Wie immer, werden in Österreich, wegen fehlender Transparenz, gerne und intensiv „geheime“ Berichte oder Pläne der Gesundheitspolitik diskutiert. So auch der Roh-Bericht des Rechnungshofs, der vorschlägt, die Landesärztekammern zu entmachten, um einen österreichweiten Gesamtvertrag für Ärzte mit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zu ermöglichen. Die Hoffnung ist, dass es so zu dem seit Jahrzehnten (das erste Mal 1996 und da gleich für alle Kassen und Spitalsambulanzen) angekündigten einheitlichen Leistungs- und Honorarkatalog für ambulante Leistungen kommen könnte, wenn die Landesärztekammern nicht mehr zustimmen müssen. Nun, in dem Fall ohnehin nur für die ÖGK. Die Kataloge der kleinen Kassen, also der für Selbständige, Beamte, Bauern, Eisenbahner und Bergleute, soll unberührt bleiben – andererseits sind die ohnehin bereits auf Bundesebene organisiert.
Warum also hat man das in den letzten 30 Jahren nicht geschafft, und warum sollen die Landesärztekammern so viel Macht haben, dass deren Abschaffung die Lösung sein könnte?
Das öffentliche Gesundheitssystem für die ambulante Versorgung kennt drei wesentliche Gruppen von Akteuren: Ärztekammerfunktionäre, Krankenkassenkassenfunktionäre, Landespolitiker. Die Handlungen dieser Akteure sind am besten durch die Public Choice Theorie erklärbar.
Diese Theorie sagt, dass sich politische Akteure nicht primär am „Gemeinwohl“ orientieren, sondern, wie Marktakteure, auch eigennützig und rational kalkulierend agieren. Alle wollen in erster Linie wiedergewählt werden, um Macht, Einkommen und Prestige zu sichern und wenn möglich Budget, Einfluss und Sicherheit zu mehren. Das gilt auch für Ärztekammer- und Krankenkassenfunktionäre, die sich zwar als Interessensvertreter generieren, doch real politische Akteure sind.
Genau dieses Verhalten ist rund um die Spitalsreform in der Steiermark, Stichwort Leitspital Liezen , der anhaltenden Kritik der Kassenfusion, dessen „wahrer“ Hintergrund die Entmachtung der Arbeitnehmer gewesen sei, und natürlich der Verteidigung des Ärztevorbehaltes, Stichwort Impfen in der Apotheke, eigentlich leicht zu erkennen. Aber natürlich geht es offiziell immer um die Patienten und deren Wohl, und nie um die Macht der Akteure.
Nichts desto trotz, könnten diese Akteure über Verhandlungen zu Lösungen kommen. Zwar würde der Patient davon nicht profitieren, und es würde ein sehr teures, bürokratisches, ineffizientes und am Wohl der Akteure ausgerichtetes Gesundheitssystem entstehen, das dafür aber relativ stabil sein würde. Und genau so war es auch sehr lange, denn Geld, spielte lange Zeit keinerlei Rolle.
Klar wurde immer wieder vom Sparen bzw. Totsparen gesprochen, je nach dem wer gefragt wurde, allerdings hat sich das in den Daten nie wirklich widergespiegelt.
In der letzten großen Effizienzstudie, (CAVE! das PDF hat 671 Seiten), im Auftrag der damaligen Regierung (Gesundheitsminister Oberhauser bzw. Stöger) kam die London School of Economics 2017 zu dem Schluss , dass „man davon ausgehen muss, dass die Gesundheitsergebnisse innerhalb der Bevölkerung schlechter und die Gesamtkosten höher ausfallen, als dies in einem koordinierten System der Falle wäre“.
Warum immer wieder Reformen, wenn man sie denn so nennen darf, angestrengt wurden, um die Effizienz des Systems zu steigern und damit zu sparen, liegt nicht daran, dass es den Akteuren ernst damit gewesen wäre, sondern nur daran, dass Wähler lieber sparsame, als verschwenderische Politiker wählen. Im Grunde ging es also darum notwendige Reformen zu predigen, aber so wenig wie möglich zu verändern – koste es was es wolle. Was im Grunde bedeutet, dass die drei Akteure ihre Macht behalten, auch wenn das zu Kosten der Bevölkerung, sowohl in finanzieller als auch gesundheitlicher Hinsicht, geht.
Seit 2020, sicherlich durch Corona verstärkt, aber nicht ausgelöst, werden die seit Jahrzehnten prognostizierten demographischen Veränderungen immer stärker wirksam. Die Einnahmen werden durch geringere Produktivität geringer, die Ausgaben steigen durch die wachsende Zahl der älter und kränker werdenden Bevölkerung.
Nun spielt Geld eine Rolle
Der Kuchen, um den sich die drei Akteure streiten wächst nicht mehr genug, um das System stabil zu halten.
Selbst innerhalb der SPÖ, traditionell Verteidiger des „Viele-Kassen-Systems“, ändert sich die Einstellung. Gesundheitsminister Sabine Oberhauser meinte 2015, dass die vielen Krankenkassen sowas wie ein System a la carte“ ist, bei dem die Landeskassen und Landesärztekammern wissen was für Patienten richtig ist, und einmal koste das Getränk mehr, einmal das Essen – und deswegen soll sich das Ministerium nicht einmischen. Interessant daran ist, dass sich zwar zwei der drei Akteure praktisch ausmachen konnten was gut ist, aber Patienten als auch Länder dank Pflichtversicherung essen mussten, was vorgesetzt wird. Heute klingt das ganz anders. Gesundheitsstaatssekretärin Ulrike Königsberger-Ludwig will einen einheitlichen Leistungs- und Honorarkatalog, der aus gerechtigkeitsgründen vom Bodensee bis zum Neusiedlersee gelten soll, auch wenn man dafür die Landesärztekammern bundesrechtlich entmachten muss.
Aber warum entmachten? Welche Macht, und warum haben die die Landesärztekammern?
Um das verständlich zu erklären, sollte man sich die drei Akteure und Ihrer Institutionen als Planeten vorstellen, die um das Zentralgestirn – Macht (und jetzt auch Geld) im ambulanten Versorgungssystem – kreisen. Will man herausfinden wie die sich bewegen, wird man im Dreikörper-Problem landen – Dieses Problem der Astrophysik, versucht die Umlaufbahnen dreier Planten, die sich wegen der Gravitation gegenseitigen beeinflussen, zu berechnen – das gilt als unmöglich und endet immer chaotisch.
Und so wie die Gravitation die Planteten nicht unabhängig voneinander in ihren Umlaufbahnen kreisen lässt, gibt es Kräfte zwischen den drei Akteuren, die wichtigste ist der Gesamtvertrag – Abgeschlossen zwischen Ärztekammer und Krankenkasse, hält er fest, wie viele Kassenverträge es wo genau geben darf, und welche taxativ aufgelisteten Leistungen mit welchen Honoraren finanziert werden.
Das Problem dieses Vertrages ist, dass realpolitisch das Überleben der drei Akteure von dessen Zustandekommen abhängt.
Fällt der Vertrag, müssen gesetzlich die Länder mit Spitalsambulanzen die Versorgung aufrechterhalten. Und obwohl es mit etwa 160 Spitäler sehr viele gibt, ist das verglichen mit den etwa 7.000 Kassenordinationen verschwindend wenig. Eine Flächenversorgung geht nicht über Spitäler. Bedenkt man den Druck der Bevölkerung auf Bürgermeister, wenn eine Kassenstelle unbesetzt bleibt, ist im Falle eines vertragslosen Zustandes ein politischer Umbruch sicher. In keinem Bundesland wären danach die Machtverhältnisse wie sie jetzt sind.
Die Kassen hätten bei dieser Art der ambulanten Versorgung keinerlei Verhandlungs- oder gar Gestaltungsrechte. Sie würden so zu einer reinen Gelddurchlauforganisation, die die eingehobenen Beiträge direkt und pauschal an die Spitalsträger, bzw. deren Dachorganisationen überweist. Und weil sie ohne Vertragspartner ihre gesetzliche Aufgabe nicht erfüllen können, wären die Kassen obsolet – und würden vor der Abschaffung stehen.
Die Ärztekammern sollten eigentlich die Standesvertretung für alle 50.000 Ärzte sein. Realpolitisch Macht habensie jedoch nur über die 7.000 Kassenärzte. Die rund 35.000 angestellten Spitalsärzte werden über die für Spitäler zuständigen Gewerkschaften vertreten, und Wahlärzte sind defacto unvertreten. Tritt ein vertragsloser Zustand ein, verlieren die Ärztekammern ihre Macht – dann wird die Pflichtmitgliedschaft sehr schnell sehr laut diskutiert. Eine Urabstimmung würden sie nicht überleben.
Fällt eine Kammer fallen vielleicht alle – also auch Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer – beide haben jedoch viele Funktionäre in vielen gesetzgebenden Gremien. Es ist schwer zu glauben, dass sich das Pflichtkammersystem selbst abschafft– immerhin leben Systeme ja davon sich selbst zu erhalten.
Und so hängen alle drei über den Gesamtvertrag zusammen wie die Planeten über die Gravitation. Und dieses chaotische Dreikörper-Problem gibt es aktuell in 10 Ausführungen – je eines für jedes Bundesland und dann noch einmal auf Bundesebene.
Wenn nun die 9 Landesärztekammern aus diesen Systemen verschwinden, dann, so meint man, wäre alles gut. Zwar wird mit dem Abschaffen der Landesärztekammer das System deutlich weniger komplex – von 10-mal unendlich auf einmal unendlich, und das auch nur, wenn parallel dazu die Länder ihre Spitäler an den Bund abgäben (was nicht passieren wird) – das Dreikörperproblem bleibt jedoch bestehen.
Um das zu lösen, muss es zur kompletten Abschaffung eines Akteurs kommen – denn ein Zweikörperproblem ließe sich lösen. Das zu erreichen, benötigt eine Reform, die tief in die Verfassung eingreift. – und zwar so tief, dass bei der Kompetenzverteilung im Gesundheits- und Pflegesystem die Versteinerungstheorie seine Gültigkeit verlöre(was auch nicht passieren wird)
Aktuell rechtlich fixiert ist die Situation in einer 15a-Vereinbarung in der es heißt:
(2025) „Für inländische Gastpatientinnen und Gastpatienten wird für die Dauer dieser Vereinbarung keine über die Abgeltung der Landesgesundheitsfonds hinausgehende Entschädigung bezahlt. Bilaterale Vereinbarungen bezüglich Gastpatientinnen und Gastpatienten sind möglich.“
Dieser Text hat seit seinem erstmaligen Beschluss 1997 defacto keine Veränderung erlebt, sieht man vom Zusatz aus 2003 zu bilateralen Vereinbarungen ab, der für die Einführung des ÖSG nötig wurde.
(1997) „Für inländische Gastpatienten wird für die Dauer dieser Vereinbarung keine über die Abgeltung der Landesfonds hinausgehende Entschädigung bezahlt.“
Entstanden ist diese Regelung zu Zeiten der EU-Beitrittsverhandlungen. Die Formulierung zeigt, dass sie als Provisorium gedacht war. Als Lösung war damals bereits die Idee, dass Geld der Leistung folgen soll. Und das wäre durchaus realisierbar gewesen, da gleichzeitig die „Leistungsorientierte Krankenanstalten Finanzierung (LKF)“ eingeführt wurde und das frühere Tagsatz-System ablöste.
Dieses LKF-System ist ein Punktesystem, das auf der ebenfalls damals eingeführten verpflichtenden Diagnose- und Leistungsdokumentation (DLD) aufbaute, die der Grundstock für das (ex post sehr verständliche) ärztlich Jammern über überbordenden Bürokratie ist. Es wurden taxative Listen erstellt und für jede dort enthaltene Leistung, bzw. Diagnose Gruppen gebildet, für die dann Kosten in Punkte (1 Punkte =1€) umgerechnet wurden – sehr kompliziert. Der Erlös ergibt sich jedoch nicht auf Grund der Punktezahl, sondern erst über den realen Punktewert, der am Ende einer weiteren komplizierten Rechnung steht.
Zuerst muss festgestellt werden, wieviel Geld zur Verfügung steht. Das ist abhängig von der Entwicklung der Steuereinnahmen und der Lohnsumme. Das Geld wird in einen Topf gegeben. Dieser wird dann entsprechend einem, im Finanzausgleich (FAG) fixierten, Schlüssel auf Ländertöpfe aufgeteilt. Und dort wird dann ein vom Bundesland selbst beschlossener Anteil direkt auf die Punkte, und ein anderer als „Steuerungsbereich“ mehr oder weniger punkteabhängig und willkürlich auf einzelne Spitäler verteilt. Was also in einem bestimmten Spital der Punkt wert ist, ist frühestens ein Jahr nach den Leistungen, die dafür erbracht wurden, klar.
Fehlt damit bereits die Verbindung zwischen Leistung und Erlös (was ja wesentlich für irgendeine Art Kostenbewusstsein nötig wäre), wurde zudem eine merkwürdige Kalkulation herangezogen. Denn diese Punkte wurden, anders als in der betriebswirtschaftlichen Literatur empfohlen, nicht über eine SOLL-Kostenrechnung nach klaren Regeln festgelegt, sondern über eine IST-Kostendarstellung mit eher kryptischen Vorgaben in Referenz-Spitälern, die ganz Österreich repräsentieren sollten – und nie öffentlich zugänglich wurden,
Sporadisch (1999: für das LKF-Modell von 2002 bis 2008, 2005 für 2009 – 2016, 2014 ab 2017) wurde in diesen Spitälern „nachkalkuliert“, damit der Wert nahe der Realität bleibt – was natürlich nie funktioniert hat und immer zu absurden Überganszeiten führte. Etwa als die Technik der Katarakt-OP massiv verbessert wurde, waren bis zu Nachkalkulation diese Operationen eine wahre Cash-Cow und Spitäler mit Augenabteilungen hatten viel niedrigere Defizite als die ohne. Da das LKF-System aber über einen gedeckelten Topf gespeist wird, ging das natürlich auf Kosten anderer.
Das hat neben der gefühlt überbordenden Bürokratie zu weiterem Frust in den Spitälern geführt, weil diese Punkte offenbar ziemlich blödsinnig oder wenigstens völlig unpraktisch waren, Dass seit damals auch von jedem Primararzt eine wirtschaftliche Zusatzausbildung verlangt wurde, war dann nur noch ein Brandbeschleuniger..
Warum das System quasi gegen jede Art der Vernunft und zum Ärger der Spitäler so aufgestellt wurde, liegt in seinen Ursprüngen.
Von Anfang an war niemand interessiert, tiefer ins System einzugreifen als nötig. Direkte Vergleiche zwischen den Spitälern war genauso unerwünscht, wie eine Orientierungshilfe für die Spitäler, wie und wo man effizienter werden könnte. Denn gedacht war dieses System nicht um Transparenz zu schaffen oder gar Wettbewerb zwischen öffentlich finanzierten Spitälern herzustellen, sondern um die Spitäler aus dem Maastricht-Budget rauszuhalten
Das musste sein, weil interessanterweise damals keine realpolitische Chance bestand, die Vermögenslage, besser Verschuldungslage, der Spitäler einzusehen. Die Spitalsträger, im Überwiegenden Fall damals noch Gemeinden vor Ländern haben das einfach verhindert (geschickt gespielt hätten die die Offenlegung der Finanzen viel Jahre verzögern können). Um die EU-Verhandlungen weiterzuführen, musste ein Workaround gefunden werden und das war eben das LKF-System, dass durch die Festlegung von Preisen für Leistungen eine Art marktähnliche Situation vortäuschte, und so die Schulden der Spitäler aus dem Maastricht Budget raushalten konnte. Egal welche Flurschäden entstehen.
Wäre es tatsächlich so gekommen wie verkauft, wäre es möglich gewesen, das immer wieder politisch geforderte und auch versprochen Prinzip „Geld-folgt Leistung“ umzusetzen. Es wäre damit durchaus auch denkbar gewesen, seitens des Bundes die Leistungen zu bezahlen, egal an wem und in welchem Bundesland sie erbracht wurden. Die ganze Gastpatientendiskussion wäre nie entstanden.
Aber das war natürlich nur Theorie. Denn die Einführung dieses LKF-Systems war ja dazu da, Maastricht zu umgehen. Und so wurde eben beschlossen, dass auf der einen Seite das Punktesystem besteht, aber auf der anderen Seite eben das Geld für diese Punkte via Verhandlungen auf- und dann von den Ländern verteilt werden,
Und obwohl eigentlich einst kostendeckend kalkuliert, war der Topf, aus dem das alles nach dem Prinzip Ein Punkt = Ein Euro finanziert hätte werden sollen, defacto von Anfang an zu gering gefüllt. Denn, wie erwartbar, explodierte die Zahl der Patienten unmittelbar mit der Einführung des Systems. Und trotz immer höherer Dotierung des Topfs blieb das auch so. Und das damit unvermeidbare Defizit wird daher und seit jeher vom Spitalserhalter global und ziemlich willkürlich gedeckt.
Von einer „marktähnlichen“ Situation war man immer weit weg. Die realen „Preise“ für die gleiche Leistung sind mittlerweile in jedem Bundesland, ja in jedem Spital anders, aber, weil geheim, eben ohne die Signalwirkung zu entwickeln, die eigentlich erwünscht wäre. Reformverweigerung um jeden Preis, quasi.
Und weil das so ist, wurden die Gastpatienten natürlich zum Zankapfel. Nicht weil der Patient im Mittelpunkt steht, sondern weil man den eigenen Wählern gefallen muss. Reichen die zugeteilten Gelder nicht aus, müssen Landespolitiker die Defizite ausgleichen. Das geht über höhere Schulden. Wenn das irgendwie nicht mehr ganz so leicht ging, dann drohten Kürzungen in anderen Bereichen landesfürstlicher Wohltaten. Solche Kürzungen fallen den Wählern auf. Und dann kam und kommt der Gastpatient ins Spiel. Und das erleben wir eben gerade in Wien, dass vor einer Wahl steht.
Die Aussage, dass man bei der Spitalsfinanzierung das Steuergeld der eigenen Bundeslandsleute nicht für andre ausgeben darf ist also nicht neu, und war noch nie richtig. Aber weil das LKF-System derart merkwürdig aufgesetzt ist, steht seit 1997 der gegenseitige Vorwurf der Bundesländer im Raum, der andere erhielte zu viel, man selbst zu wenig. Der propagandistische Wert dieses Vorwurfs ist leicht erkennbar, weil dabei stets bei sich nur die angeblichen Mehrkosten thematisiert werden, und beim anderen die angeblich zu hohen Einnahmen. Eine Gegenüberstellung auf Basis eines gemeinsamen Nenners, etwa dem Kostenträger, also einem vergleichbaren Patienten, sehen wir nie.
Und das ist erstaunlich, weil ja das LKF-System mit seinen Punkten hervorragend als Orientierung geeignet ist, um herauszufinden, wie teuer die Spitalsversorgung in den einzelnen Bundesländern wirklich ist. Dass das kaum wer tut, ist halt der Komplexität des Systems geschuldet die kaum ein Journalist durchblickt und noch weniger nachprüfen kann. Die Ausrede, die Daten stimmen nicht, ist einfach immer schlagend.
Wenn es auch nicht möglich ist, in einzelne Spitäler zu schauen, auf Landesebene geht das aber sehr wohl. Seit vielen Jahren wird in der „Überregionale Auswertung der Dokumentation in landesgesundheitsfondsfinanzierten Krankenanstalten“ genau berichtet. Abrufen kann man mittlerweile nur mehr die aktuelle Fassung, früher gab es sogar einmal eine eigene Homepage! Aber so viel verändert sich eh nicht. Einerseits weil ich ein Archiv habe, das Jahrzehnte zurückgeht – ich lade alles immer brav runter, weil ich ja weiß, dass jede neue Regierung sofort das alte unzugänglich macht, andererseits wegen der Dimensionen.
Denn es sind gewaltige Dimension – 2023 wurden 9,9 Milliarde Punkte produziert, die 21,3 Milliarden € gekostet haben. Und wie man an der Tabelle sieht, erhält Wien im FAG relativ viel Geld für seine LKF-Punkte, macht aber auch relativ zur Bevölkerung mehr, aber das relativ teuer. Aber Warum?
Betrachtet man die Produktionskosten pro Bundesland, fällt auf, dass es nur ein Bundesland gibt, das sehr teuer ist. Betragen die Kosten außerhalb von Wien zwischen 1,9 und 2,1 Euro pro Punkt, liegen diese in Wien mit 2,7€ etwa 40% höher.
Die erste Reaktion würde natürlich sein, dass das am AKH liegt, weil eben dort absolute und daher seht teure Spitzenmedizin geleistet wird.
Ein zweiter Blick zeigt aber, dass das anders ist. Erstens haben Tirol und Steiermark auch Universitäten, deren Kosten sich jedoch nicht erheblich von anderen unterscheiden, und zweitens liegen die Treiber der Kosten außerhalb des medizinischen Bereichs.
Dank der Aufstellung der Kosten können Personalkosten, medizinische Sachkosten und weitere Kostenarten, die nicht unmittelbar bei der Behandlung anfallen, unterschieden werden. Dazu gehören etwa nicht-medizinische Fremdleistungen, Energie, Abgaben und Gebühren etc. Fassen wir diese Kostenarten unter dem Stichwort „Infrastruktur“ zusammen, dann kostet die in Wien pro Punkt 1,2€ und damit doppelt so viel wie im Schnitt der anderen Bundesländer.
Und weil Wien nun etwa 2,3 Milliarden Punkte produziert, kommt da eine erhebliche Summe heraus. Anders ausgedrückt, wenn Wiens Infrastruktur so effizient wäre, wie im Rest von Österreich, hätte deren Infrastruktur 2023 um 1.362.911.984,65 € weniger gekostet. Die Frage, wo diese 1,4 Milliarden € im Infrastrukturbereich (also patientenfern) hin sind, ist eine völlig legitime Frage. Die größten Brocken dieser Mehrkosten sind 500 Mio€ für Abgaben, Beiträge, Gebühren und sonstigen Kosten und 400 Mio€ für nichtmedizinsche Fremdleistungen (und das bei hohen Personalkosten – also kein Hinweis auf außergewöhnliches Outsourcing).
Warum in Wien die Infrastruktur-Kosten derart hoch sind, lässt sich nur vermuten. Es könnte jedoch viel mit dem AKH zu tun haben. Denn neben der Bereitstellung aller Ärzte durch das Wissenschaftsministerium, zahlt dieses auch 16% der Betriebskosten (Zusammen werden so etwa ein Drittel der Kosten vom Bund übernommen). Je höher die Betriebskosten sind, desto mehr Geld kommt daher vom Bund. Und weil die Infrastruktur der meisten Spitäler in Wien durch die Stadt Wien bereitgestellt wird, zahlt sich das Wien quasi selbst, womit die Höhe, etwa für Gebühren, eigentlich unwichtig ist. Aber da das Wissenschaftsministerium, das selbst keinen Einfluss auf diese Kosten hat, aber über das AKH zahlen muss, entstehen zusätzliche Einnahmen. Das ist natürlich reine Spekulation.
Aber völlig unabhängig, was dahintersteht, die Behauptung dass Wien zu wenig Geld für die Versorgung der Gastpatienten erhält, stimmt also nur, wenn es die eigenen, selbst festgelegten Kosten als Basis heranzieht. Aus Sicht der Daten ist das nicht verständlich, womit der Verdacht, es geht um Wahlkampf, nicht von der Hand zu weisen ist. Nachvollziehbar, nur Wiener dürfen in Wien wählen, also kann man die anderen vergrämen. Und da die politischen Achsen zwischen Wien und NÖ, bzw. Wien und Burgenland heute andere sind, als noch vor wenigen Jahren, war das dort sicher nicht überraschend.
Das Gastpatienten-Spiel tritt je nach Wahlkalender seit Jahrzehnten immer wieder zwischen fast allen Bundesländern in unterschiedlicher Ausprägung auf – und das mit voller Absicht und gewollt, sonst würden sie längst eine datenbasierte Lösung gefunden haben. Denn anders als 1997 gibt es kaum mehr Gemeindespitäler, die irgendetwas verhindern könnten, der ÖSG, der das sogar bilateral zuließe ist seit 2003 Gesetz, und zudem sind seit 2016 öffentliche Spitäler automatisch im Maastricht-Budget. Aber wer gibt liebgewonnene chauvinistische Wahlkampfthemen einfach so auf.
Das weltbeste Gesundheitssystem ist ein geliebter und heiß verteidigter Mythos
(Vor fast 20 Jahren habe ich das geschrieben und bringe es ohne Aktualisierung wieder an die Öffentlichkeit, auch wenn die eine oder andere Zahl sich verändert haben könnte – es ist einfach Irrsinn)
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In Österreich wird seitens der Politik gerne davon gesprochen, das weltbeste Gesundheitssystem zu haben. Vor gar nicht langer Zeit hatten wir noch das sechstbeste. Und ohne spürbare Maßnahmen wurde es beinah über Nacht (eigentlich über einen Regierungs- und Ministerwechsel) das „beste“. Das Sprechen in solchen Superlativen gehört mittlerweile zur Routine der Politik. Da ist jedoch nicht ungefährlich, im Gesundheitswesen sogar fahrlässig.
Was bedeutet der Superlativ „das weltbeste“ für das Gesundheitswesen? Für viele politische Entscheidungsträger in den Ländern, Kammern und den Sozialversicherungen bedeutet es, dass es keinen echten Reformbedarf gibt, ja nicht einmal Handlungsbedarf; nur mehr Geld, wenn es denn nötig ist, um „das weltbeste“ System aufrechtzuerhalten. Für die Leistungserbringer im weltbesten Gesundheitssystem, also vornehmlich Ärzte, kann es nichts anderes bedeuten, als dass ihre Qualität auf höchstem, allerhöchstem Niveau ist, ihre Leistungen nicht übertreffbare Resultate erzielen und daher – auch wenn wenige einzelne vielleicht wenige vernachlässigbare Fehler machen – keine wesentlichen Verbesserungen möglich sind. Es besteht also ein Milieu, in dem es keine Fehler gibt und keine Fehler zugegeben werden brauchen. Für die Patienten bedeutet es, dass das, was sie in Österreich erhalten, nirgendwo in der Welt besser erbracht werden kann, und das noch dazu „gratis“ („There is free lunch in Austria?!“). Egal wo auf dieser Welt man hinginge, es würde nicht besser sein, aber ganz sicher teurer. In diesem Glauben werden Patienten zu unkritischen Konsumenten. Und die Informationsasymmetrie zwischen Arzt und Patient, die so oft als Begründung für das Beibehalten des Pflichtversicherungssystems angeführt wird und als Basis der sogenannten Selbstverwaltung dient, wird immer größer statt kleiner. Und alle zusammen wiegen sich in der trügerischen „fehlerlosen“ Sicherheit des angeblich besten Systems der Welt.
In den letzten Wochen wurde bekannt, dass wieder ein Kind an den Komplikationen einer Mandeloperation starb, und wenn man den Medien glauben schenken will, dann war es innerhalb eines Jahres das sechste Kind – das ist sehr viel. Wenn man bedenkt, dass es in diesem Zeitraum in etwa 9.000 Mandeloperationen gab, dann bedeutet das, dass die Sterblichkeit an Komplikationen wenigstens in diesem Jahr bei eins zu 1.500 lag. In der Literatur findet man eine Sterblichkeitsrate von 1/16.000 bis 1/35.000 (Clin Otolaryngol 2000; 25 : 110-7). In Italien, das, wenn Österreich wirklich das beste Gesundheitssystem der Welt hat, ein schlechteres haben muss, stirbt gar nur ein Patient pro 95.000 Operationen (Pediatr Med Chir. 2004 May-Jun;26(3):179-86). Im besten System der Welt sollte man daher höchstens einen Todesfall in vier bis zehn Jahren zu beklagen haben; sechs Tote in einem Jahr sind nicht einmal dann zu erklären, wenn das letzte Jahr ein statistischer Ausreißer wäre.
Die wichtigste Komplikation und damit auch Todesursache Nummer eins bei Mandeloperationen ist die Nachblutung. Sie tritt bei 3% bis 4% aller Patienten auf. An den Nachblutungen entbrennt aktuell auch die Diskussion, ob man die Kinder länger im Spital lassen sollte, um die Sterblichkeit zu reduzieren. Eine eigenartige Maßnahme, denn mehr als 80% aller Nachblutungen treten innerhalb der ersten 4 Stunden nach der Operation auf. Ein Vergleich der Behandlungsergebnisse und Komplikationsraten in anderen Gesundheitssystemen zeigt, dass sowohl die tagesklinische als auch die stationäre Behandlung die gleichen Resultate erbringt. (Journal of Pediatric Otorhinolaryngology, Volume 68, Issue 11, Pages 1367-1373 (November 2004)). Wenn man aber an das Kind denkt und die psychische Belastung, die jede stationäre Behandlung nach sich zieht, dann ist die Entscheidung für die tagesklinische Behandlung eigentlich logisch – wenigstens in anderen Gesundheitssystemen ist das so.
Wenn man gefährliche Nachblutungen vermeiden will, dann sollte man andere Maßnahmen setzen, als den stationären Aufenthalt zu verlängern. In Italien, das mit einem Todesfall pro 95.000 Operationen wahrscheinlich die beste Versorgung für seine Bevölkerung bereitstellt, werden beispielsweise nur 11 Operationen pro 10.000 Einwohner durchgeführt. In Österreich sind es 67. Kann es sein, dass die Österreicher wirklich fast 7mal öfter operiert werden müssen; oder wird in Österreich zu schnell zum Messer gegriffen? Als Argument für den schnellen Griff zum Messer wird gerne angeführt, dass eine geplante Operation viel weniger Komplikationen hat, als wenn man in eine vereiterte Mandel hineinoperieren muss. Das stimmt leider nicht (Acta Otolaryngol. 2005 Dec;125(12):1312-7). Genauso in das Reich der Märchen ist die Aussage zu verbannen, dass mit der Mandeloperation häufige Halsentzündungen oder Mittelohrentzündungen vermieden werden können (Laryngoscope. 115(4):731-734, April 2005; Arch Dis Child.2005; 90: 19-25). Genaugenommen, gibt es bei einer so hohen Sterblichkeitsrate, wie sie in Österreich beobachtet wird, gar keine Begründung für eine Mandeloperation. Will man also Nachblutungen wirklich verhindern, dann müssen die Operationen auf das medizinisch notwendige Maß reduziert werden, nicht die stationären Aufenthalte verlängert!
Aber auch eine zusätzliche Maßnahme könnte helfen, die Sterblichkeit zu reduzieren. Dafür ist jedoch ein realpolitisches Unwort zu verwenden: Zentralisierung. Es ist in anderen Gesundheitssystemen nachgewiesen worden, dass es eine Erfahrungswertkurve für die Mandeloperation gibt. Und noch mehr. Die Nachblutungsrate bei Patienten, die durch einen geübten Krankenhausarzt behandelt wurden, ist halb so hoch, wie die bei Konsiliarärzten oder Assistenzärzten (Acta Otolaryngol. 2005 Dec;125(12):1312-7). In Österreich werden Mandeloperationen in so gut wie jedem Spital angeboten, unabhängig ob es dort eine HNO-Abteilung gibt oder nicht. In der Regel sind es Konsiliarärzte die in den „kleinen“ Spitälern die Operation durchführen. Das Spital und in der Regel auch die Politik betrachtet das als sogenannte wohnortnahe Behandlung. Sie ziehen so den zentralen HNO-Abteilungen die Fälle ab. Doch selbst wenn die Fälle in HNO-Abteilungen behandelt würden, gehört die Mandeloperation bei HNO-Spitalsärzten nicht gerade zu den beliebtesten und wird erfahrungsgemäß gerne von den Oberärzten an die Assistenzärzte abgetreten.
Aber weder eine OP-Reduktion noch eine Zentralisierung sind Maßnahmen, die in unserem Gesundheitssystem diskutiert werden. Müssen Sie ja auch nicht, weil man ja davon ausgehen kann, dass die österreichischen Daten, die des besten Gesundheitssystems der Welt sind und einem Vergleich mit anderen nicht bedürfen.
Leider ist zu sagen, dass es nicht nur die Mandeloperationen sind, an denen man, wenn man genauer schaute, manches feststellen könnte. Ein anderes Beispiel ist etwa die Blinddarmoperation. Es gilt als gesichert, dass pro 100.000 Einwohnern etwa 85 Blinddarmentzündungen auftreten (Dig Surg 2001;18:61–66). Da man im Falle eines Verdachts auf Blinddarmentzündung bereits operieren sollte, ist es internationaler Standard, dass etwa 20% der entfernten Blinddärme keine Entzündung gehabt haben dürfen – nicht mehr. Die Diagnosemöglichkeiten sind heute soweit ausgereift, dass, legt man es darauf an, dieser Wert sogar auf 10% gesenkt werden kann (Radiology 2003;226:101-104). Damit würde man erwarten, dass in einem guten Gesundheitssystem nicht mehr als 95 – 100 Blinddarmoperationen pro 100.000 Einwohner durchgeführt werden. In Österreich, dem Land in dem sehr, sehr viele „kleine“ Krankenhäuser um ihre Rechtfertigung kämpfen, werden 175 Operationen pro 100.000 Einwohner durchgeführt. Vielleicht liegt es ja an einem unbekannten, österreichspezifischen epidemiologischen Problem, dass in Österreich so viele Operationen nötig werden. Ob dann jedoch die Operation die richtige Maßnahme wäre, um diesem Problem zu begegnen? Sollte es dieses unbekannte Problem allerdings nicht geben, liegt der Verdacht nahe, dass auch im Fall der Blinddarmoperationen das Messer zu schnell eingesetzt wird. Zwar liegen aus Österreich keine Daten über die Sterblichkeit im Rahmen einer Blinddarmoperation vor, aber aus anderen Gesundheitssystemen weiß man, dass bei einer von 400 Operationen etwas so drastisch schief geht, dass der Patient stirbt (Annals of Surgery. 233(4):455-460, April 2001). In Österreich werden etwa 14.000 Blinddarmoperationen pro Jahr unter dem Titel Blinddarmentzündung durchgeführt. Das sind verglichen mit anderen Gesundheitssystemen jährlich 6.000 Operationen mehr als erwartet. Und 6.000 durch 400 sind 15!
Ähnliches ließe sich auch für Herzkatheter-Untersuchung, eine Behandlung mit einer Sterblichkeit von einem Prozent, sagen, die in Österreich eineinhalb mal so oft durchgeführt wird, als die Krankheitshäufigkeit erwarten ließe – vielleicht deswegen, weil wir auch doppelt so viele Untersuchungsplätze haben als wir bräuchten? Oder die Komplikationsraten und die Krankenhausverweildauer bei endoskopischen Gallenblasenoperationen, die höher liegen als in allen anderen Gesundheitssystemen – vielleicht deswegen, weil es halt auch zu viele, zu kleine chirurgische Abteilungen gibt?
Kann es vielleicht doch sein, dass das „weltbeste“ Gesundheitssystem strukturelle Probleme hat? Und genau diese Frage ist es, die man in Österreich nicht stellt, ja nicht stellen darf, weil man ja das beste Gesundheitssystem der Welt hat. Sollten solche Fragen trotzdem auftauchen, dann muss man das Dokumentationswesen so umstellen, dass die Intransparenz steigt und man sich so leichter hinter der Ausrede „die Zahlen stimmen doch alle nicht“ verbergen kann. Intransparenz ist ein hervorragendes Instrument zur Herstellung und Bewahrung von Illusionen. Seitens aller Teilnehmer, vom Patienten bis zur Gesundheitsministerin, ist es unerwünscht, das am Mythos „wir haben das weltbeste Gesundheitssystem, und das sogar gratis“ gerüttelt wird. Dabei täte es dem österreichischen Gesundheitssystem gut, ein bisschen wissenschaftlich fundierte Selbstkritik zu üben. Würde eine solche Kritik möglich sein, könnte es nicht nur einen Quantensprung in der Qualität und Patientensicherheit bedeuten, sondern paradoxerweise sogar günstiger werden. Und nur dann und auch nur vielleicht besteht die Möglichkeit das beste Gesundheitssystem zu werden. Sein tut es das bestimmt nicht, und gratis ist es ebenso wenig!
Beginnen wir mit Überlegungen zum Einzugsgebiet. Das ergibt sich durch schlichte Division und beträgt daher zwischen 8.000 und 10.000 Einwohnern.
Einzugsgebiete in Einwohner anzugeben ist eigentlich keine moderne Herangehensweise, aber es ist aktuell die einzige, die wir haben. In Ländern mit gutem Primary Health Care, gibt es Einschreibeverfahren und Listen. Hier wird die Listengröße pro Vollzeit-Hausarzt vorgegeben – und zwar i.d.R. als Maximalwert. Wir haben keine Listen, daher eben Einzugsgebiete mit den Maßzahlen Einwohner und seit 2024 (ÖSG_2023_-_Textband,_Stand_15.12.2023; 2.2 Planungsgrundlagen und Richtwerte; S 36 ) auch Erreichbarkeit; erstere muss 2.000 überschreiten zweitere soll 10 Minuten im Straßen-Individualverkehr unterschreiten,.
Eingehalten werde diese „Empfehlungen“ eher nicht, wie die Verteilung zeigt. Im Durchschnitt gibt es pro 2.250 EW einen Kassen-AM, die Schwankung reicht von 1.700 im Burgenland zu 2.700 in Wien und regional sogar von 1.600 bis 3.000 EW. All das kann man aus den verschiedenen ÖSG-Tabellen (mühsam) ausrechnen.
Nun, bezogen auf die PVE-Aussage ist es also nicht klar, wieviele Hausärzte hier pro PVE angesetzt werden. Den Vorgaben entsprechend, dürften nicht mehr als 4 bis 5, dem Durchschnitt entsprechend 3,6 bis 4,4 Stellen dort bestehen. Das ist sehr verwunderlich. Denn, bis dato galt, dass sich mindestens 3 Kassen-Hausärzte finden müssen, um ein PVE zu gründen. Weil das nicht so funktioniert hat, dürfen hinkünftig auch 2 ein PVE gründen. Dass es also in den angedachten plötzlich 4+ geben soll, ist jedenfalls nicht einfach nachzuvollziehen.
Wieviele Ärzte aktuell in den bestehenden PVEs tätig sind, weiß vermutlich niemand, weil über Vertretungsregeln und Turnusärzte die Zahl der Vollzeithausärzte pro Einrichtung vermutlich stark verzerrt ist, und genaueres niemand wissen will.
Wichtiger als die Listengröße, oder das theoretische Einzugsgebiet ist in der Literatur jedoch die Panelgröße. Das ist im Grunde die Zahl der behandelten Individuen, die aus dem Einzugsgebiet oder der Liste entstanden sind – unabhängig der Zahl der Kontakte. Die Panelgröße zeigt also, wieviel Patienten ein Hausarzt pro Jahr behandelt oder behandeln soll. Die Zahl wird international diskutiert, und wird irgendwo zwischen 1.200 und 1.900 liegen. Hintergrund der Diskussion ist die Inhomogenität bezüglich Morbidität und Sozioökomie in den Listen, bzw. Einzugsgebieten. Wo Menschen kränker sind, muss das Panel kleiner werden, wo sie gesünder sind kann es größer werden. Um dafür sinnvolle Berechnungsmethoden zu entwickeln werden verschieden Bewertungskriterien erprobt.
In Österreich gehen etwa 80% der Einwohner wenigstens einmal zum Hausarzt (Bundeszielsteuerungsvertrag S.49), womit das Panel im Durchschnitt 1.800 beträgt (80% von 2.250). Im Burgenland ist zwar der Anteil der Menschen der einen Hausarzt aufsucht höher, die Panelgröße aber wegen der hohen Hausarztdichte nur 1.450. Anders in Wien, dort beträgt die Panelgröße 2.160, ist also 50% größer. Demnach müssten, wenn hinter diesen Zahlen Planung steckte, Wiener deutlich gesünder sein als Burgenländer. Anderenfalls ist es eben Willkür. Anhand der Zahlen sieht man aber bereits das wir eher an der oberen Grenze der Empfehlungen agieren, oder dieses sogar überschreiten.
Damit eine Panelgröße zwischen 1.200 und 1.900 qualitativ gut abgearbeitet werden kann, geht man von 3 bis 4 Arztkontakten pro Patienten und Jahr aus.
Gerechnet wird da aber von der anderen Seite – und zwar vom Arzt weg. Pro Arbeitstag und Vollzeithausarzt sollten zwischen 20 und 25 Patientenkontakte stattfinden. Denn die besten Ergebnisse werden erzielt, wenn der Kontakt zwischen 10 und 15 Minuten dauert, und der Arzt nicht länger als 50 Stunden pro Woche arbeitet. Die Hälfte der Arbeitszeit wird durch Administration, Fortbildung etc. verbraucht, die andere durch direkten Patientenkontakt. Werden mehr als 25 Stunden mit direktem Patientenkontakt pro Woche verbracht, werden beide Seiten, also sowohl Arzt als auch Patient, unzufrieden und damit sinkt die Qualität. Sinkt die Qualität, werden Patienten häufiger zu Fachärzten überwiesen, die Compliance bei chronisch Kranken sinkt und erzeugt Folgeprobleme, wie etwa vermeidbare Krankhausaufenthalte, etc. Das ist alles sehr gut untersucht.
Und hier kommt dann „unser“ Modell ins Spiel.
Pro Patient hatten wir 2021 (so kann man aus dem Bundeszielsteuerungsvertrag errechnen) im Schnitt 11 Hausarztkontakt pro Jahr. Im Burgenland waren es 12,5. Und weil dort die Panelgröße 1450 beträgt, hat ein Hausarzt jährlich 18.000 Patientenkontakte. Auf 250 Arbeitstage runtergebrochen sind das 72 täglich. Also das dreifache von dem was als Obergrenze empfohlen ist. Wien liegt mit 10 Arztkontakten pro Patienten deutlich niedriger. Aber bei einer Panelgröße von 2.160 steigt die Zahl der jährlichen Patientenkontakte auf 21.100 oder 85 Patienten pro Tag. Mit dem Patientenbedarf hat das alles nichts zu tun
Entsprechend der internationalen Studienlage müssten wir bei solchen Zahlen erwarten, dass es eben zu einer erhöhten Inanspruchnahme der Sekundärversorgungsstufe, sprich ambulante fachärztliche Versorgung, und in weiterer Folge eine hohe Hospitalisierungsrate kommt. 52 mio Kassen-Facharztbesuche ,18 mio in der Spitalsambulanz, und die höchste Krankenhaushäufigkeit Europas beweisen das. Und um in Wien zu bleiben – dort sind die Facharztkontakte häufiger als die Hausarztkontakte – ein absolutes und weltweites Unikum, vermute ich.
Wenn also von 300 PVEs für 2,5 bis 3 mio Einwohner gesprochen wird, die zur Stärkung des niedergelassenen Bereichs und der Entlastung der Ambulanzen dienen sollen, dann wäre es sehr spannend, ob diese PVEs auf einen für diese Ziele vernünftigen Workload kommen – also irgendwo bei 20 bis 25 Patientenkontakte pro Arzt und Arbeitstag. Dann allerdings sind nach aktuellem Stand entweder 50 Arztkontakte pro Tag durch andere Berufsgruppen zu ersetzen (was mit unserem Arztvorbehalt kaum denkbar ist) oder aber ein PVE, braucht 15 Ärzte – und das wären eben echte PHC-Giganten
Es sind jetzt mehr als 15 Jahre vergangen, als mit einem Verfassungsgesetz beschlossen wurde, das Menschen, die bis dahin illegal in Österreich gearbeitet haben, von jeglicher Strafe oder Nachforderung befreit sind. Es war die Geburt der offiziellen Personenbetreuer – die seither als 24 Stunden- Pflege tief ins öffentliche Gedächtnis eingegangen sind.
Natürlich sind das keine Pflegekräfte. Es sind normale Menschen aus irgendwelchen Berufen, die aufgrund der Lohnunterschiede zwischen Österreich und ihrem, i.d.R. osteuropäischen Heimatland, hier viel verdienen. Sogar Universitätsprofessoren haben hier gejobbt – einfach, weil die 100€ pro Tag die hier verdient wurden, daheim eine Kaufkraft von 1.000€ hatten.
Aber, es war von Anfang an klar, dass diese Lohngefälle im Rahmen der europäischen Integration geringer werden. Und Wissende wußten, dass es nur ein Provisorium sein kann, um eine Versorgungslücke zu schließen.
Doch warum hat sich diese Lücke aufgetan?
Das ist die Folge einer jahrzehntelangen und andauernden Weigerung, die Langzeit-Pflege zu reformieren. Was im Grunde nichts anderes hieße, als sie gemeinsam mit dem Gesundheitssystem zu denken, und professionelle Pflege so einzusetzen, dass sie tun kann, was sie kann. Denn, auch wenn das nicht überall verstanden wird, professionelle Langzeit-Pflege, richtig eingesetzt, wirkt tertiärpräventiv. Sie kann die Pflegebedürftigkeit der Patienten senken, und so den Pflegbedarf reduzieren – und das gewaltig.
Informelle Pflege, sei es, durch Angehörige oder 24-Stunden-„Pflege“, kann das nicht. Die pflegt ins Bett und vom Bett ins Heim. Und dazwischen landen die Patienten immer und immer wieder im Spital. 24 Betreuung ist auf den ersten Blick billig, auf den zweiten Blick aber sehr teuer und vor allem schädlich.
Länder wie Dänemark aber auch die Schweiz setzen auf professionelle Langzeit-Pflege. Und dort wird bei vergleichbarem Personaleinsatz viel mehr erreicht. Der Anteil der Bevölkerung über 65 mit Einschränkungen bei den täglichen Aktivitäten ist praktisch überall gleich, aber bei uns ist die Zahl derer mit schweren Einschränkungen drei Mal höher. Integrierte, professionelle und koordinierte Pflege- und Betreuungsdienste verhindern nicht, dass wir alt werden, aber sie erleichtern das Alt-Sein doch erheblich.
Weil wir das aber auf Grund unserer Kompetenzverteilung im Gesundheits- und Sozialsystem nicht hinkriegen, setzen wir weiter auf „Selbstversorgung“ durch informelle Pflege. Und die sogt für einen immer stärker steigenden Bedarf. Und um die geringer werdenden Lohnunterschiede zu den Herkunftsländern der Personenbetreuer zu kompensieren, werden einfach zusätzliche Mittel ausgeschüttet.
Aber, das wird nicht funktionieren. Die Demographie ist hier sehr klar. Wenn wir den Pflegebedarf nicht durch tertiärpräventive Maßnahmen senken, wird die Langzeitpflege schlicht nicht bedarfsgerecht erbracht werden können. Wir sprechen hier von etwa 10.000 zusätzlichen Personenbetreuern, die wir ins Land holen und zusätzlichen 5.000 Angehörigen, die sich der Pflege widmen müssten – JÄHRLICH.
Der Weg muß ein anderer sein – und der setzt Mut voraus, vor allem auf der Ebene der Bürgermeister. Es ist unrealistisch, dass die durch die Verfassung normierte Kompetenzverteilung jemals geändert wird. Aber dezentral diese Kompetenzgrenzen zu sprengen, Mittel, woher auch immer, freizusetzen und statt Pflegeheime zu errichten, Pflege-Teams rund um Patienten entstehen zu lassen, die patientenorientiert arbeiten können, das könnte helfen – und ja, das niederländische „Buurtzorg“ wäre ein Vorbild.
Geht es um die Zukunft der Gesundheitsversorgung, redet jeder von Prävention und Health Literacy.
Die Lösung ist dann meist Gesundheitserziehung, eine gesunde Jause und Bewegung in der Schule, da Kinder von heute Erwachsenen von Morgen sind, die gesund altern und das Gesundheitssystem entlasten sollen.
Aber auch die allgemeine Vorsorgeuntersuchung sei wichtig, denn früh erkannte Krankheiten sind besser zu behandeln. Auch das würde viel sparen. Angeblich sechs Euro pro in Vorsorge investiertem Euro.
Es ist immer wieder erstaunlich, welche Wirkung der Prävention zugedacht wird. Leider ist das alles eher Populismus, und, wenn es um die Einforderung der Eigenverantwortung geht, mit Hang zur Demagogie.
Wissenschaftlich ist daran bestenfalls sehr wenig. Dort gilt seit langem das „Polypen-Rätsel“ und das „Inverse Care Law“. Ersteres beschreibt den Zusammenhang zwischen unwirksamen Präventionsmaßnahmen, wenn es kein stabiles Krankheitsmodell gibt, zweiteres das Problem, dass vor allem jene Prävention in Anspruch nehmen, die am wenigsten davon profitieren
Für das Polypen-Rätsel gibt es das Beispiel Schilddrüsenkrebs. Der wird durch verbesserte diagnostische Maßnahmen immer „früher“ entdeckt. Doch trotz seines nahezu epidemischen Auftretens, bleibt die Mortalität unverändert. Durch „Vorsorgeuntersuchungen“ finden wir also sehr viele Krebse, ohne dass sich die Zahl der daran gestorbenen ändert – wir überdiagnostizieren und übertherapieren.
Populistisch könnte man diese Zahlen aber auch so interpretieren, dass sich die Überlebenswahrscheinlichkeit vervielfacht hat. Und all jene, die eine Schilddrüsen-OP wegen „Krebs“ hatten, und nicht daran starben, sind davon auch fest davon überzeugt. Alleine es stimmt nicht.
Früherkennung ist mit Vorsicht zu betrachten. Und weil es eben nur für wenige Krankheiten so stabile Verlaufsmodelle gibt, dass eine frühe Diagnose wirklich was bringt, gibt es nirgends mehr allgemeine Vorsorgeuntersuchungen. Solche Untersuchungen sind nur dort sinnvoll, wo es um spezifische Krankheiten bei spezifischen Bevölkerungsgruppen (Risikogruppen) geht.
Und selbst dann gibt es ein Problem, nämlich das Inverse Care Law.
Sinnvolle Präventionsprogramme müssen das Ziel haben 100% der adressierten Bevölkerungsgruppe zu erreichen. Denn die ersten 50% werden gar nicht davon profitieren. Die achten von selbst so gut auf die eigene Gesundheit, dass jedes Programm defacto unnötig ist. Für die nächsten 25% besteht eine 50/50 Chance, dass das Programm was bewirkt. So richtig wirksam, ist es erst bei dem letzten Viertel. Das sind jene mit schlechter Health Literacy, niedriger Compliance und noch niedrigerer Adherence – Eigenverantwortung einzufordern mag zwar gut klingen, wird aber diese nicht erreichen. Gleichzeitig sind es aber nur die, wo dann das oben besprochene Potential von 6 Euro Behandlungskosteneinsparung liegen könnten.
Aber nähmen wir an, alle Probleme seien gelöst, welche Prävention ist den eigentlich wichtig? Sind es wirklich Kinder, denen wir Vorschriften machen sollten? Nein, denn die sind in der aktuellen demographischen Situation völlig nebensächlich.
Für die nächsten 30 Jahre sind es die Babyboomer, die unsere Gesundheitssystem überlasten werden. Wenn schon jemand mit gesetzlichen Pflichten zur besseren Lebensführung gezwungen werden müsste, dann die vor 1965 geborenen. Dort ist Übergewicht üblich, Alkohol- und Nikotin-Konsum hoch, Health Literacy niedrig und chronische Erkrankungen, deren Verlauf beeinflusst werden könnte, weit verbreitet.
Unangenehmerweise sind es aber auch die meisten Wähler. Denen Vorschriften und Pflichten aufzuerlegen ist politisch unklug. Und so liegt der Fokus auf Kindern, die gesund altern sollen.
Wenn die neue GÖG-Pflegebedarfsstudie 2050 den Bedarf an Pflege- und Betreuungspersonal mit 200.000 Köpfen angibt, dann sind das nicht ZUSÄTZLICHE, sondern eine Endzahl. Der zusätzliche Bedarf wird mit rund 70.000 angegeben. Also etwa 50% mehr als heute –ohnehin schon sehr viel, zu viel möglicherweise.
Denn, was diese Studie nicht bedenken durfte, sind Änderungen im Gesundheitszustand der Bevölkerung. Sie geht davon aus, dass die Ineffizienz des Systems einfach weitergeht.
Das heutige System muss aber pointiert als gesundheitsschädlich betrachten werden. Obwohl wir europaweit die höchste Inanspruchnahme von ambulanten und stationären Gesundheitseinrichtungen haben, sind wir trotzdem im Spitzenfeld der Pflegebedürftigkeit. Um es klar zu sagen – wenn wir es nicht schaffen, das System weniger gesundheitsschädlich zu gestalten, werden wir es nicht halten können, egal wieviel Personal wir ausbilden oder einfliegen lassen.
An dem Punkt kommt das Chronic Care Modell (CCM) ins Spiel.
Das CCM ist ein organisatorischer Ansatz zur Betreuung von Menschen mit chronischen Erkrankungen in der Primärversorgung. Es ist bevölkerungsbasiert und schafft praktische, unterstützende und evidenzbasierte Interaktionen zwischen einem informierten, aktivierten Patienten und einem vorbereiteten, proaktiven Betreuungsteam.
Wagner EH. Chronic disease management: what will it take to improve care for chronic illness? Eff Clin Pract. 1998;1:2-4
Sinnvoll umgesetzt, fördert das CCM die Fähigkeiten der Patienten zur Selbstverwaltung ihrer Krankheit, indem es diesen Werkzeuge und Ressourcen anbietet, um ihre Gesundheit aktiv zu managen. Es bietet klinischen Teams Werkzeuge und Ressourcen, um evidenzbasierte Richtlinien und Informationen zu nutzen. Es achtet darauf, dass Informationssysteme bestehen, um den Austausch relevanter Patienteninformationen zwischen den Mitgliedern des Gesundheitsteams zu erleichtern. Es fördert eine effiziente Organisation von Gesundheitsdienstleistungen, um die Bedürfnisse chronisch kranker Patienten effektiv zu adressieren. Und es bezieht die Unterstützung der Gemeinden in den Behandlungsprozess ein, um sicherzustellen, dass die Versorgung über die klinische Umgebung hinausgeht.
So etwas zu errichten ist keine Hexerei und es gibt dafür Unmengen an hilfreichen Tools im Internet – sofern es irgendjemanden gibt, der sich darum kümmert -und hier kommen die Bürgermeister ins Spiel.
Wenn wir Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohner außer Acht lassen, bleiben etwa 2.000 Bürgermeister übrig, die für etwa 5.000.000 Einwohner zuständig sind. Pro Gemeinde im Schnitt 2.500 Einwohner.
Etwa 20% haben ein chronische Erkrankung, die, wenn richtig adressiert, zu weniger Akuterkrankungen und geringerem Pflege- und Betreuungsbedarf führt. Wenn man die Hälfte dieser Patienten erreichte, würde das bereits einen erheblichen Hebel für die Prognose der GÖG-Studie bedeuten – und das System retten.
Runtergebrochen auf eine Durchschnitts- Gemeinde sind das also etwa 250 Einwohner, deren Versorgung besser über ein CCM koordiniert werden müsste. Wenn man für jeden etwa eine Stunde pro Monat professionelle „Koordination der CCM“ einplant, sind das 1,5 VZÄ. Übertragen wir diese Aufgabe einer Community Nurse, die direkt bei der Gemeinde angestellt ist, sind Datenschutzthemen oder Haftungsfragen leicht geklärt. Zudem würde eine derartige Position, die weder dem Gesundheitssystem, noch dem Pflegewesen zugeordnet ist, sondern schlicht eine „Verwaltungskraft“ darstellt, jene Brücken schlagen können, die eben heute nicht bestehen und die Ineffizienz ausmachen. Die aktuelle Gesetzeslage ließe das alles zu, sogar mit Förderungen könnte man rechnen.
Die Probleme sind bekannt: Durch zu viele Akteure wird eine überregionale Zusammenarbeit zugunsten von „Eigeninteressen“ behindert. Die Existenz so vieler Akteure ist nicht geeignet, die Entwicklung eines rationellen, aufeinander abgestimmten und reibungslos funktionierenden Systems zu fördern. Zwischen intramuralem und extramuralem Bereich besteht eine scharfe Trennlinie. Es existieren Zweigleisigkeiten in der Arbeit von Spitälern und Ärzten in der Praxis.
Trotz Bemühungen um eine verstärkte Koordinierung ist das Gesundheitssystem aufgrund seiner Verwaltungsstruktur und dualen Finanzierung komplex und fragmentiert. Besonders die Aufteilung der Finanzierung von intra- und extramuralen Leistungen kann die Betreuungskontinuität beeinträchtigen. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass zurzeit die Gesundheitsergebnisse schlechter und die Gesamtkosten höher ausfallen, als dies in einem koordinierten System der Fall wäre.
Um eine nachhaltig qualitätsgesicherte Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung sicherzustellen, braucht es eine Reform. Diese sollte dazu führen, dass die Leistungsangebote in allen Sektoren aufeinander abgestimmt und patienten- und bedarfsorientiert gestaltet werden. Parallelstrukturen sollen verhindern bzw. abgebaut werden. Um das zu beobachten, sind routinemäßige Messung der Versorgungseffektivität nötig. Das Finanzierungs- und Honorierungssysteme muss sich stärker am Versorgungsbedarf ausrichten. Der stationäre Bereich ist durch medizinisch und gesamtwirtschaftlich begründete Verlagerung von Leistungen in den tagesklinischen bzw. ambulanten Bereich zu entlasten. Und für ausgewählte Krankheitsbilder soll es, am Patientenbedarf orientierte, Versorgungsstandards und Disease Management Programme geben
Auch Ziele und Maßzahlen sollten festgelegt werden. Man kann sich eine ganze Menge an Zielen vorstellen, die man etwa in strategische und operative Ziele unterscheiden könnte. Beispielsweise könnten für Diabetiker bundesweit einheitliche Qualitätsstandards festgelegt und diese auf Landesebene oder in definierten Versorgungsregionen gemessen werden. Oder, wenn es simpel gehen soll. werden einfach Ziel-Anteile der Diabetiker die im Rahmen von „Therapie Aktiv“ versorgt werden, festgelegt.
Nun, wem das bekannt vorkommt, die Auflösung: Absatz 1 enthält Aussagen einer Studie aus dem Jahr 1969 (!), Absatz 2 aus einer Studie aus 2017. Absatz 3 ist voll von Aussagen des Bundeszielsteuerungsvertrag 2013 und die angesprochenen Ziele im Absatz 4 findet man in den Zielsteuerungsverträgen 2013 bzw 2022 – dort unterscheidet sich nur die Zielerreichungsfristen, die immer weiter gestreckt wurden.
Jetzt dürften wieder Zielvorgaben kommen – und wie üblich: „Wir werden mit dem Bund gemeinsam Ziele formulieren, aber es sind keine Sanktions-Maßnahmen damit verbunden.“ Und „Werde ein Ziel nicht erreicht, so werde man die Zielsetzung evaluieren.“
Man könnte meinen, diese Ziele sind unnötig – ein Trugschluss. Die Ziele, die mühsam in den 2010er Jahren verhandelt wurden, haben an Aktualität nichts verloren. Sie sind weiterhin gültig und wichtig. Was wir aber nun mit Sicherheit wissen, ist, dass eine Gesundheitsreform keinerlei Chance hat, diese Ziele auf den Boden zu bringen. Für das Bodenpersonal ist das angesichts der demographischen Entwicklung fatal. Um nicht unterzugehen, wäre es mehr als sinnvoll, dezentral, weit unterhalb der Länderebene, den Bundeszielsteuerungsvertrag 2013 heranzuziehen und die dortigen Ziele selbst umzusetzen, unabhängig, ob es irgendwelche Reformen gibt oder nicht. Es muss jetzt einfach schneller gehen.
Primary Health Care ist mehr als Allgemeinmedizin oder Primärversorgungseinheiten
Eine 75 jährige, seit 6 Monaten verwitwet, kommt ein bis zwei Mal pro Woche zum Hausarzt. Was könnte das Problem sein? Selbst Laien antworten schnell mit „Einsamkeit“ oder „Trauer“. Und das ist es wohl in der Regel auch.
An dem Punkt stellen sich zwei Fragen: 1. Warum Hausarzt? 2: Was kann der tun?
Die erste Frage ist leicht beantwortet. Traurig und einsam zu sein, fühlt sich ungesund an. Der Mensch fokussiert sich dann auf alle möglichen Symptome – und geht damit zum Arzt.
Die zweite Frage ist schon schwerer zu beantworten. Therapie gibt es eigentlich keine, es sei denn, die Trauer ist derart stark, dass sie einen therapierbaren Krankheitswert hat und so einen sozialversicherungsrechtlichen Fall auslöst. Dann könnte eine Verschreibung eines Antidepressivums oder eine Überweisung zu einem Psychiater erfolgen. Aber in der Regel ist das nicht nötig. Andere Leistungen sind jedoch im Katalog des Hausarztes nicht enthalten, können nicht enthalten sein, weil die Krankenkassen für Krankheiten zuständig sind. Trauer und Einsamkeit sind meist keine Krankheit -und dann eigentlich kein Fall für den Arzt. Der Patient sitzt allerdings bei ihm?
Ein weiteres Beispiel
Wer Durst hat, der geht zur Wasserleitung und trinkt. Doch was, wenn er nicht gehen kann? Sollen wir Durst, ein gesundheitliches Problem, nicht adressieren und warten bis daraus eine Dehydration entstanden ist, um sicher zu stellen, dass der Patient nun sicher krank und damit Leistungen an ihm versichert sind? Wer aber übernimmt Organisation und Kosten für die pflegerische Betreuungsleistung, damit die Dehydration NICHT eintritt?
Und genau an solchen Punkten scheitert in Österreich die Idee des Primary Health Care (PHC), bzw. die Umsetzung der Idee mit stark regulierten PVEs.
PHC arbeitet mit dem sogenannten bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell der WHO das gesundheitlichen Probleme (also nicht nur Krankheiten) der Bevölkerung in einem definierten Einzugsgebiet adressiert.
Hier geht es um mehr als nur die Behandlung einer biologischen Fehlfunktion, also einer Krankheit, sondern auch um deren Bedeutung und Querverbindung in und mit der Umgebung und der Psyche.
PHC ist also ein Prozess, der nicht zwischen Sozial- und Gesundheitssystem unterschiedet. Die Trennung zwischen gesundheitlichen Problemen, die tendenziell dem Sozialsystem zugerechnet werden und Krankheiten, die ins Gesundheitssystem fallen, muss aufgehoben werden. An dieser Grenze, die jährlich millionenfach berührt ist, dreht sich, demographiebedingt, im Grunde alles. Wer an der Grenze versucht, durch zentrale Regularien, Mirkomanagement zu betreiben, etwa durch das Honorarsystem der Krankenkassen oder strikten Personalvorgaben des Bundes für PVE, wird scheitern. Zu vielfältig ist die Welt des PHC.
Statt Mikromanagement Flexibilität, statt zentral dezentral – Im Grunde geht es darum, rund um definierte Einzugsgebiete (rund um einen Hausarzt, der nicht mehr als 1.500 EW versorgen sollte) auf Gemeindeebene Koalitionen der Willigen zu bilden und einfach anzufangen. Ärzte, Pflegekräfte, Apotheker, Therapeuten, Betreuungsdienste sollen sich zusammentun, und tun was das sie für das Beste halten. Idealerweise unter der Moderation der Bürgermeister. Denn, was wo wie funktioniert ist kaum und schon gar nicht zentral planbar. Und es gibt auch keine Garantie, dass eine Maßnahme zum Erfolg führt. Try and Error, und die Hoffnung, dass irgendwer daraus lernen will, sind so ziemlich die einzige Option. Kluge Gesundheitspolitik würde daher die PHC-Ebene deregulieren, und dafür Ergebnisse messen und fordern.
Wie zu erwarten, wurde es auch diesmal „die größte Strukturreform“ aller Zeiten. Eine Analyse des Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024 ist dann aber doch eher anders.
Das Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024 ist nur ein Sammelsurium alter Gesetzestexte, die, wie etwa der §6 das Bundesgesetz über die Dokumentation im Gesundheitswesen, mehr oder weniger wortgleich, einfach neu Fristen erhalten haben. In dem Fall ein Gesetz aus 1996, das die Diagnose-Codierung im ambulanten Bereich mit Frist 2001 vorschrübe, wird nun mit der neuen Frist 2025 versehen – Jetzt aber wirklich.
Ich glaube, es gibt keinen einzigen neuen Paragraphen. Die „Wiederverwertung“ alter Gesetze, die, wie die viele Rechnungshofberichte nach jeder Reform darlegen, in den letzten Jahrzehnten konsequenzlos ignoriert wurden (i.e Lex imperfecta), ist defacto das Rückgrat dieser „größte Strukturreform“. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass man nicht viel verhandeln muss. Es ist, wie Franz Bittner es ausdrücken würde: „… alter Wein in noch älteren Schläuchen“. Und weil es eben nichts neues ist, und die Texte ja schon verhandelt wurden, stehen sie daher weitgehend außer Streit. Das erspart viel Arbeit.
Allerdings, diese Texte so anzupassen, dass die „neuen“ Ideen reinpassen und Extra-Wünsche, v.a. der Länder, enthalten sind, macht diese praktisch unlesbar. Was genau der Inhalt mancher Passagen ist, wissen vermutlich nur die Verhandler selbst, wenn überhaupt. Der Normunterworfene allerdings kann kaum sagen, wie der Staat in einer bestimmten Situation handeln wird. Zu unklar und unscharf sind die Gesetze. Wenn etwa § 14 Gesundheits-Zielsteuerungsgesetzes den Aufbau eines Termin-Managementsystems „… mit Fokus auf den extramuralen Bereich im extramuralen Bereich durch die SV ..,“ vorsieht – was ist damit gemeint?
Hinter solchen Formulierungen versteckt sich ein Haufen Pfründe- und Willkür-Absicherung, der zeigt wie schwach verhandelt wurde. Im Beispiel, ich kann nur mutmaßen, dürfte es darum gehen, dass die Länder weiterhin für den intramuralen, die SV für den extramuralen ambulanten Akutbehandlungsbereich zuständig, und weiterhin niemand für irgendein Ergebnis verantwortlich ist. Spitalsambulanzen bleiben Ländersache, Kassenordis die der SV. Ich denke, das ist von Anfang an totes Recht – und weil das jeder Verhandler wusste, haben die nur darauf geachtet, dass da keine Fallstricke bei der Kompetenzverteilung enthalten sind und das hin und her schieben der Verantwortung nicht gefährdet wird. Das Resultat ist dann eben so ein Text.
Ein weiteres Beispiel dazu, ist der neue §62g des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes, in dem es um die Geschäftsordnung der nun in Bewertungsboard umbenannten Medikamentenkommission geht – weiter unten widme ich mich diesem Ding noch inhaltlich.
Herauszufinden, was das heißt, dauert. Am Ende ist klar, dieses „Board“ ist keines, es sind eher zwei – eines für die Spitäler, eines für die Kassen. Was sie eint ist, dass der Bund den Betrieb zahlen muss.
Im Grunde ist das KaKuG mittlerweile genauso unlesbar wie das ASVG – erschwerend kommt jedoch hinzu, dass dieses ja nur eine Grundsatzfestlegung ist – die Ausführungsgesetze werden dann je Land noch einmal in Eigenregie verändert, oder eben nicht. Durchblicken wird keiner.
Apropos Bewertungsboard; dass endlich englische Fachausdrücke, die es oft eben nur in Englisch gibt, eingeführt wurden, ist gut. Etwa die „spending reviews“ (Gesundheits-Zielsteuerungsgesetzes § 6 Abs. 2; warum die unter Anführungszeichen und klein geschrieben wurden weiß ich nicht), die bereits auf OECD-Ebene definiert sind (Anm.: das die in Ö wirklich kommen, ist unwahrscheinlich)
Zusätzlich sind die Gesetze aber voll von neuen merkwürdigen Austriaca, also nach Fachausdrücken klingende, aber nur in Österreichs Verwaltung vorkommende, Wörter, wie eben das denglische BewertungsBoard. Dann gibt es da noch die „analoge Vergleichbarkeit“ – wenn die weißen Schimmel im Amt wiehern. Auch der Ausdruck „tagesklinisch/tagesambulant“ klingt super, sagt aber nichts aus. Nicht neu aber erhalten blieben uns die zu Klassiker gewordenen „Best Point of Service“ (wohl in Anlehnung an Point of Care) und natürlich „Primärversorgungseinheit“.
Beeindruckend ist der „Ärztebereitstellungsdienst“ im §341ASVG. Diese Neuschöpfung, die es erst seit wenigen Monaten und exklusiv in NÖ gibt, und eine Art Poolärztedienst darstellt, nachdem das Leiharzt-Modell (landeseigene Spitalsärzte sollten an unbesetzten Kassenordis verliehen werden) nicht funktioniert, findet nun Einzug in Bundesgesetze – und erhält dort entsprechende Privilegien. Er, der Ärztebereitstellungsdienst, darf tun, was er will, weil es für ihn ergänzende oder abweichende Regelungen geben darf. Willkür eben! Wer oder was dieser Dienst ist, ist völlig unklar, offenbar ist es einfach ein Etikett, das man irgendwo draufkleben muss – ob ich sowas „einrichten“ darf? nobody knows!
Und, anders als echte Pooldienste, werden die dort tätigen Ärzte, auch wenn es kaum etwas angestellteres gibt, sicherheitshalber gesetzlich zu Selbstständigen gemacht – die gesetzlich verordnete Nicht-Scheinselbständigkeits-Selbständigkeit
Ja, der §47a des Ärztegesetzes 1998 – ÄrzteG 1998 wird erweitert! Zuerst die Nicht-Scheinselbständigen, weisungs-, orts und zeitgebundenen Notärzte, jetzt die Poolärzte – der Paragraph entwickelt sich.
Aber die Legistik ist nicht nur schlecht, sondern auch schlampig. Ein Beispiel wäre die simple Umbenennung der Rahmen-Gesundheitsziele in die Gesundheitsziele -Österreich. Erstere sind ja schon ziemlich alt und unerreicht, die „neuen“ haben daher nichts mit den „alten“ zu tun – außer im § 9 G-ZG, dort hat man „vermutlich“ vergessen“ das „alte“ durch das „neue“ zu ersetzen!
Vermutlich, oder eben auch nicht. Nur wer dabei war, weiß, ob das bewusst oder unbewusst war. Weder Erläuterungen noch Text geben den Willen des Gesetzgebers klar weiter – also werden es Gerichte machen müssen, sollten jemand Fragen, wohin die Gelder geflossen sind.
Am Ende ist definitiv nicht viel Arbeit in diese Reform geflossen – auch wenn das der Minister anders empfinden mag.
Inhaltlich
„digital vor ambulant vor stationär“
Aufhänger ist „digital vor ambulant vor stationär“.Hier wurden die meisten „neuen“ Texte eingeführt – genauer betrachtet sind es aber nur Erweiterungen der bekannten „ambulant vor stationär“-Gesetze, die es seit Jahrzehnten gibt und deren Ziel immer der Abbau des akutstationären Bereichs bei gleichzeitigem Ausbau der ambulanten Versorgung unter Sicherstellung des Zugangs zu und der Verfügbarkeit von allen notwendigen Leistungen war.
Wenn man Daten anschaut, haben die alten Gesetze kaum gewirkt. Es gab weder einen Ausbau der Spitalsambulanzen noch der Kassenversorgung und auch keinen Abbau des akutstationären Bereichs. Wenn es etwas gab, dann eine Verschiebung mancher vollstationären Leistungen in den, ebenfalls dem akutstationären Bereich zugerechneten, tagesklinischen Bereich. Was die vollstationäre Patientenzahl betrifft, sind wir immer noch Weltspitze. Und wer sich mit dem Spitalsbetrieb auskennt weiß, dass Bettenauslastung weiterhin das oberste Ziel der Verwaltung ist – kein Wunder, hängt sowohl das finanzielle als auch politische Überleben der Spitalsstandorte weiterhin von vollen Betten ab.
Warum sollte also das Ziel „„digital vor ambulant vor stationär“ jetzt verwirklicht werden können? Es einfach in ein paar Gesetzen, deren Nicht-Befolgung konsequenzlos ist, reinzuschreiben ist eben nicht genug. Patientenströme können nur dann sinnvoll gesteuert werden, wenn ALLE Anbieter an einem Strang ziehen – und das wäre eine Reform – aber es ist nicht diese.
Gestützt wird die Hypothese, dass sich nichts ändern wird, auch dadurch, dass es keinerlei veröffentlichte Entscheidungsgrundlagen gibt, die zu den politischen Aussagen rund um die erwartete bessere Patientensteuerung gibt. Ein digitales Tool ist ja nur dann hilfreich, wenn es bei bekannten Patientenwegen eingesetzt wird. Das was mit der Reform kommen soll, ist aber nicht mehr, als eine Option Akutpatienten eventuell davon abzuhalten, einen persönlichen Kontakt zu einem Gesundheitsprofessionisten zu verursachen. Die meisten Patienten sind aber eben nicht mehr akut, sondern chronisch. Telemedizin ist also vor allem dort hilfreich, wo es darum geht, chronisch Kranke zu führen – aber davon ist nicht die Rede.
Und nur so als Beiwort: 1450 ist die Telefon-Schmalspurvariante des TeWeb, das seit über 15 Jahren in Gesetzen und Planungen vorkommt, und ELGA hat über zwei Jahrzehnte auf dem Buckel -Papier ist geduldig.
Ärztekammer -Entmachtung
Der „große Wurf“, soll die Entmachtung der Ärztekammer sein, Und Prima Vista ist die Reduktion der Veto-Player in der ambulanten Versorgung tatsächlich etwas richtiges. Nicht weniges wurde auch, aber eben nicht nur, durch die Ärztekammer verhindert – etwa die Einführung von PHC, die über ein Jahrzehnt mit Weltuntergangsszenarien bekämpft wurde (und auch noch wird, jetzt halt ein bisschen weniger dramatisch) oder ELGA , die ein Spuk wäre, der uns bloß stellt.
Der zweite Blick allerdings führt aber zur Frage, ob die ambulante Versorgungsplanung nun wirklich besser wird, weil DER Blockierer weg ist?
Die ambulante Versorgung ist aufgeteilt in Kassenstellen Ärzte-gmbHs (die es defacto kaum gibt, obwohl sie der Kernpunkt der größten Strukturreform von Stöger waren) Spezialambulanzen, Zentrale Ambulante Erstversorgung, interdisziplinäre Aufnahmestationen (die beiden letzteren gibt es, auch wenn das kaum jmd weiß, erst seit 2012 und waren die ersten rechtmäßigen Einrichtungen in Spitälern mit ambulantem Versorgungsauftrag), kasseneigene Ambulatorien, selbstständige Ambulatorien, PVE, Facharzt-Zentren (Die es bis dato nur gesetzlich, aber nicht real gibt) und Wahlärzte. Alle diese Einrichtungen arbeiten nach unterschiedlichen Regularien und verfolgen unterschiedliche Ziele, von unterschiedlichen Entscheidungsträgern, von denen die Ärztekammer eben nur einer ist – und alle sind nicht aufeinander abgestimmt und liefern keine Daten, da es keinerlei Versorgungsaufträge gibt, auch wenn diese nach dem Zielsteuerung Gesundheit -Gesetz (Gesundheitsreformgesetz 2013) eigentlich seit 2016 gesetzlich vorgeschrieben wären.
Mit dem Fehlen der Versorgungsaufträge und einem verbindlichen Leistungsspektrum, das durch die Rollenverteilung entstünde, machen im Grunde alle was sie wollen, bzw in den Spitälern als letzter Ausweg, machen müssen, weil es sonst keiner macht. Was wer wo macht wird entweder verhandelt oder willkürlich festgelegt. Egal was Gesetze sagen.
Wenn also jetzt das ÄK-Veto wegfällt, wie werden nun Planungsentscheidungen fallen werden?
Nun, das Veto-Recht der Ärztekammer bezog sich nur auf Ambulatorien und Kassenstellen, die beide nur dann errichtet werden durften, wenn es den nachgewiesenen Bedarf gibt UND die Kammer zustimmt. Weil aber vernünftige Rahmen für die Bedarfsprüfung fehlten und fehlen, wurden diese einfach immer verhandelt – immer. Egal ob das mit EU-Recht vereinbar ist oder nicht. Der Klagsweg ist schlicht für den einzelnen sehr aufwendig.
Und um das Chaos nun aber wirklich zu beenden, kommen die RSGs wieder ins Spiel. Diese Planungsinstrumente sind ebenfalls bald 20 Jahre alt – und versorgungswissenschaftlich völlig wirkungslos, wie die Inhomogenität der Versorgungslandschaft zeigt. Und weil die Wirkungslosigkeit schon vor 10 Jahren offenbar war, wurden eben 2013 in der Zielsteuerung ein Strategisches Ziel definiert, wonach die Versorgungsdichte bedarfsorientiert sein soll.
Und die so bedarfsorientierte Dichte soll dann in den RSGs münden
Geändert hat sich aber bis heute trotzdem nichts Weiterhin stehen einem Mühlviertler nur halb so viele Kassenfachärzte zur Verfügung, wie einem Wiener und die Innviertler liegen 50% häufiger im Spital als die Ost-Steirer.
Würden die RSGs, wie gesetzlich vorgeschrieben, echte Planungsinstrumente nach echten versorgungswissenschaftlichen Regeln, wie ebenfalls gesetzlich vorgeschrieben, sein, es wäre kein Problem, diese zentral in der neuen Reform zu verankern – sind sie aber nicht. Wer die RSGs kennt, und die daraus folgende Inhomogenität der Strukturen und Versorgung, weiß, dass die halt nur willkürlich landespolitische Pläne sind, mit denen Betten auf willkürliche Standorte verteilt werden und mit ein paar unnachvollziehbaren alten Daten der Sozialversicherungen aufgehübscht sind. Selbst die Darstellung des IST-Stands in diesen Plänen ist mindestens 4 Jahre alt – also weit weg von irgendwas Ernstzunehmendem. Aber das dürfte nicht gestört haben, als der § 21 Abs. 3 Gesundheits-Zielsteuerungsgesetzes entsprechend installiert wurde
Die SV können gar nichts in einem RSG sicherstellen. Sie sind schon rein rechtlich gar nicht in der Lage, den Ländern bezüglich Betten, Tageskliniken oder Ambulanzen Vorschriften zu machen. Der Gesetzgeber für alle ambulanten Leistungen, die nicht in einer Kassenordi erbracht werden, sind die Landtage, und die Exekutive dieser Gesetze sind die Landesregierungen. Egal was in diesem Paragraphen steht, er ist nicht mit der Verfassung im Einklang, steht aber schon seit vielen Jahren so im Gesetz – und hat niemanden interessiert. Ein Hinweis darauf, dass es eben totes Recht ist.
Doch durch die Einführung des Abs. 2a (der Rest ist grosso modo alt, obwohl 1a eben aus einem anderen ignorierten Gesetz stammt) soll der RSG jetzt offenbar als Maß des Versorgungsbedarf festgelegt werden. Etwas das er ohnehin schon sein müsste, aber eben nie wurde – doch jetzt per Gesetz sehr detailliert bis auf Bezirksebene sein muss, da die RSGs verbindlich erklärt werden können, und damit den Bedarf fixieren. Das klingt etwas theoretisch, wird aber sehr reale Auswirkungen haben.
Statt einen Bedarf an einem bestimmten Ort prüfen zu lassen, werden nun Standorte verbindlich festgelegt und ersetzen die Bedarfsprüfungen (auch diese Idee ist bereits viele Jahre alt). Heißt, was nicht im RSG drinnen steht, darf es auch nicht geben. Wie weit das geht oder gehen kann ist aktuell nicht klar – könnten dadurch theoretisch etwa alles Kassenstellen in einer Region abgeschafft werden? Oder verdoppelt? Könnten alle Ambulanzen gesperrt oder verdoppelt werden? Könnte man überall jetzt Spitäler errichten oder sperren, nur weil es einem Landespolitiker gefällt? Niemand kann das auf Basis dieses Gesetzes erahnen, was wo wie warum passiert. Umso mehr, als dass alle Zahlen, Daten und Fakten, die den Planungen zu Grunde liegen sollen, weiter geheim und einer Begleitforschung entzogen bleiben.Gegen einen RSG vorzugehen war schon immer schwer, wird aber jetzt sehr viel schwerer. Aber ob diese RSGs auch einer rechtsstaatlichen Prüfung standhalten? Wohl nicht.
Ich wiederhole – wären die RSGs auch nur ansatzweise versorgungswissenschaftlich korrekte Planungsinstrumente und nicht Willkürakte, würde die Idee gut sein. Aber sie sind nun einmal nur willkürlich und nicht bedarfsorientiert. Und weil eben die Versorgung in jedem Winkel Österreichs derartig unterschiedlich ist, aber alles den gleichen Gesetzen und Planungsgrundlagen unterliegen muss, müsste praktisch überall geprüft werden, ob die RSGs nicht gegen Verfassung und EU-Recht stehen. Doch das wird nicht passieren. „Wo kein Kläger da kein Richter“ dürfte der Grundgedanke dieser Gesetze sein – Jetzt, wo ein Institutioneller Veto-Player mit Freude und Geld für jegliche Klage durch alle Instanzen, die Ärztekammer, nicht mehr im Spiel ist, ist es nicht abwegig anzunehmen, dass in diesem Gemauschel und Getauschel sich keiner trauen wird, gegen ein Land zu klagen. Es wird also die Willkür der jetzigen Entscheidungsträger unkontrolliert wachsen, und die Versorgung der politischen Ökonomie ausgeliefert sein.
Bewertungs-Board
Und die Willkür wird nun auch auf Medikamente im Spital ausgedehnt – mittels Bewertungsboard. Im Grunde ist das ein neuer Ausdruck für die Medikamentenkommission, die, obwohl 10 Jahre alt, halt niemanden interessiert hat, möglicherweise, weil sie nicht klar definiert wurde und von der normierten Arzneimittelkommission unklar abgegrenzt war
Um aber diesem toten Pferd Leben einzuhauchen hat man dem Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz nun ein neues Hauptstück gegönnt
Ein Hauptstück, das allerdings ohne eigene Paragraphen auskommt – denn es wurde schlicht der § 62 aus dem Hauptstück F um die Buchstaben d, e, f, g, h, und i ergänzt. Vermutlich wollte man sich Arbeit ersparen – aber wie gesagt, die Legistik ist furchtbar.
Würde das alles so laufen wie im NICE in UK, also evidenzbasiert, transparent und nachvollziehbar, dann wäre das völlig in Ordnung. Das wird es aber nicht – denn das Board ist voll von Politikern, die Daten haben, die sonst niemand sehen darf, und deren Gesetzesvorgabe so unklar ist, dass alles oder nichts hier beschlossen werden kann. Denn während die Verteilung der Steuergelder auf 100tausendstel genau (also auf 10.000€ genau) geregelt ist, wird sich das Bewertungsboard mit voraussichtlich hochpreisigen und spezialisierten Medikamenten beschäftigen. Was hochpreisig ist, entscheiden sie selbst. Und zwei Gummi-Absätze definieren was „spezialisiert“ ist
Was immer da auch jetzt hinter verschlossenen Türen passiert, es wird (1) geheim bleiben, da auch hier alle Zahlen, Daten und Fakten nicht offiziell sein werden, und die Geschäftsordnung vermutlich Geheimhaltung vorschreiben wird, und (2) gesetzeskonforme Willkür sein – dafür sorgt dieses Hauptstück G. Und das es nur ums verhandeln (oder eben Mauscheln und Tauscheln) geht zeigt der §62i – bei dem sich ein Anführungszeichen aus einem offenbar anderen Text erhalten hat – wie gesagt, die Legistik ist unterirdisch
Conclusio
Länder und Kassen kriegen deutlich mehr Geld als früher, um weiter das zu machen, was offenbar bisher nicht funktioniert hat. Wahnsinn ist es, wenn man immer das Gleiche tut, und meint, es kommt was anderes heraus.
Wenn was Neu ist, dann könnte man eventuell behaupten, dass die Länder nun noch weniger Regeln haben, die sie missachten müssen, wenn sie tun was sie wollen. Und die Kassen kriegen jetzt erstmalig direkt zusätzliches Steuergeld, um eben das zu machen was sie wollen.
Wo genau die vom Minister zitierte „viele Arbeit“ lag und wo der Tisch steht, an dem jetzt alle zusammensitzen – unklar
Aber, es ist klar die Handschrift der Länder zu erkennen – die wollen ja kein Spital sperren, brauchen dazu aber billige Arbeitskräfte – und die wurden fixiert.
Dafür sorgt die wenig diskutiert Änderung des Ärztegesetzes 1998 – ÄrzteG 1998 bei den Bestimmungen der Ausbildungsstätten für die Ausbildung zum Facharzt § 10.
Diese Änderung wird wirkmächtig, und kommt ganz ohne Ziele aus. Es ist ein Rückschritt in der Ärzte-Ausbildung. Die Zahl der Ausbildungsstellen wird dadurch schlagartig steigen, weil nun ein Facharzt bis zu zwei Absolventen und fast unbegrenzt Studenten im KPJ ausbilden darf. Viel wird da nicht gelehrt werden, aber Dienstpläne können, so die Hoffnung der Länder, mit billigem Personal gefüllt und Spitalsstandorte gesichert werden – und „digital vor ambulant vor stationär“ konterkarieren. Alleine, die Absolventen werden da nicht mitspielen und ins Ausland gehen. Und das wird gute Gründe liefern, mehr MedUnis zu errichten. Und so beginnt alles von vorne.