Selbsternannte Experten

Wiener Ärztekammer 2007: „Mehr Patienten, aber weniger Einkommen? Diesen Deal werden wir sicherlich nicht mittragen“ – oder doch?

Autos und LKW beherrschen die Straßen. Sie sind die wichtigsten Verkehrsteilnehmer. Wenn man Fahrer fragt, dann erfährt man sicher eine Menge, wie das Verkehrssystem besser zu machen wäre. Aber macht sie das bereits zu Verkehrsexperten? Solche hätten nicht nur die Straßen im Auge zu behalten. Sie müssten sich auch über Schiene, Luft und Infrastruktur Gedanken machen. Würden Fahrer bestimmen, dann sähe unser Verkehr anders aus; fahrerfreundlich sicher, aber wahrscheinlich nicht vernünftig. Wie in Amerika würden große Straßen Städte durchpflügen und öffentliche Verkehrsmittel würden zur Gänze fehlen. Oder betrachten wir den Tankwart. Er ist wohl der wichtigste Verteiler von Benzin. Macht ihn das automatisch zum Verkehrs- UND Energieexperten? Wohl kaum.

Im Gesundheitssystem ist das angeblich anders. Da sind einmal die Ärztekammern. Diese behaupten, dass sie und nur sie wissen, was richtig und wichtig fürs System ist. Andere sind nicht befähigt sich auszukennen. Und dann haben wir die Krankenkassen. Die verteilen das Geld. Wohlgemerkt verteilen sie es nur, denn dass Geld gehört uns, die wir es hergeben müssen – ungefragt. Aber die Kassen behaupten, sowohl das Gesundheitssystem als auch die Staatsfinanzen zu beherrschen und alleine glückselig machend zu sein.

Nun, die Realität ist anders. Ärztekammern verstehen wenig von einem Gesundheitssystem. Und die Kassen? Die sind sie definitiv keine Finanzexperten und leider auch keine Systemexperten – ich weiß wovon ich rede!

Schauen wir nach Wien, da sieht man, um was es wirklich geht. 2007 konnte keine Einigung zwischen Ärzten und Kassen gefunden werden. Die wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), damals schon fast pleite, haben für 2008 nur 1,5 Prozent Honorarerhöhung geboten. Die Kammer hat sich widersetzt. Verständlich, wenn man bedenkt, dass durch Demographie und Inflation eine Steigerung von wenigstens fünf Prozent gerechtfertigt gewesen wären. Doch dann sah es so aus, als ob die WGKK kein Interesse mehr an Verträgen hätten. Und wenn der Ärztekammer der Vertragspartner abhanden kommt, dann ist es aus mit der Macht. Und das geht wohl gar nicht.

Skurril, wie man das System verteidigt, nur um seinen Machteinfluss und das damit verbundene bequeme Leben zu halten. Denn jetzt akzeptiert die Kammer für 2008 eine „Null-Runde“ und für 2009 eine Erhöhung von 1,4 Prozent. Hauptsache, WGKK und Ärztekammer sind gerettet – angeblich „ein Erfolg für Ärzteschaft wie Patienten“.

Doch wie wird der einzelne Kassenarzt reagieren? Wird er wirklich auf Einkommen verzichten und unentgeltlich arbeiten? Nein, er wird weniger Patienten behandeln und noch mehr in Spitäler einweisen! In Wien stiegen die Ambulanzzahlen seit 2003 um über 50 Prozent, die stationären Patienten um 10 Prozent. Das Spiel stationär vor ambulant geht munter weiter – auf unsere Kosten.

Und was wird das für die Patienten heißen? Nichts Gutes! Abgesehen davon, dass es noch weniger Arzttermine geben wird, die Wartezeiten noch länger werden, die Kuvertmedizin zunehmen und noch mehr in den Wahlarztbereich verdrängt wird, wird ein schlecht motivierter Arzt schlechte – und in weiterer Folge sogar teure – Arbeit leisten.

Wenn also selbsternannten Systemexperten und denen, die es noch werden wollen, Gegenwind ins Gesicht bläst, dann hoffe ich, dass die Apologeten des heutigen Systems ein wenig ins Grübeln kommen – auch wenn sie es nie öffentlich zugeben würden.

Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.