstatus. Wie wichtig die alle zueinander und miteinander sind, das ist noch nicht so klar. Wie Infektiös das Virus ist, da herrscht auch noch Unsicherheit. Auch die Zeit von der Ansteckung bis zu ersten Symptomen (sofern die überhaupt auftreten, da es auch die stille Feiung gibt), und der zeitliche Verlauf, ist noch unklar. Welche Übertragungswege bestehen, ist auch noch nicht restlos geklärt, vor allem, wie lange das Virus auf Oberflächen überlebt und so über den direkten Mensch zu Mensch-Kontakt hinaus verteilt werden kann. Welche sozioökonomischen Faktoren mitbestimmend sind (denken wir an die Urlauber in Ischgl), da suchen sie noch.

Und wenn einmal das alles so plausibel wie möglich geschätzt ist, darf nicht vergessen werden, dass jedes Modell maßgeblich von der regionalen Kultur bestimmt wird! Ein Modell das in China passt, muss nicht in Österreich passen – etwa, weil bei uns die Wohnungen größer und die Zahl der Bewohner geringer ist, oder weil wir nicht frisches Fleisch auf Bauernmärkten kaufen, oder weil die durchschnittliche Niederschlagsmenge im Februar geringer ist, oder weil wir mehr Autos haben, oder weil wir Hände schütteln, statt uns kontaktlos voreinander zu verbeugen! All diese Parameter können in Modellen wichtig sein – und weil das alleine schon im ersten Bezirk in Wien anders ist als im Mostviertel, müssen die Modelle so parametrisiert werden, dass sie eben solche Unterschiede zulassen. Deswegen müssen oft „alte“, regionale Modelle vergangener Epidemien herangezogen werden, um Anpassungen vornehmen zu können.

Und nicht selten kommt es eben zu Widersprüchen und/oder Rückkoppelungen in den Parametern – und das macht aus kompliziert komplex!

Diese Modelle müssen die Vergangenheit der Krankheitsausbreitung darstellen – und erst wenn das klappt, sind die Modell so stabil, dass damit Prognosen möglich werden. Und wenn diese Modelle so modelliert sein sollen, dass von Ihnen auch präventive Maßnahmen abgeleitet werden können (also Masken oder nicht, Schulen offen oder nicht …), dann müssen die Parameter zudem so gewählt werden, dass sie beeinflussbar sind. Und um dann den Erfolg oder Misserfolg von solchen Maßnahmen beobachten zu können, müssen Indikatoren definiert werden, die das messen können. Zudem müssen diese Indikatoren so sicher und leicht erhebbar sein, dass sie nicht zu einer zusätzlichen Dokumentationsbelastung für ein in der Regel ohnehin überfordertes Gesundheitspersonal werden – nicht weil Epidemiologen Mitleid hätten, nein, wenn der, der Daten sammeln soll, das mit Widerwillen tut, sind die Daten schlecht!.

Und all das bedeutet in der Praxis aus extrem wenigen und unsichern Daten, mit ausgefuchsten statistischen Methoden, extrem viel und akkurat herauszulesen – und deswegen sind eben Epidemiologen so selten wie theoretische Physiker in der Naturwissenschaft! Ich bin in diesem Zusammenhang höchsten Ingenieur.

Aber klar ist, selbst die besten Epidemiologen brauchen so viele Daten wie möglich. Deswegen ruft die WHO laut „TESTEN, TESTEN, TESTEN“. Denn, je weniger Daten, desto weniger Parameter, desto unsicherer die Vorhersagen, und je schlechter die Daten, desto schlechter die Vorhersagen. Testen heißt Daten sammeln! Es geht dabei nur darum, die Krankheit epidemiologisch zu verstehen, nicht um die Zahl der Infizierten herauszufinden.

Warum brauchen wir diese Modelle in dieser Pandemie?

Wenn wir die Strategie verfolgen, so wenige Neuinfektionen wie möglich zu erreichen, dann brauchen wir keine Modelle, sondern einfach nur extrem scharfe Isolationsvorschriften. Wenn jeder zu Hause sitzt und keiner sich dem nächsten auf weniger als zwei Meter nähert, dann wird die Ansteckungsgefahr soweit reduziert, dass niemand irgendwas rechnen muss. Nur darf dann halt eine Mutter Ihr Baby nicht wickeln, einem Herzinfakrtpatienten ruft dann eine Ärztin von 2m Entfernung zu „wird schon wieder“, und der Wundmanager gibt übers Megaphon Anleitung, wie man sich selbst eine Kompression anlegt.

Dass wir bei COVID 19 eine Strategie verfolgen müssen. liegt daran, dass alles was wir bisher wissen, darauf hindeutet, dass relativ wenige (3%), aber absolut sehr viele Menschen (geschätzt werden es am Ende etwa 130.000 gewesen sein) im Verlauf von COVID19 eine so schwere Lungenentzündung haben, dass sie von selbst zu schwach sind, um zu atmen. Und die einzige, bisher bekannte Therapie dieses Verlaufs ist die Beatmung durch Maschinen. So lange, bis das Immunsystem des Körpers genug Viren getötet hat, dass die Entzündung abklingt. Oder eben der Patient stirbt, weil sein Immunsystem dafür zu schwach ist.

Der Limitierende Faktor bei der Versorgung von COVID19-Patienten ist daher die Infrastruktur, die diese Behandlung ermöglicht – Beatmungsgeräte! Je mehr desto besser! Doch das Problem ist, jedes Gesundheitssystem hat so viele dieser Geräte, wie es für „normale“ Spitzenzeiten braucht. Aber normal ist halt jetzt nichts. Und wir haben aktuell etwa 900 dieser Geräte für COVID19 Patienten, die ein Patient etwa 5 Tage braucht! Also müssen wir, wenn wir nicht mehr Geräte bereitstellen können, die geschätzten 130.000 Patienten auf zwei Jahre, oder bist eine andere Behandlungsmöglichkeit (Impfung, Medizin) besteht, verteilen – Flatten the Curve!

Flatten the Curve! Aber wie flach will das unsere Regierung und warum?

Epidemiologen wissen eben bereits, dass in einer Durchschnittspopulation etwa 3% der aktiv kranken COVID19-Patienten eine künstliche Beatmung brauchen. Das Problem dieser Aussage ist, dass es keine „Definition“ der Durchschnittspopulation gibt. Wie alt ist die, wie chronisch krank, wie dick, wie viele rauchen? Das ist bei weitem noch nicht klar, also arbeiten alle daran, herauszufinden, wer genau zu den 3% gehört. Je genauer wir das sagen können, desto genauer kennen wir die „Risikogruppen“ und damit die Personen die man durch die Strategie schützen muss, damit sie nicht alle auf einmal krank werden.

Anfangs hat unsere Regierung eine gute Figur gemacht. Wenigstens auf der Kommunikationsebene. Und ich ging davon aus, dass nach außen eben Ruhe erzeugt wird, und im Hintergrund Epidemiologen arbeiten, um herauszufinden, mit welcher Strategie wir welche Personen schützen können.

Es gab dann so einige Punkte, an denen ich begann, an der Regierung zu zweifeln.

Der wichtigste war wohl, als dieser Datensalat am 26.3.2020 bekannt wurde. Offenbar haben wir es noch nicht einmal geschafft, und schaffen es bis heute nicht, aktuelle Zahlen für zwei Prävalenzen zu haben: Hospitalisierung und Intensivbehandlung. Das ist schon sehr erschütternd. Denn wenn wir noch nicht einmal zwei so einfach Daten wenigstens stundenaktuell hinkriegen, sondern gerade einmal recht und schlecht alle 24 Stunden, dann haben die Epidemiologen praktisch nichts in der Hand, außer Daten aus der Literatur. Und offenbar wurde und wird bei keinem COVID-Test irgendein epidemiologisch relevanter Wert erhoben, ja noch nicht einmal bei den hospitalisierten oder beatmeten Patienten.

Dann wurde in der PK am 26.3. das Prognosemodell gezeigt – ein paar Grafen, keine Daten. Hochgradige Intransparenz! Und das Modell selbst? Bereits 4 Tage nach der Präsentation liegt die Zahl der Intensivpatienten 25% über der Prognose. Das ist die Folge fehlender Daten – weil eben nicht erhoben wird, wer wann erkrankt, und wie sein Verlauf ist! Es ist aber wichtig, herauszufinden, an welchem Tag der Krankheit eine Hospitalisierung und eine Beatmung nötig wird!

Auffällig war auch, dass die Regierung, offenbar mangels erhobener Daten, einem einfachen Weg folgte. Die Länder haben gemeldet, sie können 900 Beatmungsgeräte für COVID19 Patienten freispielen. Die Literatur sagt, dass etwa 3% der Infizierten (mit Symptomen und positiv getestet) ein Beatmungsgerät brauchen.

Wenn 900 Geräte da sind, und 3% der Kranken ein Gerät brauchen, dann dürfen also nicht mehr als 30.000 krank sein (so verkündet auf der PK). Weil die Krankheitsdauer mit 14 Tage angenommen wird, dürfen daher nicht mehr als 2143 Neuerkrankungen täglich stattfinden, damit alle, die ein Beatmungsgerät brauchen, auch eines kriegen.

Das ist echt noch keine Epidemiologie – das ist bis hierher eine einfache Schlussrechnung! Das hat mich schon sehr skeptisch gemacht, weil ich das, ohne Epidemiologe zu sein, so leicht nachrechnen konnte.

Warum auch immer, die Transparenz ist ja trotz Krise immer noch österreichisch, wurde politisch festgelegt, dass nur 10.000 bis 15.000 aktiv krank sein sollen (ich denke, dahinter stecken so föderale Frage wie – das niederösterreichische Beatmungsgerät nur den Niederösterreichern! Also muss sich die Zahl an der niedrigsten verfügbaren ländlichen Ausstattung orientieren), womit die Zahl der Neuerkrankungen auf 715  bis 1.000 limitiert wurde. Und diese Zahl war dann die „heilige Kuh“ – das war das anzustrebende Ziel, dem alle Maßnahmen dienen müssen. Wir flachen die Kurve also soweit ab, dass nicht mehr als 1.000 Neuerkrankungen auftreten – als globale Zahl, gemessen an den positiven Tests – keine weitere Konkretisierung!

An diesem Punkt war ich schon sehr sauer. Denn was heißt das, wenn alles getan werden muss, dass diese Zahl so niedrig bleibt.

Eine kleine Kopfrechnung: um eine natürliche Herdenimmunität (bis wir eine andere Therapie oder Impfung haben, die einzige Chance!) zu erreichen, müssen 4 – 5 Millionen Österreicher COVID19 durchgemacht haben. Sagen wir, wir machen alles, dass es 1.000 Neuinfizierte pro Tag gibt, und erreichen die Herdenimmunität schon bei 4 Millionen Einwohnern, dann müssen wir für die nächsten 11 Jahre so weitermachen. Keine Schulen, keine Unis, keine Arbeiten, die weniger als einen Meter Abstand erfordern, keine Besuche in Altersheimen, keine planbaren Operationen – Lock down für 11 Jahre (133 Monate!)! Ernsthaft? Das ist die Strategie der Regierung? Obwohl klar ist, dass für alle gesunden Menschen unter 50 eine Infektion nicht schlimmer ist, als ein grippaler Infekt?

Ganz glauben konnte ich das noch nicht, oder wollte das nicht! Die haben sicher einen oder mehrere Epidemiologen, die wie wahnsinnige Modelle rechnen, Annahmen überprüfen, schlicht herausfinden, wer diese „3%“ sind (am Ende werden es 1,5% der Gesamtbevölkerung sein, da ja ab 4 Mio. Infizierten und geheilten eine Herdenimmunität auftritt – also etwa 130 Tausend Österreicher), die wir schützen müssen, und wie das am besten geht.

Doch dann kam die PK vom 30.3.!

Dazu gibt es eine Vorgeschichte, wie sich herausstellte. Am 29.3. hat eine Gruppe Mathematiker ein „Expertenpapier“ als offenen Brief an die Regierung und die APA geschickt – und es leider auf orf.at geschafft. Aus versorgungswissenschaftlicher Sicht ist es ein unsäglich schlechtes Papier. Was echte Epidemiologen dazu sagen, möchte ich gar nicht wissen. Doch das ist im Grund unwichtig – wichtig ist nur die politische Reaktion!

Angeblich gibt es ja – und ich habe immer auf ihn gehofft – einen Krisenstab, in dem eben die gescheiten Köpfe (=Epidemiologen) sitzen und die Regierung beraten. Und auf Basis dieser Beratung dachte ich, hat die Regierung, wie alle anderen auch, etwa die Wortwahl „Abflachung der Kurve“, „prozentueller Zuwachs bei den Infektionen“ und „Verdoppelungsraten“ verwendet. Leicht verständlich für jeden – etwas sehr wichtiges in der Krisenkommunikation.

Und dann die PK! plötzlich referiert die Regierung über den R0-Wert. Ich war völlig von den Socken! Keine andere Regierung verwendet diesen Wert, weil er kompliziert ist. Wie wenig sogar der „gut beratene“ Kanzler von diese R0-Wert versteht, hat er dann gleich in einem ZIB-Interview (Min 4:15) bewiesen, als er meinte, der Wert liegt aktuell bei etwa 2 und er wäre mal bei 4 gewesen! Und das ist halt völlig falsch, weil der Basisreproduktionsfaktor R0 bei COVID19 bei 2,8-3,3 liegt und NICHT veränderbar ist. (also nie 4 gewesen sein konnte)

[nachträgl.Anm.: Einige, die sich mit R0 auskennen, haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Passus so klingt, als ob R0 eine virusbezogene Konstante wäre. Das ist NICHT richtig und war von mir auch nicht so gemeint – R0 hängt maßgeblich von der Umgebung ab – nur wenn Menschen da und nahe genug sind, dass ich sie anstecken kann, kann der R0 über 0 liegen! R0 ist kein tivial ausrechenbarer Wert]- und soweit ich das beobachte dürfte für Europa, obwohl wir Händeschütteln der R0 niedriger sein als in China (da kommt der obige Wert her), weil vielleicht die Anzahl der Bewohner pro Wohnung wichtiger ist, als Händeschütteln – oder aus sonst einem Grund! Epidemiologen könnten hier Auskunft geben!]

Wenn, dann ist Rt ein von R0 unterschiedlicher Wert, der eben dann auch den Erfolg von Massnahmen zu einem bestimmten Zeitpunk (t) zeigt. Also, warum plötzlich dieser Wert? Und dann habe ich mich an dieses „Expertenpapier“ erinnert, da steht „Oberlehrerhaft“

Für eine Epidemie ist die alles entscheidende Größe der Replikationsfaktor R0.  [….] Wenn es nicht gelingt, rasch den Faktor R0 unter den Wert von 1 zu drücken, sind in Österreich zehntausende zusätzliche Tote und ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu erwarten.

Keine Empfehlung des Krisenstabes, nein ein Zuruf von außen, der von „Experten“ stammt, die RO noch nicht einmal richtig verwenden können – nicht sehr vertrauensbildend.

Und als ob das nicht reichte, dann noch die Ankündigung der Maskenpflicht im Supermarkt. Woher kommt die?

Am 26.3.hat auf orf.at ein anderer Mathematiker (dessen Modell übrigens ganz anders aussieht als das der obigen Mathematiker) gemeint. „Was wir in Österreich unbedingt brauchen, ist eine Maskenpflicht. Vor allem in Supermärkten, dort stecken sich die Leute an“. Seiner Meinung soll eine Maskenpflicht die Infektionen um 75% bis 90% reduzieren (so zumindest zitiert das ein Journalist auf Twitter) – Da wird eine Empfehlung eines Mathematikers, der offenbar kein Epidemiologe ist und die Krankheit nicht versteht, praktisch wortwörtlich übernommen und vom Kanzler so umgesetzt! Ohne irgendeinen Beleg, ein Modell, eine Ahnung und epidemiologisch sicher falsch.

An dem Punkt bin ich gerade! Es ist 1:30 am 31.3 Und die Regierung, die offenbar planlos agiert, macht mir Angst!