Man hat uns fest im Griff

Das Sommerloch ist da: Zeit für eine (sehr komplizierte) philosophische Hintergrundanalyse – über das MAN, den Verfall und das Ende.

Vielfach wird behauptet, Gesetze sind Ausdruck praktischer Moral, also so etwas wie eine in Worten geronnene, gelebte Moral. Ob nun aufgeschrieben oder nicht, am Ende bleibt Moral schlicht die Konstitution des Wertegerüsts einer, wie auch immer definierten, Gesellschaft, die, wenigstens theoretisch, aus Individuen besteht. Doch stimmt das noch? Wird die Gesellschaft noch von Individuen gestellt? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Gesellschaft nur mehr daraus besteht, dass man etwas macht, weil MAN es macht?

Wenn MAN Geld für Banken hat, dann muss es auch für die Gesundheit vorhanden sein! MAN hat den Kassen Geld weggenommen und muss es jetzt zurückgeben! Wenn MAN ein Hochleistungs[Gesundheits]system will, kann MAN es nicht kaputtsparen! MAN muss, MAN kann, MAN darf, MAN soll … .

Doch wer oder was ist denn dieses MAN, das offenbar genau weiß, was für jeden von uns das Beste ist, das nie echte Geldprobleme hat, das stets richtig liegt? Nun, genau genommen ist es niemand und jeder gleichzeitig! Auch ist es ein beliebtes Versteck für jene, die zwar zuständig, aber nicht verantwortlich sein wollen. Und, es hat das Ich und das Wir ersetzt.

Nicht, dass es nicht eine abstrakte Ebene geben dürfte, in der MAN Dinge festlegen kann; aber MAN kann nie von sich aus aktiv werden. Das kann in erster Linie nur ich selbst. Mehrere „Ich“ können freiwillig ein „Wir“ gründen. Funktionierende Solidargemeinschaften sind stets Ausdruck wohlgeordneter demokratischer Verhältnisse, die aus mehreren Ich aktiv ein Wir gestalten. Solidarität, wenn sie denn wirklich eine solche sein soll, ist so nur durch unsere demokratischen Entscheidungen gerechtfertigt. Jedes Sozialsystem, dessen Zukunft nicht in der Tyrannei einer selbstherrlichen Elite ersticken will, braucht das Wir, braucht uns.

Doch wie schaut es aus? Die Diskussion über die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme ist nahezu beweisend, dass wir das, was MAN uns vorsetzt, nicht mehr wollen. Würden wir es wirklich wollen, würden wir uns darum sorgen, dass es finanziert wird. Keine Diskussion würde entstehen, woher das Geld kommt, weil wir es freiwillig geben würden. Aber offenbar wollen wir etwas anderes. MAN dürfte das aber geflissentlich ignorieren und so weiter wursteln wie bisher, weil MAN halt nichts ändern kann. Die Distanz zwischen uns und dem MAN ist groß geworden und entfaltet seine destruierende Kraft.

Ja, das MAN hat uns bereits fest im Griff. Moralische Vorstellungen, also jene Werte, die wir eigentlich – ob nun von uns selbst oder von Gott abgeleitet – aufstellen sollten, werden weniger und weniger. Und wenn MAN diese Werte quasi ohne uns festlegt, darf es nicht verwundern, dass ich mich und wir uns zunehmend nicht daran gebunden fühlen.

Und in weiterer Folge ist niemand mehr für sich oder andere verantwortlich, Populismus (sei er von links oder rechts) lenkt die Politik, Paternalismus pervertiert zur Diktatur und übrig bleibt ein Haufen Asche. Vielleicht müssen wir uns abfinden, dass demokratische Staatsformen genau so wenig geeignet sind, den moralischen Verfall zu verhindern, wie undemokratische. Wenn diese Entwicklung anhält – und nichts spricht dagegen – dann wird es sehr bald dunkel für unsere Sozialsysteme. Während Pensions- und Arbeitslosensysteme mit Härte aber überlebbar einbrechen, werden solidarische Gesundheitssysteme, wenn sie denn kollabieren, mit sehr viel unabwendbarem Leid einhergehen.

Dieser Artikel wurde im August 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Typisches Schauspiel um eine Abteilungsschließung

Vom Rest Österreichs weitgehend unbemerkt, versucht man in der Steiermark, eine Chirurgiereform durchzuziehen, die beispielhaft sein könnte.

Die schlechte Auslastung der kleinen Chirurgien (die meisten davon sind kaum zur Hälfte ausgelastet, obwohl man mittlerweile jeden noch so kleinen Eingriff, der sonst überall ambulant durchgeführt wird, stationär aufnimmt) und die Befürchtung, dass sowohl die Ergebnis- als auch die Aus- und Fortbildungsqualität nicht mehr dem Stand des Wissens entspricht, hat die Steirer dazu bewogen, sehr kleine Chirurgien aus der stationären Versorgung zu nehmen. Was jedenfalls vorort bleiben soll, ist eine ambulante chirurgische Versorgung durch in einem nächstgelegenen größeren Spital angestellte Ärzte. Vom Versorgungsstandpunkt aus ist so ein abgestuftes Modell goldrichtig – aber für manche Politiker offenbar ein Armageddon.

Eines der betroffenen Spitäler steht in Bad Aussee, dessen Chirurgie seit Jahrzehnten als Schließungskandidat diskutiert wird. Das Spital liegt 27 Kilometer und eine Landesgrenzen von Bad Ischl entfernt und ist daher eigentlich nicht als Randlage zu betrachten – außer, man macht die Landesgrenze „dicht“, dann ist das nächste Spital 55 Kilometer entfernt; und für österreichische Verhältnisse – wohlgemerkt nur hier zulande – ist die Entfernung dann „extrem“.

Beeindruckend der Stil der Diskussion: Die Chirurgie Bad Aussee ist DAS Herzensanliegen der Bevölkerung, sie stellt die Seele der Region dar. Atemberaubend! Es ist ja nicht so, dass man den Grundlsee trockenlegen oder die Wälder zubetonieren will. Dass man in so einem Fall davon sprechen könnte, man reißt der Region das Herz und die Seele heraus, wäre verständlich; aber die Chirurgie?

Um ein bisschen mehr Sachlichkeit und weniger Polemik in die Diskussion zu bringen, hat die Landesregierung eine Enquete veranstaltet. Dazu wurden Experten geladen, die ihre Meinungen abgaben. Aus wissenschaftlicher Sicht war nichts Neues zu hören. Mindestfallzahlen – deren Nicht-Erreichung eines der wichtigsten Argumente für die Schließung ist – seien zwar kein Garant für gute Qualität, aber es gibt doch deutliche Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Menge und Qualität. Jedenfalls muss man Prozessqualität mitberücksichtigen. Und der deutsche Experte stürmte vor und sagte, dass, seit Ergebnisqualitätsparameter (Komplikationen und Sterblichkeitsraten) pro Spital publiziert werden, ein Qualitätssprung gemacht worden ist, der die Mengen-Relationen stark verwässert hat. Auch kleine Spitäler können gute Qualität liefern.

Gut, so kleine Spitäler wie Bad Aussee ist (74 Betten!) sind in Deutschland eine Seltenheit. Aber man darf es glauben. Größe alleine ist nicht ausschlaggebend, öffentliche Ergebnisqualitätsparameter schon. Aber nachdem in Österreich kaum Prozessdefinitionen bestehen und man das Wort Ergebnisqualität im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung nicht einmal denken darf, bleibt der Politik halt nur, sich auf Strukturqualität und damit auch auf Mindestfallzahlen zu stützen – leider!

Wie dem auch sei, die Reaktion der Politik auf diese Experten war schon merkwürdig. Jeder hat nur das gehört, was er hören wollte. Besonders beeindruckend die ÖVP, die sich in einer brachialoppositionellen Rolle gut gefallen hat. Sachlich war da nichts mehr.

Es gilt zu hoffen, dass auch Österreich beginnt, Ergebnisqualitätsparameter öffentlich zugänglich zu machen, statt sich in peinlicher Parteipolitik zu ergehen und die Stimmungslage der Bevölkerung so dermaßen zu missbrauchen, um Angst zu verbreiten.

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Kritik der praktischen Medizin – ein Teufelskreis

Die Fehler im ambulanten Versorgungssystem sind mittlerweile Kulturgut geworden. Und Kulturen kann man nicht schnell ändern – wenn überhaupt.

Da sitze ich mit einem Freund, technischer Physiker und einer jener Menschen, die ich als Genie bezeichnen würde, im Gastgarten, unsere Kinder spielen im Sand und wir reden – was sonst – über das Gesundheitssystem. Und ich weiß nicht, wie wir darauf gekommen sind, jedenfalls stellt er fest, er braucht keinen Hausarzt, weil er am besten Wisse, welchen Facharzt er benötigt. Und wenn er das ohnehin wisse, dann geht er doch lieber gleich in die Spitalsambulanz, da gibt es alles, was er braucht. Und gleich heißt gleich – Öffnungszeiten sind da unwichtig.

Es hat mich wieder richtig gerissen. Ist das die Einstellung der heutigen Patienten? Um Arzt zu werden, braucht es eine 10- bis 15-jährige Ausbildung, erst dann hat man das Recht, krank von gesund zu unterscheiden. Wie also kann ein „Laie“ so selbstsicher davon ausgehen, dass er es besser wisse? Wie kann es passiert sein, dass der Patient der Arzt-Patienten-Beziehung so wenig traut, dass er lieber in eine hochtechnisierte Ambulanz geht, als sich seinen Arzt zu suchen?

Aber andererseits ist es verständlich.

Es schaut so aus, als ob die Infrastrukturen im niedergelassenen Bereich ausgehöhlt wurde: In den Spitälern hat sich die Zahl der Ärzte in den letzten 20 Jahren fast verdreifacht. Und bei den Kassenstellen für Hausärzte? Da hat sich eigentlich nichts getan. Zudem ist das Leistungsspektrum zurückgegangen. Hat ein Hausarzt früher noch kleine Wunden genäht, sogar Röntgenbilder gemacht, war er früher „regelmäßig“ bei den Familien zu Hause, wartet er zunehmend, nur mehr mit dem Stethoskop in den Ohren in seiner Ordination auf Patienten.

Wohlgemerkt war das nicht der Wunsch der praktischen Ärzte, denn in deren Reihen waren und sind immer wieder Idealisten, die versuchen, die Rolle des Hausarztes zu stärken. Es war das System, dass offenbar wenig für sie über hat. Interessanterweise hat die WHO bereits 1969 (!) festgehalten, dass es die steigende Tendenz gibt, Patienten in Spitäler einzuweisen, und dass diese Tendenz durch das Honorierungssystem (das die Ärztekammer mitzuverantworten hat!) gefördert wird. Aber außer unzählbaren politischen Lippenbekenntnissen hat sich wenig getan, und so wird der Hausarzt halt immer unwichtiger und in der Versorgung unwirksamer.

Wen wundert es, dass Patienten den Hausarzt nur mehr als „Überweiser“ und „Krankschreiber“ und nicht mehr als vertrauenswürdigen Diagnostiker und Therapeuten wahrnehmen? Warum sollte man einem Arzt vertrauen, der keine Zeit hat, bei dem man lange warten muss, der dann ohnehin nur überweist – und das oft in die Ambulanz? Mehr noch, durch den massiven Ausbau des Spitalssektors und einer maßlosen Schönwetterpolitik, werden mittlerweile vermutlich viele Patienten, selbst wenn sie vom Hausarzt richtig und ausreichend therapiert wurden, anschließend die Ambulanz aufsuchen, weil sie der Meinung sind, Spitzenmedizin gibt es nur dort.

Dass bei so einer Politik aber die Wohnortnähe verloren geht, ist offenbar unwichtig, ebenso, dass damit eine sinnlose und teure Überversorgung erzeugt und bald wegen jedem Schnupfen ein komplettes Labor angefordert wird.

Es ist eigentlich ein Wahnsinn, wenn man Gesundheitspolitik mit Populismus paart. Alle erhalten alles, jederzeit, gratis, auf allerhöchstem Niveau ohne Eigenverantwortung und ohne Rücksicht auf Kosten. Ob man die ambulante Versorgung jemals wieder auf zukunftsträchtige Beine stellen kann? Ich weiß es nicht!

Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Als ob es kein Morgen gäbe oder nach uns die Sintflut

Uff! Ich dachte schon, es müsste wirklich Reformen geben, jetzt wo das Geld auszugehen drohte! Gott sei Dank haben wir noch ein paar Milliarden gefunden.

Jetzt ist sie also aus dem Sack, die Katze. Statt Reformen gibt es wie üblich mehr Geld – und das überreichlich.

Den Ländern geht es am besten! Zwar gibt es seit 40 Jahren keinen ernstzunehmenden Experten, der nicht erzählt, dass das Spitalswesen reformiert gehört, aber was sind schon 40 Jahre. Jetzt, weil eben die Spitäler nicht mehr finanzierbar schienen, hat man tatsächlich hoffen dürfen. Immerhin liegen 30 von 100 Österreichern einmal im Jahr im Spital. Die Deutschen – auch nicht schlecht, was die Spitalshäufigkeit angeht – schaffen 20, in der EU liegt der Wert bei 17. Und ein Spitalsaufenthalt kostet im Schnitt 3.000 Euro! Da könnte man doch meinen, dass Vernunft statt Populismus am Zug ist. Falsch gedacht!

Nur um nichts ändern zu müssen, hat man den Ländern schlicht „erlaubt“, Defizite zu schreiben. Und wir sprechen hier nicht von Peanuts. Statt 1,4 Mrd. Euro ins Budget einzuzahlen, machen sie jetzt 1,4 Mrd. Schulden. So erhöht sich der „Spielraum“ der Länder für Weihnachtsmannpolitik auf jährlich fast 3 Mrd. Euro (40 Mrd. Schilling). Da kann man dann Spitäler betreiben, ob man sie braucht oder nicht!

Und auch bei den Krankenkassen hat man sich nicht lumpen lassen. Pro Jahr gibt es mindestens zusätzliche 250 Steuer-Millionen. Also, wenn man nicht will, braucht sich gar nichts ändern! Hier scheint noch nicht alles verloren, denn der jetzige Hauptverbandschef Dr. Schelling spricht Probleme offen an und möchte was ändern. Man nimmt ihm ab, dass er nicht daran glaubt, dass man das System auf Pump aufrecht halten kann. Doch glaubt das ein anderer politischer Entscheidungsträger außer ihm auch?

Lustig ist das Argument, dass es bereits früher eine so hohe NEUverschuldung gab. Ja, die gab es; aber erstens hatte man damals in den 1970er Jahren keine ALTschulden und zweitens hat man das Geld in Infrastruktur gesteckt. Heute ist das anders. Wir sitzen noch immer auf dem Berg an Schulden, den uns die damalige Politik hinterlassen hat, und wir stecken neue Schulden in Pensionen und Krankenversorgung. Also in Bereiche, die sich nie refinanzieren können, schon gar nicht bei der demographischen Entwicklung. Und während die Häuslbauer der 70er Jahre Werte geschaffen haben, die auch auf dem Markt bestehen, ist der Wert neugebauter bzw. modernisierter Spitäler, die niemand braucht, fraglich.

Aber vielleicht irre ich mich ja. Die sozialistisch-kommunistische Doktrin, die man tot glaubte, betrachtet Geld als marktunabhängiges, gesellschaftspolitisches Instrument. Zwar glauben nobelpreisgekrönte Wirtschaftsphilosophen, dass Geld etwas mit Angebot und Nachfrage zu tun hat, man zwar das Angebot, aber nicht die Nachfrage planen kann, und dass man Schulden zurückzahlen muss; aber vielleicht liegen die ja falsch. Bei einer Staatsausgabenquote jenseits der 50 Prozent und branchenorientierten Konjunkturpaketen auf Pump, ist offenbar die Nachfrage doch planbar. Und Geld hat nur den Wert, den die Politik zubilligt. Konsequenterweise sind Schulden nur solange „wertvoll“, solange die Politik das will. Naja, und in ein paar Jahren wird die wohl hergehen und sagen, wir sind schuldenfrei, einfach so!

Wer nicht will, dass dieses Pyramidenspiel der Schuldenpolitik zusammenstürzt, dem kann man nur zurufen: „Vota Communista“. Alte, Kranke und sozial Abhängige sollten aber in Deckung gehen, wenn sich das alles ein weiteres Mal als Fantasie herausstellt.

Dieser Artikel wurde im April 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Eine gut gepflegte Realitätsverweigerung

Mehrere Milliarden Euro Luft stecken im Gesundheitssystem – aber wir schießen mehr Steuern und Beiträge nach! Unbequeme Reformen kommen nicht in Frage.

Ganz einfach: Zieht man von den Einnahmen die Sachkosten und Steuern ab, kann man von dem was bleibt leben.

Am Markt werden Einnahmen von dem bestimmt, was der Kunde bereit ist zu zahlen. Will der weniger bezahlen, lebt man entweder von weniger, oder man schaut darauf, dass durch besseres Management die Sachkosten reduziert werden. Nun klar, das ist eine extreme Vereinfachung, aber am Ende bleibt es dabei – der Kunde bestimmt die Höhe der Einnahmen, Steuern und Kostenmanagement die Höhe des persönlichen Einkommens.

Anders im Gesundheitssystem. Hier bestehen die Einnahmen aus unfreiwilligen Beiträgen und Steuern.

Weil Menschen immer älter und kränker werden und die Zahl der Älteren zunimmt, steigen die Sachkosten für Medikamente, Ordinationen, Krankenhäuser etc. Das ist unvermeidbar. Kostenmanagement wäre angesagt, will man nicht, dass der Betrag für die Menschen, die vom Gesundheitssystem leben, kleiner wird. So etwas ist allerdings unpopulär, mühsam und unbequem. Weil es sich aber sehr viele in diesem System bequem gemacht haben und unpopuläre Maßnahmen tabu sind, ist es besser, man nützt das Monopol und schraubt an den Einnahmen – die sind leichter erhöht als Kosten reduziert.

Und da kommt eine Studie genau recht. Wieder einmal wurde „bewiesen“, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden – gemessen am „Bruttoverdienst“. Wir können zur Rettung des Gesundheitssystems die Reichen schröpfen.

So eine Studie ist per se dumm, weil sie so tut, als ob Steuern nicht umverteilen. Will man wirklich wissen, ob Arme ärmer und Reiche reicher werden, muss man statt des Bruttoeinkommens einer Person das frei verfügbare Einkommen eines Haushalts ansehen. Das ist der Teil des Einkommens, inklusiver aller Sozialtransfers, der nach Abzug aller Steuern und dem Betrag, der zur Aufrechterhaltung eines annehmbaren Lebensstandards erforderlich ist, übrig bleibt. Und siehe da, wenn man also die ganzen Sozialhilfen einrechnet – von der ORF-Gebührenbefreiung bis zum Stipendium für die Kinder – und vielleicht sogar den „Schwarzmarkt“ einbezieht, dann wird das Bild paradox.

Nehmen wir einen Alleinverdiener mit 4.500 Euro brutto und zwei Kindern. Brutto ist der Mann statistisch bereits reich. Aber! Verteilt man sein Netto-Einkommen inklusive Kinderbeihilfen auf die Familienmitglieder, dann wird der Haushalt statistisch plötzlich arm. Mit dem Brutto-Einkommen besteht aber keine Hoffnung auf Stipendien, Befreiungen oder Freifahrten. Wer offiziell so viel verdient hat vermutlich kaum Möglichkeiten, „schwarz“ zu arbeiten. Dass dank der hohen Abgaben 43.000 Euro an Staat und Sozialversicherung abgeführt werden müssen, bleibt unbedankt. Auch wie viel Arbeitszeit so ein Job verschlingt (keine Abgabe bezieht sich auf den Stundenlohn), ist egal. Brutto ist der Mann reich, also nehmen wir ihm was weg.

Nun, interessanterweise reagiert das Volk nicht dumm. Steigen die Pflichtabgaben und reduzieren so das frei verfügbare Einkommen, dann fliehen die Menschen zunehmend in die Leistungsverweigerung und den Schwarzmarkt. Wer also Rechnungen anstellt, dass man mit Beitrags- oder Steuererhöhungen die Einnahmen linear erhöhen kann, der wird sein blaues Wunder erleben. Und gerade dann, wenn die Wirtschaft kriselt, ist es sehr dumm jene zu belasten, die mit ihrer Produktivität Geld verdienen, nur um sich nicht der Realität stellen und unbequeme Gesundheitsreformen angehen zu müssen.

Dieser Artikel wurde im Februar 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Richtigstellungen

Die Zahl der politischen Ungenauigkeiten mit Manipulationsabsicht steigt im Ausmaß wie das Niveau der Gesundheitspolitik sinkt – eine ernste Entwicklung.

Sie kennen sie alle, die Richtigstellungen, zu denen Politiker und Medien verurteilt werden, wenn sie unter Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht oder mit böser Absicht Unwahrheiten verbreiten. Die ließt zwar niemand, aber sie geben das Gefühl eines Rechtsstaats. Weil dafür immer Klagen nötig sind, bleibt ein Haufen Unwahrheiten, die niemals richtig gestellt werden. Ein paar will ich übernehmen.

Mehrfach wurde von offizieller Seite betont, dass Österreich ein günstiges und effizientes Gesundheitssystem besitzt. Als Beweis wurde angeführt, dass wir „nur“ 7,6 Prozent Krankenversicherungsbeiträge zahlen, während die Deutschen 15,5 Prozent abgeben. Manchmal wurde zwar richtigerweise betont, dass die Länder nicht vergleichbar seien, aber selbst bei „Bereinigung“ der Unterschiede, wir mit 11 bis 12 Prozent auskämen – damit sei belegt, wir haben ein effizientes und billiges System. Diese Darstellungen entsprechen nicht der Wahrheit.

Wahr ist vielmehr, dass die Pro-Kopf-Ausgaben, gemessen in echtem Geld, in Österreich um 10 Prozent über denen Deutschlands liegen. Da wir keine „besseren“ Gesundheitsdaten haben, ist klar, dass wir weder effizienter, noch billiger als unsere Nachbarn sind – egal wie man es dreht und wendet.

Immer wieder wurde von verschiedenen Ebenen behauptet, die Preise der Medikamente steigen enorm an. Einerseits wurde behauptet, die Preise steigen über der Inflationsrate, andererseits, die durch die Senkung der Mehrwertsteuer herbeigeführte Preissenkung wird von der Industrie zum Anlass genommen, die Preise zu erhöhen. Beide Darstellungen entsprechen nicht der Wahrheit.

Wahr ist vielmehr, dass die Preise für rezeptpflichtige Medikamente durch den Staat festgelegt werden, es also nur dann zu einer Steigerung kommen kann, wenn der Staat dies zulässt. Betrachtet man den Preis für eine verkaufte Medikamentenpackung, dann ist festzustellen, dass dieser seit Jahren sinkt. Bewusst und manipulativ wird nicht zwischen dem Preis der Medikamente und den Ausgaben für Medikamente unterschieden.

Die Ausgaben steigen kontinuierlich, allerdings nicht getrieben durch den Preis, sondern durch die Mengen. Für die Mengensteigerung sind viele Faktoren verantwortlich. Da wäre das Kassen-Erstattungssystem, das mengenfördernd ist (was durch die Rezeptgebührobergrenze noch verstärkt wird!), dann die Rezeptgebühr selbst, die man bei kleineren Packungen öfter einheben kann, daher werden die von den Kassen bezahlten Packungen immer kleiner (aber nicht im gleichen Verhältnis billiger), dann die Marketingmaßnahmen der Industrie, die nur dann mehr verdienen kann, wenn sie mehr verkauft, nicht zu vergessen die Demographie und die Epidemiologie (die Menschen werden immer älter und kränker), und vermutlich noch ein Dutzend anderer Gründe. Die Forderung, die Mengenausweitung an Wirtschaftswachstum oder Inflation zu koppeln, ist mehr als nur irreal.

Zu dem Vorwurf, 900 Medikamente seien über den Jahreswechsel teurer geworden und damit sei bewiesen, dass es eine sofortige staatliche Intervention brauche, die dem wilden Treiben der Industrie Einhalt gebiete, sei festgehalten, dass es sich bei diesen Medikamenten um frei verkäufliche handelt, also der Preis durch freie Entscheidung freier Menschen am Markt festgelegt wird. Die geforderte Intervention bedeutet planwirtschaftlichen Totalitarismus.

Es macht traurig, auf welchem Niveau politisches Kleingeld gemacht wird.

Dieser Artikel wurde im Februar 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitsziele

Eine zielorientierte Politik im Gesundheitswesen wäre wünschenswert – und wird es auch bleiben, da sich keiner an unerreichten Zielen stößt.

Es ist simpel. Wer etwas erreichen will, der setzt sich Ziele. Normale Menschen, die ziellos herumirren und trotzdem Vollgas geben – die Wilden auf ihren Maschinen – sind gesellschaftlich nicht gerade anerkannt.

Ziele haben den (un)angenehmen Effekt, dass man sowohl Effektvität (also den Grad der Zielerreichung) als auch Effizienz (wie viel hat es gekostet, das Ziel zu erreichen) messen kann. Im Gesundheitswesen gibt es seit längerem Gesundheitsziele. Sie sind ein international verbreitetes Instrument, um Gesundheitspolitik zielgenauer und überprüfbarer zu machen. Aber genau das dürfte – oberflächlich betrachtet – bei uns politisch nicht gewünscht sein

1989 hat Österreich mit fast allen anderen WHO-Mitgliedstaaten folgende Ziele für Diabetiker vereinbart und „versprochen“, sie bis 1994 zu erreichen: (1) Verminderung neuer diabetesbedingter Erblindungen um ein Drittel oder mehr. (2) Verringerung neu auftretenden terminalen Nierenversagens wegen Diabetes um mindestens ein Drittel. (3) Senkung der Zahl von Amputationen aufgrund diabetesbedingter Gangrän um mindestens die Hälfte. (4) Verminderung der Morbidität und Mortalität bei koronarer Herzerkrankung von Diabetikern mittels intensiver Programme zur Verringerung der Risikofaktoren. (5) Normaler Schwangerschaftsverlauf bei Frauen mit Diabetes

Das klingt doch ganz gut. Umso erstaunlicher ist, dass man hierzulande Anfang des 21. Jahrhunderts folgende Zielformulierung findet: Bis zum Jahr 2010 sollte die Häufigkeit von Diabetesfolgen, wie Amputationen, Blindheit, Nierenversagen, Schwangerschaftskomplikationen und andere Gesundheitsstörungen um 15 Prozent gegenüber dem Jahr 2000 reduziert werden.

Einmal abgesehen davon, dass die „neuen“ Ziele weit unter denen liegen, die bereits vereinbart waren, ist es doch erstaunlich, dass sich niemand daran stößt, dass fixierte Ziele nicht erreicht wurden und einfach neue aufgestellt werden. Nun, muss man zugeben, dass nicht einmal die Hälfte der WHO-Staaten ernsthafte Maßnahmen gesetzt hat, die Ziele wirklich zu erreichen. Aber es ist halt schon ärgerlich, wenn man hierzulande zum Schein so tut, als ob Ziele ernst genommen werden und dann doch einfach ignoriert.

Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum Österreich mit „Gesundheitszielen“ Probleme hat.

Auf der einen Seite ist es der steigende Populismus. Wenn man Gesundheitsziele definiert, dann impliziert es, dass man offenbar Verbesserungen erreichen kann. Wer gerne vom besten Gesundheitssystem redet, hat damit Probleme. Zudem bedeutet das Aufstellen von real erreichbaren Zielen („allen alles auf allerhöchstem Niveau“ zu bieten, ist kein Ziel, sondern naives Wunschdenken), Priorisierungen vornehmen zu müssen. Man kann nicht alles gleichzeitig angehen! Aber eine Priorisierung wird immer Wählerstimmern kosten, weil halt nicht alle die oberste Priorität erhalten werden.

Auf der anderen Seite ist es die Verteilung der Kompetenzen. Denn wer ist verantwortlich für die Erreichung von Zielen? Solange keine klare Kompetenzverteilung – die eine echte Gesundheitsreform verlangte – existiert, wird man Ziele zwar formulieren, aber nicht erreichen können. Denn nur wenn es klare Verantwortlichkeiten (nicht nur Zuständigkeiten) gibt, kann ein zielorientierter Prozess auch zum Ziel führen.

Und so bleiben wir lieber bei dem Spiel: Vollgas (die pro Kopfausgaben sind nach Luxemburg die zweithöchsten in der EU), egal wohin!

Dieser Artikel wurde im Jänner 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Gesundheitsplattformen – die unbekannten Wesen

Ohne größere Bekanntheit erlangt zu haben sterben die letzten zarten Pflänzchen einer sinnvolleren Reform ab – und niemand wird es merken!

Wer noch nie von Gesundheitsplattformen gehört hat, der soll sich nicht grämen, er gehört zur großen Mehrheit. Die, die wenigstens schon was gehört haben, sind in der Minderzahl. Die seltenen Vögel, die sogar wissen, was diese Institutionen für Aufgaben hätten – und es sind deren viele – sind echte Exoten.

Die Kernidee dieser unbekannten Wesen, die in jedem Bundesland institutionalisiert wurden, war die DEZENTRALE Planung des Gesundheitssystems. Da saßen Länder und Sozialversicherungen als Finanziers zusammen und sollten, so der gesetzliche Auftrag, GEMEINSAM für die Gesundheitsversorgung der REGIONALEN Bevölkerung sorgen. Wenn man die aktuellen Entwicklungen beobachtet, dann weiß man, dass diese Idee in den letzten Zügen liegt.

Andererseits hat sie nie wirklich einen richtigen Zug gehabt. Keine Plattform hat es geschafft auch nur die klitzekleinen Reformprojekte Realität werden zu lassen. Eine gemeinsame Vorgangsweise gibt es, wenn überhaupt, nur in vereinzelten, kaum wahrnehmbaren Ansätzen. Der Pflegebereich wurde gleich gar nicht in die Agenda aufgenommen. Und die wenigen Plattformen, die es sich geleistet haben, ein sachlich kompetentes – und nicht politisch tickendes – gemeinsames Büro einzurichten, haben dieses bald wieder abgeschafft.

Die Folge dieses offensichtlichen aber verleugneten Scheiterns kennt man mittlerweile: die Kassen gehen pleite und die Spitalsausgaben explodieren (wie man hört in einigen Bundesländern um 36% in zwei Jahren!). Schuld ist natürlich der Bund – der macht ja immer alles falsch. Interessant, dass die WHO schon 1969 gesagt hat, dass die Bundesregierung keine Kompetenzen hat, den Finanziers verbindliche Weisungen zu erteilen. Trotzdem ist der Bund schuld – weil immer andere schuld sein müssen.

Ehrlicher- und daher unausgesprochenerweise  sind die Gesundheitsplattformen aber selber schuld. Man beachte nur wie skurril die Kompetenzen verteilt wurden. Was die niedergelassenen Ärzte betrifft, haben immer die Sozialversicherungen das Sagen, was die Spitäler betrifft die Länder – Zeugt das von einem gemeinsamen Willen?

Aber was hat man denn erwartet? Da sitzen die dem Populismus zugeneigten Länder und die in klassenkämpferischen Verhandlungen geübten Gewerkschaften zusammen und sollen gemeinsam gestalten, eine gemeinsame Vision, eben die gemeinsame Sorge um die Patienten, entwickeln. Einmal ehrlich – ist das nicht zu naiv gedacht? Kann man wirklich erwarten, dass sich Organisationen mit reinem Machtwillen zusammensetzen und plötzlich aus heiterem Himmel einen gemeinsamen Gestaltungswillen entdecken?

Dabei hallt das Wort Rauch-Kallats noch nach: Die Gesundheitsreform steht! Heute, drei Jahre später, ist davon aber nichts übrig, auch wenn man nicht müde wird, das Gegenteil zu behaupten. Real werden die jetzigen Reformschritte die Kluft zwischen den Finanziers (eigentlich nur die Verwalter unseres Geldes! Aber das will auch niemand hören!) sogar vergrößern und eine dezentrale Planung noch unmöglicher machen; Plattformen hin oder her.

Was aber wird nun mit den Gesundheitsplattformen passieren? Natürlich nichts. Sie werden weiter existieren. Oder hat man in Österreich schon jemals eine politische Einrichtung abgeschafft, nur weil sie nutzlos wurde? Es ist typisch für uns, tote Pferde zu reiten und allen zu erzählen, dass es sich dabei um eine österreichische und international unvergleichlich gute Galoppversion handelt!

Dieser Artikel wurde im Juni 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.