Die neue Ärzteausbildung – eine unglaubliche Mogelpackung

Die Reform ist seit Jahrzehnten überfällig, wie die scharenweise Emigration der Jungärzte überdeutlich zeigt. Jetzt liegt ein Entwurf im Parlament.

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   Turnusärzte, die Allgemeinmediziner werden wollen, sollen die lange geforderte, verpflichtende Lehrpraxis, die mindestens sechs Monate dauert, machen. Die im internationalen Vergleich zu lange Facharzt-Ausbildung soll, durch Abstellen der Unart, dass vor der Facharzt-Ausbildung eine zum Allgemeinmediziner gemacht werden muss, deutlich verkürzt werden. Und damit Spitalserhalter Qualitätsanforderungen nicht unterlaufen, muss die Ärztekammer jede einzelne Ausbildungsstelle, sowohl für Allgemeinmediziner als auch Fachärzte, anerkennen. So weit, so gut.

   Allerdings liegt der Teufel im Detail. Analysiert man den Entwurf, erkennt man, dass zwar die Ausbildungszeit der Fachärzte wirklich verkürzt werden könnte, dafür werden, offenbar bewusst, Engpässe für Allgemeinmediziner eingebaut, die deren Ausbildungszeit in Spitälern enorm verlängern werden; es sei denn, es kommt zur Schließung von etwa 10.000 (25 Prozent) Spitalsbetten – unrealistisch!

   Hintergrund ist eine Ausnahmeregelung, die vor allem Kleinstspitäler und Kleinstabteilungen, die durch den Entwurf eigentlich aus Qualitätsgründen ihre Ausbildungsbefugnis verlören, schützt: Pro 15 Spitalsbetten muss weiterhin überall ein Turnusarzt angestellt werden, dessen Ausbildungsstelle aber nicht anerkannt, und damit deren Ausbildungsqualität nicht überprüfbar, sein muss.

   Sollte es keinen massiven Bettenabbau geben, werden so mindestens 2700 (90 Prozent) Turnusärzte auf Stellen ausgebildet, die nicht wegen der Ausbildungsqualität anerkannt sind, sondern ausschließlich wegen der Zahl der Betten, und, wie geschrieben steht, „zur Aufrechterhaltung des Systems“ existieren. Die Überwachung der Ausbildungsqualität durch die Ärztekammer ist nichts als Blendwerk.

   Da nach den neuen Regeln pro Jahr nur etwa 500 Jungmediziner die Allgemeinmediziner-Ausbildung beginnen, müssen diese natürlich deutlich länger im Spital bleiben als die avisierten 33 Monate. Rein rechnerisch geht sich die „Reform“ nämlich erst aus, wenn sie 60 Monate im Spital arbeiten. Und um das zu erreichen, werden Wartezeiten eingebaut.

   So werden jährlich nur 60 der nun verpflichtenden Lehrpraxisstellen gefördert, notwendig wären jedoch 500. Wartezeiten sind unvermeidbar. Und um sicher zu sein, dass diese nicht unterlaufen werden (so könnten hausarztsuchende Gemeinden die Finanzierung der Lehrpraxis übernehmen), werden auch Ausbildungsstellen in den sogenannten „kleinen Fächern“ (wie HNO, Neurologie etc.), die Turnusärzte turnusmäßig mehrere Monate im Spital durchlaufen müssen, erheblich reduziert. Damit werden die heute üblichen Wartezeiten von etwa einem Jahr für solche Stellen deutlich ausgedehnt.

   Die „Reform“ stellt sicher, dass Jungärzte weiterhin überall, nun aber länger, als Systemerhalter („Spritzenferdl“) eingesetzt werden können. Eine Verbesserung der Ausbildung wird nicht erreicht, wohl auch nicht angestrebt.

   Was wird passieren? In ein paar Jahren werden Jungärzte begriffen haben, wie sehr sie über den Tisch gezogen wurden. Ein ungeahnter Exodus wird folgen – und Politiker werden gegen den Turnusärztemangel neue MedUnis bauen.

„Wiener Zeitung“ Nr. 153 vom 07.08.2014