Die Ohnmacht der Patienten

Eine Stärkung der Sozialpartner in der Gesundheitspolitik hätte zur Folge, dass Patienten, Steuer- und Beitragszahler immer weniger zu entscheiden haben. Kein guter Weg.

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   Wussten Sie, dass Sie ein Mitspracherecht haben, wenn es um Ihre Krankenkasse geht? Nein? Da geht es Ihnen wie den meisten. Fakt bleibt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber, auch wenn sie es nicht wissen, mit ihrer Stimme bei Arbeiter- und Wirtschaftskammerwahlen entscheiden, welche Fraktion wie viele Vertreter in die Vorstände der Sozialversicherungen entsendet. Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die die Beiträge ja praktisch bezahlen müssen, verwalten also theoretisch die Kasse über ihre gewählte Vertretung selbst. Klappt die medizinische Versorgung in den Kassenordinationen nicht, wären dann die gewählten Gewerkschafts- und Wirtschaftskammerfunktionäre schuld – sehr theoretisch.

   Wenn der niedergelassene Arzt kaum mehr Hausbesuche macht, weil er gemessen am Aufwand so gut wie nichts daran verdient oder eine Gemeinde dringend einen zweiten Arzt bräuchte, aber nicht bewilligt erhält, wird wohl eher der Politiker von seinen Wählern zur Verantwortung gezogen als ferne Kassenobleute. Die Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter wird kaum die nächsten AK-Wahlen verlieren, weil ihre Funktionäre die Kassen in die Pleite geführt haben oder die Zahl der Kassenärzte zu gering ist.

   Die Sozialpartner haben sich mit ihren Versicherungen eine Nische geschaffen, in der sie für die österreichischen Patienten kaum greifbar sind. Zum einen ist überhaupt nur etwas mehr als ein Drittel aller Österreicher bei den Arbeiter- und Wirtschaftskammerwahlen stimmberechtigt. Zum anderen messen die Österreicher den Sozialpartnern mit nur knapp 50 Prozent Wahlbeteiligung – natürlich nur, wenn Wahlbeteiligung etwas aussagt – offenbar oder irrigerweise eine untergeordnete Bedeutung bei. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass zwar 85 Prozent der Arzt-Patienten-Kontakte Menschen über 65 Jahre, also Pensionisten, betreffen, diese aber nicht einmal wahlberechtigt sind. Die Entscheidungsträger der österreichischen Sozialpartner müssen sich also ausgerechnet jener Gruppe, die am meisten auf das Gesundheitswesen angewiesen ist, nicht einmal zur Wahl stellen.

   Geht es nach dem Willen der Sozialpartner, entscheiden sie künftig auch über die Geldmittel für die Spitalsversorgung, die bislang in die Verantwortung der Länder fiel. Das österreichische Gesundheitssystem, genauer genommen nur die Akutversorgung, ist dann endgültig in der Hand eines Monopolisten, der negative Folgen von Fehlentscheidungen nicht fürchten muss.

   Die Politik wäre schlecht beraten, wenn sie das Ruder im Gesundheitssystem zugunsten von Nischen-Monopolisten wie den Sozialversicherungen aus der Hand gibt. Wenn die Patienten unzufrieden sind, wird sich der Volkszorn über jenen entladen, die greifbarer sind als Gewerkschafts- und Wirtschaftskammerfunktionäre. Die Rechnung für schlechte Gesundheitsversorgung werden Regional-, Landes- und Bundespolitiker präsentiert bekommen. Den Sozialversicherern dann aber die Schuld für eine Wahlschlappe zu geben, wird schwer zu argumentieren sein.

   Und wenn es wirklich dazu kommen sollte, dass die Sozialpartner in der Gesundheitsversorgung weiter gestärkt werden, wird die Politik kaum noch Möglichkeiten haben, das Ruder in der Gesundheitspolitik zurückzureißen. Und da die Macht der Sozialpartner dank der Neuauflage von Rot-Schwarz nun auch in der Verfassung steht – eine für künftige Regierungen unumstößliche Tatsache – haben Bürger und Patienten wohl auch keine Chance mehr, ihre gesundheitspolitischen Interessen durchzusetzen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 94 vom 13.05.2008