Ärzte und Pflegekräftemangel oder das Prinzip „mehr“

   Die ewige Forderung nach mehr Personal ist ein Teufelskreis – aber für Politiker immer ein Gewinn.

   Ein Blick ins Zahlenmaterial, das immerhin von öffentlichen Stellen freigegeben wird, zeigt, dass wir in der EU die meisten Ärzte pro Kopf haben (nur die gezählt, die mit Patienten arbeiten). Das Gleiche gilt für Pflegekräfte. Auch hier haben wir, mit deutlichem Abstand, die meisten fertig ausgebildeten und werktätigen Personen. Dass die Zahlen, die hier herangezogen werden, nicht leicht zu finden sind und aus unterschiedlichen, aber immer öffentlichen Statistiken zusammengefasst werden müssen, ist wohl ein erster Hinweis darauf, dass es keinen Personalmangel gibt, sondern einen erheblichen Mangel an politischem Willen.

   Wer sich jedenfalls einmal durchs Zahlendickicht gearbeitet hat, muss notwendigerweise feststellen, dass die Zahlen nicht darauf hindeuten, dass wir mehr Personal ausbilden müssen – im Gegenteil. Doch so eine Recherche ist anstrengend und führt zu Schlüssen, die so gar nicht zum Narrativ der Politiker passen. Damit hat jeder, der sich da einarbeitet, Feinde – und zwar nicht nur in der politischen Elite. Denn auch eine breite Masse der in „Mangelberufen“ Arbeitenden „spürt“ diesen Mangel und fühlt sich als Opfer.

   Und wenn der Ärztekammerpräsident meint, vier von zehn Studierenden würden nach dem Abschluss ins Ausland gehen, fragt halt keiner nach, ob das stimmt. Wenn er gleichzeitig sagt, dass wir 1.500 Neuzugänge bräuchten, um den Status quo zu erhalten, und daher die vorhandenen 1.750 Studienplätze zu einem Nachwuchsmangel führen müssten, bleibt das unwidersprochen. Obwohl nichts davon faktisch ist – im Gegenteil, wie der Blick in die „Ärztestatistik für Österreich“ zeigt: Der Neuzustrom liegt bei etwa 1.700 Ärzten. Pikanterweise wurden diese Aussagen anlässlich der Präsentation genau dieser Statistik getätigt – und somit gleich einmal festgelegt, wie diese zu lesen ist.

   Auch in der Pflege interessiert keinen, was die Zahlen sagen. Die Anekdoten über den Mangel sind vielfältig, und jeder weiß mittlerweile, dass wir mindestens 75.000 zusätzliche Kräfte brauchen. Und weil das so ist, müssen wir auf Teufel-komm-raus mehr ausbilden. Doch mit etwa 16 Pflegekräften pro 1.000 Einwohner (nicht Betreuungskräften, sondern ausgebildeten Pflegekräften) haben wir doppelt so viele wie der EU-Durchschnitt und einen Vorsprung auf das zweitplatzierte Deutschland von 20 Prozent. Wenn wir zu den aktuell etwa 150.000 Pflegkräften zusätzlich 75.000 in Beschäftigung nehmen, werden wir halt dreimal so viele haben wie der EU-Durchschnitt. Doch welcher Journalist nimmt schon den Jahresbericht „Gesundheitsberuferegister 2020“ als Quelle, wenn doch vom Minister bis zum ÖGB-Funktionär alle von einem Mangel sprechen, und „mehr“ fordern?    Und so werden wir eben „mehr“ ausbilden. Das „mehr“-Angebot wird zur Folge haben, dass sich die Arbeitsbedingungen weiter verschlechtern, was dazu führen wird, dass Ärzte noch stärker in den Wahlarztbereich und Pflegekräfte noch mehr in die Teilzeit verschwinden, womit wieder ein „Mangel“ entsteht, der die Politik zum Handeln zwingt und mehr Ausbildungsstellen geschaffen werden. Und das geht halt so weiter und so weiter.

„Wiener Zeitung“ vom 29.07.2021 

Pflegkräftemangel -Mythos

(Lesezeit 10 Min) Die Meldung kam für alle überraschend. Laut den ersten offiziellen Daten des Pflegeregisters, sind 141.096 Personen in einem Gesundheits- und Krankenpflegeberuf ausgebildet. Dazu zählen Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege, Pflegefachassistenz und Pflegeassistenz. Diese Zahl ist erstaunlich hoch, und passt gar nicht in das Bild, das die Politik seit Jahren zeichnet.

Weiterlesen „Pflegkräftemangel -Mythos“

Pflegkräftemangel – ein Mythos?

   Österreich hat die zweitmeisten Pflegkräfte in der EU – Trotzdem herrscht ein Mangel.

Weiterlesen: Pflegkräftemangel – ein Mythos?

   Lange schon hören wir, es gibt zu wenige Pflegekräfte und es wird immer schwerer solche zu finden. Ebenso lange wird mit einer OECD-Statistik argumentiert, in der wir nur acht Pflegekräfte auf 1000 Einwohner haben, und damit im EU-weiten Vergleich in der unteren Hälfte liegen; und ebenso lange wird die Fußnote dieser Statistik ignoriert: dort steht, dass Österreich (neben Griechenland) nur die Spitals-Pflegekräfte meldet. Dass das so ist, hing damit zusammen, dass nie irgendwelche Daten erhoben wurden. Wieviele Personen eigentlich in der Pflege arbeiten, schien niemanden wirklich zu interessieren.

   Nach zwei Jahrzehnten Diskussion hat sich die Politik dann doch durchringen können, auch bei uns ein Pflegeregister einzurichten. Ein Jahr lang war Einschreibefrist, die Einschreibung für alle Pflegekräfte obligatorisch. Am 30. Juni lief die Frist aus und am 1. Juli wurden die Ergebnisse präsentiert.

Leider war da niemand mehr aufnahmefähig; die Regierung gesprengt, Ibiza in aller Munde und die Schulferien hatten begonnen. Und wenn dann das Ergebnis auch so gar nicht in das politische Bild des „Pflegenotstands“ passt, darf man sich nicht wundern, dass sich weiter niemand dafür interessiert.

   Denn wie schaut es aus? 141.000 Pflegekräfte (Diplomierte Pflege, Pflegefachassistenz und Pflegeassistenz) sind nun registriert. Legt man diese Zahl auf 1000 Einwohner um – so wie es die OECD macht –, erleben wir erstaunlicherweise, dass Österreich, nach Norwegen, die meisten Pflegekräfte hat. Verglichen mit der EU (8,4) schwimmen wir mit 15,9 pro 1000 Einwohner geradezu in Pflegekräften.   

Doch wo sind die? Zieht man die wenigen Publikationen zu dem Thema zurate (Wirtschaftsforschungsinstitut und Arbeiterkammer haben um die Jahreswende dazu publiziert), ergibt sich folgendes Bild: In Spitälern und Rehazentren arbeiten fast 70.000 (30 Prozent davon Teilzeit), in Pflegeheimen fast 31.000 (40 Prozent davon Teilzeit) und bei den mobilen Diensten fast 11.000 (85 Prozent davon Teilzeit). Zusammen ergibt das aber nur 111.000 Pflegekräfte (ohne Betreuungskräfte wie die 24-Stundenbetreuung), also um etwa 30.000 Personen weniger, als registriert. Bedenkt man nun, dass da und dort in Arztordinationen und Ambulatorien, in Krankenpflegeschulen und 24-Stunden-Betreuungsvereinen Pflegekräfte arbeiten, bleiben trotzdem zehntausende übrig, von denen niemand weiß wo und was sie arbeiten, nur dass sie das, ähnlich dem Wahlarztsektor, nicht im öffentlichen Versorgungssystem tun.

Der Zug in Richtung Privatversorgung ist also auch in der Pflege angekommen und führt, wie bei den Ärzten, dort zu Engpässen, wo die Arbeitsplatzattraktivität durch die öffentliche Hand geregelt wird. Und gleich noch eine Analogie findet man: dem angeblichen Ärztemangel wollen Politiker mit mehr Medizin-Absolventen begegnen, dem Pflegemangel mit der Pflegelehre – es soll also mehr Personen geben, noch mehr, dann wird alles gut – oder so! Wer mit Ressourcen nicht umgehen kann, wird nie genug davon haben, das mag eine Weisheit außerhalb der politischen Elfenbeintürme sein, innerhalb ist sie es nicht

„Wiener Zeitung“ vom 09.08.2019