Poker um Jungärzte

Jungärzte haben befristete Verträge und sind angestellt. Ihre Interessen sind daher in der Ärztekammer unwichtig! – doch was heißt das für das System?

Ein abgeschlossenes Medizinstudium macht noch lange keinen Arzt. Um eigenverantwortlich arbeiten zu dürfen, ist in Österreich jedenfalls eine postpromotionelle Ausbildung, die dazu dienen soll, theoretisches Wissen in der Praxis umzusetzen – der „Turnus“. Er ist Pflicht.

Vor allem Ärzte in Ausbildung zum Allgemeinmediziner, den zukünftigen Hausärzten, kurz Turnusärzte genannt, erhalten ebendiese Ausbildung schon lange nicht mehr. Ihr Alltag wird bestimmt vom Spritzen geben, Infusionen verabreichen, Blutdruckmessen und EKG schreiben – Tätigkeiten, die international üblicherweise von Pflegepersonal durchgeführt werden. Dazu kommen Unmengen an organisatorischen und administrativen Tätigkeiten, wie etwa die Veranlassung von, von anderen angeordneten, Untersuchungen oder das Diktieren von Arztbriefen für Patienten, die die künftigen Hausärzte oft nie zu Gesicht bekommen haben (weil Oberärzte ihre Briefe meist durch Turnusärzte erledigen lassen). In manchen Krankenhäusern ist die Zeit sogar so knapp, dass Turnusärzte die Visite, die in Fächern wie der Inneren Medizin das Herzstück spitalsärztlicher Arbeit darstellt, nicht besuchen können. Gar eigene Patienten unter Supervision eines Facharztes (wie international üblich)? – Fehlanzeige. Eine standardisierte Vermittlung von Inhalten, die für einen Hausarzt in der Praxis von Bedeutung wären? – Fehlanzeige.

Auch wenn Abteilungen, die ein Turnusarzt durchläuft, irgendwo ein Ausbildungskonzept liegen haben, wird dies nur in wenigen Fällen auch umgesetzt. Und das ist durchaus verständlich. Denn, während ein angehender Facharzt in der Regel mehrere Jahre an der Abteilung bleibt und mit zunehmender Erfahrung ein wichtiger Teil des fachärztlichen Teams wird, wechseln die künftigen Hausärzte im Zuge ihrer Ausbildung alle paar Monate die Abteilung. Entsprechend gering ist das Interesse, Zeit und Energie in die Ausbildung dieses temporären Personals zu investieren.

Doch wer wird das Herzstück eines gut organisierten Gesundheitssystems sein, wenn nicht die Hausärzte? Und das führt weiter zur Frage: Wer hat die jetzige und für das System üble Situation zugelassen? Die Antwort ist simpel! Die Ärztekammer, denn diese ist für die Ausbildung zuständig. Doch einmal ehrlich! So wie die Gewerkschaften prekäre Arbeitsverhältnisse nicht wirklich interessieren, sind Ärztekammern, denen eigentlich nur die Kassenverträge wichtig sind, junge und dazu noch angestellte Ärzte egal. Der einzige Grund, warum die Ausbildungsordnung wichtig ist, ist der, dass man so die „Ressourcen“ steuern kann. Damit kann man sicherstellen, dass etablierte Ärzte nicht durch irgendwelche „Newcomers“ Konkurrenz kriegen.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die scheidende Ministerin, die selbst einmal Turnusärztin war, den Ärztekammern wesentliche Kompetenzen in der Ärzteausbildung aberkennen will: ÄK-Präsident Dorners Furcht vor einem „Guantanamo für Ärzte“ ist zum jetzigen Zeitpunkt für Turnusärzte jedenfalls nur schwer nachzuvollziehen. Diese sehen sich als mit Routinetätigkeiten überfrachtete, billige Systemerhalter, deren Ausbildung nicht mehr schlechter werden kann. Auch wenn eine Neuordnung der Ausbildungskompetenzen nicht bedeutet, dass sich ihre Situation verbessert, dürfen sie aber hoffen. Die Ärztekammer hatte ihre Chance, eine Ausbildung im Sinne der Auszubildenden und ihrer künftigen Patienten zu gestalten – und hat sie vergeben.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Selbsternannte Experten

Wiener Ärztekammer 2007: „Mehr Patienten, aber weniger Einkommen? Diesen Deal werden wir sicherlich nicht mittragen“ – oder doch?

Autos und LKW beherrschen die Straßen. Sie sind die wichtigsten Verkehrsteilnehmer. Wenn man Fahrer fragt, dann erfährt man sicher eine Menge, wie das Verkehrssystem besser zu machen wäre. Aber macht sie das bereits zu Verkehrsexperten? Solche hätten nicht nur die Straßen im Auge zu behalten. Sie müssten sich auch über Schiene, Luft und Infrastruktur Gedanken machen. Würden Fahrer bestimmen, dann sähe unser Verkehr anders aus; fahrerfreundlich sicher, aber wahrscheinlich nicht vernünftig. Wie in Amerika würden große Straßen Städte durchpflügen und öffentliche Verkehrsmittel würden zur Gänze fehlen. Oder betrachten wir den Tankwart. Er ist wohl der wichtigste Verteiler von Benzin. Macht ihn das automatisch zum Verkehrs- UND Energieexperten? Wohl kaum.

Im Gesundheitssystem ist das angeblich anders. Da sind einmal die Ärztekammern. Diese behaupten, dass sie und nur sie wissen, was richtig und wichtig fürs System ist. Andere sind nicht befähigt sich auszukennen. Und dann haben wir die Krankenkassen. Die verteilen das Geld. Wohlgemerkt verteilen sie es nur, denn dass Geld gehört uns, die wir es hergeben müssen – ungefragt. Aber die Kassen behaupten, sowohl das Gesundheitssystem als auch die Staatsfinanzen zu beherrschen und alleine glückselig machend zu sein.

Nun, die Realität ist anders. Ärztekammern verstehen wenig von einem Gesundheitssystem. Und die Kassen? Die sind sie definitiv keine Finanzexperten und leider auch keine Systemexperten – ich weiß wovon ich rede!

Schauen wir nach Wien, da sieht man, um was es wirklich geht. 2007 konnte keine Einigung zwischen Ärzten und Kassen gefunden werden. Die wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), damals schon fast pleite, haben für 2008 nur 1,5 Prozent Honorarerhöhung geboten. Die Kammer hat sich widersetzt. Verständlich, wenn man bedenkt, dass durch Demographie und Inflation eine Steigerung von wenigstens fünf Prozent gerechtfertigt gewesen wären. Doch dann sah es so aus, als ob die WGKK kein Interesse mehr an Verträgen hätten. Und wenn der Ärztekammer der Vertragspartner abhanden kommt, dann ist es aus mit der Macht. Und das geht wohl gar nicht.

Skurril, wie man das System verteidigt, nur um seinen Machteinfluss und das damit verbundene bequeme Leben zu halten. Denn jetzt akzeptiert die Kammer für 2008 eine „Null-Runde“ und für 2009 eine Erhöhung von 1,4 Prozent. Hauptsache, WGKK und Ärztekammer sind gerettet – angeblich „ein Erfolg für Ärzteschaft wie Patienten“.

Doch wie wird der einzelne Kassenarzt reagieren? Wird er wirklich auf Einkommen verzichten und unentgeltlich arbeiten? Nein, er wird weniger Patienten behandeln und noch mehr in Spitäler einweisen! In Wien stiegen die Ambulanzzahlen seit 2003 um über 50 Prozent, die stationären Patienten um 10 Prozent. Das Spiel stationär vor ambulant geht munter weiter – auf unsere Kosten.

Und was wird das für die Patienten heißen? Nichts Gutes! Abgesehen davon, dass es noch weniger Arzttermine geben wird, die Wartezeiten noch länger werden, die Kuvertmedizin zunehmen und noch mehr in den Wahlarztbereich verdrängt wird, wird ein schlecht motivierter Arzt schlechte – und in weiterer Folge sogar teure – Arbeit leisten.

Wenn also selbsternannten Systemexperten und denen, die es noch werden wollen, Gegenwind ins Gesicht bläst, dann hoffe ich, dass die Apologeten des heutigen Systems ein wenig ins Grübeln kommen – auch wenn sie es nie öffentlich zugeben würden.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Muss der Staat alles zahlen?

Eigenverantwortung ist Teil eines öffentlichen Gesundheitssystems, das neben der Solidarität vor allem Subsidiarität fordert. Aber die ist mit Mühe verbunden, die niemand will.

Herr und Frau Österreicher wollen immer öfter jemanden (den guten Vater Staat), der sie an der Hand nimmt und führt – und den sie bei Misserfolg gleich verantwortlich machen können.

Das betrifft auch Krankheitsfragen. Und nicht nur deshalb, weil unser System zunehmend unübersichtlich wird, sondern vor allem, weil Grundkenntnisse über Gesundheitsprobleme und der Umgang mit ihnen völlig verschütt gegangen sind.

Es ist erstaunlich, wie oft Ärzte gerade von jungen Leuten gefragt werden, ob Fieber oder Husten ansteckend ist. Fieber ist ohnehin ein absolute Katastrophe und der wichtigste Grund, warum nächtliche Bereitschaftsdienste und Ambulanzen in Anspruch genommen werden. Legte man so ein Verhalten auf das Wechseln einer Glühbirne um, dann würden die Elektriker dieses Landes krisensichere Jobs haben – natürlich nur dann, wenn die Kunden nicht selbst bezahlen müssen, sondern „Väterchen Staat“ das für sie macht. Andernfalls würde ich tippen, täten die Leute ihre Birnen doch weiter selbst austauschen.

Der „mündige Patient“ hingegen weiß sehr oft nicht mehr (oder will es nicht wissen), was er mit einem Schnupfen anfangen soll und gerät in Panik. Dann sucht er sofort „Rat“ in der Versorgungspyramide, und dann maximal oben, am besten in einer Spitalsambulanz, wenigstens jedoch beim Hausarzt. Dort erwartet er sich allerdings genaugenommen keinen Rat, sondern sofortige Heilung. Ärzte müssen ja alles können, so sagt’s die Politik; was die Ärztekammerpolitik einschließt, die zu dieser „Alles ist Möglich“-Haltung viel beigetragen hat.

Das so ein unreflektiertes und eigenverantwortungsloses Verhalten nicht bei lapidaren Erkrankungen endet, sondern auch alle andere Folgeerkrankungen der Zivilastion betrifft ist klar – wer zwanzig Jahre fett war, der erwartet folgerichtig trotzdem sofortige aber vor allem schmerz- und mühelose Gratis-Heilung; und die Politik wird nicht müde, ihm das zu versprechen.

Dass das wahnsinnig viel Geld kostet ist auch egal. Und keinesfalls darf man darüber nachdenken, ob man nicht doch die Eigenverantwortung einfordern darf. Ob man wirklich ALLES kostenlos (wo es doch nie kostenlos sondern nur unentgeltlich ist!) vorhalten soll?

Erstaunlich, dass Staaten mit Zugangsbeschränkungen und steuernden Selbstbehalten ohne freie Arztwahl (mit sogenannten Hausarztmodellen), in der Zufriedenheit nicht wesentlich schlechter abschneiden. Wie paradox hochgeschraubt dagegen unser System ist, darüber könnten Ärzte in Fremdenverkehrsorten Bände erzählen: vor allem von völlig baffen Holländer und Dänen, denen über unsere Grundversorgung vor Ort regelmäßig der Mund offen bleibt.

Interessanterweise haben diese Staaten deutlich weniger Krankenhäuser (die Hälfte bis ein Drittel!), die halt immer noch die teuersten Einrichtungen sind. Und weil es weniger Krankenhäuser gibt, gehen die Patienten dort auch nur hin, wenn es nötig ist und davor bemühen sie sich gemeinsam mit dem Hausarzt ohne Wahnsinnsaufwand gesund zu werden – was ja meist gelingt!

Die Diskussion über Notwendigkeiten (Redimensionierungen) wird uns in Zeiten wie diesen wieder einholen. Und wenn dann ein paar mutige, selbsternannte Gesundheitsökonomen – von denen es eh so gut wie keine gibt! – sich trauen in diesem paternalistischen System die Stimme zu erheben und diese Redimensionierung fordern, dann sollte man auf politischer Ebene doch froh sein. Sonst traut sich ja eh keiner mehr.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Landesväter

Wer Bedürfnissen nachgibt, darf sich nicht wundern, wenn der Bedarf schier unermesslich wird. Und wo führt das hin?

In einem Wochenmagazin stand eine interessante Aussage eines Landeshauptmanns, die so aber auch von jedem anderen stammen könnte. Dieser wurde darauf angesprochen, warum man nicht zwei nur zwölf Kilometer auseinander liegende Krankenhäuser (allerdings in zwei Bundesländern) zusammenlegen und damit Millionen sparen könnte. Was denn so schlimm sei, über eine Bundeslandgrenze in ein Spital zu fahren (wo doch anderswo daran gedacht wird, ein solches sogar über Staatsgrenzen hinweg zu führen), wurde gefragt: „Politik“, antwortete der Landeshauptmann, „müsse die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen…Die Menschen würden sich dort wohl fühlen und das so wollen.“ Damit mag er durchaus Recht haben.

Mein Sohn liebt Schokolade und lehnt Zähneputzen ab. Trotzdem sorgen meine Frau und ich dafür, dass er nur selten Schokolade bekommt und putzen seine Zähne. Wir handeln gegen seine Bedürfnisse, wohl wissend, dass wir so aber seinen Bedarf an Erziehung und Körperpflege decken. Auch wenn Sie jetzt denken, es sei vermessen, ein Kleinkind mit wahlberechtigten Bürgern und Patienten zu vergleichen, ist dieser Vergleich durchaus berechtigt.

Patienten wie Bürger wissen nicht, wie es um die Strukturen unseres Gesundheitssystems bestellt ist. Vielmehr muss bei den Bürgern der Eindruck entstehen, Spitäler zu sperren, sei Ausdruck krankhaften Sparwahns. Umso mehr, wenn Sie in eines kommen, in dem Patienten auf den Gängen liegen, was gerade an internen Abteilungen sehr häufig vorkommt. Dass aber viele Patienten, die dort liegen, auch ambulant oder tagesklinisch behandelt werden könnten oder einer Pflegeeinrichtung bedürfen, weiß die Bevölkerung nicht. Nur mangelt es an diesen, verglichen mit Spitälern viel günstigeren Strukturen. Übervolle Spitäler sind also weniger Ausdruck von Sparwahn, als vielmehr Resultat unfinanzierbarer Verschwendungssucht, weil man sich halt doch nicht so viele Spitäler leisten kann.

Genau so wenig können Patienten wie Bürger beurteilen, wie es um die Qualität der medizinischen Versorgung ihrer kleinen Regionalspitälern bestellt ist. Nur weil einmal etwas schief geht, muss die Qualität nicht schlecht sein. Aber nur weil viele Patienten mit der Behandlung zufrieden sind, bedeutet das keinesfalls, dass die Qualität deswegen gut ist. Tatsächlich werden in vielen kleinen Krankenhäusern immer wieder Operationen und andere Behandlungen vorgenommen, die dort eigentlich nicht durchgeführt werden dürften. Weil etwa die für komplizierte Behandlungen notwendige Infrastruktur nicht vorhanden ist oder schlicht die Erfahrung fehlt.

Nähmen die Landeshauptleute ihre Verantwortung als „Landesväter“ und „-mütter“ wirklich ernst, würden sie nicht allen Bedürfnissen ihrer Bevölkerung nachgeben. Vor allem dann nicht, wenn dies bedeutet, langfristig deren Gesundheitsversorgung aufs Spiel zu setzen. Schließlich verfügen sie, ähnlich wie Eltern gegenüber ihrem Kind, über einen gewaltigen Informationsvorsprung. Sie wissen von den Bedenken der Experten betreffend der Qualität einzelner medizinischer Leistungen in ihren Krankenhäusern genauso wie um falsche Strukturen und die zunehmende Unfinanzierbarkeit des Systems. Allerdings müssten sie dann nach Jahren, in denen sie sich mit medizinischer High-Tech-Infrastruktur und angeblicher Spitzenmedizin so gut wie überall gerühmt haben, auch zugeben, dass das System doch nicht so gut ist, wie sie stets behauptet haben.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Wie erwartet – oder doch noch weniger?

Das Kapitel Gesundheit ist voll von schönen Worten, die über die dahinter stehenden Drohungen hinwegtäuschen.

Politik ist das Bohren harter Bretter. Dass allerdings Rückschritt ebenfalls politische Kategorie ist und Regieren nichts mehr mit Visionen zu tun hat, (so die Bundesminister Faymann und Mitterlehner gleichsam), ist neu und erschreckend.

Wer das alte Koalitionsabkommen kennt, den verwundert die Seichtheit des jetzigen. Und wer weiß, dass das Kapitel Gesundheit vor einer Woche noch auf eine Halbseite gepasst hat, der versteht, dass die jetzigen acht Seiten voll von nicht umsetzbaren Überschriften sind.

Denken wir an die Qualität. Zwar wird vollmundig eine unabhängige Qualitätsagentur versprochen, die sich um alle Sektoren kümmern soll. Aber bereits zwei Kapitel weiter erfährt man, dass für den niedergelassenen Bereich die Ärztekammer zuständig ist. Und wer die Verfassung kennt, dem ist bekannt, dass die Spitäler Landessache sind. Was bleibt also dann für diese Qualitätsagentur?

Archäologisch interessant auch die Aussage, dass die Abstimmung der intra- und extramuralen Bereiche im Sinne einer integrierten Leistungsangebotsplanung zu erhöhen ist. Ähnliche Formulierungen können bereits im letzten Jahrtausend nachgewiesen werden, was die hohen Wirkungsmöglichkeiten der Gesundheitsministerien gut belegt.

Skurril das Kapitel für Frauen. Hier wird gefordert, dass Frauengesundheit und Gendergerechtheit (!) im Sinne einer Health-in-all-Policies-Strategie integriert werden sollen. Einmal abgesehen, dass kein Mensch weiß, was das heißt, ist es doch erstaunlich, dass man ein sehr konkretes WHO-Projekt, das versucht, eben alle Bereich der Politik auf ihre Auswirkung im Gesundheitswesen zu betrachten, in Österreich nur für Frauenpolitik gilt. Naja, es dürfte wohl ehe um ein schönes Wort, am besten ein englisches gegangen sein. (es wimmelt ja nur so von Anglizismen, die keiner ersteht; z.B. „Golden Plating“).

Und weil man offenbar eine höhere Transparenz in das Finanzierungssystem bringen will, wird die Höhe der Pauschale für die Mehrwertsteuerrückerstattung für Medikamente nicht gesenkt, obwohl der Steuersatz gesenkt wurde. Denn die alte Pauschale hat nicht die 20 Prozent Mehrwertsteuer abgedeckt, sondern nur 14 Prozent. Da aber jetzt die Mehrwertsteuer nur mehr 10 Prozent beträgt, ist die Pauschale um 40 Prozent zu hoch. Und die über die 1:1 Abgeltung hinausgehenden Mittel werden der Einfachheit halber auf die überschuldeten Träger verteilt. So werden die Kassen über eine weitere, beitragunabhängige und total intransparente Schiene finanziert. Bravo!

Aber es sind auch drohende Dinge enthalten, die man nur sehr schön verklausuliert hat.

So will man gleich einmal eine Milliarde Euro (die im Budgetfahrplan nicht vorgesehen waren – womit dieser auch zur Makulatur wird) für die Kassen in die Hand nehmen. Der Grund für die Verschuldung derselben wird nicht angegangen, daher werden sie weiter Schulden bauen. Und in fünf Jahren wird die erste und wichtigste Maßnahme der dann neuen Regierung – sicher ebenfalls wieder eine große Koalition – die neuerliche Entschuldung sein. Das Geld dafür stammt wohl aus einem himmlischen Bankomaten.

Aber so richtig gefährlich ist die Aussage, dass das Heben der Effizienzpotentiale im Kassenbereich nach den Vorstellungen des Rechnungshofberichts und der Vertragspartneranalyse (die niemand kennt!) erfolgen sollen. Gemeinsam mit dem Oberösterreichischen Bundesminister Stöger dürfen wir uns darauf freuen, oberösterreichische Verhältnisse zu kriegen – also mehr Spitalsambulanzen und Wahlärzte und weniger Kassenärzte. Dass damit aber auch eine teurere Spitalsversorgung verbunden ist, die in Oberösterreich ja nur deswegen nicht auffällt, weil die Hälfte der Krankenhäuser den sehr gut wirtschaftenden Orden gehören, das interessiert keinen. Selbst wenn das volkswirtschaftlicher Unsinn ist. Warum weder Länder noch Bürger aufschreien, dürfte auf deren Unwissenheit zurückzuführen sein.

Und damit das alles ja sicher kommt, will man die betriebswirtschaftlichen Eigeninteressen der Kassen gleich einmal mit planwirtschaftlichen Gesetzen absichern. Denn wenn hinkünftig die Bundesregierung den Kassen durch Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik ermöglicht, dann heißt dass nichts anderes, als dass die Kosten nicht durch Krankheit sondern Willkür bestimmt werden. Soweit das Bekenntnis zur solidarischen Finanzierung des österreichischen Gesundheitswesens.

Und weil man eben offenbar nicht gewillt ist das System zu Reformieren und Kompetenzen neu zu regeln (die Idee der Finanzierung aus einer Hand wurde beispielsweise nicht einmal mehr erwähnt!), werden weiter Verschwendungen vorherrschen – und dort wo man sich die nicht leisten kann, werden wir Rationierungen und Selbstbehalte finden – ganz einfach so.

Dieser Artikel wurde im November 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ethik – ein alter Hut

Ethikdiskussionen werden wieder modern – und bleiben traditionell ungelöst.

Werte p.t. Leser! Erlauben Sie mir ausnahmsweise einen rein theoretischen Aspekt des Gesundheitssystems zu betrachten, bei dem es sich um die Frage dreht: Ist der einzelne mehr Wert als das Ganze oder ist das Ganze wichtiger als der einzelne?

Die Wertegemeinschaft Europa ist aus vagabundierenden Völkern entstanden, die sich niederließen und Nationen bildeten. Die Gesellschaft war militärisch. Eine militärische Gesellschaft kennt zwei wesentliche Ausprägungen: die Uniformierung, die eine Kollektivierung ist, und die strenge Hierarchie der Befehlskette.

Dass diese militärischen Wertvorstellungen noch immer existieren, kann man leicht erkennen. Staatoberhäupter verneigen sich vor nationalen Fahnen, die wie Feldzeichen von Soldaten gehalten werden. Im Wahlkampf werden die Parteisoldaten gestählt. Rededuelle finden statt und Strategien werden geschmiedet. All das zeigt, wie weit wir von einer zivilen Gesellschaft entfernt sind, und wie tief die alten Völker in unseren Knochen stecken. Solange die Völker wanderten, waren dieses Werte wichtig. Konnte man doch so die Sicherheit aller erhöhen, auch wenn man dazu die Freiheit des einzelnen einschränken musste.

Durch die Sesshaftwerdung und die Möglichkeit, „bauliche“ Sicherheitsmaßnahmen (Burgen und Stadtmauern) zu ergreifen, wurde die Bedeutung der Befehlskette und der Kollektivierung geringer. Die Fürsten und Herzöge brauchten für ihre Entscheidungen, sollten sie nicht nach Willkür aussehen, höhere Rechtfertigungen – und diese suchte man in Gott (Gottesgnadentum).

In den letzten tausend Jahren verbreitete sich das Christentum und brachte christliche Wertvorstellungen ein. Diese sind jedoch alles andere als kollektivistisch oder hierarchisch. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst ist eine individuelle Forderung. Und da jeder sein Leben als Geschenk Gottes betrachten muss, ist sein Wert direkt an Gott gebunden und damit „unbezahlbar“. Der einzelne kann es nicht verkaufen und hat darauf zu achten, das Beste aus dem Leben zu machen.

Ein solches Gerüst lässt es nicht zu, dass ein Mensch über das Leben des anderen entscheidet – außer (und dieses Argument steht auf sehr dünnen Beinen) ein Vertreter Gottes auf Erden interpretiert den Willen Gottes. Und um diese Vertreterrolle kämpfen seit tausend Jahren Priester und politische Eliten.

So haben wir beide Traditionen. Hier die eine, streng militärisch agierende Elite, von der das Volk erwartet, moralisch richtige Entscheidungen zum Wohle des Ganzen zu treffen und dafür „gehorsam“ (Parteitreue) gelobt. Und dort den Individualismus, der konsequent den einzelnen in die Pflicht nimmt und jeglichen Ungehorsam verlangt, wenn Entscheidungen mit dem Gewissen nicht vereinbart werden können. Dazwischen liegt wohl das weite Feld des Populismus.

Solange Kriege geführt wurden, konnte dieser Widerspruch der Werte unbeachtet bleiben. Doch heute, nach Jahrzehnten des Friedens, taucht er auf und bestimmt jeden Tag stärker das politische Geschehen. Und so schließt sich der Bogen: Wer darf auf welcher Basis sagen, was ein Mensch der Gesellschaft Wert sein muss? Wer darf festlegen, wie viel Freiheit dem einzelnen (z.B. über Steuern) genommen werden darf, um die Gesamtheit zu schützen? Und letztlich auch, wer darf entscheiden, wer welche Gesundheitsversorgung durch wen erhält? Weil wir aber konklusive Wertediskussionen verabscheuen, werden wir wohl keine Antworten finden.

Dieser Artikel wurde im November 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Reformen: Der Patient wird oft vergessen

    Die Gesundheitsversorgung ist dazu da, die Gesundheit des Einzelnen zu verbessern. Das ist das einzige Ziel eines Gesundheitssystems!

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   Man ruft beim Arzt an und kriegt einen Termin in zwei Monaten. Dann ist man dort und wartet stundenlang. Eine Spitalsambulanz erspart zwar nicht das Warten, aber wenigstens die Terminvereinbarung – und wahrscheinlich das lästige Wandern von einem Arzt zum anderen. Dass es so ist, wie es ist, da kann der Arzt kaum etwas dafür. Schuld daran ist das System. Dafür ist der Arzt aber nicht verantwortlich. Er lebt nur in darin, wie auch der Patient.

   Man muss festhalten, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem System und der Versorgung. Die Versorgung ist das, was beim Patienten ankommt, das System ist der Rahmen, in dem dies ermöglicht wird. Ändert sich der Patient, dann ändert sich der Versorgungsbedarf. Will man die Versorgung gewährleisten, muss man das System anpassen. Es gibt kein Gesundheitssystem, dass nicht immer wieder reformiert werden müsste. Wer an ein jahrzehntelang gutes System glaubt, der verkennt schlicht die Realität!

   Die wesentliche „Stellgröße“ in der Versorgung (von der Prävention bis zur Pflege) ist die Arzt-Patienten-Beziehung. Und die bewegt sich in gigantischen Dimensionen.

   In Österreich finden bei den Kassenärzten 80 Millionen Patientenbesuche statt. Laut den Sozialversicherungen sind 40 Millionen davon Erstkontakte, also Besuche, die zustande kommen, weil der Patient, aus welchen Gründen auch immer, von sich aus zum Arzt geht. Die anderen 40 Millionen sind sogenannte Folgeordinationen, also im Wesentlichen Besuche, die dazu dienen, den Krankheitsverlauf zu kontrollieren und/oder den Patienten „gesund“ zu schreiben.

   Neben den Kassenärzten gibt es die Wahl- und Privatärzte. Dort finden, so vermutet man, etwa 20 Millionen Patientenkontakte statt. In den Spitalsambulanzen werden pro Jahr 5 Millionen Patienten behandelt, die etwa 15 Millionen Mal dort erscheinen. 1,5 Millionen Patienten werden 2,5 Millionen Mal im Krankenhaus aufgenommen. Dabei „verliegen“ sie 16 Millionen Tage und sehen den Arzt täglich zwei Mal.

   Anhand dieser astronomisch wirkenden Zahlen kann man erahnen, welche zentrale Rolle der Arzt spielt. Andererseits muss man sich bewusst sein, dass es in der Arzt-Patienten-Beziehung auch den Patienten gibt. Viele Reformen konzentrieren sich zu stark auf den Arzt. Das ist historisch gewachsen. Einerseits ist es sehr schwierig, Patienten zu organisieren, andererseits verhindern der Wissensvorsprung und das hohe Sozialprestige des Arztes, dass der Patient in dieser Beziehung auf gleicher Augenhöhe erkannt würde. Zudem besteht seit langem die Befürchtung, dass Patienten, wenn man sie zu „wichtig“ nimmt, immer mehr Versorgung wollen. Der Patient will aber gar nicht mehr Versorgung, er will nur mehr Gesundheit! Letztlich darf man nicht vergessen, dass der wichtigste, vielleicht einzige Grund für ein Gesundheitssystem der ist, für Patienten eine bessere Gesundheit zu ermöglichen, als dies ohne System möglich wäre. Das sollten sich Kassen, Länder und besonders Ärztekammern merken!

   Die Arzt-Patienten-Beziehung ist und bleibt die zentrale Stellgröße. 80 Prozent aller Ressourcen werden durch diese besondere Beziehung gesteuert. Wenn das Vertrauen der Patienten einerseits oder die Motivation der Ärzte andererseits auch nur ein bisschen sinkt, dann hat das sofort riesige Auswirkungen. Jede Gesundheitsreform, die es nicht schafft, die Arzt-Patienten-Beziehung positiv zu beeinflussen oder diese gar stört, wird die Qualität reduzieren, die Kosten erhöhen und ihr Ziel verfehlen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 118 vom 17.06.2008

Eine wieder nicht-stattfindende Reform

Der Wahnsinn reitet wieder. Eine Gesundheitsreform wird es nicht geben, dafür höhere Schulden. Hurra!

Wenn Gefühle mit der Vernunft nicht in Einklang zu bringen sind, dann reagieren Menschen merkwürdig.

Stellen Sie sich vor, sie schließen die Tür hinter sich und wissen, sie ist ins Schloss gefallen. Sie haben das Klicken gehört und wissen: „Ja, das Schloss ist zu“. Doch Ihr Gefühl sagt: „Nein, die Türe ist offen“. Sie drehen sich um, rütteln an der Tür. Sie ist zu. Sie wissen nun sicher, die Türe ist zu und wollen gehen. Doch Ihr Gefühl, dass die Türe offen ist, bleibt bestehen. Sie wissen, die Türe ist zu, gehen ein paar Schritte, doch das Gefühl, die Tür ist offen lässt sich nicht abstellen. Sie drehen um, gehen zurück, rütteln an der Tür und stellen fest, die Türe ist zu. Wieder versuchen sie zu gehen, doch bereits nach wenigen Metern ist es wieder da, das Gefühl „die Türe ist offen“. Mit jedem Meter wird das Gefühl stärker, bis es sie übermannt und sie zurückgehen um wieder an einer geschlossenen Türe zu rütteln.

In der Medizin wird so ein Verhalten Zwangsneurose genannt. Es sind arme Menschen, die daran leiden. Hin und hergerissen, zwischen ihrer Vernunft und sinnlosen Handlungen.

Ich frage mich, wie man die Heerscharen an Experten und Wissenschafter, die seit Jahrzehnten probieren, die Politik zu einer patientenorientierten und nachhaltigen Gesundheitsreformen zu bewegen, einzuteilen sind? Zwangsneurotiker, die immer und immer wieder sinnlose Handlungen setzen, obwohl sie doch wissen müssten, dass diese sinnlos sind?

Irgend so etwas muss es wohl sein. Denn obwohl nun seit 40 Jahren die Probleme des Gesundheitssystems bekannt sind, wird uns wieder keine Reform erwarten. Die Grundlage aller Probleme, die man zwar leugnen kann, aber deswegen nicht weg sind, ist die zersplitterte Kompetenzlage. Hier sind so dermaßen viele rechtliche Wahnsinnigkeiten enthalten, dass man für eine ernsthafte Reform eine Verwaltungsreform braucht. 4.000 Finanzströme, die eine patientenorientierte Versorgung immer unmöglicher machen und die offenbar nur dazu da sind, möglichst intransparent alle Pfründe – der Länder oder Sozialpartner, wer kann das noch unterscheiden – zu schützen, müssten bereinigt werden. Das sagen alle, die sich auskennen. Doch was kommt zum Thema Verwaltungsreform? Irgendwelche Schulratskompetenzen werden neu geregelt! Das war’s. Aber was soll man auch erwarten, wenn Landeshauptleute, die Profiteure der Weihnachtsmann-Politik (das Land schenkt, der Bund zahlt), bittet, dieses Thema zu verhandeln.

Fast prophetisch war auch, als vor zwei Monaten an dieser Stelle stand, dass die Entschuldung der Kassen wohl der nächste Schritt sein wird. Dass diese 450 Millionen Euro ein Steuergeschenk sind und wir dieses Geld wirklich bezahlt haben – es sich also nicht um Monopolygeld handelt – scheint niemanden zu interessieren. Der Vergleich mit der Finanzwelt, in der es hauptsächlich um Monopolygeld geht, ist nicht zulässig und wird trotzdem ständig bemüht. Traurig! Noch trauriger ist, dass damit jede „Anti-Schulden-Politik“ als Lippenbekenntnis entlarvt wurde. Unsere Kinder werden diesen Wahnsinn bezahlen – oder wie Hayek es voraussagt, andere Wege finden, die Kosten zu reduzieren.

Wie es mit einem Neurotiker halt so ist, werde ich das Wissen nicht los, dass es nie eine Reform geben wird, auch wenn mir das Gefühl sagt, das es ohne nicht gehen wird. Oder ist es das Wissen, dass es ohne Reform nicht geht und das Gefühl, dass es keine geben kann? Was soll`s!

Dieser Artikel wurde im November 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück

Vom Reformwillen ist nichts mehr da. Im Gegenteil, die Zeichen stehen wieder einmal auf „Einnahmenseitige Reparatur“!

Es ist so gut, dass man schnell vergisst und auch, dass es nichts Älteres gibt, als die Zeitung von gestern. Anders wäre die Welt wohl kaum ertragen.

Vor mittlerweile eineinhalb Jahren war die Gesundheitsreformdiskussion richtig heiß. Unglaublich, wie lange das schon wieder her ist. In dem Sog der Diskussionen wurden doch tatsächlich einige mutig und wagten sich vor.

Der wohl mutigste und daher hochgeschätzt, ist Franz Bittner, Chef der WGKK und stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellen. Unverblümt stellte er fest: „Wir haben keine Transparenz, keine Qualität und keine Effizienz im Gesundheitswesen“ Allein diese Aussage brachte ihn wohl intern unter Druck, aber mit dem Spruch: „Es würde uns gut tun, weniger föderalistisch zu sein, auch bei den Sozialversicherungen“, hat er es sich wohl mit einigen endgültig verscherzt.

Für eine Ministerin im Amt ist folgende Aussage wohl nicht ideal, wenn auch goldrichtig: „Kein Mensch kann wissen, welches Geld in welchen Topf geht.“ Genau so unglücklich wie bei Andrea Kdolsky ist es wohl auch bei Alfred Gusenbauer gelaufen, als er meinte: „Das Problem ist, dass wir bei diesem Riesensystem, in dem es um rund 30 Milliarden Euro geht, sehr unterschiedliche Interessen haben“. Naja, beide sind nicht mehr!

Noch im Rennen ist ein anderer: „Schauen Sie die Finanzierungsstruktur unseres Gesundheitswesens an – da brauchen Sie ein Stamperl Magenbitter, dass Sie das aushalten“ meinte Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer und Chef des Wirtschaftsbundes, um dann eigenartige Veränderungsvorschläge zu machen, die eines sicher nicht verändert hätten, die Finanzierungsstruktur.

Interessant, dass ausgerechnet der, der der schärfste Kritiker Leitls war und die Gesundheitsreformdebatte wegen Eigeninteressen ruiniert hat, heute die Gesundheitsreform mit Erfahrung, wie er betont, verhandeln soll: Fritz Neugebauer, ein Tausendsassa. Eigentlich Volksschullehrer, ist er Chef des ÖAAB, Chef der Beamtengewerkschaft (nur Gott kann erklären wie das zusammengeht!), Stellvertretender Klubobmann der ÖVP und Nationalratsabgeordneter. Ein Lebenslauf, der ja geradezu prädestiniert, eine Gesundheitsreform zu konzipieren. Ein Beweis seiner großen Fähigkeiten, für den Patienten und ohne Eigeninteressen zu handeln, sind da auch seine Aussagen. Vor der Wahl war er der Meinung, dass „ein so sensibles Thema“ nicht übers Knie gebrochen werden darf, „weil man so die betroffenen (!) Gruppen, etwa die Ärzte und Länder, nicht erreichen kann“. Heute hat er zwar den Patienten noch immer nicht entdeckt, aber dafür will er sehr viel schneller arbeiten: „Die gesamte Reform muss bis Mitte 2009 stehen“. Seine klaren Linien zeigen auch folgende Aussagen: (vor der Wahl!) „Mehr Geld in die Krankenkassen zu investieren sei zunächst nicht notwendig“, (nach der Wahl!) „Es braucht eine rasche Geldspritze für jene Kassen, die akut bedroht sind“.

Tja, und nachdem sein Gegenüber, der Chef der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter, stellvertretende Vorsitzende des Hauptverbandes und Abgeordnete zum Nationalrat Wilhelm Haberzettel ebenfalls ein sehr kreativer, innovativer Kopf ist, der ja bereits festgehalten hat wie es geht („Um das Gesundheitssystem mittelfristig zu finanzieren, brauchen wir die Vermögenszuwachssteuer. Wer das verschweigt, betreibt eine Vogel-Strauß-Politik“), können wir uns auf eine „echte“ Reform freuen.

Dieser Artikel wurde im November 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Was drauf steht soll auch drinnen sein

Weil politischer Mut längst populistischem Handeln gewichen ist, wird die Spitalsversorgung immer schlechter – Gott sei dank merkt es niemand.

Stellen sie sich vor, Sie kaufen Seifenblasen. Sie nehmen die Verpackung und lesen, dass die gewählten Seifenblasen die schönsten der Welt sind. Sie sind groß und bunt für die, die sie groß und bunt wollen, oder klein und lustig hüpfend für die, die das wollen. Gut, denken Sie, das, was da drauf steht wird wohl nicht ganz stimmen, aber Seifenblasen lassen sich sicher erzeugen.

Sie kommen nach Hause, ihre Kinder scharen sich um Sie, Sie nehmen die Verpackung, tauchen den Stiel in die Flüssigkeit, pusten und – nichts geschieht. Auch jeder weitere Versuch bleibt erfolglos. Sie ärgern sich und riechen an der Seifenflüssigkeit – und stellen fest, es ist nur Wasser drinnen. Was geht durch Ihren Kopf? Sie wollen sich beschweren oder gar die Firma verklagen – und haben mit diesen Gedanken vollkommen recht.

Was hat das mit dem Spitalswesen zu tun? Nun, da erleben wir in Österreich Skurriles. Längst (wenigstens jedoch seit die WHO es 1969 in einem Bericht festgehalten hat) ist bekannt, dass die Qualität in Österreichs Spitälern nicht immer das ist, was sie zu sein scheint. Als Hauptgrund wurde damals genannt, dass es zu viele Häuser gäbe und es nicht möglich ist, bei so einer Vielzahl an Standorten die Qualität aufrecht zu erhalten. Und trotzdem haben wir es in den letzten 40 Jahren nicht geschafft, eine ordentliche und ausnahmsweise am Patienten statt an Wählerstimmen orientierte Reform umzusetzen.

Und die medizinische Entwicklung schreitet voran. Man muss sich vorstellen, dass jährlich 500.000 medizinisch-wissenschaftliche Artikel erscheinen. Bei so einer Fülle an Informationen ist es schlicht nicht möglich, in jedem unserer Spitäler eine dem Stand der Wissenschaft entsprechende Versorgungsqualität zu gewährleisten. Spezialisierung und Zentralisierung sind deswegen international seit Jahrzehnten ein Thema. Bei uns nicht. Und so verfügen wir über 40 Prozent mehr Spitalsbetten und nehmen um 70 Prozent mehr Patienten pro Jahr auf wie der europäische Durchschnitt. Bei solchen Zahlen ist es aber vollkommen klar, dass in vielen Spitälern schon längst keine Spitäler mehr drinnen sind. Statt eine fachärztliche Versorgungseinrichtung zu sein, die nur Patienten zur Verfügung steht, die entsprechend ihre Krankheit und den Therapiemöglichkeiten eine stationäre Versorgung benötigen, sind sie bei uns „Auffangbecken“ für wen auch immer. Und an jedem Standort wird festgehalten als ob es darum ginge, die Welt zu retten.

Jetzt wird das Geld knapp und Politiker wie willfährige Ökonomen suchen krampfhaft nach Sparpotential. Die einzig sinnvolle und längst überfällige Sparmaßnahme ist jedoch endlich diese vielen unnotwendigen Spitäler zu sperren und das freigesetzte Geld in eine moderne Gesundheitsversorgung zu investieren, die sich um den Patienten und nicht um regionalpolitische Wünsche kümmert. Aber das ist keine Option. Stattdessen wird lieber die Qualität weiter verwässert und bei Fortbildung und personeller wie technischer Ausstattung gespart. Dafür werden Eingangshallen „modernisiert“ und ein „Wohncharakter“ erzeugt. Und dem Patienten, dem sagt man einfach, alles sei vom Allerfeinsten und überhaupt ist die Versorgung auf allerhöchstem Niveau. Was für ein Glück, dass der Patient so wenig über Medizin weiß; so kann man ihm erklären, was man will. Und wer was anderes tut, der verunsichert Patienten und ist böse. Ach, und im Übrigen verweise ich auf H.D. Thoreau!

Dieser Artikel wurde im Oktober 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.