Die Notfallambulanz ist für Notfälle da – eigentlich

   Ein ganz normaler Vormittag in einem ganz normalen Spital.

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   Die Notfallambulanz eines großen Spitals an einem Vormittag unter der Woche: Eine Ärztin (!) kommt mit ihrer Mutter, die seit mehreren Monaten (!) offensichtlich in einem Prozess des Absinkens in die Demenz ist. Sie meint, die Mutter „zittere“ immer so, wenn sie was vergesse oder Dinge verlege. Das gehöre einmal angesehen. „Ich bin eh vom Fach.“ Weder vor noch nach den Untersuchungen ein Anzeichen einer vitalen Bedrohung, definitiv kein Notfall.

   Eine stark übergewichtige Frau, klagt, seit Wochen (!) „nix mehr essen zu können“. Sie habe das Gefühl, nicht mehr gut schlucken zu können. Das sei nicht normal. Was könne das denn sein? Weder vor noch nach den Untersuchungen ein Anzeichen einer vitalen Bedrohung, definitiv kein Notfall.

   Ein Mann mit einer einige Tage (!) alten Einweisung vom Hausarzt in die Notfallambulanz sagt auf die Frage, warum er nicht sofort gekommen sei, wenn es ihm denn so schlecht gehe (auf dem Einweisungsschein steht etwas Bedrohliches – wohl eine Übertreibung des niedergelassenen Arztes, um den Patienten loszuwerden): „Über das Wochenende und den Zwickeltag tut ihr ja sowieso nix!“ Weder vor noch nach den Untersuchungen ein Anzeichen einer vitalen Bedrohung, definitiv kein Notfall – dafür eine Beleidigung.

   Eine Frau kommt sitzend mit der Rettung (!), weil ihr Ellenbogen seit Tagen (!) wehtut. Mit der Tasche in der Hand auf beiden Beinen (gesund) sucht sie sich im Warteraum den besten Platz (mit Blick zum Fernseher). Zu den Untersuchungen will sie mit dem Transportdienst herumgefahren werden. Weder vor noch nach den Untersuchungen ein Anzeichen einer vitalen Bedrohung, definitiv kein Notfall.

   Ein alter Mann mit schwerer Demenz kommt mit Gattin, die ihn daheim versorgt. Der Frau ist mehr oder weniger bewusst, dass für sie die Versorgung kaum noch zu schaffen ist, vor allem nicht die Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr. (Noch) kein Anzeichen einer vitalen Bedrohung, definitiv kein Notfall – dafür eine Sozialaufnahme.

   Ein Mann mit einer Einweisung vom Hausarzt in die Notfallambulanz kommt wegen Knieschmerzen. Das Knie zeigt keinerlei Entzündungszeichen. Weder vor noch nach den Untersuchungen ein Anzeichen einer vitalen Bedrohung, definitiv kein Notfall.

   Dann kommt ein Mann mit Hautausschlag am Rumpf: „Den hab ich schon lange!“ – „Wieso gehen Sie nicht zum Hautarzt?“ – „Da bekomme ich den Termin im Jänner!“ „Haben Sie überhaupt angerufen und gesagt, dass es dringend ist und sie auch Wartezeiten in Kauf nehmen?“ Er sei jetzt da, und überhaupt, was bilden wir uns überhaupt ein, solche Fragen zu stellen? Weder vor noch nach den Untersuchungen ein Anzeichen einer vitalen Bedrohung, also definitiv kein Notfall – dafür aber eine weitere Beleidigung.

   Dazwischen kommen zwei Rettungen mit echten Akutfällen, die nur schwer im niedergelassenen Bereich behandelt hätten werden können – naja, eigentlich nicht, weil ein Fall ein Kreislaufkollaps (ohne Ohnmacht) bei einem Mann ist, der an diesem Tag als Verkäufer begonnen hat – das viele Stehen halten nicht alle gleich von Anfang an aus. Dann ist der Vormittag vorbei – und alle die dort gearbeitet haben, fragen sich: Was genau macht eine Notfallambulanz eigentlich aus?

   Und nein, das ist keine dichterische Freiheit, sondern ein Report.

„Wiener Zeitung“ vom 24.11.2022  

Fehlgeleitet

Patienten werden von den Krankenkassen bewusst zu Wahlärzten und in Spitalsambulanzen verschoben.

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   Vorweg: Ein Kassenarzt ist verpflichtet, eine Mindeststundenanzahl offen zu haben. Wenn Patienten außerhalb dieser Zeit behandelt werden, kann ein Zuschlag verrechnet werden, der dazu dient, die mit den außertourlichen Öffnungszeiten verbundenen Mehrkosten, etwa Überstundenzuschläge für Mitarbeiter, zu kompensieren.

   Weil die Leistungshonorare, vor allem der Gebietskrankenkassen, sehr niedrig und viele nicht einmal mehr kostendeckend sind und durch Privatleistungen quersubventioniert werden müssen, entstehen durch außertourliche Öffnungszeiten nicht nur Mehrkosten, sondern auch Opportunitätskosten. Am Ende ist es für Kassenärzte ein wirtschaftliches (und wohl auch gewolltes) Problem, länger offen zu halten.

   Vor etwa einem Monat gab es das Gerücht, dass Kassenärzte, wenn sie etwa bei Grippewellen länger offen hatten, für Patienten keinen „Zuschlag“ abgegolten erhielten. Die Krankenkassen hätten diese Zuschläge, mit der Aussage, dass ja Spitalsambulanzen offen waren, im Nachhinein abgelehnt. Wie gesagt, nur ein Gerücht, das von Kassen dementiert wurde. Daten dazu gibt es nicht.

   Jetzt kann man einwenden, dass Ärzte dieses Gerücht gestreut haben, weil sie irgendeine versteckte Agenda verfolgen. Doch da erreicht mich folgende Geschichte einer Patientin (Name bekannt, Text gekürzt): „Mit einem akuten gesundheitlichen Problem suche ich den Wahlarzt meines Vertrauens auf, welcher nach ausführlichster Untersuchung samt Ultraschall 140 wohlverdiente Euro verrechnet. Frohen Mutes reiche ich diese Honorarnote bei der Krankenkasse ein, um in Worten sechs Euro rück erstattet zu bekommen. Nun dachte ich, jene Summe rückerstattet zu bekommen, die ein niedergelassener Facharzt mit Kassenvertrag erhalten hätte (wohl kaum 6 Euro, sonst kann der zumachen), und rufe bei der Krankenkasse mit der Bitte um Aufklärung an: ,Ja, das ist wegen dem Ultraschall. Der wird ja nicht bezahlt.‘ Ich darauf: ,Naja, wie soll er in mich reinschauen, mit dem Röntgenblick?‘ Sie darauf: ,Gehen Sie halt das nächste Mal in eine Spitalsambulanz, da ist ohnehin nachher ein Krankenhaus nötig.‘ Darauf ich: ,Aha, das soll ich also schon vorher wissen? Und, da komm’ ich Ihnen dann billiger in der Ambulanz?‘ Darauf sie: ,Das zahlt dann wer anderer, verstehen Sie?‘“

   Natürlich bleibt auch das wieder Anekdote – doch das Bild verdichtet sich, dass die Kassen ihre Patienten bewusst zu Wahlärzten und in Spitalsambulanzen verdrängen. Denn der (altersstandardisierte) Anteil der Bevölkerung, der 2014 wenigstens einmal einen Facharzt (Wahl- oder Kassenarzt) sah, stieg, verglichen mit 2007, um 40 Prozent, der Anteil in einer Spitalsambulanz um 34 Prozent. Im Gegenzug dazu stieg im gleichen Zeitraum die Zahl der Kassenfachärzte nur um 4 Prozent, die Zahl der Spitalsärzte aber um 30 Prozent und die Zahl der reinen Wahlfachärzte (also jene niedergelassenen Ärzte ohne Kassenvertrag, die nur davon leben und keinerlei zusätzliche Anstellung haben) gar um 370 Prozent. Und wenn 1+1=2 ist, dann ist die Verdrängung der Patienten vom Kassenarzt zum Wahlarzt und in die Spitalsambulanz kein Zufall.

„Wiener Zeitung“ Nr. 032 vom 16.02.2017  

Krankenkassen-Honorarkataloge – absurder Wahnsinn

(Lesezeit 6 Min) Es ist verständlich, dass ein Otto-Normal-Verbraucher so gar nichts mit Honorarkatalogen der Krankenkassen anfangen kann, ja nicht einmal gut eingelesene Medizin-Journalisten verstehen das Kassenhonorar-System. Aber, es ist eines DER Probleme, warum es in Österreich einfach nicht möglich ist, eine sinnvoll organisierte ambulante Versorgung aufzubauen.

Um die Probleme zu illustrieren, will ich ein Beispiel bringen, dass die Unsinnigkeit dieses Systems zeigt: das Langzeit(24h)-EKG, auch Holter-EKG genannt 

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Die ewige Spitalsambulanz-Gebühr

 Die Frage, ob Spitalsambulanzgebühren real den Zustrom von Patienten mit Lappalien einzudämmen vermögen, ist seit Jahren beantwortet: nein.

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   Dass Ambulanzen überfüllt sind und in vielen Fällen eine Überversorgung darstellen, ist unbestritten. Ein banaler Schnupfen muss nicht um 22 Uhr in einer Spitalsambulanz versorgt werden. Aber nicht nur dort findet Überversorgung statt; ein Schnupfen hat auch beim niedergelassenen Facharzt nichts verloren. Im Spital fällt es nur besonders auf und ist sicher die teuerste Überversorgung. Ambulanzgebühren sind nun der theoretische Versuch, diese Überversorgung wegzubringen. Doch ist das real?

   Nein, schlicht, weil Gebühren von sich aus ja nicht unterscheiden können, ob ein Arztbesuch, vor allem außerhalb der Öffnungszeiten der Hausärzte, not wendig ist oder nicht, diese Entscheidung muss der Patient fällen. Der Patient muss Informationen einholen, die Dringlichkeit einschätzen und dann entscheiden. Geld spielt da keine Rolle, entscheidend ist die Gesundheitskompetenz.

   Doch ist der österreichische Patient ausreichend kompetent für diese Entscheidung? Ist er nicht! Ein Akademiker in Österreich kann gesundheitsrelevante Fragen weniger gut beantworten als ein Schulabbrecher aus den Niederlanden – das will was heißen!

   Aber warum kann ein Niederländer besser zwischen Banalem und Ernstem unterscheiden? Warum versucht der dortige es zuerst mit Hausmedizin, und wenn die nicht hilft, geht er zum Hausarzt, egal zu welchem Zeitpunkt, während der hiesige sofort zum Facharzt oder in die Spitalsambulanz rennt?

   Er ist schlicht mündiger, weil dort seit Jahren das System darauf dringt, Patienten zu helfen, diese Entscheidungen selbst zu treffen. Unser paternalistisches, intransparentes System will keine mündigen Patienten, also gibt es sie auch nicht.

   Mehr noch, unsere Primärversorgung, also vor allem die Hausarztversorgung, ist heillos überfordert, weil völlig unterbewertet. Aber es sind nun einmal vor allem die Hausärzte, die eine entscheidende Rolle spielen. Und wenn es sie nicht ausreichend gibt, können Ambulanzgebühren auch keine sinnvolle, steuernde Wirkung erzielen.

   Diese würden sicher die eine oder andere Überversorgung, vor allem bei jenen, die aus Bequemlichkeit in Ambulanzen gehen (aber das völlig zu Recht, denn der Hindernislauf im extramuralen Bereich von einem Arzt zum anderen, ist unattraktiver Nonsens), reduzieren, aber im Allgemeinen nur Zusatzeinnahmen und in vielen Fällen Unterversorgung generieren.

   In der ambulanten Versorgung existieren vier voneinander völlig unabhängig arbeitende Systeme: das (an sich schon inhomogene) Kassensystem, das Wahlarztsystem, die Ambulatorien und die Spitalsambulanzen. Hier kann keine vernünftige Versorgung rauskommen, sondern nur der zu beobachtende Verschiebebahnhof. Wenn es nicht gelingt, leicht verständliche und patientenorientierte Regeln der Zusammenarbeit herzustellen, aber vor allem eine funktionierende, sieben Tage pro Woche, 16 Stunden pro Tag geöffnete Primärversorgung zu etablieren, und zwar so attraktiv, dass sie vom Patienten akzeptiert wird, wird es keine Lösung für überfüllte Spitalsambulanzen geben.

„Wiener Zeitung“ Nr. 231 vom 28.11.2013 

Analyse: Das Ambulanz-Modell der Ärztekammer

(8 Min Lesezeit) Errichtet man 1.041 neue Kassenstellen, dann erspart man sich in der Versorgung 322.000.000 €. Das rechnet die Ärztekammer in einem Simulationsmodell vor.

Und wie schaut dieses Modell aus?

Das erste, das  auffällt ist, dass es sich um ein rein betriebswirtschaftliches Rechenmodell handelt, weit weg von gesundheitsökonomischen Ansätzen. Es finden sich keine Versorgungskonzepte für bestimmte Patientengruppen oder Angaben zum Patientennutzen – gar nichts. Mehr noch, das Wort Patienten kommt KEIN einziges Mal als Bezeichnung für einen kranken Menschen vor, sondern wird ausschließlich als Maßeinheit verwendet.

Diesem rein betriebswirtschaftlichen Ansatz entsprechend, wird daher auch nur in Kosten pro Leistungserbringer (Kassenarzt oder Spitalsambulanz) gerechnet, und nicht, wie eben in der Gesundheitsökonomie üblich, in Kosten pro Patientennutzen. Das ist schon verstörend, weil gerade die Ärztekammer die „Ökonomisierung“ des Gesundheitssystems beklagt, und selbst doch nur betriebswirtschaftlich zu denken scheint.

Aber vielleicht ist es wenigstens eine gute betriebswirtschaftliche Rechnung?

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